Endlich 17!

Am nächsten Tag wartete schon Amir auf mich, angebunden im Hof. Janosh kam auf mich zu, mit Striegel und Kardärtsche bewaffnet.
"Guten Morgen, Cori!", begrüßte er mich freundlich. "Alles Gute nachträglich zum Geburtstag!"
Ich strahlte ihn an. "Danke."
"Na, das nenne ich mal ein prachtvolles Geburtstagsgeschenk."
"Ja, ich bin so glücklich, dass ich Amir bekommen hab'", lachte ich fröhlich und klopfte dem Araberschimmel den Hals. Unwohl trat er einen Schritt zur Seite.
"Ich wollte ihn gerade auf die Koppel bringen, damit er sich an sein neues Zuhause gewöhnt", begann Janosh. "Karina und ich haben gestern eine Weidestück für ihn abgetrennt."
Nickend nahm ich dies zur Kenntnis.
"Aber jetzt, wo du da bist, kannst du ihn ja auch longieren."
"Ja, das hatte ich vor."
Ich ergriff die Bürsten in seinen Händen und machte mich daran, Amirs weißes Fell auf Hochglanz zu polieren.
Nach einer halben Stunde war ich fertig und klickte die Longe in die Trense von Amir ein. Dann führte ich ihn zum Platz. Dort waren zu meiner Überraschung Mirana und Jessica und ritten mit ihren Isländern Bahnfiguren.
Als sie mich sahen, hielten sie an und kamen auf mich zu.
"Sorry, ich dachte, der Platz wäre frei. Aber ich kann ja auch einfach ein bisschen spazieren gehen", meinte ich und wurde ein kleines bisschen rot, weil die beiden verwirrt und bewundernd Amir anstarrten.
"Nein, nein, kein Problem, wir sind eh grad fertig geworden", beeilte sich Jessica zu sagen.
"Gut", erwiderte ich. "Dann kann ich ihn longieren."
Ohne weiteren Kommentar führten Jessica und Mirana ihre Isländer Richtung Hof, aber nicht, ohne Amir verstohlene Blicke zuzuwerfen.
Trotz seines jungen Alters war Amir gut ausgebildet und hatte wunderschöne Gänge. Im Trab senkte er brav den Kopf und kaute auf der Trense. Dennoch gewann ich immer deutlicher den Eindruck, dass er ein sehr unabhängiger Hengst war, der sich ungern unterordnete.
Während unserer "zur Schau-Stellung" auf dem Platz hatten sich einige Leute, darunter Timo, Karina, Janosh, ein paar Reitschüler und Josi gesellt. Jessica und Mirana brachten ihre Ponys gerade wieder auf die Koppel.
Ungeachtet dessen ließ ich ihn angaloppieren. Er hob seinen Schweif hoch, trug in zur Schau wie eine Flagfahne am Mast eines großen Schiffes und bog edel seinen kurzen Hals. Unwillkürlich musste ich lächeln. Aber plötzlich nahm er den Kopf zwischen die Beine und buckelte unwillig.
"Hooolaaa, gaaaanz ruuhiiiiig!", versuchte ich ihn zu beruhigen und bremste ihn auf Schritt ab. Ich lief auf ihn zu und verkürzte dabei immer weiter die Longe.
"Er fordert dich heraus", stellte Timo professionell fest.
Es waren die ersten Worte, die Timo seit unserem "Gespräch" mit mir wechselte.
"Was??", fragte ich verwirrt, hatte überhaupt keine Ahnung, in welchem Zusammenhang dies stand.
"Dein Araberhengst. Er fordert dich heraus." Eigentlich half er nur nebenbei auf dem Hof, um seinen Gehalt aufzubessern, sonst war er KFZ-Mechaniker. Deshalb wunderte mich, dass er die Körpersprache von Tieren so gut deuten konnte. "Hengste zeigen dieses Verhalten auch in der Wildnis in einer Herde, wenn die Rangordnung neu geklärt werden muss. Du hättest nicht mit Unsicherheit darauf reagieren dürfen."
Trotzig hob ich meinen Kopf. "Ich bin doch nicht unsicher."
Timo neigte den Kopf und deutete auf die Longe in meiner Hand. "Wie du meinst. Aber dein Verhalten hat deinem Pferd klar gemacht, dass dich sein Imponiergehabe verunsichert. Du hast ihn gebremst."
Unwissend hob ich beide Hände über meinen Kopf, trat vorsichtig ein paar Schritte zurück und ließ dabei die Longe sich langsam abwickeln. "Sorry, war nicht meine Absicht."
Amir spielte verwirrt mit den Ohren.
"Entschuldige dich nicht bei mir, sondern bei deinem Pferd."
Amirs Ohren folgten aufmerksam meinen Bewegungen.
Ohne Schwierigkeiten kletterte Timo urplötzlich über den Zaun und ließ mich und Amir erschrocken zusammenzucken.
"Was machst du?", erkundigte ich mich baff.
"Dir helfen", grinste er und blickte mich einige Sekunden an. Ich hatte fast vergessen, wie attraktiv seine Grübchen ihn machten, wenn er lächelte. "Übrigens, die Longe symbolisiert Distanz. Wenn du ihn so auf Distanz hälst, lässt sich ebenfalls auf Unsicherheit deinerseits gegenüber ihm schließen."
Ich wurde ein bisschen sauer. "Natürlich bin ich unsicher. Es ist das erste Mal, dass ich ihn longiere."
"Dazu gibt es keinen Grund." Er ging auf Amirs Kopf zu und öffnete den Karabiner der Longe, sodass er jetzt frei lief. "Er ist gut ausgebildet. Er ist ein Gentlemen und er weiß sich zu benehmen."
Wie als Protest riss Amir in dem Moment den Kopf hoch und trat einige Schritte zurück.
"Er ist noch jung", widersprach ich und darauf wusste er nichts zu erwidern.
Amir hob den Kopf, wieherte schrill und trabte an. Timo trat an meine Seite. "Er will mit dir um die Rangordnung kämpfen. Du musst jetzt darauf eingehen."
"Wie?", fragte ich nur, obwohl ich wusste, dass Timo mich sowieso anleiten würde.
"Treib' ihn von dir weg. Zeig' ihm, dass du seine Herausforderung annimmst, ihn aber nicht gewinnen lassen wirst."
Ich nickte, schritt schnell auf seine Hinterhand zu und warf die Longe.
Er schnaubte erschrocken und galoppierte in die nächste Ecke, bremste abrupt und deutete ein Scheuen an.
"Nicht nachgeben", wies Timo mich an, woraufhin ich erneut die Longe nach ihm warf. Übermutig galoppierte er an und schlug aus. So ging das eine Weile, bis er sich beruhigte und nicht mehr buckelte. Er fiel in einen steten Trab, wölbte den Hals und kaute auf dem Gebiss. Ich ließ die Longe sinken und blieb teilnahmslos stehen. Amir spielte mit seinen Ohren, wusste nicht so ganz, ob er mir trauen konnte. Aber schließlich kam er langsam zu mir und nahm mit langem Hals und spitzen Lippen das Leckerli, das ich ihm auf flacher Hand entgegen streckte.
Ich lobte ihn, als er brav stehen blieb und sich von mir am Kopf kraulen ließ. Auch Timo trat vor und streichelte ihn. "Ein schöner Hengst", raunte er mit zu und jagte mir damit einen Schauder über den Rücken, weil er so nah klang. "Verrätst du mir auch den Namen dieser Schönheit?" Ich drehte mich zu ihm um. Er stand direkt hinter mir und meine Lippen formten ein Lachen.

Jumper ging es noch nicht besser, und obwohl die Schwellung zurückgegangen war, lahmte er deutlich. Trotzdem entschied ich mich für einen Spaziergang zusammen mit Josi, den Shettys, Bella und Kathi. Als Herr Stolff hörte, was wir vor hatten, meinte er, dass wir die Shettys und die Kaltblüter ja frei laufen lassen konnten, sofern sie hinten und vorne von jeweils einer Person begleitet wurden. Kurz darauf traf auch noch Jo ein, und Herr Stolff schlug vor, dass ich ja auf Quincy reiten könne, sie brauche mal wieder Bewegung an der frischen Luft, und dass ich Jumper nebenher laufen lassen könne. Ich nickte zwar, doch heimlich steckte ich mir die Longe und den Führstrick ein, falls Jumper doch nicht so mitmachte wie geplant. Also holte ich mit Jo Quincy und Sultan und sattelte sie. Ich war schon einmal auf Quincy geritten, bevor ich Jumper hatte, und ich war nicht klar gekommen mit ihren schwungvollen Gängen. Aber sie hatte einen lieben Charakter, wenn sie nicht gerade von Schneewittchen erschreckt wurde, also würde das schon gut gehen für das eine Mal.
Als wir dann alle Pferde beisammen hatten, die übrigens sehr überrascht waren, dass sie nicht geführt wurden, ging es los. Josi ritt vorne und ich hinten und Jo wechselte ab und zu, um sich mit uns zu unterhalten. Den Pferden gefiel es sehr gut und Jumper verstand sich diesmal sogar mit Ruben, dem Shetty-Wallach. Am meisten mochte er aber Dina, die Eselstute und lief die meiste Zeit neben ihr her. Bella mochte er nicht so, Kathi dafür umso mehr, und darum trübte sich mein Blick das eine oder andere Mal sorgenvoll, wenn sie spielerisch nacheinander schnappten. Simone und Maren zuckelten gemütlich vor mir her und ich hatte echt Probleme, Quincy auf ihr Tempo zu bremsen. Dazu kam, dass Quincy die beiden nicht besonders leiden konnte. Fee wiederum verstand sich nicht mit den Kaltblütern und so wurde einige Male rumgezickt, ehe wir dann mit der Gemeinschaft antrabten. Ich hatte erst etwas Bedenken wegen Jumper gehabt, aber dem tat die abwechslungsreiche Bewegung offensichtlich sehr gut. Sogar die Shettys galoppierten manchmal spielerisch an und zwickten Dina in die Hinterbeine, wofür sie sich mit Ausschlagen revanchierte. Bald fielen die Kaltblüter zurück, denn Bella hatte keine Lust mehr auf Trab. Kathi blieb solidarisch an ihrer Seite. Also verlangsamten wir das Tempo ihr zuliebe wieder.
Als wir auf dem Hof ankamen, begrüßte uns zu unserer Überraschung Rocky, der hinter ein paar Strohballen hervor düste. Alle Pferde waren sehr gelöst und Jumper sogar traurig, als er und Dina auf getrennte Weiden kamen, aber sie machten alle bereitwillig mit.

"Bin wieder da!", schrie ich durch den Flur, da sich wahrscheinlich alle in ihre Zimmer verbarrikadiert hatten, und schmiss meine Schuhe aufs Schuhregal. Auf meinen Ruf hin kam meine Mutter die Treppe hinunter geschlichen. "Und, wie ist Amir so?", wollte sie wissen.
"Großartig!", schwärmte ich gleich drauf los. "Er hat tolle Gänge und wir haben heute vertrauensbildendes Longieren gemacht!"
"Was?", fragte sie verständnislos, als ob sie gar nicht zugehört hätte.
"Join-up!", antwortete ich genervt, aber dann hielt ich inne. "Geht's dir nicht gut?"
Sie winkte ab. "Ach, nur eine Erkältung", meinte sie gelassen.
Skeptisch blickte ich sie an. "Ah ja."
Eine Pause entstand, in der ich sie musterte. "Hauptsache, du steckst mich nicht an!", erwiderte ich nach einer kurzen Bedenkzeit.
"Keine Sorge, deshalb geh' ich ja jetzt wieder auf mein Zimmer", kam es von ihr und sie ging wieder die Treppe hinauf.
"Hey, was ist mit Essen?", verlangte ich zu wissen.
"Im Kühlschrank sind Eier!"
"Ich kann doch nicht...", begann ich, aber meine Mutter war schon in ihrem Zimmer verschwunden.

Nach fünf Panikattacken und zehn Minuten verzweifeltem Googlen, wie man denn Eier briet, saß ich ungefähr eine halbe Stunde später mit einem dampfenden Teller von Rühreiern vor mir. Es war auch mehr oder weniger essbar und so machte ich mich hungrig über mein Essen her. Immerhin hatte ich hart gearbeitet.
Danach verschanzte ich mich in meinem Zimmer. Ich schmiss mich auf mein nicht-gemachtes Bett und entsperrte mein Handy. Ich hatte 15 Benachrichtigungen - unglaublich! -, aber die meisten von einer belanglosen Whatsapp-Gruppe. Eine Nachricht war von Timo. Sofort klopfte mein Herz bis zum Hals, als ich sie sah. Was konnte er wollen? Und viel wichtiger: Vorher hatte er meine Nummer? Die zwei Facebook-Benachrichtigungen ignorierte ich erstmal, als ich mit pochendem Herzen auf die Whatsapp-Konversation klickte.
'Hey, hier ist Timo. Ich hab deine nummer von jo, ich hoffe das ist okay😅'
Verwirrt runzelte ich die Stirn und klickte in das Textfeld:
'Hey, alles gut😄 was ist los?'
Er war nicht online, also zog ich die Benachrichtigungsleiste runter und berührte die besagte Facebook-Benachrichtigung. Es war nur ein Like und ein Kommentar unter dem Bild, dass ich zuletzt gepostet hatte. Dieses war von dem Fotoshoot mit Jumper und lautete: 'Wow, tolle Aufnahme!💞' Aber das zählte nicht richtig, weil es Jo gewesen war, die kommentiert hatte.
In dem Moment ging eine neue Nachricht von Timo ein. Ich öffnete sie:
'Dachte, ich schreib dir mal das du bei Jumper die decke vergessen hast. Hat n bisschen geschwitzt. Hab sie ihm noch draufgemacht, nicht das du dich wunderst'
Meine verkrampfte Handmuskulatur entspannte sich etwas.
'Oh stimmt😂 vielen dank!💞'
Er war noch immer online und so wurden die zwei Häkchen ganz schnell blau.
'Und ähh... ich wollte mich noch entschuldigen.'
'Wegen was?'
Eine kleine Ewigkeit verbrachte er vermutlich damit, die Worte in seinem Kopf zu ordnen, aber ich war so fixiert auf den Moment und auf das 'Schreibt...', dass ich apathisch auf den Bildschirm starrte, bis darauf die Worte erschienen:
'Naja... Das mit uns... Am see... Tut mir leid. Ich hab blöd reagiert. War total überrumpelt.'
'War wahrscheinlich auch besser so' tippten meine Finger, ohne auf das Einverständnis meines Verstandes zu warten, und so löschte ich sie nach einem Moment Überlegen wieder. 'Achso...', und da blieb mein Cursor stehen und das Auf- und Abhüpfen machte mich irgendwie nervös. 'Schon gut' kam nach einer Weile Nachdenken noch hinzu. Ich stutzte und der Cursor tanzte geduldig auf und ab. Dann löschte ich das 'gut' und machte ein 'okay' daraus. 'Das sieht besser aus', fand mein Verstand. So schickte ich das Ganze ab.
Es waren einige Minuten vergangen, die mich diese eine Zeile gekostet hatte, und so war Timo schon nicht mehr online.

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