3. Jugendsünden Mitte 30
Verärgert kaute ich die sonst so leckeren Schokokekse härter als nötig. Seit einer halben Stunde war die Spannung in diesem Raum mit der bloßen Hand und seit einer halben Stunde durfte ich Flavie dabei beobachten, wie sie sich ohne Zurückhaltung wortwörtlich an Benedikt schmiss, da sie mir eiskalt meinen Sitzplatz gestohlen hatte.
Ab und zu wechselten Carla, Heinrich und ich etwas Smalltalk, aber eigentlich war nur Flavie durchgehend am Reden, was nicht unbedingt schlecht sein musste, denn Benedikt suchte immer häufiger das Gespräch mit uns anderen und versuchte Flavie zu entkommen, die sich fast schon auf seinen Schoß geschoben hatte. Selber Schuld, ich würde ihm da nicht raus helfen.
Um genauer zu sein, hatte ich mir vorgenommen, nur noch das nötigste zu sprechen. Vor jener halben Stunde hatte Heinrich es für nötig gehalten, gerade mich zu ermahnen, freundlich zu sein, obwohl Carla sich nicht besser verhalten und Flavie mich immer wieder falsch angegrinst hatte.
Der französische Schleimbeutel hatte mittlerweile wohl gemerkt, dass sich an Benedikt körperlich werfen, nicht gleich auf Beziehungsebene näherkommen hieß, und war so gnädig uns ihre Aufmerksamkeit ein weiteres Mal zu schenken. „Julia, haben du Date für Sommerball?"
Ein kleines Grinsen huschte mir über die Lippen, weil ich einfach nicht glauben konnte, wie dreist dieses kleine Biest war. Auch Carla hatte eine schwere Zeit, ihre Fassung zu bewahren und Benedikt wendete ungläubig den Kopf zur anderen Seite und tat so, als hätte er mit dem allen nichts zu tun.
„Was soll die Frage, wenn du für die Antwort verantwortlich bist?", gab ich bissig zurück und kassierte so gleich einen Blick vom Herzog.
„Oh, ich verstehe nicht. Vor einige Zeit ich habe dich gesehen mit Concubine. Ihr nicht geht zusammen?"
Bitte? Ahnungslos starrte ich sie an und wartete darauf, dass sie sich genauer erklärte und wahrscheinlich die nächste Bombe vor meinen Füßen und auf meinem Ruf hochgehen ließ. Doch Flavie starrte genauso abwartend zurück und schob sich in aller Ruhe den nächsten Muffin in den Mund. Concubine... Damit konnte sie nicht Ian aus Hamburg meinen. In der Hansestadt war sie gar nicht persönlich da gewesen, um mir mein Leben schwerer zu machen, dafür hatte sie extra angeheuert. Von wem sprach sie dann?
„Du weißt, von wem ich rede." Nein, wusste ich nicht und sie konnte es gerne als Geheimnis mit in ihr Grab tragen. Nebenbei entging mir keineswegs der fragende Blick von Heinrich in Carlas Richtung. Aber auch meine beste Freundin konnte sich keinen Reim daraus machen, selbst wenn sie alles über mein Liebesleben wusste.
„Oui, Oui." Irritiert wendete ich meinen Blick zurück zu Flavie und fragte mich, was ihr Wortsalat jetzt schon wieder bedeuten sollte, denn das unheimliche Funkeln in ihren Augen gefiel mir überhaupt nicht.
„C'est vrai, es ist Carla."
Drei Sekunden herrschte ungläubige Stille, bevor Benedikt sein heimliches Lachen als Schnauben vertuschte und Heinrich sich seinem Apfel zuwandte, anstatt diese nicht vorhandene Logik unter Frauen zu verstehen versuchen.
„Seht ihr Carla." Mit lila Nagel zeigte sie auf meine Freundin, der jede Spur von Freundlichkeit vom Gesicht gewischt wurde. Es blieb nur ein warnender Blick, der auf Französisch wohl etwas anderes bedeuten musste, den Flavie nahm ihn gar nicht erst als solchen zur Kenntnis. „Bevor Julia nach Hamburg gegangen, ihr habt euch geküsst in Zimmer von Heinrich bei Feier."
„Flavie, du hast mich schon ein paar Mal vorgeführt und mir jetzt noch mein Sommerballdate abgeluchst. Ich weiß beim besten Willen nicht, was es dir bringt, die wildesten Lügen über mich in die Welt zu setzten und meinen Ruf zu zerstören." Wenn mir niemand glaubte, dass sich hinter ihrer Maske der Teufel verbarg, warum sollte ihr dann jemand diese „wilden" Behauptungen abkaufen?
„Vor allen Dingen darfst du mich aus eurem tödlichen Duell raushalten, ich habe dir weder etwas getan, Flavie, noch hast du irgendeinen anderen Grund mir zu schaden. Also pass gefälligst auf, wen du hier mit deinen Behauptungen alles triffst." Carlas Augen hatten sich zu Schlitzen geformt und mit warnendem Blick schaute sie erst zu Heinrich, bevor sie auch äußerlich versuchte der Gefahrenzone zu entkommen und sich Nachschub vom großen Buffet holte.
Heinrich hielt eine seiner großen Pranken vor seinen Mund und räusperte sich auffällig. Endlich griff er ein, was natürlich länger, als bei mir gedauert hatte. „Flavie, vielleicht möchtest du lieber das Thema wechseln. Wenn es keine Beweise für einen Kuss zwischen ihnen gibt und deine Worte den beiden nur schaden, können wir das Thema unter den Tisch fallen lassen. Ich meine wir reden ohnehin nur von einem Kuss."
„Non, non." Probeweise hielt ich meine halbleere Teetasse über den Sesselrand und malte mir ganz genau aus, wie sie auf den Boden aufkommen und die Scherben in alle Richtungen springen würden. Alles nur damit sie endlich die Klappe hielt und mit ihrem falschen Akzent aufhörte.
„Aber warum haben du etwas zu verheimlichen, Carla. Ihr habt euch geküsst für alle zu sehen, es war im Haus von Heinrich und auf einem Ball. Was habt ihr erwartet?"
Was wir erwartet haben? Dass uns keine hässlichen Schlangen stalken, geschlossene Türen öffnen und uns später mit dem Gesehenen erpressen und ruinieren wollen. Es lohnte sich gar nicht mich so aufzuregen. Die Aussagen standen zwei gegen eine, wer glaubte ihr da schon? Beweise hatte sie auch nicht. Wenn ich so tat, als würde mich das alles nicht aus der Ruhe bringen oder beeindrucken, dann würde ihr keiner glauben. Carla hatte sich inzwischen mit einigen Keksen gestärkt und ihre Lippen zierten das altbekannte, versteckte, amüsante Lächeln. Dieses Biest konnte uns mal.
„Heinrich es ist schön und gut, dass wir uns vertragen sollen, aber mit deinem Verhalten schiebst du deine Freunde gerade von dir weg. Wie kann sie noch immer ungehindert so einen Stuss erzählen, während ich nach dem ersten Wort streng ermahnt werde. Es scheint heute schon die ganze Zeit so, als hättest du offensichtliche Präferenzen unter deinen Freunden."
Auch Benedikt hob den Blick von seinem Buch mit Umfang der Bibel, welches er mal wieder aus dem Nichts gezaubert hatte, und wartete gespannt auf Heinrichs Reaktion. Heinrich griff sich sofort seine Tasse und trank in Ruhe einen Schluck, trotzdem waren das Zittern seiner Hände und der huschende Blick nicht zu verbergen.
„Julia, du solltest dich erinnern können, ich in den letzten Jahren nie jemanden bevorzugt behandelt habe und damit werde ich heute sicherlich nicht anfangen. Bitte vergib mir, wenn es dir so erschien. Ich werde ab jetzt mehr darauf achten. Das heißt für dich, Flavie, keine leeren Behauptungen mehr und keine Sticheleien jeglicher Art gegenüber Julia und Carla."
„Aber, ich habe Photos, weil mir keiner glaubt und ganz wichtig: Es war nicht nur Kuss..."
Fast schon erschrocken schaute die kleine Hexe in meine Richtung und schien zu erwarten, dass ich dieselbe Grimasse zog. Allerdings war ich nicht erschrocken, ich war nur sprachlos und fertig mit den Nerven. Wenn Flavie nicht langsam aufpasste, würde es heute ein bitteres Nachspiel für sie geben und ich war sicherlich nicht die einzige, die Grund und Geschick dafür hatte.
Benedikt... Was dachte er jetzt über mich und über Carla? Tatsächlich hatte er neugierig von seinem Buch aufgeschaut und wartete jetzt mit uns anderen auf jene Fotos, die hoffentlich nicht existierten oder gerade zufällig bei ihr Zuhause lagen. „Une Moment.", sprach es und kramte in ihrer fliederfarbenen Tasche. Am Ende hielt sie triumphierend ein Handy in die Höhe und suchte mit großem Eifer nach meinem Untergang, aka eindeutigen Fotos von mir und Carla.
„Neugierige Frage: Wäre es nicht gesetzlich verboten von uns solche Fotos aufzunehmen, mal angenommen, was sie erzählt, wäre wahr? Wir haben dem nicht zugestimmt und wenn sie die Fotos zeigt, ist es bestimmt auch noch Rufschädigung."
Flavie ließ sich davon gar nicht beirren und wartete nur auf den Moment, auf die Zustimmung von Heinrich, um ihr Handy umzudrehen und die Fotos der ganzen Welt zu präsentieren. Doch es blieb still, die Zustimmung kam nicht. Innerlich atmete ich erleichtert auf und schaute zu Carla, unsere Mundwinkel bewegten sich um wenige Nanometer nach oben.
„Mach, Flavie. Dann können wir die Sache wenigstens endgültig aus der Welt schaffen."
„Bitte?" Fassungslos starrte ich Heinrich an und wartete darauf, dass er seine Worte zurücknahm. Aber sein Gesicht blieb ernst und er schenkte mir keine Beachtung.
„Habt ihr tatsächlich etwas zu verbergen, Jule?" Benedikt...
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