Anas Erstes Gebot
Hier stehe ich nun schon wieder in diesem endlos wirkenden weißen Raum. Es ist kuschelig warm, denn ich habe meine Decke um mich gewickelt. Ich drehe mich um und da steht sie. Da steht Ana. Sie sieht mich etwas komisch an. Ein wenig ernst, aber auch mies gelaunt. Ich gehe auf sie zu. „Hi Ana", sage ich und winke ihr kurz zu. Ihre Augen verengen sich zu Schlitzen und sie erwidert: „Hi Sahra, und, hat's geschmeckt?" Die letzten Worte spuckt sie mir nur so entgegen. Etwas verwirrt schaue ich sie an. „Was meinst du?", frage ich sie. Sie sieht mich geradezu wütend an und wettert los: „Dein Nutella Brötchen! Hat's dir geschmeckt, hä?! Ich dachte du wolltest abnehmen und dann stopfst du Nutella in dich hinein!" Sie durchbohrt mich mit ihrem Blick und ich bekomme ein flaues Gefühl im Magen. Scheiße, das Nutella Brötchen! Warum habe ich Vollpfosten das gegessen? Ich will doch abnehmen!
Kleinlaut und mit gesenktem Blick bringe ich ein hohes „Tut mir leid", heraus. Aber Ana ist noch nicht fertig.
„Tut dir leid, tut dir leid! Es ist egal ob es dir leid tut, du hast es getan und das kannst du mit einem „Tut mir leid" nicht ungeschehen machen!", wütet sie weiter.
„Sahra, sieh mich an", fordert sie mich auf. Ich hebe meinen Blick und schaue ihr in die Augen. Ihr Gesichtsausdruck ist nicht mehr streng oder anklagend. Eher freundlich und mitfühlend. „Ich möchte dir etwas über mich erzählen", beginnt sie. Gespannt sehe ich sie an „Und was?"
„Ich verfolge einige Vorsätze, durch die ich es schaffe so dünn zu sein, wie ich nun mal bin. Sie heißen „Anas 10 Gebote". Wie die Zehn Gebote in der Bibel, nur dass meine sich um das Thema Abnehmen drehen. Und in diese Gebote möchte ich dich nach und nach einweihen." Jetzt schaut sie wieder ernst. Ich lasse ihr Gesagtes durch meinen Kopf gehen. „Nach und nach? Warum nicht alle auf einmal?", frage ich nach. Sie lächelt. „Weil du für alle noch nicht bereit bist."
Ich schaue sie weiterhin fragend an, aber sie lächelt nur. Mehr an Antwort werde ich von ihr wohl nicht bekommen. Etwas resigniert seufze ich. „Okay und wie heißt das erste Gebot?"
„Das erste Gebot ist dazu da, dass man sich seinem Körper und seinem Ziel mehr bewusst wird. Es bringt das Vorhaben auf den Punkt und ist das, an das du dich immer erinnern musst. Also, erstes Ana Gebot lautet: „Wenn ich nicht dünn bin, kann ich nicht attraktiv sein"."
Ich schaue sie an. „Das ist das erste Gebot?"
„Ja, wiederhole es: „Wenn ich nicht dünn bin, kann ich nicht attraktiv sein"", fordert Ana mich auf. „Wenn ich nicht dünn bin, kann ich nicht attraktiv sein", wiederhole ich das Gebot. Sie lächelt erneut. „Genau. Und dem musst du dir immer bewusst sein. Du musst immer daran denke: Fette Menschen sind nur für fette Menschen attraktiv. Und ich denke mal nicht, dass du später ein Walross als Freund oder Freundin haben willst, oder?"
Nein, das will ich wirklich nicht. Fett sein ist eklig und ungesund. Dünn sein ist schön und attraktiv. Und genau so will ich werden. Ich schüttle als Antwort den Kopf. Anas Gesichtsausdruck wechselt zurück zu ernst. „Jetzt will ich dir noch etwas zeigen. Ich will dir zeigen was passiert, wenn du weiterhin Nutella in dich hinein schaufelst."
Neben ihr taucht, wie aus dem Nichts, ein großer Spiegel auf. Darin sehe ich mich. Eingewickelt in einer roten, flauschigen Decke. „Leg die Decke weg", fordert sie mich auf. Ich tue wie mir geheißen und lasse die Decke fallen. Und was ich sehe erschreckt mich. Erstens habe ich keine Klamotten an, ich stehe komplett nackt da und Zweitens, ich bin unglaublich fett. Mein schwabbeliger Bauch hängt hinab und verdeckt meine Scheide fast komplett, meine Oberschenkel kleben nur so aneinander und meine Arme sind so dick, wie mein Hals normalerweise ist. Aber jetzt ist auch er um einiges fetter und ich habe ein ekliges Doppelkinn. Ich sehe einfach nur abstoßend und widerlich aus.
In meinen Augen sammeln sich Tränen. Nein, so will ich auf KEINEN FALL aussehen! Das ist absolut eklig! Ich will dünn sein wie Ana. Schlanke Arme, eine Lücke zwischen den Beinen, ein flacher Bauch. Ich will nicht zur Seekuh mutieren.
Der Spiegel verschwindet wieder. Die Tränen tropfen von meinem Kinn und Ana sieht mich mitfühlend an. Sie kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm. An sie gelehnt weine ich mich aus und sie streicht mir immer wieder über den Rücken.
„Shh shh, alles ist okay. Du bist nicht so fett und du wirst es auch nie werden, wenn wir zusammenhalten, ja? Du wirst dünn werden. Dann bist du schön und zart, wie eine Fee. Oder wie ein Schmetterling. Du wirst sehen. Es wird alles gut werden, solange wir zusammenhalten."
Mit diesen Worten im Ohr wache ich auf.
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