Einsamkeit


Eine unendlich scheinende Ebene umgibt mich, in deren Mitte ich stehe. Alles, was kommen mag, kann ich lange vorher erkennen und doch erkenne ich nichts. Denn da ist nichts, das kommt. Keine Wolke am Horizont, der Himmel eine Langeweile aus tiefem Blau. Ein Blau, welches direkt aus ihren Augen kommen könnte. Doch ich sehe nichts. Kein Fahrzeug, das sich nähert, kein Tier, keinen Baum, bloss die Ebene und mich.

Ich kann gehen, wohin ich will. Die Ebene folgt mir auf Schritt und Tritt, sie umgibt mich weiterhin und ich bin der Hamster im Hamsterrad, aus einem mir unbekannten Grund dazu verdammt, auf dieser Ebene zu verweilen. Wäre die Ebene aus Wasser, so könnte ich wenigstens ertrinken. So aber stehe ich da, atme, rufe, schreie, lebe. Doch da ist nichts, das mich hört. Weder Mensch noch Ohr und meine Rufe verhallen in der Unendlichkeit der Ebene.

Es gibt Tage, da scheint die Ebene grün, riecht frisch und Hoffnung kommt auf, es könnte sich Leben zeigen. Dann aber gibt es wieder triste und schwarze Tage, an welchen die Ebene bloss eine undefinierbare Masse aus dunklem Sand und Geröll ist. Manchmal ist das unendliche Flach gelb, von einem seltsamen Licht. Doch wie auch immer sie sich gibt, welche Farbe, welchen Geruch oder welche Form sie auch annehmen könnte - es bleibt die gleiche Ebene und ich spüre sie: die Einsamkeit. In ganz trügerischen Momenten nimmt die Ebene die Form einer Menschenmasse von Konzertbesuchern an. Die Einsamkeit kann auch inmitten tausender Menschen sein, oftmals sogar grausamer als alleine auf meiner Ebenen. Wenn niemand um mich herum lacht und gesellig ist, dann spüre ich weniger stark, alleine zu sein. Ich sage mir, allein sein sei gut, doch das rede ich mir bloss ein, um ein Bild von Ruhe und Sicherheit vorzutäuschen. Seit du meine Hand losgelassen hast und einem anderen Weg gefolgt bist, stehe ich auf dieser Ebene und bin nicht in der Lage, ihr zu entrinnen.

Alles, was ich tu, ist eine Täuschung meiner selbst. Sogar das verliebt jugendliche Gefühl, das manchmal in mir glüht, ist nicht echt, wirkt wie Theaterblut auf der Bühne. Alles Echte, das wirkliche Leben, das hast du mitgenommen. Meine atmende Hülle steht da, der Geist erwacht nur langsam. Vier lange Jahre schon. Und noch immer scheint dein Gesicht in meinem Kopf, reizt dein Profumo meine Nase, klingt deine Stimme in meinen Ohren. Was habe ich getan?

Ich sehe gute Dinge, welche ich offenbar in diesen Jahren habe bewegen können. Ich sehe Liebe, welche vielleicht hätte sein können, ich sehe Liebe, welche nie hat sein dürfen, ich sehe mein gebrochenes Herz aber auch glückliche Gesichter. Wie in Trance lese ich Zeitungsberichte über einen offenbar guten Menschen. Ich begreife nicht, dass dieser Mensch ich sein könnte. Nur ganz vage erinnere ich mich an viele unterschiedliche Gefühle. Waren diese Gefühle echt? Ich weiss es nicht. Und solange ich das nicht weiss, so lange stehe ich auf meiner Ebene und blicke ins Nirgendwo. Ich bin einsam.

Doch es gibt Hoffnung. Die gute Freundin, welche mir wie zu Studentenzeiten mitten in der Nacht bei der zweiten Flasche Wein die Augen öffnet. Eine neutrale Stimme, welche durch die Ebene zu mir dringt und mir sagt, ich solle mich bewegen. Denn nur Bewegung bringt mich von dir weg.

Und ich begreife: Du bist meine Ebene, du hast mich einsam gemacht. Und so lasse ich deine Hand fallen. Ich schreie, rufe, atme, hebe den Fuss und gehe einfach los.

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