Kapitel 10
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Fauna und Flora hatten tatsächlich nichts anderes getan, als höflich plaudernd mit Aschenputtel bei einer Tasse heißen Tees zusammen zu sitzen. Sie ließen sich in aller Ausführlichkeit den königlichen Ballsaal und die Kleider der anwesenden Damen beschreiben. Eigentlich klang alles genau so, wie sie es auch von ihrer geliebten Aurora kannten. Nur vielleicht trugen die Damen bei ihnen nicht ganz so verdrahtete Gewänder. Aber die Mieder wurden ebenso geschnürt, um eine schlanke Taille zu zaubern. Und prachtvoll mit viel Glitzer und allerlei Juwelen und Perlen waren auch sie geschmückt. Reichtum zeigte sich eben immer auf die gleiche Weise.
In einer bunt glitzernden Wolke kam Sonnenschein herbeigeschwebt. „Ich hab's!", rief sie mit lauter Stimme und wedelte mit ihrem Zauberstab wild herum. „Ich habe die perfekte Lösung!"
„Ja, na schön", erwiderte Flora und versuchte, mit ihrem eigenen Zauberstab ein wenig Wind herbeizuzaubern, um all den Glitzer zu vertreiben. So konnte man sich ja gar nicht unterhalten, wenn überall dieser Glitzerstaub herumwehte. Sonnenschein war mal wieder sehr ungastlich und zudem unhöflich. „Vielleicht magst du dich auf einen Tee zu uns setzen, während du uns die perfekte Lösung offenbarst."
„Tee", sagte Sonnenschein abfällig. „Als ob ich meine kostbare Zeit mit Tee vertrödeln würde." Sie linste in die Tassen hinunter. „Obwohl mit einem Klecks Sahne könnte ich es mir vielleicht anders überlegen." Und schon tauchte eine Tasse mit wenig Tee und viel Sahne auf, und Sonnenschein ließ sich wohlig seufzend neben Flora nieder.
„Was ist denn nun deine Lösung?", fragte Flora neugierig und zupfte am Saum ihres grünen Kleides.
„Wir kehren den Zauber um."
Aschenputtel lächelte liebreizend. Dabei war sich Sonnenschein sicher, dass sie überhaupt nichts verstand. Flora und Fauna jedenfalls verstanden wirklich nichts. „Umkehren? Wie soll das denn gehen?"
„Nun, wir sprechen unseren Zauberspruch rückwärts. Das sollte bewirken, dass alles zurückgenommen wird."
„Rückwärts sprechen?" Flora schüttelte abwehrend den Kopf.
„Rückwärts sprechen", sagte Fauna begeistert und klatschte in die Hände. „Was für eine wundervolle Idee. Das wird bestimmt lustig klingen."
„Komme ich dann zu meiner Familie zurück?", fragte Aschenputtel vorsichtig.
„Wahrscheinlich ja", erklärte Sonnenschein, „so genau wissen wir das nicht. Wir haben schließlich noch nie einen Zauberspruch rückwärts gesprochen. Aber so ein Versuch ist auf jeden Fall besser, als wenn ..." Sie blickte auf ihre Teetasse, nahm sie rasch und trank einen Schluck. Leider schmeckte es nicht halb so gut, wie sie es sich vorgestellt hatte. Mit gerümpfter Nase blickte sie auf die cremige Flüssigkeit. „Also, Tee mit Sahne ist nicht wirklich schmackhaft. Da bevorzuge ich eine heiße Tasse Kakao oder ein Tässchen Kaffee. Da passt Sahne sehr viel besser." Mit einem Schwung ihres Zauberstabs entfernte sie die Tasse und zauberte sich ein frisches Tässchen, von dem aromatisch-süßlicher Kakao-Geruch empor strömte. „Ja, gleich viel besser."
„Ich halte gar nichts von der Idee." Flora zeigte sich noch immer ablehnend. „Immerhin haben wir es hier mit echten Menschen zu tun. Da können wir nicht einfach mal etwas ausprobieren."
„Wieso nicht?", entgegnete Sonnenschein und nippte an ihrem sahnigen Kakao. „Bei der sonderbaren Wolke haben wir es vorhin doch auf versucht und keine Scheu gehabt. Was soll denn jetzt noch Schlimmeres passieren?"
„Ja", stimmte Fauna zu, „was könnte es Schlimmeres geben, Flora? Vielleicht gelingt es, und Aschenputtel kommt in ihr Märchen zurück, und die andere Person ist wieder bei uns. Dann könnten wir mit der Nebelgestalt etwas anderes ausprobieren."
Nun flog Flora hin und her und runzelte sogar ihre Stirn vor lauter Nachdenken. Schließlich seufzte sie lang und besonders laut, ehe sie sich wieder setzte. „Ich fürchte, mir fällt auch nichts Besseres ein. Es scheint so, als müssten wir es wagen."
Sonnenschein strahlte zufrieden, und Fauna klatschte erneut vergnügt in die Hände.
„Na dann", sagte Flora, erhob sich und schritt ein wenig von Aschenputtel weg. Sie klopfte nicht vorhandene Krümel von ihrem roten Kleid und reckte die Schultern. „Lasst uns anfangen."
Sonnenschein eilte sofort neben sie. Auch sie klopfte demonstrativ auf ihr Kleid und hustete erschrocken, als von dem blauen Stoff eine große Glitzerwolke emporstieg und ihr in Mund und Nase drang. „Entschuldigung", keuchte sie und nieste sogar. Flora rollte nur mit den Augen. Fauna stellte sich vorsichtshalber neben Flora. Nicht, dass sie auch noch zu viel von dem Glitzer einatmete.
Alle drei schwangen ihre Zauberstäbe in Richtung von Aschenputtel. Sonnenschein begann zu sprechen, da rief Fauna hastig: „Aber ... aber ... Welches Rückwärts?"
„Welches Rückwärts?" Sonnenschein blickte an Flora vorbei und stemmte empört die Arme in die Seiten. „Ich dachte, du bist auf meiner Seite. Wieso unterbrichst du unseren Zauber?"
„Ich meine, wir haben nicht gesagt, auf welche Weise wir rückwärts sprechen. Sagen wir nur die Worte rückwärts auf, oder müssen wir auch die Buchstaben innerhalb der Wörter rückwärts sprechen?"
Sonnenschein zog ein langes Gesicht. Dieses Mal verstand sie gar nichts.
„Eine gute Frage", murmelte Flora, „eine sehr kluge und gute Frage." Dann reckte sie ihren Kopf empor und sprach laut weiter. „Ich schlage vor, wir sagen nur die Worte rückwärts auf. Also statt ‚der Zauber geschieht' sagen wir ‚geschieht Zauber der'."
„‚Der Zauber geschieht' kommt doch gar nicht im Zauberspruch vor", sagte Sonnenschein verwundert.
„Das war nur ein Beispiel, damit ihr beide es versteht."
Fauna und Sonnenschein sahen einander an. Es dauerte noch ein paar Sekunden, dann huschte ein Lächeln über ihre Gesichtszüge, als sie es wirklich verstanden hatten.
„So gut, nun alles klar? Dann lasst uns beginnen." Flora hob erneut ihren Zauberstab.
Doch dieses Mal war es Sonnenschein, die den Zauber unterbrach. „Aber was ist", begann sie und unterbrach sich selbst mit einem Seitenblick zu Aschenputtel hin. Dann flog sie dicht vor Flora und zerrte Fauna an ihre Seite. Flüsternd sprach sie weiter. „Was ist, wenn es das falsche Rückwärts ist? Was machen wir denn dann?"
„Huch, ja, was ist dann?" Fauna schlug bestürzt eine Hand vor ihren Mund.
„Dann", erklärte Flora mit resoluter Stimme, „versuchen wir es mit dem anderen Rückwärts." Die beiden Feen nickten erleichtert. „Können wir es jetzt mit dem von mir vorgeschlagenen Rückwärts versuchen?"
Dieses Mal sagte keine der Feen etwas dagegen. Sie begaben sich wieder an ihre Plätze, hoben alle drei ihre Zauberstäbe und sprachen den Zauber rückwärts auf, den sie für die menschliche Nebelfrau benutzt hatten. Die silbrigen und goldenen Funken kamen dieses Mal nicht von oben herab, sie flirrten vom Boden hoch nach oben, umhüllten das Aschenputtel und wirbelten immer dichter um die junge Frau herum, bis von ihr nichts mehr zu sehen war. Mehrere Sekunden stoben die Funken glitzernd durch die Luft, dann zogen sie kreisend höher und höher, bis sie irgendwo im Himmel verschwanden.
„Sie ist weg", durchbrach Fauna die einkehrende Stille und strahlte erleichtert über das ganze Gesicht.
„Ja", sagte Sonnenschein, „also war meine Idee genau richtig."
Nur Flora ließ ihren Zauberstab nachdenklich sinken und sagte nichts. Erst mal. Aber einer Eingebung folgend drehte sie sich um in Richtung Wäldchen.
„Oh, nein. Oh, nein", sagte sie sogleich stöhnend und starrte auf die junge Frau mit den dunklen Haaren, den blutroten Lippen und der fast schneeweißen Haut, die da in einem leichten Glitzernebel auftauchte.
„Oh, nein. Oh, nein", jammerte Fauna, kaum dass sie sich ebenfalls umgedreht hatte.
„Ihr könnt sagen, was ihr wollt", rief Sonnenschein und wedelte hektisch mit ihrem Zauberstab herum, „da hat Malefiz ihre Hände im Spiel. Etwas anderes kann es unmöglich sein!"
Und dieses Mal schimpften weder Flora noch Fauna, als sie den Namen aussprach. Allmählich glaubten sie, dass Sonnenschein recht haben könnte.
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