Kapitel 21 - Haibiss
Ben war eine gute Stunde später wieder zurückgekehrt und hatte es sich mit einem langweiligen Buch über Rechtswissenschaften auf dem Deck gemütlich gemacht. Die Yacht schaukelte auf dem offenen Meer vor sich hin und die Sonne prallte unablässig und mitleidslos auf uns nieder. Zwar hatte ich ein Geschirrtuch zweckentfremdet und mir aufgesetzt, um mich vor der starken Sonne zu schützen, allerdings half das auch nicht wirklich. Der Schweiß stand mir auf der Stirn.
Tatsächlich hatte ich schließlich Bens Frühstück gegessen, schließlich wäre es sonst kalt oder schlecht oder beides geworden, dann hätten wir es wegschmeißen müssen und das tat man nicht.
Das jedenfalls war die Argumentation, die ich mir zurechtgelegt hatte; und meines Erachtens nach war das so ungefähr das Sinnvollste, was ich seit Langem von mir gegeben hatte.
»Hast du Lust auf eine Runde Schnorcheln? Bisschen schwimmen? Urlaubsspeck abbauen?«, riss mich in diesem Moment Kians Stimme aus den Gedanken.
Überrascht blickte ich erst Kian an, dann schielte ich eine Sekunde zu Ben — doch Kian folgte meinem Blick schneller.
Vielleicht, aber vielleicht auch nicht, hatten sich meine Augen auf Bens Körper geheftet. Er sah aus, wie ein griechischer Adonis, direkt der Mythologie entsprungen, wie er so seelenruhig in der Sonne lag, seine Sonnenbrille alle paar Minuten richtete und Seite um Seite las. Ein wissenschaftliches Wunder.
»Ähm«, beeilte ich mich zu sagen.
Kian lachte auf. »Was genau ging dir denn gerade durch den Kopf? Wenn du meinen beinahe nackten Bruder mit einem so durchdringenden Blick anstarrst, kann es sich ja nur um Mordgedanken handeln.«
»Genau.« Ich nickte. Das jedenfalls war einfacher, als zu erklären, dass ich irgendwie ins Narrenkastl geschaut hatte (und sich das zufällig bei Ben befand).
»Also. Schnorcheln?«, wiederholte Kian.
»Wieso nicht?« Dann fiel mir allerdings etwas ein. »Aber ... Das Boot fährt doch nicht ohne uns weiter, oder?«
Kian sah aus, als würde er am liebsten in schallendes Gelächter ausbrechen — doch zu meiner Überraschung riss er sich zusammen und räusperte sich kühn.
»Doch, klar. Wir werden hier untergehen. Warte, nimm bitte die Tür eures Schlafzimmers mit, dann können wir Titanic ziemlich akkurat nachstellen.«
Ich warf ihm einen Blick zu, der mehr sagen sollte, als ich es in Worte fassen konnte. Dieser typische Danke-fürs-Verarschen-aber-meine-Frage-war-ernst-gemeint-Blick.
»Ha. Ha«, murrte ich und legte mein Magazin zur Seite, ehe ich aufstand. Die Liege, auf der ich es mir bequem gemacht hatte, war vermutlich um einiges angenehmer als die Holzbretter des Decks, auf denen Ben lag. Allerdings machte er keine Anstalten, sich zu beschweren.
»Hast du einen Schnorchel oder borgst du dir Bens aus?«, fragte Kian, der bereits im Begriff war, hinunter in die Schlafkajüten zu gehen.
»Seh' ich so aus, als hätte ich einen Schnorchel?«, fragte ich und blinzelte übertrieben oft, um zu unterstreichen, wie absurd diese Frage war. So wahnsinnig oft war ich schließlich nicht in Nöten eines Schnorchels — es sei denn, man wollte im Schwimmbad oder in Delias Badewanne irgendwas beobachten.
»Richtig. Du siehst aber auch nicht so aus, als hättest du einen Knall, und trotzdem hast du einen.« Kian grinste frech. Ich riss den Mund auf und sah ihn sprachlos und ziemlich empört an.
Als er merkte, wie erbost ich war, schnitt er eine Grimasse und verschwand schnell unter Deck. Oh, der kann sich auf etwas gefasst machen.
»Hier«, sagte Kian, als er zwei Minuten später mit vier Flossen und zwei Taucherbrillen mitsamt eines Schnorchelschlauches wieder zurück aufs Deck kam. Der Schnorchel, den er mir hinhielt, war dunkelblau und sah aus, als hätte er schon einige Jahre auf dem Buckel.
Zugegeben, obwohl (oder gerade weil?) es Bens Schnorchel war, musste ich mich zurückhalten, um nicht zu fragen, ob ich den Schnorchel desinfizieren konnte. Mein einziger Trostgedanke war, dass ich ihn zuerst gründlichst mit Salzwasser waschen würde, bevor da irgendwas in meinen Mund kam.
Ist ja ekelhaft. Fremde Spucke.
Also, wenn du um drei in der Früh stockbesoffen mit irgendeinem schmierigen Typen im Club herumknutschst, zierst du dich auch nicht so, Hannah ...
Ja, aber ... Das ist dann etwas anderes. Meiner Philosophie nach unterdrückt der Alkohol einfach die Ansprüche auf gewisse Schönheitsideale, die uns von unserer Umwelt eingetrichtert werden. Beziehungsweise kommen einfach die menschlichen Nöte an die Oberfläche. Wie auch immer, aber ich war definitiv kein Mädchen, das leicht zu haben war. (Und schon gar keins, das leicht zu halten war.)
»Können wir?«, fragte Kian, der bereits in voller Montur steckte. Er war in die Flossen geschlüpft und sah mit seiner türkisen Badeshorts aus, als wäre er geradewegs aus Mamma Mia entsprungen, direkt aus der Szene, in der die heißen Insel-Boys auf dem Steg einen ulkigen Flossentanz aufführten.
Ich nickte und schlüpfte schnell in die Flossen. Sie waren natürlich viel zu groß.
»Houston, wir haben ein Problem«, räusperte ich mich.
Kian legte den Kopf schief. »Was?«
»Meine Schuhe.«
»Schuhe?«
»Ja, diese Dinger da.« Ich watschelte auf und ab.
»Du meinst Flossen.«
»Richtig. Hab das Wort vergessen. Meine Flossen sind viel zu groß.«
Ich verschränkte die Arme. Mein Badeanzug war immer noch ein bisschen feucht, weil ich vorhin kurz ins Meer gehüpft war, allerdings hatte ich das Gefühl gehabt, dass sich sofort zwanzig Haie angenähert hatten, weil sie mein leckeres Hannah-Fleisch gerochen und sich bereits ein Mittagsfestmahl ausgemalt hatten, weshalb ich genauso schnell wieder an Land war.
»Okay. Und weiter?«
»Ja, was soll ich machen?« Ich seufzte.
War Kian eigentlich wirklich so schwer von Begriff oder tat er nur so?
»Er ist es wirklich!«, rief in diesem Moment Ben dazwischen.
»Was?«, fragten Kian und ich gleichzeitig. Ich, weil ich gerade vor Überraschung fast eingefroren war, immerhin hatte ich in absolut genau diesem Augenblick, in dem Ben sich gemeldet hatte, mir eine Frage gestellt, auf die Ben eine eindeutige Antwort gab.
»Kannst du Gedanken lesen?«, fragte ich gleich hinterher. Konnte es sein, dass all die Fantasyromane, von Percy Jackson bis Harry Potter, die ich früher so geliebt hatte, jetzt zur Realität wurden? Ich wappnete mich bereits, dass Ben mir im nächsten Moment sagen würde, in welchem Haus ich war.
Dips on Ravenclaw ...
Je mehr ich darüber nachdachte, desto flauer wurde mir im Magen.
Ben schob sich die Sonnenbrille in die Haare. Sie waren immer noch ein bisschen feucht, aber bereits fast trocken. Er sah mich ungefähr genauso bescheuert an, wie ich ihn.
Wie wunderbar. Wir ergänzten uns ja wirklich perfekt. Einer beschränkter als der andere. Vielleicht schafften wir gemeinsam ja einen IQ von 100.
»Ich lese gerade ein Buch, es geht um ein Beispiel, ein New Yorker Anwalt, der vorgeführt wurde ...« Er schüttelte den Kopf und setzte sich auf. »Ich kann es nicht glauben. Er ist es wirklich!«
»Puh«, murmelte ich und schüttelte den Kopf. Ob das noch in die Kategorie Zufall fiel? Ich bezweifelte es stark.
»Ich will euer merkwürdiges Rendezvous ja nicht unterbrechen, aber wollen wir mal Schnorcheln gehen?«, fragte Kian in unsere komische Stille hinein. Er schien sich nicht auszukennen, genau wie ich. Ben murmelte immer wieder ›Er ist es wirklich‹ und ich fragte mich, ob ich jetzt wirklich durchdrehte.
Konnte ja sein.
Ich zuckte mit den Schultern und setzte mir die Brille auf. Mein Brief von Hogwarts würde wohl noch auf sich warten lassen.
»Houston, das Problem ist beseitigt. Ich werde einfach bloßfüßig schwimmen!« Ich strahlte ihn an. Vermutlich sah das ziemlich bescheuert aus, denn ich trug ja bereits die Brille, die übrigens genauso überdimensional war, wie die Schuhe. Vermutlich nahm sie mein ganzes Gesicht ein.
»Soll ich sicherheitshalber die Luftmatratze mitnehmen?«, fragte Kian dennoch nicht gerade überzeugt. »Oder reichen dir Schwimmflügel?«
* * *
Das Dilemma endete damit, dass ich schließlich mit einem kleinen Luftpolster — er sah aus, wie eine Miniatur-Luftmatratze — ins Wasser sprang. Ben lag nach wie vor auf dem Rücken und las in seinem langweiligen Buch, während Kian freundlicherweise als erstes ins Wasser sprang.
Meine größte Angst auf dem Schiff war es ja, irgendwie unter den Motor zu geraten und zu Faschiertem verarbeitet zu werden. Das war auch der Grund, weshalb ich möglichst rasch versuchte, von dem Bug wegzuschwimmen (obwohl meine Paranoia wahrscheinlich sinnbefreit war).
»Kommst du?«, rief ich zu Kian. Das Wasser war angenehm erfrischend, nicht zu kalt, aber auch nicht zu warm. Es glitzerte, weil die Reflexionen des Sonnenlichtes so stark waren. Wir befanden uns in einem nicht allzu tiefen Gebiet, denn das Wasser strahlte in einem satten Türkis. Wahrscheinlich drei Meter — doch ich musste zugeben, dass ich bei dem Gedanken, was unter uns war, Herzrasen bekam.
Das war mir neu. Nie zuvor hatte ich Angst davor gehabt, was in den Tiefen des Meeres auf mich wartete.
Von Kian kam keine Antwort. Als ich mich verwirrt umdrehte, sah ich jedoch nichts — keine Spur von Kian. Ich legte den Kopf schief. Scheiße man, wo steckte dieser Jungspross schon wieder? Das konnte doch nur eines bedeuten ...
Hatte das Monster der Tiefe ihn gefunden und fraß ihn nun auf?
Gott Hannah, du spinnst wirklich ...
Doch im nächsten Moment verwarf ich meine Gedanken wieder, denn ich spürte etwas Spitzes, Scharfes an meinem Fuß. Meine Nackenhaare stellten sich auf; ein Schauer lief mir über den Rücken.
Irgendetwas hatte mich gebissen! Ich kreischte wie verrückt auf, trat um mich herum, bis mir schließlich vor lauter Panik das Kissen unter der Brust wegrutschte und in hohem Bogen davon flutschte.
»Scheiße!«, keuchte ich und versuchte, gegen das, was mich da gebissen hatte, anzukämpfen, während ich noch mit aller Kraft irgendwie versuchte, nicht unterzugehen. Hätte ich bloß nicht Bens Frühstück gegessen, dann würde ich jetzt nicht wie ein Stein sinken ...
War das ... ein Hai?
Ich meine, ich würde damit rechnen, dass Kian mich erschreckte — aber das? Das konnte doch nicht wahr sein!
Doch gleich darauf wurde meine Naivität Lügen gestraft, denn ein blonder Haarschopf tauchte neben mir auf — und im nächsten Augenblick begriff ich. Kian lachte so laut und so sehr, dass ich mir nicht mehr sicher war, ob die Wassertropfen in seinem Gesicht Tränen oder Meerwasser war.
Hauptsache Salzwasser.
»Du Arsch!«, brüllte ich. In diesem Moment meinte ich das genau so, wie ich es sagte. Kein Funken Reue. Kein bisschen Mitleid. Ich war wütend, einfach nur wütend, weil Kian mich so hemmungslos veräppelt hatte und meine Angst, ohne es wirklich zu wissen, ausnützte — und ich Dummerchen auch noch voll darauf reingefallen war!
»Du ... du ...« Kian wagte zwei Anläufe, irgendwas zu sagen, doch er schaffte es nicht. Stattdessen gurgelte er Salzwasser. Er hielt sich unter Wasser den Bauch — am liebsten hätte ich ihn wie ein kleines Kind einfach untergetaucht. Einfach gedümpelt und ihn von seiner eigenen Medizin probieren lassen.
»Jaja, trink nur weiter ekeliges Meerwasser, du Verräter!«, zischte ich böse. Hoffentlich war das, was ich getreten hatte, entweder seine Nase gewesen, oder aber seine Weichteile. Egal was, beides war gut.
»Tut mir leid«, lachte Kian immer noch.
»Ach ja? So, wie du aussiehst, tut dir gar nichts leid!« Meine Stimme war immer noch lodernd vor Wut.
Mit einiger Verspätung erschien ein dunkelbrauner Haarschopf über der Reling.
Ben beugte sich mit verwirrter Miene vor und fragte: »Was ist los?« Er musste ziemlich laut reden, weil Kian so laut lachte und um sich plätscherte.
Bei seiner sonoren Stimme bekam ich selbst im Wasser eine Gänsehaut. Oder vielleicht lag es genau daran — am Wasser.
»Dein Bruder hat mich gerade in meinen Fuß gebissen und so getan, als wäre er irgendein Hai!«, zischte ich pessimistisch zurück.
Ben zog eine Braue hoch. Täuschte ich mich, oder bildete sich da tatsächlich ein Grinsen auf seinen Lippen? Ha, ich fand das überhaupt nicht komisch! Wenigstens von ihm hätte ich mir ein bisschen mehr Unterstützung erwartet!
»In den Fuß? Ekelhaft. Hast du ihn getreten?«, fragte Ben.
Ich nickte. Zufriedenheit spiegelte sich auf meinem Gesicht wider. »Allerdings.«
»Na, dann hoffen wir mal, dass du an die richtige Stelle getreten hast. Nicht wahr, Brüderchen?« Ben warf einen feixenden Blick zu Kian.
»Stop met praten«, antwortete Kian wenig amüsiert. »Ik ben niet degene die domheid erft!«
Keine Ahnung, was das hieß, aber es klang nicht besonders nett. Wobei mit niederländischer Betonung eigentlich nichts nett klang. Die Härte der Sprache wurde mir immer bewusster. Dagegen war Deutsch wirklich nichts, obwohl alle immer so taten, als wäre Schmetterling ein Mordwerkzeug.
»Sukkel«, zischte Ben zurück. Er verschwand wieder auf dem Deck, vermutlich auf direktem Wege zu seinem Liegeplatz.
»Ich muss wirklich Niederländisch lernen«, fasste ich das Ganze in einem Satz zusammen.
»Wieso? Ist doch fast wie Deutsch!« Kian lachte und schüttelte den Kopf.
»Mhm, klar. Fast. Bin eigentlich eh' schon CEO der Schimpfwörter, was kann mich aufhalten? Klingt, als würdet ihr euch mit jedem Wort an die Gurgel gehen wollen.« Ich rollte die Augen.
»Naja, bei jedem zweiten«, murmelte Kian und schwamm ein wenig weiter vor. Er legte sich auf den Rücken und ließ sich ein wenig vom Salz treiben, während er die Augen zukniff, weil ihn die Sonne blendete.
Gerade fragte ich mich wirklich, ob ich nicht einfach eine exakte Kopie von Brad Pitt in dreißig Jahre jünger und blond vor mir hatte. Wenn er jetzt noch eine Sonnenbrille auf der Nasenspitze platziert hätte, hätten wir ihn mit dem Schwimmpolster gleich rauf nach Hollywood schicken können.
»Wie lange bist du eigentlich schon mit dieser ... Lisa zusammen?« Beinahe hätte ich Barbie gesagt, was ich mir in letzter Sekunde noch verkneifen konnte. Ich biss mir auf die Zunge und sah zu Kian.
»Diese Lisa«, wiederholte Kian in meinem Tonfall. »Ich bin mit dieser Lisa seit zwei Jahren zusammen. Zirka.«
»So lang?«, rutschte es mir raus.
Kian zuckte mit den Schultern. »Jop.«
»Mhm«, machte ich. »Wie habt ihr euch kennengelernt? Kann sie eigentlich Deutsch?« Dass Ben meinte, dass ihre Beziehung komisch sei und sie wohl irgendein Gold Digger sein sollte, ließ ich kokett aus. Konnte ja sein, dass das auch nur Bens gestörter Raumwahrnehmung entsprang.
»In der Schule, wir waren in einer Klasse; und, naja, so, wie Niederländer halt Deutsch können. Beetje.«
»Mhm«, wiederholte ich mich. Keine Ahnung, was Beetje hieß.
»Was ist eigentlich mit Ben und dir?«, fragte Kian.
»Was soll mit uns sein?« Ich sah ihn schief an.
»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich doch glatt sagen, dass ihr euch versteht«, sagte Kian. Das klang, als wäre es irgendwas Abwegiges, sich mit Ben zu verstehen. Abgesehen davon war das doch gut, oder? Schließlich konnten wir so glaubwürdiger spielen, was wir zu spielen hatten.
Außerdem war ich mir nicht einmal sicher, ob wir uns verstanden. Ich meine ... Hatte das irgendwas zu bedeuten? Wenn ich jetzt ›Ja‹ sagte, gab ich dann unterschwellig irgendwas zu und wenn ich jetzt ›Nein‹ sagte, was hatte das dann zu bedeuten?
Himmel. Das war kompliziert, diese ganze Freund-Fake-Freund-Echter-Freund-Wir-verstehen-uns-Sache.
»Äh«, stieß ich deswegen nur aus. Ich kratzte mich an der Stirn.
Kian zog eine Braue hoch und schwamm zu mir.
»Äh?«, wiederholte er ungläubig. »Ihr redet ganz schön oft, verbringt Zeit miteinander und streitet weniger als am Anfang. Das klingt für mich, als würdet ihr mittlerweile tatsächlich Gefallen aneinander finden.«
»Oh, freu dich nicht zu früh. Mach am besten gleich eine Geschäftsidee daraus; eine Verbindung aus Xoodle und Tinder«, sagte ich augenrollend. Zugegeben, vielleicht hatte ich ein bisschen dick aufgetragen, aber das war es doch, worauf er hinauswollte, oder? Er dachte doch nicht ernsthaft, dass irgendwas Romantisches zwischen Ben und mir war oder jemals sein würde, richtig?
»Allein, wie du dich verteidigst, verrät mir, dass du definitiv etwas zu verbergen hast«, feixte Kian.
Ich verdrehte die Augen. »Wenn ich nichts zu verbergen hätte, wäre ich noch langweiliger als ich es tatsächlich bin. Weißt du, manchmal sollte man einfach den Vorhang unten lassen — für den dramatischen Effekt.«
»Du bist ja so eine Poetin«, sagte er.
»Ja, man sagt, ich sei eine Nachfahrin von Schiller. — Ich verstehe mich gut mit Ben. Ich glaube, wir sind Freunde.«
»Du glaubst?«, fragte Kian. »Ist das nicht etwas, das man wissen sollte?«
»Freu dich doch einfach, dass wir uns nicht mehr die Augen auskratzen wollen«, grummelte ich. »Abgesehen davon ist das ja alles nicht dein Problem.«
»Hm«, machte diesmal Kian. »Es ist einfach komisch. Ihr seid wie zwei ... Mutanten, die das erste Mal auf Leben treffen. Vielleicht kommt ihr beide von einem fremden Planeten, einem fremden Universum, und ...«
Da blieb mir doch glatt die Spucke weg. »Was zum Teufel stimmt nicht mit dir?«
»Naja ...« Kian suchte offensichtlich nach den richtigen Worten. »Ihr seid beide nicht ganz ... normal.«
»Pff«, machte ich. »Du misst Normalität an den Standards, die du gewohnt bist. Andere Länder, andere Sitten, schon mal gehört?«
»Was hat das denn mit euch zutun?« Kian schüttelte den Kopf. »Nur, weil du aus Österreich kommst? Ich bin auch Halbösterreicher, nur fürs Protokoll.«
»Ich will damit sagen, dass ich ganz normal bin. Und dein Bruder auch. Naja, ich meine, vielleicht ist er ein bisschen anders, aber ich bin ganz normal!« Ich dümpelte ein bisschen auf dem Luftkissen und glitt mit den Händen durch das warme Wasser.
»Mhm. Genau.« Kian klang nicht gerade überzeugt.
»Was genau ist der Sinn dieser Konversation?«, fragte ich schließlich.
»Ich wollte eigentlich nur sagen, dass ich es gut finde, wie ihr euch schlagt. Ich glaube nicht, dass meine Eltern etwas an eurem Verhalten bemerkt haben.«
»Wenn du noch lauter schreist, wird das auch nicht mehr nötig sein«, murmelte ich sarkastisch.
Kian rollte die Augen. »Du weißt, was ich meine. Wie war euer Abendessen? Wart ihr wirklich zu zweit unterwegs oder war das nur eine Ausrede?«
»Wofür willst du das wissen?«, fragte ich misstrauisch.
Kian zuckte mit den Schultern. »Einfach so. Er ist mein Bruder.« Er warf einen Blick zum Deck. Mittlerweile waren wir beim Bug des Schiffes angelangt. Vor uns lag der grenzenlose Horizont des Ozeans — und mittendrin, zwischen Costa Rica und den Karibischen Inseln waren wir.
Das Leben könnte gerade wirklich schlechter verlaufen.
Ich lächelte versonnen. Das war einer der Momente, an die man sich erinnerte, wenn man achtzig war, im Altersheim auf dem Rolator Rennen veranstaltete und mit Delia den jungen Zivis hinterherschaute. Ja, genau so ein Moment war das.
»Also?«, riss mich Kians Stimme aus den Gedanken.
»Was?«
»Ich will damit nur sagen, dass ich ihn schon lange nicht mehr so glücklich erlebt habe.«
»Glücklich?«, wiederholte ich, beinahe lachend. »Das ist für dich glücklich?«
Kian nickte. »Ich kenne meinen Bruder gut, Hannah. Ich weiß, wie er sich verhält, wenn er glücklich ist.«
»Hm«, machte ich.
Mir gefiel das nicht. Auf einmal fühlte es sich so an, als hätte ich Verantwortungen Ben gegenüber; und das wollte ich nicht. Ich wollte ihn nicht in eine Sache verwickeln, die eigentlich nicht sein sollte. Und ich wollte nicht, dass er diese Wirkung auf mich hatte — nicht nur äußerlich, sondern sehr viel mehr von innen heraus. Dass er mich beruhigen konnte, wenn ich aufgeregt war, und dass er wusste, was ich dachte, ohne es ausgesprochen zu haben. Ja, das alles war so verdammt kompliziert.
Aber wenn das Leben einfach wäre, dann würden wir nicht hier sein. Dann würden die Drehbuchautoren unserer Geschichte einen miserablen Job leisten und niemand in den Film gehen, der auf unserem Leben basiert.
Zeit, einen verdammt guten Film daraus zu machen.
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