Kapitel 15

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„Oh, nein. Oh, nein", jammerte eine hohe Stimme, „es ist wieder falsch gelaufen." 

„Wieso falsch?" Ein aufgebrachtes Stimmchen erklang und kam auf mich zu. „Wollten wir nicht, dass sie wieder bei uns auftaucht?" 

„Wollten wir das?", zwitscherte die erste Stimme und näherte sich ebenfalls. 

„Woher sollen wir wissen, ob es die richtige Nebelgestalt ist?", warf eine dritte Stimme ein. „Vielleicht ist es eine ganz andere." 

„Hallo", rief ich dazwischen und merkte leider, dass ich gar nicht rufen konnte. Wie bei meinem ersten Besuch in dieser sonderbaren Welt konnte ich nichts sehen, und meine Stimme klang eher wie ein Hauchen. „Wie wäre es, wenn ihr den Zauber von mir entfernt?" Ich fand es sowieso höchst sonderbar, dass sie mich direkt mit einem Zauber belegt hatten, kaum dass ich zu ihnen zurückkam. Und wieso erkannten sie mich nicht? Hatten sie öfter irgendwelche Nebelgestalten zu Besuch? 

„Wir haben aber gar keinen Zauber auf dich gelegt." 

„Dieses Mal nicht." 

„Eigentlich müsstest du hier alles sehen können." 

Ich drehte mich und blinzelte mit den Augen. „Nein, es bleibt schwarz. Ich sehe nichts." 

„Vielleicht hängt das mit dem rückwärts Rückwärts zusammen", flüsterte eine der Feen. Ich wollte echt nicht wissen, was sie damit meinte. Besonders talentiert schienen sie nicht zu sein, sonst wäre meine Reinkarnation nicht dermaßen misslungen. 

„Ja, genau, bestimmt ist auch unser allererster Zauber mit zurückgekommen. Und da hatte sie den Nachtzauber über sich." 

„Wir können es versuchen." 

Ich hörte ein leises Sirren. Wahrscheinlich wedelten alle drei mit ihren Zauberstäben in der Luft herum. Kaum eine Sekunde später war die Schwärze verschwunden, und ich sah die leuchtende Märchenwelt von Fauna, Flora und Sonnenschein vor mir. Die drei Feen hatten sich seit meinem letzten Besuch nicht verändert. Entweder war keine Zeit vergangen, oder sie sahen immer so aus mit ihren sonderbaren Kleidern in den kräftigen Farben und den farblich darauf abgestimmten Spitzhüten. Zumindest war es so leicht, sie zu unterscheiden, denn ihre dicklichen Figuren machten es mir schwer, in den Zeichentrickfeen unterschiedliche Wesen zu erkennen. 

„Danke", sagte ich höflich, fügte jedoch weniger höflich hinzu: „Und wie geht es jetzt weiter? Ich dachte, ihr schickt mich in mein echtes Leben zurück." 

„Aber das haben wir doch", rief Fauna und sah mich total überrascht an. 

„Genau." Sonnenschein nickte und wedelte bekräftigend mit ihrem Zauberstab herum, sodass es Feenglitzer regnete. 

„Nun", meinte Flora eher nachdenklich, „vielleicht nicht so ganz." 

Schon schwebten die drei Feen in einen Kreis und begannen zu tuscheln. Dass sie es nicht gerade leise taten, machte mir das Lauschen leichter. 

„Wie meinst du das, wir haben sie nicht so ganz in ihr echtes Leben zurückgeschickt?" 

„Das sieht man doch, Fauna, sie ist eine Nebelgestalt", sagte Sonnenschein kopfschüttelnd. „Und bestimmt war sie das vorher nicht. Also haben wir sie als Nebel zurückgeschickt." 

„Ich denke da eher an ein anderes Leben, und das hat nichts mit der Nebelgestalt zu tun", erklärte Flora. Sie schien die kluge und vernünftige Fee zu sein. Hoffentlich war sie auch so klug, dass sie herausfand, wie ich wirklich zurückkam. „Wir haben sie dorthin geschickt, wo sie am liebsten sein würde." 

„Aber das ist doch ihr normales Leben", warf Fauna ein. 

Alle drei Feen drehten sich zu mir und betrachteten mich nachdenklich, ehe sie weiter tuschelten. Ich hörte ihnen nicht mehr zu. Die Worte von Flora stimmten mich nachdenklich. Konnte es wirklich sein, dass ich am liebsten Aschenputtel wäre? Oder Schneewittchen oder Dornröschen? Nein, das konnte nicht sein – oder doch? 

Ich spürte, wie mein Nebel zerfaserte. Unsicherheit machte sich in mir breit. Ich erinnerte mich vage daran, wie ich vor dem Unfall gedacht hatte, dass ich so gern Aschenputtel wäre, die ihren Prinzen bekam – meinen Schwarm Elio. 

Obwohl es in allen Märchen immer Königssöhne waren, die sich für die Schönheiten interessierten und sie zu ihrer Königin machten. Und die grausamen Bestrafungen hatte ich auch fast komplett vergessen. Irgendwie hatten sich die amerikanischen Märchen mit den deutschen vermischt zu einer bunten, schönen Fantasie, in deren Welt ich so gern gelebt hätte. Weg von Mara, der intriganten Freundin meines Vaters, und hin zu den fröhlichen, beschwingten Märchen, in denen ich glücklich tanzen und lachen konnte und am Ende immer meinen Prinzen – oder Königssohn – bekam. 

Aber als ich jetzt so richtig in den Märchen erwacht war und mich an alle grausamen Details erinnerte, die auf mich warteten, hatte ich wirklich nur noch weggewollt. Obwohl ... Ich stutzte. Warum war ich denn nicht im letzten Märchen geblieben? Bei Dornröschen gab es keine grausame Bestrafung der dreizehnten Fee, denn deren böses Geburtsgeschenk war ja durch die zwölfte Fee abgemildert worden. Und eigentlich konnte ich die dreizehnte Fee sogar verstehen. Nur weil ein Set Goldgeschirr fehlte, nicht zur Geburtsfeier eingeladen zu werden, das war wirklich gemein. 

Elio. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann war es nur wegen Elio, dass ich zurückwollte. Dabei wusste ich gar nicht, ob er an mir interessiert war oder es jemals sein könnte. Und ich wusste nicht, ob er gut küssen konnte. Ich wusste nur, dass alle Mädchen von ihm schwärmten – oder zumindest die meisten. Und dass ich nicht in einer Märchenwelt feststecken wollte in einer Märchenfigur. Egal wie schön das Märchen endete. 

Ich blickte umher. Mir fiel erst jetzt auf, dass abgesehen von mir keine anderen Wesen hier waren. Die Schmetterlinge auf der Wiese und die Vögel im Wald zählte ich jetzt mal nicht. Da war kein Kinderlachen, kein Getuschel von fröhlichen Teenagern, keine herüberschallenden Männerstimmen – nichts. Wo auch immer ich war, ein normaler Ort war es definitiv nicht. Bereits das Herumflirren der Zeichentrickfeen sagte doch alles! Ich gehörte nicht hierher. 

„Könnt ihr mir nun helfen?", fragte ich und schwebte so dicht zu ihnen, dass sie mit erschrecktem Kreischen auseinanderfuhren. 

„Huch, schleich dich doch nicht so an!", schimpfte Sonnenschein. 

„Ich habe fast einen Herzstillstand gehabt", sagte Fauna. 

Nur Flora sagte nichts. Sie wedelte mit einer Hand vor ihrem Gesicht herum, holte tief Luft und erklärte danach: „Das liegt ganz bei dir." 

„Was soll das heißen, es liegt ganz bei mir?" 

„Nun, genau das. Wenn du dir wünschst, bei Aschenputtel zu sein, dann kommst du auch dorthin. Das liegt nicht in unserer Macht. Immerhin sind wir nur die Feen, die die Märchengestalten in ihre Märchen zurückbringen." 

„Und wir hatten noch nie ein Problem damit", betonte Sonnenschein. 

„Noch nie!", bekräftigte Fauna. 

„Bis du aufgetaucht bist", ergriff Sonnenschein erneut das Wort. „Du kommst einfach so hierher, wünschst dich in ein Märchen und bringst hier alles durcheinander." 

„Aber ...", begann ich. 

„Nein, kein Aber!", fuhr mir Flora dazwischen, schwang den Zauberstab, und meine Stimme war verschwunden. Na wunderbar, jetzt hatte ich auch noch Redeverbot. „Cinderella ist nie auf die Idee gekommen, dass sie lieber Rapunzel wäre oder Arielle. Aurora hat sich nie danach gesehnt, die Schöne zu sein oder Snow White. Doch du purzelst von einem Märchen ins nächste und schickst die armen echten Märchenheldinnen zu uns, obwohl sie gar nicht hierhergehören. Sie kamen alle aus einer ganz anderen Welt und hatten nichts in unserem wunderschönen Märchenparadies zu suchen." 

Der anklagende Tonfall der rotgekleideten Fee machte mich verlegen. Langsam begriff ich, was hier los war. Das hier war wohl der Märchenhimmel für die Disney-Märchen. Und ich hatte unbewusst eine Sehnsucht nach den Disney-Märchenprinzen in mir getragen, sodass ich hierhergekommen war und nicht in den deutschen Märchenhimmel. Aber da Aschenputtel meine Lieblingsgeschichte war, konnte ich natürlich nicht in Cinderella reinkarniert werden. 

Mein schlechtes Gewissen wurde jetzt noch größer. Wie musste sich Aschenputtel gefühlt haben, als sie mit einem Mal in diesem ihr völlig fremden Märchenparadies auftauchte? Irgendwie hatten die drei Feen gar nicht mal so unrecht, ich brachte wirklich alles durcheinander. 

„Es tut mir leid", sagte ich. Erfreulicherweise wirkte der Redeverbot-Zauber wohl nur kurz. 

„Nun, das ist ja ganz nett, aber damit werden wir dich hier nicht los." 

„Sonnenschein!" Fauna und Flora drehten sich empört zur blaugewandeten Fee. 

„Was ist? Ich habe doch recht. Und ich denke, wenn es nicht Ma..." Ein „Shh" unterbrach sie, und sie rollte stöhnend mit den Augen. „... wenn es nicht die böse Fee ist, die dieses Durcheinander veranstaltet hat, dann ist es allein ihre Aufgabe, alles wieder richtig zu machen." Sie zeigte mit ihrem Zauberstab auf mich, fuchtelte damit umher und Feenglitzer vermischte sich mit meiner Nebelgestalt. Es kitzelte, doch ich unterdrückte ein Kichern. Das käme jetzt sicher nicht gut an. 

„Ich habe einen Vorschlag", sagte ich. „Da ich nun weiß, dass mein innigster Wunsch wichtig ist, werde ich mir mit ganzer Kraft wünschen, wieder in mein reales Leben zurückzukommen." 

„Reales Leben?" Sonnenschein runzelte die Stirn und fuchtelte noch intensiver mit ihrem Zauberstab herum. „Was soll das denn heißen?" 

„Ich meine", erklärte ich hastig, „ich denke ganz intensiv an mein Leben, das ich hatte, bevor ich hier auftauchte." 

„Eine gute Idee, nicht wahr?" Fauna nickte eifrig. „Ich finde, das ist eine wirklich perfekte Idee." 

„Ja", stimmte Flora zu, „das klingt vernünftig. Damit können wir es wagen." 

Die drei Feen blickten einander an, danach drehten sie sich mir zu und zeigten mit ihren Zauberstäben auf mich. 

„Konzentrier dich ...", begann Flora, „... denke nur an deine Welt ...", fuhr Sonnenschein fort, „... und denke an Elio", vollendete Fauna den Satz und lächelte fröhlich. 

Verwirrt schaute ich sie an. Dass sie sich noch an den Namen erinnerte, fand ich erstaunlich und auch bewundernswert. Vielleicht war sie gar nicht so naiv, wie ich immer geglaubt hatte. 

„Elio", murmelte ich. Ein warmer Schauer durchrieselte mich. Ich stellte ihn mir vor, mit den dunkelblonden Haaren, den hellen Strähnchen, die wie eingefangene Sonnenstrahlen aussahen, und den leuchtend blauen Augen, die verschmitzt funkelten. „Elio." 

Die drei Feen schwangen ihre Zauberstäbe. Ein Regen an silbrigen und goldenen Funken fiel auf mich herab und hüllte mich ein. Der Feenglitzer wurde immer dichter, die funkelnde Wiese verblasste und die bunten Gewänder der Feen verschwanden hinter einer flirrenden, silbrigen Wand. 

Eine tiefe Stille und Dunkelheit umfing mich, und mein letzter Gedanke, ehe die Schwärze mit umhüllte, war Elio

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