Kapitel 1


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Es lief gar nicht gut. Mein Magen schmerzte schon bei dem Gedanken daran, dass ich gleich nach Hause gehen musste. Ich wusste genau, dass ich nur wieder Vorwürfe bekäme. Es schien so, als ob die neue Partnerin meines Vaters der Meinung war, ich wäre zu nichts zu gebrauchen. 

„Kommst du nachher in den Klub, Anara?", fragte mich Roxanne, bevor wir uns an der Straßenecke trennten. „Elio und die anderen werden auch da sein." 

Elio. Ich wusste genau, dass jetzt ein dümmliches Grinsen auf meinem Gesicht auftauchte. Ich konnte es nicht verhindern. Irgendwie konnte das niemand verhindern, denn Elio war der Liebling an unserer Schule, bei dem alle Mädchen schwach wurden. Zumindest die in der Oberstufe. Ob die Teenies von der Mittelstufe sich schon für die älteren Jungs interessierten, glaubte ich kaum. Ich auf jeden Fall schwärmte mit ganzem Herzen für Elio. Seine dunkelblonden Haare mit den hellen Strähnchen sahen göttlich aus. Und die leuchtend blauen Augen, oh mein Gott, zum Wegschmelzen. Er war so perfekt wie sein Name, der Sonne bedeutete. Alles an ihm war perfekt. Wirklich! Doch leider war mein dümmliches Grinsen bei seinem Anblick so intensiv, dass ich in seiner Nähe entweder gar kein Wort oder nur stotterndes Gestammel hervorbrachte. Ich benahm mich wie ein Trampel und nicht wie eine attraktive Freundin-Kandidatin. Er würde wohl für immer ein unerreichbarer Prince Charming bleiben. 

„Ich kann nicht", erwiderte ich leise. Meine Stimme klang vielleicht etwas zu genervt. Zumindest warf mir Roxanne einen schiefen Blick zu. 

„Schon wieder Ärger mit deiner Stiefmutter?" 

Ich rollte mit den Augen. „Sie ist nicht ..." 

„Ja, ja, ich weiß, nicht deine Stiefmutter. Aber sie ist die neue Freundin von deinem Vater und lebt bei euch. Also ist sie schon so was ähnliches." 

Ich zuckte mit den Schultern. Insgeheim hoffte ich, dass die Frau in ein paar Monaten wieder verschwunden war. Bestimmt kapierte mein Vater noch, dass diese Unperson nicht zu uns passte. Und das meinte ich nicht aus niederen Eifersuchtsmotiven. Hey, ich bin achtzehn. Ich mache dieses Jahr mein Abi. Da kann man mich wirklich nicht als Vatertöchterchen bezeichnen. Dennoch wünsche ich mir, ich meine: ihm, dass er eine passende Frau findet. Schließlich leben wir alle unter einem Dach. Da sollte es nicht ständig mit Streit und Krieg enden. 

Mein Magen meldete sich erneut. 

„Gehts dir nicht gut?", fragte meine BFF besorgt und lehnte sich zu mir. 

„Doch", sagte ich hastig, „doch, alles gut. Ich komme in den Klub. Mach dir keine Gedanken. Wir sehen uns gleich." 

„Wirklich?" 

Es tat weh, diesen ungläubigen Unterton herauszuhören. Es tat weh, dass nicht einmal Roxanne glauben konnte, dass ich es schaffte, mich gegen die Partnerin meines Vaters durchzusetzen. Aber ich würde es schaffen. Ich war achtzehn und keine vierzehn! Wenn ich Freitag Abend einen trinken gehen wollte, hatte Mara mir gar nichts zu befehlen. 

Ich straffte die Schultern und sagte mit mehr Überzeugung in der Stimme: „Klar, ich bin da. Sagen wir neunzehn Uhr bei ..." Ich zögerte – nur kurz, aber es reichte, um die Frage in Roxannes Augen zu lesen. Auch wenn ich es mir wünschte, konnte ich sie nicht zu mir nach Hause einladen. Das gäbe wirklich Krieg, so richtig. „... bei dir?", beendete ich darum meinen Satz halb fragend und blickte meine BFF mit einem treuherzigen Augenklimpern an. 

„Okay, um neunzehn Uhr bei mir. Aber sei ja pünktlich!" 

Mit Küsschen rechts und links auf die Wangen verabschiedeten wir uns, und ich stiefelte allein nach Hause. Das mulmige Gefühl im Magen verstärkte sich. Ich wusste, dass ich leichenblass war. Denn genau so fühlte ich mich. Eine eisige Kälte hielt mich schon fast umschlungen. Es war schrecklich. Wenn ich nur an diese zänkische Stimme dachte. Immer scheinheilig lieb, wenn mein Vater da war. Aber giftig und gemein, wenn sie mit mir allein war. 

Ich hatte es so satt, dass mein Vater mir nicht glaubte, wenn ich ihm von Maras Gemeinheiten erzählte. Aber mir fiel keine Möglichkeit ein, wie ich sie mal vor seinen Augen drankriegen konnte. Sie war leider viel zu schlau. Andererseits sprach zumindest das für meinen Vater. Seine Freundin sah ganz okay aus für eine Mittvierzigerin und sie war nicht auf den Kopf gefallen. Sie musste Intrigen bereits mit der Muttermilch eingesaugt haben. Obwohl ich mir gar nicht sicher war, ob sie jemals Muttermilch bekommen hatte. Viel eher war sie ein Flaschenkind und daher ihre zänkische Art. Ich wusste nicht mal, ob sie Geschwister hatte. Aber eigentlich interessierte es mich auch nicht. Sie war ja nicht meine Freundin. Und ich wollte auch gar nicht mit ihr befreundet sein! Also, was interessierte mich ihre Familiengeschichte? 

Nur noch wenige Meter. Ich konnte schon unser Zuhause sehen. Den weißen Holzzaun, den ich jedes Frühjahr frisch streichen musste. Mara vertrug den Geruch der Farbe nicht. Und warum Geld für einen Maler ausgeben, wenn es doch die große Tochter machen konnte? Auch so ein Punkt. Früher hatte mein Vater Geld für so etwas gehabt. Oder wir hatten gemeinsam den Zaun gestrichen und dabei herumgealbert oder Smalltalk mit den vorbeikommenden Nachbarn gepflegt. Jetzt musste ich es allein machen. 

Die Beete verstärkten das Grummeln in meinem Inneren. Ich entdeckte jedes einzelne Unkraut. Das gäbe natürlich den nächsten Anschiss. Weshalb ich nicht ordentlich gezupft hätte? Und der Rasen, der brauchte auch dringend mehr Pflege. Mara würde wieder meckern, ich solle weniger vor mich hinträumen und besser hinsehen. Mit Faulheit würde der Garten auch nicht fertig. Was ich erst machen würde, wenn ich arbeiten ginge? Bla, bla, bla. Alles schon mehrfach durchgekaut. Nur wurde es leider nie besser. Für mich. So oft ich mir sagte, dass ich einfach nicht mehr hinhören sollte, dass ich alles Gemeckere einfach an mir abprallen lassen sollte, irgendwie schaffte ich es nie. Ich nahm mir ihre Kritik zu Herzen und überlegte sogar schon, ob ich wirklich zu nachlässig war. Vielleicht schob ich mein bevorstehendes Abi nur als Ausrede vor mich her, um weniger im Haushalt und Garten helfen zu müssen? Konnte doch sein. Ich wäre nicht die Erste, die unliebsame Aufgaben verdrängte. 

Was ich nicht verdrängen konnte, waren die Magenschmerzen. Und jetzt bekam ich sogar leichte Kopfschmerzen. Mein Körper war so verspannt, dass nur noch die Schmerzrezeptoren zu funktionieren schienen. Wenn ich Geld hätte, wäre ich längst ausgezogen. So musste ich aushalten. Konnte man durch Psychoterror sterben? So stückchenweise, jeden Tag ein kleines bisschen mehr? Wenn das ging, war ich auf dem besten Weg, ein Leichnam zu werden. 

Bevor ich durch das Gartentor schritt, atmete ich noch einmal tief ein. Ich schloss die Augen und atmete aus. Noch einmal tief ein – und aus. Danach setzte ich ein Lächeln auf. Das sollte Glückshormone freisetzen, hatte ich mal gehört. Die konnte ich gleich wirklich gut gebrauchen. 

Mit jedem Schritt auf unsere Haustür zu, verkrampfte mein Lächeln mehr. Noch ehe ich meinen Schlüssel aus der Tasche holen konnte, wurde sie aufgerissen und zwei grüne Augen blitzten mich ärgerlich an. 

„Wo warst du so lange? Mal wieder herumgetrödelt? Dein Vater kommt gleich von der Arbeit, und das Essen ist noch nicht fertig. Beeil dich!" 

Mir fiel die Kinnlade herunter. Das war neu. Bislang hatte ich nicht kochen müssen, zumindest nicht am Freitag. Ich war eigentlich nur Dienstag und Donnerstag dran, wenn ich keine Nachmittagskurse hatte. Freitag aßen mein Vater und Mara immer auswärts. Immer! Manchmal fuhren sie auch irgendwohin für einen Kurzurlaub. Mara war der Meinung, dass sie zu jung wäre, um jedes Wochenende daheim vor dem Fernseher zu verbringen. Mir war das recht, weil ich dann mehr Freiraum hatte. Aber natürlich fuhren sie nicht an diesem Wochenende, wo ich die Chance hatte, vielleicht einen ersten Schritt auf Elio zuzugehen. Wäre ja auch zu schön gewesen. 

„Was ist?", herrschte sie mich an. „Bist du etwa festgewachsen? Die Küche kommt nicht zu dir!" 

Bei dem scharfen Tonfall zuckte ich zusammen. Ich schluckte eine Erwiderung herunter. Vielleicht konnte ich es doch schon ganz gut, ihre Angriffe an mir abprallen zu lassen. Oder war es Feigheit? Egal, ich hatte keine Lust zu kämpfen. Vielleicht brachte es mir Bonuspunkte, wenn ich ein leckeres Essen kochte. Also quetschte ich mich an ihr vorbei und zog mir an der Garderobe Schuhe und Mantel aus. Meine Schultasche brachte ich in mein Zimmer im ersten Stock. Im kleinen Bad wusch ich meine Hände, anschließend starrte ich mich im Spiegel an. 

Das Lächeln war natürlich verschwunden. Meine blaugrauen Augen hatten einen traurigen Schimmer. Meine vollen Lippen fast so blass wie meine Wangen. Aber vielleicht bildete ich mir das nur ein. 

„Essen kochen", murmelte ich und seufzte. So hatte ich mir den Nachmittag nicht vorgestellt. Doch wenn ich nachher zu Roxanne gehen wollte, musste ich nachgeben. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich Haus- oder sogar Zimmerarrest bekam. Wobei ich leider zugeben musste, dass ich auch das schluckte. Vielleicht war ich ein klein wenig zu gehorsam? Sollte ich lernen, auch mal aufzubegehren? 

„Denk an Aschenputtel", sprach ich meinem Spiegelbild ermunternd zu, „sie hat auch nicht aufbegehrt. Sie hat alles getan, was die Stiefmutter von ihr verlangt hat." 

Bei dem Gedanken an mein Lieblingsmärchen fand sich auch ein kleines Lächeln zurück auf mein ernstes Gesicht. Sogar der schmerzende Druck im Magen ließ nach. Aschenputtel bekam am Ende den Prinzen. Ob ich am Ende Elio bekam? 

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