3. Kapitel

Ich habe ganz vergessen, wie entspannend es ist, jemanden zu massieren. Ich glaube, Jason ist eingeschlafen und das freut mich, denn ich weiß, dass er seit Monaten zu wenig schläft. Angeblich wegen der Arbeit. Er meint, ihn beschäftigen zu viele Dinge, die ihn wach halten. Soweit glaube ich ihm das auch, aber eben nicht, dass es dabei nur um die Arbeit geht.

Ich sehe auf die Uhr und beende mein Werk, denn der Film, den ich den Kindern an gemacht habe, ist jeden Moment fertig, außerdem sollte Sarah auch bald nach Hause kommen. Jason allerdings will ich schlafen lassen, deshalb lege ich die Heizdecke wieder über seine Schultern und lasse ihn liegen.

Leise schließe ich seine Tür und gehe nach unten, wo mir Lisa entgegenkommt.

>Mamas Auto ist grade in den Hof gefahren<, erzählt sie mir aufgeregt und geht zur Haustür, dicht gefolgt von Tommy. Ich lasse sie in Ruhe ihre Mutter begrüßen und gehe ins Wohnzimmer, um dort aufzuräumen. Die beiden sind nicht Chaotisch, aber wirklich ordentlich auch nicht, dementsprechend liegt die Fernbedienung auf dem Boden, direkt neben einer leeren Kekspackung.

Wo haben sie die schon wieder her?

>Natascha?< Ich folge Sarahs Ruf zur Haustür, wo die beiden jeweils ein Bein von ihr umschlingen. >Hi, kannst du mir die Tasche abnehmen und nach oben bringen?<

>Natürlich. Willkommen zurück.< Ich nehme die Tasche, dann widmet sie sich ihren Kindern und ich lasse sie allein. Nett wie ich bin tue ich ihr den Gefallen und bringe ihre überdimensionale Handtasche in ihr Schlafzimmer, wo Jason vor seinem Kleiderschrank steht.

>Ist sie schon da?<, will er wissen und mustert die Tasche in meiner Hand.

>Ja, sie ist grade eben angekommen. Wie geht es den Schultern?< Ein breites Lächeln schleicht sich in seine Züge und er zieht ein weißes Hemd aus seinem Schrank.

>Als wäre nie etwas gewesen. Vielen Dank, das kannst du gern häufiger machen. Wenn ich auch Mal was für dich tun kann, sag mit bitte Bescheid.<

>Ich will mehr Gehalt, wenn ich jetzt zwei Jobs habe.< Er lacht und ich schließe mich ihm an, dann zieht er sein Hemd über und richtet den Kragen.

>Darüber können wir uns gerne wirklich bei Gelegenheit unterhalten, aber jetzt müssen wir erst einmal Essen gehen. Ich habe tierischen Hunger. Machst du die Kinder fertig?<

>Schon erledigt<, versichere ich ihm und gehe wieder nach unten, wo Sarah die beiden bereits nach oben scheucht.

>Wir wollen in einer halben Stunde los<, sagt sie und die beiden kommen zu mir, nehmen meine Hände und ziehen mich mit nach oben.

>Ich will ein Kleid anziehen<, verkündet Lisa und zieht mich in ihr Zimmer, Tommy folgt uns und schnappt sich eine von Lisas Puppen.

>Ein Kleid?<, frage ich nach, denn eigentlich mag sie keine Kleider.

>Ja, Mama will auch eins anziehen.< Das erklärt alles. Wenn Lisa einmal nicht das will, was ihr Bruder hat, eifert sie ihrer Mutter nach und was ihre Mutter mag, mag sie auch.

>Na dann wollen wir Mal.< Ich ziehe die Kleider aus ihrem Schrank und halte sie ihr hin, bis sie sich für ein rotes Kleid entscheidet und dann helfe ich ihr beim Umziehen.

>Es ist so schön<, schwärmt sie und betrachtet sich im Spiegel.

>Dann bist du jetzt dran, du kleines Krümelmonster<, erkläre ich Tommy und hebe ihn hoch, um ihn zu kitzeln und in sein Zimmer zu tragen. Ich liebe sein lachen, wenn ich ihn kitzele und er sich vergeblich versucht zu wehren. >Zwei Mal hast du gegessen und man wird satt, wenn man die Krümel von deinem T-Shirt isst.<

>Ihh<, macht er und hebt die Arme, damit ich ihm das T-Shirt ausziehen kann. Aus seinem Schrank hole ich ein frisches, schlichtes T-Shirt und ziehe es ihm über.
>Und jetzt waschen wir noch dein Gesicht ab.< Ich hebe ihn hoch und trage ihn ins Bad, wo ich mir einen Waschlappen nehme und die Schokolade von den Keksen aus seinem Gesicht wische.

Sobald alles beseitigt ist gehen wir nach unten, wo Lisa, Sarah und Jason bereits auf uns warten. Tatsächlich trägt Sarah ein elegantes, blaues Kleid und Lisa sieht aus wie ihre jüngere Version.

>Können wir?<, will Sarah wissen und hängt sich eine ihrer besseren Handtaschen über die Schulter.

>Ich brauch noch Schuhe<, sagt Lisa und zieht sie sich an, während ich mich um Tommys und meine kümmere. Jason richtet seine Krawatte, dann nimmt er Tommy auf den Arm und wir steigen alle in sein Auto.

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Das Essen ist lustig wie immer, wenn die ganze Familie beisammen ist. Tommy nutzt es aus, dass sein Vater da ist, der seine Leidenschaft im Bezug auf die Feuerwehr teilt. Lisa dagegen durchlöchert ihre Mutter mit Fragen über ihren Urlaub und ihre Arbeit. Ich sitze schweigend dabei, genieße es, die beiden kleinen so fröhlich zu sehen und etwas Gutes zu essen, das ich nicht kochen musste.

Trotz der heiteren Stimmung entgeht mir nicht, dass Jason und Sarah sehr wenig miteinander sprechen und sich kaum ansehen. Da scheint etwas passiert zu sein, aber das ist nicht meine Sache. Ich mische mich in solche Sachen nicht ein, das endet nie gut.

Tommy ist so begeistert von seinen Fischstäbchen, dass er seinen Vater überreden kann, ihm noch welche zu bestellen, die er allerdings nicht alle schafft. Lisa trinkt ein Glas Orangensaft und sieht mich dann stolz an, wie sie es sich angewöhnt hat. Ich habe ihr vor ein paar Wochen gesagt, dass sie mehr Obst essen sollte und sie hat daraufhin angefangen Saft zu trinken. Sie argumentiert immer, dass Saft aus Obst besteht und sie auf diese Weise nichts weiter tun muss, als ein Glas auszutrinken. Wie alle Kinder geht sie nur an Obst, das Mundgerecht geschnitten ist, das aber auch nur, wenn sie Lust dazu hat.

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Sobald wir fertig sind zahlt Jason und wir machen uns wieder auf den Weg zum Auto, wobei ich die Kinder ins Auto setzte, während Sarah und Jason sich ein Stück entfernt unterhalten.

>Wo ist Papa?<, will Tommy wissen und sieht sich um.

>Er redet noch mit Mama, sie sind gleich da<, versichere ich ihm und schnalle ihn an. Sobald ich die Tür geschlossen habe kommen die beiden zu uns, setzten sich in das Auto und schon geht es zurück nach Hause.

>Nana?< Ich sehe zu Tommy, der neben mir auf der Rückbank sitzt und nach meiner Hand greift, die ich ihm gebe. >Liest du mir was vor, wenn wir daheim sind?<

>Na klar. Was möchtest du denn hören?<

>Rotkäppchen<, antwortet Lisa für ihn, doch er schüttelt den Kopf.

>Ich will Ritter Rost hören.<

>Ich auch<, stimmt Lias zu und lehnt sich an mich.

>Dann also Ritter Rost. Seid ihr etwas beide müde?< Lisa schüttelt den Kopf, Tommy jedoch gähnt ausgiebig zur Antwort. >Erst Frühaufsteher und dann mittags schon wieder müde<, necke ich ihn und er grinst.

>Lisa ist schuld. Sie wollte, dass ich aufstehe.<

>Du wolltest doch auch mit Nana baden<, protestiert sie und ich muss lachen, dann fahren wir auf den Hof.

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Lisa und Tommy liegen beide in meinem Bett, weil sie zusammen in einem schlafen wollen. Ich liege zwischen ihnen und sie haben sich an mich gekuschelt, hören mir beim Vorlesen zu. Tommy ist schnell eingeschlafen, Lisa versucht ihre Augen so lange wie möglich offen zu halten, aber ich weiß mittlerweile genau, wie ich sie richtig müde mache. Sie wird immer ganz ruhig, wenn ich ihren Rücken streichle, genau wie Tommy und wenn ich dazu leise vorlese, ist sie ganz schnell weg. Sobald ich sicher bin, dass sie schläft, höre ich auf zu lesen, doch sie hebt sofort den Kopf. Lächelnd lese ich weiter und wenig später steht Jason in der Zimmertür und beobachtet uns. Ich lese weiter und er lehnt sich an den Türrahmen, ein entspanntes Lächeln im Gesicht.

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Sobald die beiden wirklich schlafen, gehe ich nach unten und räume auf. Jason und Sarah sind beide in ihren Büros, daher habe ich meine Ruhe und lasse den Fernseher laufen, solange ich im Wohnzimmer beschäftigt bin.

Irgendwann finde ich einen guten Film und gönne mir eine Pause auf der Couch. Ich habe heute genug getan, der Rest kann bis morgen warten. Ich ziehe mir eine Decke über die Beine und muss gähnen.

>Schon müde? Wir haben erst kurz nach neun<, fragt Jason und kommt zu mir ins Wohnzimmer, setzt sich ebenfalls auf die Couch. Selbst so spät am Abend trägt er wie immer die Hose von einem seiner schwarzen Anzüge und sein weißes Hemd. Zumindest die Krawatte hat er abgelegt, so wirkt er viel lockerer.

>Man kann diesen Kindern nicht beim Schlafen zusehen und selbst nicht müde werden.< Er nickt zustimmend und sieht zum Fernseher.

>Du bist ein Fan von Western?<

>Ich mag alte Filme im Allgemeinen.< Er steht wieder auf und geht zu einem der Schränke, zieht eine Tüte Chips hervor.

>Willst du auch welche?<

>Danke, aber ich nasche nicht, wie du weißt.< Er rollt die Augen und holt etwas anderes heraus. Ich mag es wirklich, wenn er so ungezwungen ist. Wenn Sarah in der Nähe wäre, würde er nie so etwas tun, wie die Augen zu rollen oder locker lächeln.

>Vollkornkekse?< Grinsend hebe ich die Schultern.

>Die würde ich nehmen.< Er schließt den Schrank und setzt sich wieder auf die Couch, dann reicht er mir die Kekse.

>Danke.<

>Kein Problem. Ich wollte dich noch fragen, ob du am Freitagabend schon etwas geplant hast. Die Kinder schlafen bei Freunden und Sarah ist das Wochenende über weg, deshalb frage ich dich, ob du mit willst. Ein Freund hat mich in einen Exklusiven Club eingeladen und ich kann jemanden mitbringen, wenn du Lust hast.<

>An einem Freitagabend ausgehen? Weißt du, wie lange es her ist, dass ich überhaupt aus war?< Er lacht und öffnet seine Tüte Chips.

>Mindestens zwei Jahre.< Ich öffne ebenfalls meine Tüte und nehme mir einen Keks raus.

>Es sind schon fast drei. Ich würde gerne mit gehen und Mal wieder vor die Tür.< Obwohl ich nicht wirklich gerne aus dem Haus gehe, um Freizeit zu haben, war ich lange nicht mehr unter andern Menschen als den Kleavelands. Der Abend würde mir sicher guttun.

>Dann fahren wir um achtzehn Uhr los und du musst auch nicht die ganze Zeit in meiner Nähe bleiben, der Club ist groß.< Ich weiß genau, dass in meinen Augen der Schalk sehr gut zu erkennen ist.

>Dabei hatte ich doch geplant, den ganzen Abend an dir zu kleben.< Er lacht und hebt die Brauen.

>Leider geht das nicht, immerhin kennen meine Kollegen meine Frau recht gut.< Plötzlich wird sein Lächeln schwächer und aus irgendeinem Grund klaue ich ihm den Chip, den er in der Hand hat.

>Dann gehen wir eben nicht dahin, wo deine Kollegen sind.< Er sieht erst mich an, dann den Chip in meiner Hand. Das war nicht ehrlich mir gegenüber. Ich weiß sehr wohl, dass ich ihn damit ablenken und zum Lachen bringen will.

>Du naschst also doch.<

>Gelegentlich, aber nur die ganz delikaten Sachen. Außerdem steckt das Wort „Naschen" sogar in gewisser Weise in meinem Namen.< Er lacht und schüttelt den Kopf dabei.

>Delikat nennst du die?<, fragt er und hält mir die Tüte Chips vor die Nase.

>Man darf nicht wählerisch sein, wann man ausnahmen macht<, erkläre ich ihm und halte ihm einen meiner Kekse hin. >Und, machst du auch eine Ausnahme und isst etwas gesundes?< Er verkneift sich ein Lachen und nimmt den Keks.

>Wegen dir werde ich irgendwann gesund leben, ich sage es dir.<

>Wie kann ich nur? Außerdem heißt es dank mir.< Er beißt ein Stück von dem Keks ab und sieht dann zum Fernseher.

>Wir haben den halben Film verpasst und ich esse Vollkornkekse. Irgendwas läuft hier schief.< Lächelnd beiße ich mir auf die Lippe, um mir eine Antwort zu verkneifen. Es hat schon immer Spaß gemacht, sich mit Jason zu unterhalten und einfach Spaß zu machen. Ehrlich gesagt habe ich ihn nie mit seiner Frau herumalbern sehen, höchstens Mal mit den Kindern, aber Sarah ist auch nicht so locker wie er. Sie ist eher diszipliniert, außer es geht darum, ihre Kinder nach Strich und Faden zu verwöhnen.

Ich bin froh, dass Jason nicht so ist wie sie, das macht das Leben hier viel einfacher und ich habe auch nicht das Bedürfnis irgendwo anders hin zu gehen, oder mit jemandem zu reden, wenn wir uns gelegentlich unterhalten. Ich bin kein kontaktfreudiger Mensch, dieser eine reicht mir völlig. Er lächelt und ich kann nicht anders, als ihn anzusehen, bis er es bemerkt und ich ihm noch einen Chip stehle, um zu verbergen, dass ich ihn beobachtet habe.

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