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Drei Gestalten, die sich unter Kapuzenmänteln verbargen, eilten in einen Durchgang, der von der Hauptstraße abging, und klopften an die Hintertür der Apotheke. Nach einer Weile öffnete sich die Tür und die drei wurden rasch eingelassen.

Auch im Haus schlugen die Gestalten die Kapuzen nicht zurück.

"Lutgard!", begrüßte der alte Apotheker Gerbert die erste Gestalt freundlich lächelnd. "Es ist immer nett, wenn du zu mir kommst."

"Hildegard!", begrüßte Gerbert die zweite Gestalt nicht minder herzlich. "Ich freue mich sehr, dich immer noch wohlauf zu sehen!" Sein Lächeln schien bis in das abstehende weiße Haar hinein zu leuchten.

"Danke", erwiderte Hildegard leicht verlegen. "Wie ich hörte, hattet Ihr einen Anteil daran."

"Nicht der Rede wert", sagte Gerbert, "gar nicht der Rede wert. Und wen habt ihr da mitgebracht?"

"Das ist unsere Patientin", sagte Lutgard.

"Ah ja, ah ja", sagte Gerbert. "Woran gebricht es ihr? Eine üble Wunde, die nicht heilen will? Eine heimtückische Krankheit, die nicht weichen will?"

"Es ist eine Art hartnäckiger Krankheit", sagte Lutgard. "Eine Mangelerscheinung. Ein Mangel an Stand."

"Oha, oha", sagte Gerbert. "Dann gehen wir am besten in die Küche."

Er ging den drei voran und hieß sie dann auf einer Bank Platz nehmen und reichte jeder einen Becher. "Nehmt, nehmt. Das ist ein kräftigender Sud, den ich mir frisch gebraut habe, denn Sud tut gut!"

Lutgard und Hildegard schlugen ihre Kapuzen zurück und nahmen einen höflichen Schluck. Die dritte Gestalt behielt die Kapuze auf.

Gerbert nahm selbst einen Becher und setzte sich auf einen Hocker den dreien gegenüber.

"Nun", sagte er, "eure Patientin ist mir wohl bekannt, und auch ihr Leiden. Aber alle meine Arzneien und alle Künste, von denen ich sonst noch Kenntnis haben möge, können daran wenig ausrichten, fürchte ich. Sie ist bei mir wohlgelitten, daher tut es mir leid, nichts für sie zu vermögen. Oder wisst ihr eine andere Weise, auf die ich euch helfen könnte?"

Hildegard sah Lutgard an, die ihr zunickte, dann wandte sie sich an Gerbert. "Meister Gerbert, von Meister Frodebert, dem gelehrten Sekretär des Grafen, haben wir die Idee, eine Adoption, eine Annahme an Kindes statt, als Heilmittel zu verwenden."

Gerberts buschige Augenbrauen hoben sich. "Sieh an, sieh an, ist diese Sitte auch in dieser Stadt angekommen? Gut zu wissen, habe ich doch keine Nachkommen."

"Keine Nachkommen und keinen Nachfolger", sagte Hildegard, "seit mein Vater starb."

"Oh ja", sagte Gerbert mit einem traurigen Lächeln. "Ein großer Verlust für uns beide. Ich hatte die Hoffnung, dass du in seine Fußstapfen trittst, aber deine Berufung liegt offenbar woanders. Ich freue mich trotzdem für dich!"

"Ich danke Euch", sagte Hildegard. "Weil es nun so um Euch steht, hatten wir den Gedanken, dass Ihr vielleicht jemanden als die Eure annehmen wollt, deren Berufung hin zu Euren Künsten stärker ist als bei mir."

Für einen Augenblick lag basses Erstaunen auf Gerberts Gesicht. Dann wandte er sich der dritten Gestalt zu und das Erstaunen wich einem Strahlen.

*

Marco fühlte die Nacht immer noch in seinen Knochen, trotzdem war er hellwach und gut drauf. Er stand wie am Tag zuvor auf dem Großen Markt, doch diesmal war der Anlass ein wahres Fest. Die Spießknechte hatten Spieße und Schilde in ihren Quartieren gelassen und drängten sich ohne Ordnung auf den Platz. Die Städter waren nicht an den Rand gedrängt, sondern unter das Kriegsvolk gemischt. Auf der Bühne standen wieder die Maiden, nicht in banger Erwartung, sondern freudig aufgeregt.

Marco und Dimis standen ganz vorn vor der Bühne. Berta und Mina standen wieder in der ersten Reihe und hatten ihnen bereits eifrig zugewinkt. Sie erschienen am aufgekratztesten von allen.

Ganz vorn auf der Bühne stand bereits der Bürgermeister, zusammen mit elf weiteren, würdig dreinblickenden Männern in kostbaren Gewändern, und einem schlicht gekleideten Mann mit Schreibzeug und einer ledernen Umhängetasche, wahrscheinlich der Ratsschreiber.

Hildegard wartete neben der Bühne, neben ihr der Zauberer des Grafen. Sie trug dasselbe weiße Kleid wie in der Nacht. Zusammen mit einem Blumenkranz auf ihren Haaren ließ es sie nun wahrlich wie eine Maid aussehen. Ungewöhnlich war nur, dass sie dazu ein Schwert im Gehenk trug.

Der Zauberer wirkte unruhig. Immer wieder warf er Seitenblicke zu Atgarion, der sich mit seinen Kämpen ein wenig abseits zu Pferde postiert hatte. Atgarion schien von der allgemeinen Stimmung gänzlich unbeeinflusst; sein Blick war finster wie eh und je.

Erst nach einer Weile entdeckte Marco Irmgard. Sie stand ganz in der Nähe von Hildegard, zusammen mit einem Mann mit abstehenden weißen Haaren. Sie trug wieder ihr Maidenkleid und einen Blumenkranz, obwohl sie nicht auf der Bühne stand. Man sah ihr nicht an, dass sie in der letzten Nacht blutüberströmt gewesen war.

Marco schauderte ein wenig bei der Erinnerung. Er konnte sich noch so recht keinen Reim auf das Ganze machen. Niemand hatte erklärt, was genau vorgefallen war. Er war auf jeden Fall sehr erleichtert, dass es offenbar immer noch allen gut ging.

Dann ging es los, der Bürgermeister hob die Hand, die Menge kam zur Ruhe.

"Geehrter Herr Bürgermeister, geehrte Ratsherren", rief da plötzlich der Mann mit den abstehenden weißen Haaren. "Bitte hört mich zuerst an."

Der Bürgermeister wandte sich zuerst an die anderen wohl gekleideten Männer auf der Bühne, offenbar die Ratsherren, und fragte sie, ob man die Bitte erfüllen sollte. Sie bejahten und der Mann wurde auf die Bühne gebeten. Zusammen mit Irmgard stieg er hinauf. 

"Geehrter Herr Bürgermeister, geehrte Ratsherren", begann der Mann erneut. "Ich, Gerbert Suder, Meister der Apothekerkunst, Bürger dieser Stadt, habe diese Maid, Irmgard, an Kindes statt angenommen, da ich keine natürlichen Nachkommen habe. Darf ich Euch bitten, dies öffentlich zu verkünden und zu beurkunden, damit alle wissen, dass sie meine rechtmäßige Erbin und eine ehrliche Bürgerin dieser Stadt ist?"

Der Bürgermeister wandte sich wieder an die Ratsherren, die wiederum ihre Zustimmung ausdrückten. Der Bürgermeister wandte sich an die Menge und verkündete in umständlichen Worten, worum Apotheker Suder ihn gebeten hatte. Dann wandte er sich an den Schreiber, der ein Pergament mit Siegel aus der Ledertasche zog, kurz etwas darauf schrieb, und es dann dem Bürgermeister überreichte, der es an Suder weitergab.

Berta und Mina kamen nach vorn, ergriffen Irmgards Hände und nahmen sie mit sich, dass auch sie nun in der Reihe der Maiden stand.

Marco sah Dimis an; der zuckte nur mit den Schultern. Irgendein Geheimnis umgab Irmgard. Dimis schien nicht unbedingt mehr wissen zu wollen, aber Marco war jetzt umso neugieriger. Hildegard konnte er wahrscheinlich nicht fragen, aber vielleicht Berta?

Suder hatte inzwischen die Bühne verlassen und der Bürgermeister begann seine Ansprache. Diesmal ließ er sich nicht von Atgarion einschüchtern – leider, wie Marco fand. Der Bürgermeister verkündete mit vielen aber wenig mitreißenden Worten, wie stolz die Stadt, er selbst und wer weiß noch wer war, dass die erwählte Maid dieser Stadt Atgarions Lehrling werden würde.

Jubel brandete von allen Seiten auf. Marco jubelte von ganzem Herzen mit. Seine Spießgesellin, die Löwin des Fähnleins, würde eine Kampfmagierin werden und noch viel großartigere Sachen vollbringen! Und er hatte an ihrer Seite gekämpft! Wenn er das zu Hause erzählen würde...

Der Bürgermeister fuhr fort mit der Verkündigung, dass die Stadt zur Feier des Tages eine Schwesternschaft stiftete. Die Maiden, die sich Atgarion zur Wahl gestellt hatten, würden alle in die Schwesternschaft eintreten. Die Schwesternschaft würde über all ihre Mitglieder wachen, sie schützen und sicherstellen, dass sie auch in diesen harten Kriegszeiten über das nötige Vermögen verfügten, als ehrliche Bürgerin zu gelten.

An diesem Punkt wirkte das Gesicht des Bürgermeisters besonders sauertöpfisch fade statt feierlich begeistert. Er war wirklich ein schlechter Redner.

Trotzdem brandete wieder Jubel auf, dieses Mal besonders von den Städtern. Marco jubelte mit, für Berta. Er sah Dimis an; der jubelte auch und zwinkerte Marco zu. Marco stutzte. Bedeutete das, dass Dimis und er als Beschützer ausgedient hatten? Er sah zu Berta hinauf. Die strahlte ihn an. Vielleicht ja doch nicht?

Dann verließen Bürgermeister, Ratsherren und Schreiber die Bühne und Hildegard bestieg sie zusammen mit dem Zauberer des Grafen. Die Maiden begrüßten Hildegard, streckten die Hände nach ihr aus.

Als Hildegard bei Irmgard angekommen war, schien sie von deren Blick gefangen, wie Atgarion es am Vortag gewesen war – nur, dass Irmgard diesmal lächelte. Ein plötzlicher Schritt, und Hildegard umarmte Irmgard, wie eine wiedergefundene Schwester. Marco nahm sich vor, Berta unbedingt zu fragen, was es mit den beiden auf sich hatte.

Schließlich stellten sich Hildegard und der Zauberer mittig vor den Maiden auf und blickten in Atgarions Richtung. Der saß immer noch auf seinem Pferd – und machte keinerlei Anstalten, zur Bühne zu kommen.

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