Eine zweite Chance?

Ich habe den grössten Fehler in meinem Leben begangen. Wie es dazu genau gekommen ist, weiss ich noch sehr genau. Wie in Endlosschleife läuft der Film in meinem Kopf ab. Eigentlich war es eine Sache, wie sie die Jungs in meinem Alter öfters machen. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass das alles solche Ausmasse nimmt. Aber nun ist es passiert und ich muss mit den Konsequenzen leben.

Sie haben mich hierhin gebracht. Hier, wo alles angefangen hat. Hier wird es auch enden, das habe ich im Gefühl. Eigentlich ist das hier ein wunderschöner Ort, ein friedlicher Ort. Tagsüber spielen hier die Kinder Fangen und die Ältesten Schach. Zumindest war das so, bis ich es zerstört habe. Nun eröffnet sich vor mir ein Meer aus Kerzen, Plüschtieren, Bildern und Karten mit wünschen, aber auch der Frage nach dem Warum. Warum? Warum genau sie? Warum er? Warum? Warum? Warum? Als hätte ich mir diese Frage selbst noch nie gestellt. Dabei sucht sie mich genauso heim wie ihr Gesicht.

Ich kann nicht mehr schlafen, essen und selbst das Atmen fällt mir schwer. Ich fühle mich schuldig, doch sogar ein Gericht hat gesagt, ich könne nichts dafür. Solche Dinge würden einfach passieren. Weder ich, noch sie glauben das. Alle schauen mich an, als hätte ich sie mit meinen eigenen Händen getötet, als wäre ich ein abscheulicher Serienmörder. Dabei haben sie noch vor wenigen Wochen mit allen Mitteln versucht, mein Freund zu werden. Ich war ihr König, ihr Anführer, der das Team zum Sieg bei der Meisterschaft hätte führen können.

Doch dann kam dieser eine Abend, dieser eine Abend, an dem alles anders wurde und die Welt sich aufhörte zu drehen. Begonnen hat er wunderbar, mit mehr als einem Sieg. Sie jubelten sowie feierten, so als gäbe es keinen Morgen, was es irgendwie aus heutiger Sicht auch nicht gab. Noch auf dem Spielfeld gratulierte sie mir für den Sieg meines Teams. Wiedermal hatte ich die meisten Punkte erzielt, doch das war mir egal. Ich hatte nur Augen für sie, denn sie hat mir später an diesem Abend ein einmaliges Geschenk gemacht.

Genau hier ist das passiert. Wir hatten eine wundervolle Nacht. Im Anschluss darauf schliefen wir beide ein. Inmitten des dunklen Parks zwischen einer grossen Eiche und einem Brombeerstrauch. Sobald die Sonne wieder aufging, wachte ich auf. Ich musste ins Training, also lies ich sie liegen. Ich machte mir keine Sorgen, auch als sie an diesem Tag nicht in der Schule erschien. Stattdessen nutzte ich die Chance, um allen klar zu machen, was für ein grosser Held ich war. Sogar als am frühen Abend ein heftiger Sturm aufzog, verschwendete ich keinen Gedanken an sie.

Erst als ich am nächsten Tag beim abendlichen Training holte mich die Realität ein. Die Polizei holte mich ab. Man hatte sie unter einer umgefallenen Eiche gefunden, tot. Für alle war das ein gefundenes Fressen, der König hatte seine Königin getötet. Wir beide waren die Lieblinge der Stadt und nun gab es nur noch einen von uns, der ein heimtückischer Mörder sein soll. Niemand liess mich mehr in Ruhe, allen wollten wissen, wie und warum ich das tat. Dabei weiss ich es selbst nicht mehr. Als sie so dalag, in der aufgehenden Sonne, dachte ich, dass sie einfach noch schlief. Das Fehlen in der Schule erklärte ich mir mit irgendwelchem Mädchenkram. Es war nicht das erste Mal, dass sie in der Schule fehlte.

Die Erkenntnis, dass sie an einem unentdeckten Herzfehler starb, kam viel zu spät. Laut den Experten hätte ich nichts tun können. Sie war einfach eingeschlafen und nie wieder aufgewacht. Doch sie glaubten das nicht, aus meiner Sicht tat das niemand. Meine Eltern sowie ihr Geld waren in dieser Region zu einflussreich. Was mir früher half, schadete mir nun. Ich bin schuld an ihrem Tod.

Sie haben mich hierhin gebracht. Hier, wo alles angefangen hat. Hier wird es auch enden, das habe ich im Gefühl. Eigentlich ist das hier ein wunderschöner Ort, ein friedlicher Ort. Tagsüber spielen hier die Kinder Fangen und die Ältesten Schach. Zumindest war das so, bis ich es zerstört habe. Nun stehe ich hier im Dunkeln, mit ihnen in meinem Rücken. Doch sie sind nicht nur in meinem Rücken, sie haben mich umzingelt. Immer enger umschliessen sie mich und ich bin bereit. Ich habe den Kampf aufgegeben, die letzte Schlacht ist bezwungen, der letzte Kampf ist verloren. Ich bin verloren. Weinend falle ich auf meine Knie. Es ist eines der wenigen Male, bei denen ich weine und wiedermal ist es wegen ihr. Niemand wird mich hören.

Eine Hand greift nach meinem Kinn, zieht es gewaltsam nach oben. Überrascht blicke ich ihn an. Doch er sagt kein Wort, nimmt lediglich meine Hand, zieht mich hoch und hinter sich her. Ich folgte ihm, denn ich brauche keine Angst zu haben, bei ihm bin ich in Sicherheit. Er ist der Einzige, der mir Frieden bringen kann.

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