Kapitel 25 - Penismittelfingerkunst

Ben und ich ließen uns die Palatschinken auf dem Deck schmecken. Er hatte eine Decke aus einer Truhe, deren Existenz durch ein Sitzkissen verdeckt wurde, geholt und auf den Holzdielen ausgebreitet. Die Yacht schaukelte nach wie vor im Hafen, denn wir würden auch den folgenden Tag auf Saint Martin verbringen.

»Möchtest du ... näher zu mir rutschen?«, riss mich Bens leise Stimme aus den Gedanken. Ihm war anzumerken, dass er auf diesem Gebiet kein Profi war.

»Mhm«, machte ich und nickte. Vielleicht klang meine Stimme etwas zu begeistert, aber das war jetzt auch egal.

»Das gefällt mir«, sagte Ben. Seine Worte hallten rau in meinen Ohren wider; mein Puls schoss bei ihrem Klang in die Höhe. Es war ein melodisches Spiel aus Klang und Nervosität, aus Rauheit und aus Nachdenklichkeit. So war er eben. Er dachte immer bei allem zehntausend Mal nach.

»Mir auch«, sagte ich in die nächtliche Schwärze hinein. »Mir auch.«

»Und das vorhin?«

Ich wusste, dass wir darüber reden mussten.

Mussten wir das?

Ich war mir nicht mehr so sicher.

Wenn man einen Typen küsste, für den man doch eigentlich nichts fühlen sollte, dann sollte man schon drüber reden, oder?

Ich seufzte. »Das hat mir auch gefallen.«

Ben sagte nichts mehr. Ich hatte schon Angst, etwas Falsches gesagt zu haben, doch dann, während wir auf dem Deck vor uns hinschaukelten, die Bäuche vollgeschlagen mit den leckeren Palatschinken, dann spürte ich, wie Ben seine Finger vorsichtig auf Wanderschaft gehen ließ.

Sanft und nur ganz vorsichtig, als begebe er sich auf unbekanntes Terrain, strichen seine Fingerspitzen von meinem Oberarm weiter hinunter bis zum meinem Bauch. Wir beide starrten in den Himmel, und doch musste ich aufpassen, wegen dieser winzigen Berührung nicht in eine Schnappatmung zu verfallen.

Die Stille zwischen uns sagte alles, was gesagt werden musste. Wie wir da lagen, in der Karibik, auf einem Schiff. Ich, mit flatternden Knien und einem Herzen, das bei jeder von Bens Berührungen eskalierte.

So wie jetzt zum Beispiel.

Seine Finger strichen über meinen Handrücken, über meine Finger, bis zu meinem Bauch, meinem Bauchnabel. Er legte sich auf die Seite, sodass nur noch ich auf dem Rücken lag. Sein Blick galt nicht länger dem Sternenhimmel, der klar die Umrisse um uns herum beleuchtete, sondern mir.

Allein mir.

Er sah mich an, ich merkte seinen Blick auf mir, als würde er mich studieren.

»Ich mag dich, Hannah«, sagte Ben rau. Leise. Kaum hörbar, aber ich hörte die vier Wörter so klar, so laut, so sehr, dass ich schlucken musste.

Ich sagte nichts, denn Ben küsste mich. Noch einmal, genau so, wie zuvor. Er beugte sich über mich und stützte sich ab, doch ich zog ihn zu mir. Meine Beine schlangen sich um seinen Torso, auch er machte keine Anstalten, sich zu entfernen. Sein Herz pochte genauso schnell wie meines, sein Atem ging genauso unregelmäßig.

Mit Ben an meiner Seite hatte ich das Gefühl, eine Seele gefunden zu haben, die meine eigene komplettierte. Ich hatte das Gefühl, endlich einen Menschen gefunden zu haben, dem es scheißegal war, wie ich morgens aussah, dem es scheißegal war, wie meine Familien- oder Finanzsituation war, und dem es verdammt noch einmal scheißegal war, dass bei mir ein paar Schrauben und Räder anders liefen, als die Gebrauchsanweisung es vorschrieb.

* * *

Am nächsten Morgen beschlossen Kian, Lisa, Ben und ich gemeinsam den Morgen am Strand zu verbringen. Danach würden wir den Grotten der Insel, für die sie bekannt war, einen Besuch abstatten. Ich hatte ja nicht viel Ahnung davon, wie das wohl aussehen würde, doch ich hatte 127 Hours geschaut und noch bevor wir mit Sack und Pack losmarschierten, hatte ich mir bereits ungefähr fünf Befreiungsarten aus einer Felsspalte überlegt.

Nicht, dass ich sie brauchen würde, aber ich mochte meine Extremitäten und wollte ungern eine als Andenken auf Saint Martin verlieren.

»Zu welchem Strand wollen wir gehen?«, fragte Kian, der wie immer der Motivierteste von uns war. Lisa konnte kein, oder kaum, Deutsch und war deswegen in ihren Kommunikationsfreiheiten denkbar eingeschränkt (obwohl drei von vier Leuten Niederländisch konnten — ich freute mich, dass wir trotzdem Deutsch sprachen). Ben und ich tauschten immer wieder verstohlene Blicke aus.

Es war kein Geheimnis, dass das, was sich gestern zwischen uns ereignet war, uns beiden irgendwie unangenehm war. Wir waren keine Menschen, die großartige Reden in Hinblick auf Gefühle schwangen, und obwohl wir uns in dieser Hinsicht prächtig verstehen sollten, fühlte es sich doch so an, als würde Ben etwas sagen wollen.

»Great Bay«, antwortete Ben. Er schob sich seine schwarze Sonnenbrille auf die Nase. Ein Rayban-Modell, das seinen Augenausdruck verdeckte und ihm etwas Geheimnisvolles verlieh. Vielleicht lag das aber auch nur daran, dass ich ohne seine Augen nicht wirklich festmachen konnte, was in ihm vorging.

»Dann mal los«, nickte Kian. Er war ziemlich überzeugt von seiner Idee, schnorcheln zu gehen, doch ich würde dieses Mal nicht mitkommen wollen. Nicht, weil ich Kian nicht mochte, aber mir war nicht danach — zumal ich mir nicht mal sicher war, ob man so nahe am Strand überhaupt irgendwas sehen konnte (und wenn doch, dann wollte ich lieber nicht mehr ohne Taucherausrüstung ins Wasser, und dieses Risiko wollte ich nicht eingehen).

Kian kannte den Weg. Die Simpson Bay, in der die Yacht gestern angelegt hatte, war nur gute zehn Gehminuten von der Great Bay entfernt, die wir laut Ben ansteuerten. Die Sonne prallte schon wieder vom Himmel, keine einzige Wolke hatte Erbarmen mit uns. Obwohl es erst zehn oder elf Uhr war, schwitzte ich bereits, als hätten wir vor, in der Mittagszeit die Sahara zu erkunden.

Ben ging ganz vorne.

Er ging alleine, was daran lag, dass er ein Höllentempo draufhatte. Er hatte schließlich die langen Beine. Zwar wollte ich neben ihm gehen, aber ich hatte nicht vor, einen Marathon hinzulegen, zumal ich jetzt schon, bei unserer normalen Gehgeschwindigkeit, schnaufte.

»Wie gehts dir?«

Ich hatte gar nicht gemerkt, dass Kian sich zu mir gesellt hatte, aber meine Antwort fiel sehr karg aus.

Ein hilfloses Schnaufen in seine Richtung musste genügen.

»Mhm«, machte Kian. Wie konnte er so entspannt sein? Es hatte gefühlt vierzig Grad, er trug eine riesige Tasche und als wäre das nicht schon genug, versuchte er dann auch noch, Konversation zu machen.

So motiviert war ich nicht einmal, wenn es normale Temperaturen hatte.

»Mir gehts auch gut«, sagte Kian fröhlich. »Was war das eigentlich gestern?«

Wow, okay, also das ›Mit-der-Tür-Ins-Haus-Fallen‹-Gen hatten sie eindeutig beide geerbt.

Kians erwartungsvoller Blick, mit dem er seinen Durst nach Klatsch und Tratsch unterstrich, kitzelte mich auf der Haut. Ich musste ihm eine Antwort geben.

»Wir haben ... geübt«, sagte ich deswegen aus einem wilden Impuls heraus. Hoffentlich hörte Ben das nicht. Ich war zwar keine Emotionskoryphäe, aber dass ihn diese Antwort nicht gerade begeistern würde, konnte ich mir schon denken. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich diese wasche Flamme, die zwischen uns loderte, mit einem Fußtritt auslöschen könnte, wenn ich zu früh zu viel erzählte.

So war es doch immer.

»Geübt?«, fragte Kian und zog eine Braue hoch. Er sah alles andere aus, als würde er mir das abkaufen.

Ich nickte und blieb standhaft. Diese Antwort war schließlich in Anbetracht der Umstände mehr als logisch begründbar.

»Aha«, sagte Kian gedehnt. Wir folgten der heruntergekommenen Straße. Ich hatte das Gefühl, dass der Asphalt vor meinen Augen verschwamm und zu flimmern begann. Ben könnte mir sicher eine detaillierte, wissenschaftliche Antwort auf dieses Phänomen geben.

Wie aufs Stichwort suchten meine Augen nach seiner schlanken Gestalt — uns trennten schon mindestens zehn Meter. Wenn das so weiter ging, wäre er schon am Strand, wenn wir gerade mal die Straße hinter uns ließen.

»Was, Kian? Spuck es aus, irgendwas brennt dir auf der Seele«, murmelte ich augenrollend und straffte die Träger meines Rucksacks. Darunter hatten sich bereits Schweißfelder auf meinem T-Shirt gebildet. Kurzerhand war ich versucht, einfach mein T-Shirt auszuziehen und im Bikini-Top weiterzugehen, doch das unterließ ich dann doch. Falls es noch zu einer Steigung kommen könnte, brauchte ich schließlich etwas, von dem ich mich dann erleichtern konnte.

»Naja, es hat nicht gerade so gewirkt, als hättet ihr ... geübt«, druckste Kian herum.

»Wieso?«, fragte ich scharf.

Die Tatsache, dass ich mich so verteidigte, verriet schon ziemlich viel über das, was Ben und ich gestern in der Küche getan hatten. Ich würde jedenfalls nie wieder Palatschinken essen können, ohne an ihn und diese Schmetterlinge in meinem Magen zu denken.

Allein bei dem Gedanken an die Berührungen, die er mir gestern geschenkt hatte, und die Gefühle, wurde mir ganz flau im Magen. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen, ohne, dass ich es wirklich kontrollieren konnte.

»Du grinst wie eine verknallte Katze, das ist dir schon klar, oder?«, meldete sich Kians Stimme aus dem Off wieder zu Wort.

Ach ja. Er ging ja neben mir.

Ich seufzte. »Vielleicht oder vielleicht auch nicht haben Ben und ich uns gestern geküsst. Na und? Das macht die Story ja nur glaubwürdiger«, sagte ich schulterzuckend. Und wieso musste ich mich eigentlich vor einem Kerl erklären, der jünger als ich war?

Ich strich mir eine nassgeschwitzte Haarsträhne aus der Stirn.

»Klar. Alles nur für die Lüge. Ich glaube auch.« Kian sah wirklich nicht überzeugt aus.

»Was willst du von mir hören, Kian?«, rief ich genervt.

»Keine Ahnung. Ein ›Danke‹ wäre ein Anfang.« Er zuckte mit den Schultern.

»Soll ich mich dafür bedanken, dass du uns gestern unterbrochen hast? Wer weiß, wohin das noch geführt hätte ...« Ich schüttelte den Kopf. Ich erinnerte mich an den Moment, als Kians Blondschopf im Türrahmen aufgetaucht war. In dem Augenblick hätte ich ihn nämlich gerne auf den Mond geschossen.

»Nein, aber dafür, dass ihr ohne mich überhaupt nicht zueinander gefunden hättet«, sagte er, wobei seine Worte wie die einer Diva klangen. Kian hatte nicht nur erschreckende Ähnlichkeiten mit einem Dackel, sondern auch mit einer Diva. Ein Divendackel.

Ich rollte die Augen und sagte möglichst würdevoll: »Danke.«

Dass ich seiner Aufforderung nachkam, erfreute ihn ganz offensichtlich. »Aber gerne doch, Hannah. Keine Ursache.« Er klimperte mit den Wimpern. »Und was genau ist da jetzt zwischen euch?«

»Zehn Meter Distanz«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Immerhin ging Ben immer noch ganz vorne, alleine.

»Ja.« Kian nickte zu sich selbst. »Du bist definitiv die richtige Kandidatin für Ben.«

* * *

Zehn Minuten später waren wir endlich am Strand angekommen. Jede Pore meines Körpers freute sich auf das Meer, das bereits in hohen Wellen über den Sand floss. Die weiße Gischt spritzte in alle Richtungen, das Salz schäumte auf.

Kian spannte gerade den Sonnenschirm, den er eigens für sich und Lisa (das hatte er uns auch genau so unmissverständlich mitgeteilt) mitgebracht hatte, auf. Ich dagegen sah mich nach einem etwas schattigeren Plätzchen um, um nicht gleich am ersten Tag meines frischen Glücks an einem Hitzetod zu verrecken.

»Da drüben?«, fragte Ben, der sich ebenfalls umsah. Ich folgte seinem Zeigefinger. Ben deutete auf eine kleine Bucht, die von Felsen umgeben war. Es war gerade Platz für zwei Handtücher, mehr nicht. Um die Einbuchtung herum schlugen Wellen gegen den dunklen Felsmassiv, und einige Palmen boten etwas Schatten, da sie von der Straße so steil herunter wuchsen, dass man glauben könnte, gleich würden sie einbrechen.

Ich nickte. »Das sieht nach einem netten Plätzchen aus.«

Der eigentliche Grund, weshalb mir der Ort gefiel, war, dass ich dort mit Ben allein sein konnte.

Vielleicht hatte er ja auch Interesse daran, dort weiter zu machen, wo wir gestern aufgehört hatten. Heute Nacht jedenfalls hatte ich mich an ihn gekuschelt und er mich zu sich gezogen.

Ben und ich setzten uns in Bewegung, um die kleine Bucht rechtzeitig als unsere zu kategorisieren.

Mein Handtuch — leider hatte ich darauf vergessen, dass ich einfach eines aus der Yacht nehmen konnte — trug einen verblichenen, ziemlich hässlichen Aufdruck von Mario Kart. Es war das einzig halbwegs große Handtuch, das ich besaß, und normalerweise würde ich mich für meine Kindheitsliebe zu Nintendospielen auch nicht schämen. Ich sah es eher als Zeichen, ein richtiges Statement, wenn ich mit diesem Handtuch im Schafbergbad in Wien aufkreuzte und die Jungs ihre Sonnenbrillen richteten, weil sie noch nie eine Dreiundzwanzigjährige mit Mario-Kart-Handtuch gesehen hatten.

Nur jetzt fühlte es sich komisch an, weil Ben ein normales, olivgrünes Handtuch hatte. Seine rote Badehose strahlte mit dem Sonnenlicht um die Wette. Wenn er mich rettete, ging ich gerne mal in die Wellen. Größte Konkurrenz für Mitch, ganz klar.

»Schmierst du mich ein?«, fragte ich leise.

Ben zog sich sein T-Shirt aus.

»Klar«, sagte er rau. Ich legte mich auf mein Handtuch, das zum Teil sogar im Schatten lag, und band meine Haare zu einem hohen Knoten. Mein Gewand hatte ich bereits ausgezogen, als wir am Strand angekommen waren — dieser lag nämlich auf einer Anhöhe hinter einem kleinen Hügel. Die Besteigung war dementsprechend anstrengend gewesen, doch jetzt, am Wasser, ging ein leichtes Lüftchen.

Ich zuckte leicht zusammen, als mich die Tropfen der Sonnencreme auf der nackten Haut trafen, doch gleich drauf begann Ben mit seinen warmen Händen die Creme einzumassieren.

Ich vergrub den Kopf in den Ellbogen, weil es sich so gut anfühlte. Ben massierte meinen Rücken, und obwohl mir gar nicht so bewusst war, wie verspannt ich eigentlich war, so wusste er es ganz genau. Er war also auch noch ein Hobbychiropraktiker.

Schließlich jedoch beendete Ben leider seine Ausführungen, allerdings verteilte er noch etwas Sonnencreme auf meinem Rücken. Solche Typen brauchte man wirklich in seinem Leben.

»Danke«, sagte ich lächelnd und stand auf. »Gehen wir schwimmen?«

»Vielleicht solltest du noch ein bisschen warten, bis die Creme eingewirkt ist«, sagte Ben, doch ich zuckte mit den Schultern. Mir war so heiß, dass ich das Gefühl hatte, wenn ich nicht sofort ins Wasser ging, würde der Schweiß aus meinen Drüsen explodieren und die Welt zum Regnen bringen.

So weit wollte ich es dann doch nicht kommen lassen. Ben murmelte irgendwas von wegen, dass er nachkäme, und ich hopste die Felsen hinunter zu Lisa und Kian. Lisa saß auf einem halbhohen Camping-Stuhl, den ich bisher nur bei Senioren gesehen hatte. Kian sah sich in der Gegend um.

»Lust zu schwimmen?«, fragte ich gut gelaunt.

Er sah zu mir, überrascht, aber gleichzeitig auch erfreut. Kian nickte. »Gerne.«

Ich ging schon vor zum Wasser, das türkis in der Sonne glitzerte, und steckte die Füße rein.

»Ah«, murmelte ich leise. Das Wasser war kalt.

»Sag mal, wieso hast du einen Penis auf deinem Rücken?«, fragte Kian in diesem Moment ziemlich amüsiert. Er dackelte auf mich zu — die Ähnlichkeit zu einem Divendackel wurde immer verblüffender — und richtete seine kanariengelben Shorts.

»Wie bitte?«, fragte ich empört. Überrascht versuchte ich, irgendwas zu erkennen, aber natürlich war ich nicht annähernd gelenkig genug, um etwas zu sehen.

»Das ist ein Mittelfinger, du Depp«, schaltete sich in diesem Moment eine andere Stimme ein. Ben. Er war also doch aufgestanden, um mit uns zu schwimmen.

»Mittelfinger oder Penis — wieso zum Teufel malst du etwas auf meinen Rücken?«, quiekte ich empört.

»Weil es lustig ist?«, fragte Ben mit schiefgelegtem Kopf.

»Ha, ha. Ich lache später«, maulte ich. »Kannst du das jetzt bitte verwischen? Ich habe keine Lust, einen Penis oder einen Mittelfinger auf meinem Rücken für die nächsten drei Monate zu tragen«, fauchte ich und versuchte, mit den Händen irgendwie die Creme zu verschmieren.

»Mhm. Nö«, sagte Kian mit einem fiesen Grinsen.

»Ben!«, rief ich, aber Ben war schon vorgegangen und stand knietief im Wasser. Mit jeder Sekunde ging er weiter hinein.

»Scheiße man«, fluchte ich und versuchte irgendwie mit den wildesten Verrenkungen, diesen blöden Penis-Mittelfinger von meinem Rücken zu entfernen.

Die Hilfe kam von völlig unerwarteter Seite.

Lisa.

Sie war für mich bisher nur eine Pappfigur in der Landschaft gewesen, schließlich redete sie kaum und wenn, dann nur ganz leise mit Kian auf Niederländisch.

»Soll ... ick dir helfe?«, fragte sie in brüchigem Deutsch.

Überrascht sah ich auf. Sie strich sich nervös eine strohblonde Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte, wobei sich eine kleine Lücke zwischen ihren Zähnen zeigte. Irgendwie niedlich.

Ich nickte. »Bitte, das wäre lieb«, sagte ich langsam. Sie machte sich sofort und ohne zu zögern daran, den Penis-Mittelfinger großflächig zu verschmieren, wofür ich ihr dankte. Das rechnete ich ihr hoch an.

Vielleicht sollte ich mich einmal mit ihr unterhalten — schließlich schien sie ganz nett zu sein.

»Willst du auch schwimmen gehen?«, fragte ich deswegen und deutete zu Kian und Ben, die gerade im Wasser versuchten, sich gegenseitig zu ertränken. Aus dem Alter kam man wohl erst heraus, wenn man nicht mehr schwimmen konnte, weil man zu alt war.

Sie lächelte und schüttelte den Kopf. »Hoe zeg je ... Erdbeerwoche?«

Ich lachte laut. Dann nickte ich. »Ach so.«

Lisa ging nickend wieder zurück zu ihrem Campingstuhl und ich machte mich auf den Weg zu den Jungs. Zeit für eine kleine Revanche.

* * *


Als wir hungrig wurden, es war ungefähr halb drei, gingen Ben und ich zu einem kleinen Campingbus, der die Rollläden geöffnet hatte und leckeres Essen verkaufte. Neben frischer Kokosnuss und Melonen gab es auch Baguette und Käse.

Gegen vier Uhr kehrten wir zurück zum Schiff, denn die Jungs kamen auf die glorreiche Idee, dass wir uns unbedingt heute noch die Grotten und Felsspalten, für die die Insel so bekannt war, anschauen mussten. Sie wollten den Abend nämlich an Land verbringen — laut Kian gäbe es nichts außer ein paar Babyschlangen, wovor man Angst haben musste.

Für mich waren die ›paar Babyschlangen‹ definitiv ein gehöriger Angstfaktor. Deswegen lehnte ich das strikt ab. Gegen eine kleine Wanderung hatte ich allerdings nichts.

Kian zeigte mir seine Wanderausrüstung, als wir gerade drauf und dran waren, das Boot zu verlassen, um zu den Höhlen zu gehen – er war definitiv vorbereiteter, als ich – und Ben kommentierte das Ganze, als wären wir bei einer Reality-TV-Show. Wahrscheinlich würden wir die Quoten als verrücktes Trio durch die Decke gehen lassen. Das ganze lief ungefähr so:

»Also, wenn du bei der Erzählung des Kaufes schon so enthusiastisch bist, dann musst du beim Kauf ja in völliger Ekstase gewesen sein!«, sagte Ben.

Daraufhin war Kian kurzzeitig eingeschnappt. »Und wenn es so wäre?«

»Dann würde ich mir ernsthafte Gedanken um deine Freundin machen«, sagte ich. »Allerdings — wer kann schon zu solchen strammen Waden in Bergsteigermontur nein sagen?«

Ben nickte. »Nicht zu vergessen die Stöcke und das Hemd ...«

Das karierte Hemd verlieh Kian den Anschein, als wollte er die österreichische Landeskultur in die Karibik übertragen.

»Ihr werdet noch wünschen, ebenso ausgestattet zu sein«, sagte Kian hoheitsvoll.

»Vermutlich«, nickte ich. »Wenn die Grizzly-Bären hinter uns her sind, wir mit den Mayas kämpfen müssen und auf dem Speiseplan frittierte Hannah-Arme und Ben'sches Karree steht, werden wir um deine Hilfe betteln

Kian fand es so gar nicht lustig, dass die kollektive Heiterkeit der Stunde diesmal auf seine Kosten ging.

»Jaja, redet nur«, sagte er eingeschnappt und drehte sich zu Lisa, seiner Freundin, um. Sie sah mindestens genauso deplatziert in der sonnigen Landschaft von Saint Martin aus. Nachdem wir nämlich den Vormittag am weißen Sandstrand verbracht hatten, verschlug es uns jetzt zu den für die Insel typischen Grotten und Felsen.

»Und was ist mit dir? Lust aufs Angeln oder wieso der Hut?«, fragte Ben grinsend und schnappte sich den Fischerhut von meinem Kopf, den ich mir von Kian geliehen hatte.

»Hey!«, rief ich und versuchte, ihn mir zurückzuholen, aber Ben war größer als ich und somit war es ein leichtes Spiel für ihn, den Hut einfach so hoch zu halten, dass ich ihn nicht erreichte.

»Gib mir den zurück!«, fauchte ich.

»Wieso?«, fragte Ben scheinheilig.

»Weil er mir gehört!«, rief ich. »Ich brauche ihn.«

»Ach ja? Wofür?« Er feixte.

»Damit ich keinen Sonnenbrand bekomme.« Ich verschränkte die Arme und stellte mein Gezappel ein. Das führte sowieso zu nichts.

»Dafür ist es schon etwas zu spät, Miss Cherrytomate«, sagte Ben mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen.

Wäre ich nicht so verknallt in ihn, hätte ich ihm gerne eine runtergehauen. Wobei das eine das andere streng genommen ja nicht ausschloss ...

»Du magst nie, was ich sage. Stell dir mal vor, was ich denke!« Ben lachte, dann setzte er mir den Hut absichtlich falsch herum auf.

»Danke«, zischte ich. »Nervensäge!«

»Keine Sorge. Ich nerv nur die, die ich mag.«

Keine Ahnung, ob ich mich jetzt geehrt fühlen oder weiter wütend sein sollte, aber seine Worte ließen in mir einen Schwall Schmetterlinge frei. Eine weitere Ladung Raupen hatte sich transformiert und brachte jetzt meinen Körper zum Durchdrehen. Wie schaffte er das so leicht?

»Seid ihr fertig?«, dröhnte Kians nörgelnde Stimme zu uns. Ich nickte.

»Allerdings«, sagte ich. »Wo sind eigentlich die Oldie—«, ich hüstelte, »deine Eltern?«

»Auf einer Touristentour«, sagte Ben schulterzuckend. »Machen sie jedes Jahr.«

»Mhm. Langweiliges Zeug also.«

»So kann man es natürlich auch sagen, Engelchen«, sagte Ben mit einem Grinsen auf den Lippen.

»Engelchen? Nur, weil ich Sommersprossen und ein nettes Lächeln habe, bin ich noch lange kein Engelchen«, zischte ich aufgebracht. Mein Rage-Modus war in Bens Gegenwart mittlerweile schon zur Gewohnheit geworden.

»Naja, zu 99 Prozent bist du ein Engelchen«, sagte er. »Das weiß ich genau.«

»Aber dieses eine Prozent ... wenn du nur wüsstest«, murmelte ich kopfschüttelnd.

»Ihr seid beide so komisch«, schaltete sich Kian ein, dem das Warten wohl zu bunt wurde.

»Wir sind nicht komisch«, erwiderte Ben. »Wir sind zu anders, um es zu erklären, und du bist zu normal, um es zu verstehen, kapiert?«

Kian rollte die Augen. »Klar. Können wir jetzt los?«

»Klar«, sagte ich.

Manchmal fragte ich mich, warum ich nicht eine Lebensversicherung abgeschlossen hatte, bevor ich eingewilligt hatte, auf diese Reise mitzukommen.

Bekam man eigentlich auch das Geld, wenn man sein Herz an eine Person verlor?

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