10. Kapitel
Tommy sieht sich eine Kinderserie an, während Lisa über ihrem Geschichtsheft sitzt und vor sich hin grübelt. Sie liebt es, Rätsel selbst zu lösen und fragt mich immer erst, wenn sie sicher ist, dass sie die Antwort nicht selbst finden kann. Wieder liest sie den Text laut vor und so langsam habe ich das Gefühl, dass ich ihn auswendig kann, aber ich weiß auch, dass es ihr genau so geht.
>Natascha!<, höre ich Sarah rufen, dann kommt sie von der Haustür zu mir. >Nimm die Kinder und fahr mit ihnen ins Schwimmbad<, befiehlt sie. Hinter ihr steht ein attraktiver Mann im Anzug, der uns abschätzend mustert.
Das glaube ich jetzt nicht.
Wortlos stehe ich auf, dann bitte ich Lisa ihre Sachen zusammen zu packen und Tommy fertig zu machen. Die Schwimmsachen der Kinder sind immer fertig gepackt, weil sie sehr gerne spontan schwimmen gehen, darum muss ich nur meine Packen. Ich lege ein Handtuch mehr dazu und Jasons Badehose, damit ich ihn von hier fern halten kann. Wenn sie mir ihre Männer schon unter die Nase reibt, muss sie es nicht auch bei Jason machen.
Ich hänge meine gepackte Tasche über die Schulter, die beiden Rucksäcke der Kinder habe ich in den Händen und gehe nach unten, wo Sarah und der Mann unschuldig in der Küche stehen und warten.
>Lisa, Tommy, seid ihr fertig?< Die beiden kommen aus dem Wohnzimmer und jeder nimmt seinen Rucksack, dann gehen wir. Auf dem Hof steht Sarahs Auto und noch ein anderes, was mich auf eine Idee bringt. Ich schnalle Tommy an, verstaue das Gepäck im Kofferraum und mache unauffällig ein Foto von dem Auto mit Nummernschild, dann steige ich ein und wir fahren los.
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>Nana, wer war der Mann?<, fragt Lisa nach einer Weile und sieht aus dem Fenster.
>Vielleicht ein Kollege von Sarah, ich weiß es nicht.<
>Ich mag ihn nicht<, sagt sie und malt Striche an die Scheibe, die von ihrem Atem beschlagen ist.
>Ich auch nicht<, versichere ich ihr und parke in der Nähe des Eingangs. Ich helfe ihnen beim Aussteigen, dann gehen wir rein, ich bezahle und wir ziehen uns um. Lisa und ich ziehen uns Badeanzüge an, Tommy bekommt seine neue Badehose von Spiderman und ist ganz stolz darauf.
Am Wasser ist Tommy ausnahmsweise ganz zimperlich und will nicht in das Becken, Lisa hingegen ist sofort im Kinderplanschbecken und spielt mit einem anderen Mädchen. >Soll ich Papa fragen, ob er nach der Arbeit herkommen will?< Tommy nickt und hält meine Hand fest, während ich ihn zurück an unseren Platz führe. Wir setzten uns, dann schriebe ich Jason eine Nachricht, dass wir im Schwimmbad sind und die Kinder ihn gerne dabei hätten. Natürlich erwähne ich auch, dass ich seine Schwimmsachen bereits dabei habe.
>Nana, kannst du schwimmen?<, will Tommy wissen und sieht zu mir auf, während ich mir die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen binde.
>Natürlich kann ich das. Soll ich es dir beibringen?< Er schüttelt den Kopf und klettert auf meinen Schoß.
>Papa hat gesagt, dass er es mir beibringt. Wann kommt er zu uns?<
>In einer Stunde, wenn er mit der Arbeit fertig ist.< Er sieht sich in dem Schwimmbad um und wir unterhalten uns über die Palmen aus Plastik, die er als sehr hässlich beschreibt, dann über die Rutschen.
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Ich glaube, ich habe noch nie so viel mit Tommy geredet und er ist richtig gesprächig, bis er Jason sieht. In Hemd und Hose wirkt er ein bisschen fehl am Platz, aber das ist Tommy natürlich völlig egal. Ich helfe ihm von meinem Schoß, dann läuft er schon zu ihm und Jason hebt ihn hoch, dann kommt er zu mir an den Platz.
>Hi. Hier, die ist für dich<, grüße ich ihn und gebe ihm seine Badehose, die er dankend entgegen nimmt.
>Wir sind gleich wieder da<, versichert er mir und nimmt Tommy gleich mit sich.
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Ich habe ein Auge auf Lisa und ihre Freundin, die abwechselnd die kleine Rutsche in dem Becken nass machen, damit die jeweils andere besser rutschen kann, dann steht plötzlich Tommy neben mir.
>Buh!<, ruft er und tatsächlich zucke ich leicht zusammen, dann muss ich lachen.
>Wer ist denn da?<, frage ich ihn und ziehe ihn zu mir, um ihn zu kitzeln. Jason setzt sich neben mich und ich gebe Tommy frei, damit er zu ihm kann. Schon wieder lenkt mich sein Oberkörper für einen Moment ab, dann konzentriere ich mich wieder auf das hier und jetzt. Sein umwerfendes Lächeln habe ich schon so oft gesehen, dass es mich nicht mehr so mitnimmt, aber daran werde ich mich so bald nicht gewöhnen.
>Lisa scheint gleich eine neue Freundin gefunden zu haben<, stellt Jason fest und Tommy setzt sich auf seinen Schoß. Tommy ist ihm wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten, er könnte sogar eine frühere Ausgabe von ihm sein, was in mir den Wunsch weckt, Jason als Kind zu sehen. Er muss mindestens so süß gewesen sein, wie Tommy es jetzt ist.
>Lisa findet überall Freunde.< Er lacht und sieht zu mir.
>Du hast gar nicht erzählt, dass ihr heute hier seid.<
>Das war eine ziemlich spontane Idee<, fasse ich kurz, denn ich will ihm nicht gleich alles sagen. Ich verschweige es ihm nicht, aber er soll den Ausflug genießen und Spaß haben. Über diesen komischen Mann kann er sich noch lange genug den Kopf zerbrechen. >Tommy hat erzählt, dass du ihm das Schwimmen beibringen willst.<
>Ja!<, sagt Tommy sofort begeistert und steht auf. >Bringst du es mir jetzt bei?<
>Jetzt gleich?<, fragt Jason nach und lässt sich von Tommy auf die Füße ziehen.
>Ja<, sagt er bestimmt und zieht ihn mit sich. Tommy war schon immer eine Wassernixe und Jason hat genauso viel Spaß. Sie beide sind richtige hin Gucker, so als Vater-Sohn Kombination. Tommy ist und bleibt mein kleiner Sonnenschein und Jason ist einfach zum Anbeißen.
Ich weiß sehr gut, dass es richtig klischeehaft ist, dass ich auf meinen Boss stehe, aber er ist nun Mal ein klasse Kerl. Gut aussehend, liebevoll, charmant, stets darauf bedacht, das Richtige zu tun, manchmal ein wenig verspielt und doch ist er ein ernster, vertrauenswürdiger Mann mit einer kleinen Kaffeesucht. Selbstverständlich ist er dennoch ein absolutes Tabu.
Er ist verheiratet und hat Kinder, auch wenn seine Ehe im Moment ziemlich bröckelt, ich halte mich nach wie vor raus. Ich bin mir sicher, dass er nicht weiß, wie toll ich ihn finde und wie schön es für mich ist, einfach nur in seiner Nähe zu sein. Ich bin auch nicht Eifersüchtig oder so, ich gönne ihm sein Glück mit seiner Familie. Sarah ist die Einzige, die nicht versteht, wie toll dieser Mann ist und dafür könnte ich ihr an den Hals gehen.
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Die Kinder schlafen schon auf der Rückbank, als wir spät am Abend nach Hause fahren, wobei Jason uns hinterher fährt, schließlich ist er selbst auch mit dem Auto gekommen. Wir parken im Hof und zum Glück scheint der Mann weg zu sein, Sarah hat es schließlich nicht für nötig gehalten, mir zu sagen, wann wir zurückkommen können.
Ich nehme Tommy und Jason trägt Lisa ins Haus und in das jeweilige Kinderzimmer, dann kümmere ich mich um die nassen Sachen und lasse gleich eine Ladung davon in der Waschmaschine ihre Runden drehen. Auf dem Weg ins Wohnzimmer schließt Jason sich mir an und wir setzten uns auf die Couch, ohne den Fernseher einzuschalten. Irgendwie ist es klar, dass wir reden.
>Ist alles in Ordnung?<, will ich wissen und er zieht die Decke über sich, dann reicht er mir einen Teil davon.
>Nein. Sarah macht mich fertig, einfach damit, dass sie mir ausweicht. Was hat sie angestellt, dass du spontan mit den Kindern weg bist?<
>Sie hat nichts angestellt<, entgegne ich und hole mein Handy aus der Tasche, um das Foto von dem Auto aufzurufen. >Sie hat angeordnet, dass ich mit den Kindern schwimmen gehen soll.< Er nimmt das Handy entgegen und wirft einen Blick auf das Foto, dann wird seine Mine steinern.
Ich bin sehr ungern diejenige, die ihm solche Sachen sagt, aber wer soll es sonst tun?
>Erik Prove. Er war bei ihr?< Er klingt verletzt und das versetzt mir einen Stich. Nickend nehme ich mein Handy wieder und stecke es weg. Ich habe ein bisschen recherchiert, aber keine Parallelen zu den Kleavelands gefunden. Noch nicht.
>Sie hatte ihn dabei, als sie her kam und hat uns im Prinzip davon gejagt.<
>Wolltest du deshalb, dass ich ins Schwimmbad komme?< Ich nicke knapp und er schüttelt den Kopf.
>Danke. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn ich ihn hier gesehen hätte.< Er klingt wirklich dankbar und gleichzeitig wütend.
>Woher kennst du ihn?< Er lacht bitter und steht auf, um sich den Scotch aus dem Schrank zu holen.
>Zwei Wochen vor unserer Hochzeit ist Sarah zu mir gekommen und meinte, sie hätte einen riesigen Fehler begangen, dieser Fehler heißt Erik Prove. Sie hat mir erzählt, es wäre was Einmaliges gewesen und ich habe sie vorher nie weinen sehen, also habe ich ihr geglaubt und wir haben es vergessen. Scheint, als würde sie das nicht so sehen<, erklärt er kühl, schließt die Wohnzimmertür und holt sich ein Glas aus einem anderen Schrank, dann setzt er sich wieder zu mir. >Willst du auch einen?<
>Gerne<, antworte ich, ihm zu liebe. Ich glaube, dass es ihm ein wenig besser geht, wenn er nicht allein trinkt. Er steht auf und holt ein zweites, dann schenkt er ein.
>Die Sache ist über acht Jahre her, ich hatte ihn wirklich vergessen<, sagt er leise und reicht mir eins der Gläser. >Auf das wundervolle Leben<, sagt er sarkastisch und hebt sein Glas.
>Auf die Dinge im Leben, die es erträglich machen<, erwidere ich und wir stoßen an. Er trinkt sein Glas aus, ich trinke nur einen Schluck und muss husten. Das Zeug kratzt wirklich heftig im Hals. Er lächelt und schenkt sich nach.
>Wann hast du das letzte Mal getrunken?<
>Ich weiß nicht. Vor drei oder vier Jahren? Vielleicht sind es auch schon fünf.< Er lehnt sich zurück und schwenkt sein Glas, den Blick auf den schwarzen Fernseher gerichtet.
>Ich trinke eigentlich auch kaum, aber in letzter Zeit wird es doch etwas mehr<, gibt er zu und trinkt einen kleinen Schluck. >Diese Frau macht mich einfach fertig.<
>Dann lass uns über was anderes reden<, schlage ich vor und er sieht zu mir.
>Gute Idee. Du warst heute mit Tommy in der Stadt, wegen einem Kleid. Wie ist es gelaufen?< Lächelnd trinke ich einen Schluck und schüttle mich bei dem komischen Gefühl, das folgt.
>Super. Er war nur ein bisschen ungeduldig und ich habe immer noch dieselbe Kleidergröße wie vor ein paar Jahren, also war schnell eins gefunden. Er hat übrigens entschieden, dass es dunkelblau ist. Ein ganz ähnlicher Farbton wie deine neue Krawatte.<
>Genau, die Krawatte<, beginnt er und setzt sich etwas anders hin, mir mehr zugewandt. >Sie ist richtig gut angekommen, danke noch Mal.<
>Da gibt es nichts zu danken<, versichere ich ihm und setzet mich in einen Schneidersitz. >Du weißt, dass ich gerne helfe, wo ich kann.< Er nickt und trinkt sein zweites Glas aus.
>Das ist wahr. Du weißt gar nicht, wie sehr du mir mit all den Sachen hilfst. Im Alltag und besonders zur Zeit. Die Kinder lieben dich.<
>Die haben gar keine Wahl<, erwidere ich und trinke mein Glas aus. >Ich bin immerhin die beste Nanny, Köchin und Hausfrau der Welt.< Er lacht und stellt sein Glas auf den Tisch.
>Willst du noch einen?<
>Nur, wenn du noch einen willst.< Ich will ihn nicht zum Trinken verleiten, aber ein Glas mehr wird ihm schon nicht schaden. Er füllt unsere Gläser nach und gibt mir meines zurück.
>Ich bin froh, dass wir dich gefunden haben. Keine andere Nanny hätte das mit den Kindern so gut auf die Reihe bekommen<, stellt er entschieden klar und wieder stoßen wir an, diesmal ohne einen Trinkspruch. Ich nippe nur an meinem Glas, Jason trinkt es zur Hälfte aus. >Bist du einsam?< Überrascht sehe ich ihn an und schüttle den Kopf.
>Warum fragst du das?< Er hebt die Schultern, hält meinen Blick aber fest.
>Du bist seit über zwei Jahren hier bei uns, hast noch nicht einen Tag Urlaub genommen und warst auch sonst noch nie abends weg. Unsere letzte Nanny hatte alle paar Monate Mal einen, den sie mit her gebracht hat, aber du tust gar nichts außerhalb der Familie.< Das ist nicht unbedingt etwas, worüber ich mit ihm sprechen möchte, aber wenn ich ihm ausweiche, steht das vielleicht die ganze Zeit im Raum und so was kann ziemlich lange die Stimmung drücken.
>Mir geht es gut, wirklich. Mir reicht das Leben hier aus, mit dir und den Kindern. Ich bin nicht einsam. Wenn ich irgendwann raus will, dann sage ich dir das.<
>Darauf verlasse ich mich. Ich will nicht, dass du mir irgendwann böse bist, weil du nie draußen warst. Du bist noch so jung und könntest so viel erleben.< Lachend deute ich auf ihn.
>Ich habe mehr als genug erlebt, nebenbei bin ich gar nicht so viel Jünger als du und mit den Kindern ist jeder Tag ein Abendteuer.< Er lässt sich von meinem Lachen anstecken, dann trinkt er aus und ich tue es ihm nach.
>Das glaube ich dir, zumindest das Letzte. Es tut wirklich gut, mit dir zu reden, aber wir sollten schlafen gehen. Der Wecker klingelt um fünf, da kann ich trinken so viel ich will.<
>Da muss ich dir Recht geben.< Er steht auf und bringt die Flasche weg, ich bringe die Gläser in die Küche, spüle sie aus und stelle sie in die Maschine, dann gehe ich zur Treppe, wo Jason auf mich wartet.
>Natascha<, sagt er leise und mustert mich kurz, dann sieht er mir in die Augen. >Es gibt da noch was, das ich loswerden muss.<
>Schieß los<, fordere ich genau so leise, lächle, dann beugt er sich zu mir runter und küsst mich.
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