Wenn die Energie fehlt
Für mich
Warum schreibe ich? Was soll das Ganze?
In meinem Kopf geistern Geschichten herum, entwickeln sich Charaktere zu Personen, entstehen Welten und Gefühle, die nichts mit dem Leben um mich herum zu tun haben, wie damals, als Vater uns '3:0 für die Bärte' vorgelesen hatte und wir, neben ihm am Boden liegend, seiner warmen Stimme lauschten und uns über den tollpatschigen Admiral kugelten vor Lachen, als wäre er echt, neben uns. Real.
Mit dem Älterwerden habe ich feststellen müssen, dass diese reale Welt ein riesiger Sandkasten ist, wo immer der Lautere und der Stärkere gewinnt. Als kleiner Junge, der die Welt mit anderen Augen betrachtete, keinen Sinn im Fußball entdeckte und dafür lieber Bücher las, wurde die fiktive Welt zu einem Rückzugsort, einer Welt ohne fiese Kerle. Meine Seele konnte in die starken Charakter schlüpfen, deren Abenteuer erleben und Bösewichte besiegen. Stärke.
Viele Jahre später, ich habe damals schon lange als Lehrer gearbeitet, obwohl ich eigentlich nie habe Lehrer werden wollen, und bloß aus Zufall diesen Weg eingeschlagen hatte, wenngleich nun einige sagen werden, es sei nicht Zufall gewesen, sondern vielmehr Schicksal, an welches ich nicht glaube, habe ich dann gemerkt, dass in mir auch ein Talent des Schreibens schlummert, was auch immer Talent bedeuten mag. Erwachen.
Geschichten aus meinem Kopf, seltsame Stromstöße wirrer Synapsen, ein kurzes Aufleuchten der Speicherzentralen, irgendwo im Hirn, der Biomasse mit elektrischer Leitfähigkeit, fließen seit jenem Tag, als ich mich beinah zu langweilen begann, weil ich mein Buch, es war ein Krimi, glaube ich mich zu erinnern, ausgelesen hatte und auf meiner Ferienfahrt, ich war damals unterwegs nach Italien, nichts mehr zu lesen hatte, in die Tasten und lassen auf dem Bildschirm jene Zeichen aufleuchten, aus Einsen und Nullen zusammengebaut, welche von Menschen, die sie zu deuten vermögen, Sinn ergeben und ihrerseits in jenen Hirnen Synapsen aufleuchten lassen, als hätten meine Fingerbewegungen sie über eine magische Verbindung aktiviert. Schreiben.
Die Plattform im Internet, gesteuert und organisiert aus Kanada, wo ich einst beinah eine Ranch gekauft habe, also quasi aus meiner Fast-Heimat, und in Europa rege genutzt, bietet mir die Möglichkeit, meine Geschichten einem großen, mir unbekannten Publikum vorzustellen, meistens handelt es sich dabei um Frauen, als ob sie mehr Zeit zu lesen hätten, als die Männer, damit sie gelesen und kommentiert werden, denn genau das können die Leserinnen und Leser tun, was bei gewöhnlichen Büchern nur über handschriftliche Notizen geht, und vielleicht sogar können meine Geschichten eine kleine Fangemeinde erhalten, die man dann Follower nennt. Wattpad.
Auf Wattpad gibt es diverse Wettbewerbe, denn letztendlich müssen die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Ende des Monats Lohn erhalten, damit sie weitere Wettbewerbe programmieren können, wo die Autoren ihre Geschichten freiwillig einseitigen Verträgen unterstellen, in welchen man ihnen Ruhm und Ehre verspricht, obwohl es genau genommen darum geht, die guten Geschichten an die Plattform zu binden, damit mit Werbung Geld generiert werden kann, das selbstverständlich nicht an die Schreibenden, sondern vielmehr an die Programmierenden fließt, damit für die Schreibenden attraktive Wettbewerbe zum Erhalt von Ruhm und Ehre bereitgestellt werden können. Hamsterrad.
Die virtuelle Welt, in die ich mich einst flüchtete, um nicht unter Bösewichten zu leiden, sondern sie vielmehr besiegen zu können, mutiert mehr und mehr zu einer Realität, je länger ich schreibe, denn auch hier merkt man bald, dass selbst der erfundene Raum nichts anderes ist, als ein weiterer riesiger Sandkasten, als hätte man sich in der Wüste Sahara verloren, und die Bösewichte besetzen und kontrollieren das einzige Wasserloch weit und breit. Ernüchterung.
So schreibe ich denn weiter meine Geschichten, weil die Gedanken aus meinem Kopf herauswollen und es kümmert mich wenig, ob ich dabei jemanden erreichen kann oder nicht, denn meine Worte können wohl doch nicht von allen verstanden werden, oder sie treffen nicht das, was andere lesen wollen, wie damals, als ich erstmals feststellen musste, dass die einzige wirkliche Welt jene ist, die ich mir erschaffe, allein für mich, mit mir allein, gleichzeitig Autor und einziger Leser, verloren im Monolog mit zaghaftem, ja scheuem Applaus am Ende des Daseins. Ich.
Genau deshalb schreibe ich! Es ist für mich!
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