Kapitel 12
Das erste Jahr - Teil 2
Die Zeit, nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, war die schönste in Lisas Leben gewesen.
Bald schon konnte sie wieder ohne Krücken laufen, sie hatte wohl eine gute Knochensubstanz, ihr Bein war, für die Ärzte überraschend, schnell geheilt.
Henry und sie verbrachten viel Zeit miteinander, und schließlich hatte sie sich auch mit dem Gedanken anfreunden können, mit ihm zusammenzuziehen.
Ihre Eltern waren nicht sonderlich böse darüber, dass die Tochter auszog.
Ein Esser weniger.
Außerdem war der junge Mann eine ausnehmend gute Partie, da war es ja möglich, dass auch für sie beide etwas von dem Reichtum abfiel – eine Hoffnung, die sich sehr bald erfüllen sollte.
Der erste Schritt war ja mit dem Umzug in das neue Haus schon getan.
Bald schon hatte Henry eine passende Wohnung gefunden. Sensibel, wie er war, hatte er sie nicht gekauft. Sie sollte sich nicht als Gast in seinen vier Wänden fühlen.
Er hatte den für einen schwerreichen Erben eher ungewöhnlichen Weg eingeschlagen und die vier Zimmer mit einer Wahnsinnsküche und zwei Bädern mitten in der Altstadt gemietet – auf ihre beiden Namen.
Dass er die nicht geringe Miete allein bezahlte, wurde nie thematisiert. Anfangs versuchte Lisa ihren Teil zum Zusammenleben beizutragen, indem sie Kochversuche startete und die Hausarbeit erledigte.
Nach diversen missglückten Gerichten, die im Abfall landeten, erklärte Henry, dass es umweltverträglicher wäre, essen zu gehen oder bei Lieferdiensten zu bestellen, als jeden Tag Lebensmittel im Müll zu entsorgen.
Als sie seine weißen Hemden allesamt jeansblau eingefärbt, die Unterwäsche um mindestens eine Größe verkleinert hatte, schlug er vor, einen Arbeitsplatz für eine Haushalts-Perle zu schaffen.
Damit war das Thema Hausarbeit erledigt. Daria, eine alleinerziehende Mutter aus Bosnien sorgte für warmes Essen, einen gefüllten Kühlschrank, saubere Böden und Kleidung, die mehr als einen Waschgang überlebte.
Lisa hatte kein schlechtes Gewissen, ihr soziales Herz freute sich für die junge Mutter.
Henry zahlte sehr gut, meldete Daria bei den Sozialversicherungen an, sie konnte ihren Einjährigen an den Arbeitsplatz mitnehmen, für ihn da sein.
Eine Win-Win-Situation.
Es hätte alles wunderbar sein können: Eine WG zweier bester Freunde.
Wenn nur die Eltern nicht gewesen wären. Beide Paare.
Wobei ihre noch harmlos waren, im Gegensatz zu Gustav-Albert. Rebekka hielt sich eher zurück, sprach nicht viel, schien zurückgezogen in ihrer Welt zu leben.
Aber Henrys Vater war schon eine Heimsuchung.
Als er von der gemeinsamen Wohnung erfahren hatte, hatte er sofort eine riesengroße Einweihungsparty organisiert, bei der natürlich die Presse ebenso wenig fehlen durfte wie ein Caterer und die Creme de la Creme der Regensburger Gesellschaft.
Die „Überraschung" erwischte Henry und Lisa eiskalt, als sie nach einem harmlosen Abendessen aufgedreht und glücklich in ihren vier Wänden ankamen.
Doch das war nur der Anfang. Geschenke für ihre Eltern nahmen zu, die dafür natürlich ins selbe Horn stießen wie er.
„Du hast so ein Glück mit diesem jungen Mann!"
Wie oft hatte sie diese Worte gehört, hatte sie abgewiegelt, hatte versucht zu erklären.
„Wir sind kein Paar!"
Doch sie wollten nicht hören, nicht verstehen. Dann ließ sie es bleiben.
Den Schmuck, den Gustav-Albert ihr selbst schenkte, die Designer-Krokotasche, die Luxusklamotten wanderten alle in den hintersten Winkel ihres Kleiderschrankes. Irgendwann würde sie alles verkaufen und die Kohle der Obdachlosenhilfe spenden.
Wenn das Studium ihr dazu mal Zeit lassen würde.
Und immer wieder diese Anspielungen!
Heirat, Kinder bekommen!
Lisa konnte es bald wirklich nicht mehr hören. Er kapierte es einfach nicht, dass sie nie ein Paar werden würden.
Sie erklärte es lächelnd, sie erklärte es vehement, sie erklärte es genervt, sie erklärte es böse.
Er quittierte alles nur mit diesem ekelhaften zweideutigen Grinsen, gegen das sie einfach nicht ankam, mit dem sie aber auch nicht leben konnte und wollte.
Henry versuchte immer, sie zu beruhigen. Er kannte die aufdringliche Art seines Vaters ja schon ein paar Jahre länger als sie.
Die Sachen, die Henry ihr schenkte oder beim gemeinsamen Bummeln durch die Stadt kaufte, nahm sie dagegen gerne an. Es war nie etwas dekadent Teures dabei, und sie sah die Freude in seinen Augen zu gerne aufblitzen.
Henry arbeitete viel, es ging ihm alles leicht von der Hand. Oft musste er auf Geschäftsreise, er kam glücklich und erfolgreich zurück.
Lisa studierte sehr engagiert, war der Liebling ihrer Professoren.
Sie gaben Partys, ließen anzügliche Spekulationen an sich abprallen, lachten bei einem Absacker auf dem Balkon nach dem Ende der Feten darüber.
„Die kapieren es einfach nicht, dass wir nur Freunde sind!" Kopfschüttelnd amüsierte sich Lisa. Dass es ihr selbst noch vor einiger Zeit unglaublich vorgekommen wäre, ignorierte sie.
Sie flogen zum Christmas Shopping nach New York, aber erst, nachdem Henry eingewilligt hatte, den Reisepreis an die Tafel zu spenden - was er lächelnd und liebend gerne für seine kleine Sozialistin tat.
Ihr Leben war perfekt.
In den ersten Monaten verbrachten sie viel Zeit zusammen, unternahmen Ausflüge, Radtouren, begannen zu klettern.
Hin und wieder besuchten sie auch Clubs. Zu gern machten sie sich einen Spaß daraus, ein Liebespaar zu spielen, wenn ein zu aufdringlicher junger Mann, an dem Lisa kein Interesse hatte, nicht anders zu überzeugen war.
Oder im umgekehrten Fall, wenn sich eine der Damen zu sehr um Henrys Aufmerksamkeit bemühte.
Lisa genoss die Leichtigkeit des Lebens an Henrys Seite. Ihm schien es neben ihr genauso zu gehen.
Doch sie zogen auch allein los. Wenn Henry Lisa etwas von langen Meetings und Übernachtungen im Büro erzählte, war sie oft versucht, zu lachen. Das konnte er ihrer Waschmaschine erzählen. Kein Mensch kam so aufgedreht, erholt und frisch geduscht von einer Nacht auf dem Bürosofa nach einer langen Konferenz gegen Mittag zu Hause an.
Aber sie sprachen nicht weiter darüber, so wenig wie über ihre nächtlichen Abenteuer.
Sie waren Freunde, aber keine siamesischen Zwillinge.
Und Themen gab es genug für sie beide, da konnten ihre Liebesleben gut außen vor bleiben.
Irgendwo, in beider Hirnwindungen gab es zwar Gedanken, dass es besser wäre, auch darüber zu sprechen, aber sie schoben es vor sich her.
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