Kapitel 18 - Romantisches Abendessen

»Sag mal, wie war das noch gleich? Deine Ex hat dir eine Liste mit Stichpunkten da gelassen, die mit dir nicht stimmen?«, fragte ich, als Ben und ich die Promenade entlang schlenderten. Gabriella, Hendrik, Lisa und Kian waren beim Boot geblieben und diskutierten lebhaft, wo sie doch essen gehen sollten. Ehrlich gesagt war ich froh, Ben als Alibi benutzen zu können, um nicht weiterhin Gabriellas Gerede ertragen zu müssen. Wenn das so weiter ging, würde mir der Kragen platzen, noch bevor diese ... Geschäftsreise überhaupt angefangen hatte.

»Willst du es alphabetisch geordnet haben oder nach Priorität?«, fragte Ben zurück. Obwohl seine Worte wie ein schlechter Scherz klangen, merkte ich dennoch an der Art, wie er sich versteifte, dass er das ernst meinte.

Ich zuckte mit den Schultern. »Ist mir eigentlich egal«, murmelte ich und deutete mit dem Kinn zu einem netten, kleinen Restaurant. »Sieh mal, das sieht doch hübsch aus, oder?«

Das Lokal hatte ein gestreiftes Vordach, das man verstellen konnte. Der Gastgarten reichte bis auf die asphaltierte Promenade, deren Wärme, die der Boden über den Tag gespeichert hatte, ich deutlich unter den dünnen Sohlen meiner Sandalen aufsteigen spürte.

Ich konnte Ben bereits in meinem inneren Ohr hören, wie er sagte: Die tagsüber gespeicherte Wärme gibt der Boden nachts wieder ab.

Ben warf einen pikierten Blick auf den Eingang des Lokals. Dieser war, zugegeben, ziemlich winzig. Wer größer als einssechzig war, musste sich ducken, um da überhaupt durchzukommen. Spanische Musik drang aus dem Inneren, genau wie der Gesang des offensichtlich musikalisch begabten Koches, der in einem tiefen Bass zu der Oper mitsang.

»Bist du sicher?«, fragte Ben, doch ich zog ihn anstatt zu antworten mit mir.

»Schauen wir erst einmal die Speisekarte an!«, beharrte er. Sein Blick war streng — davon würde ich ihn schon einmal nicht abbringen können.

»Und was wenn nicht?«, fragte ich diabolisch grinsend. Konnte es sein, dass Ben ein Problem damit hatte, die Kontrolle dem Zufall zu überlassen? Ich als jemand, der sich selbst mit dem Thema nur zu gut auskannte, diagnostiziere jedenfalls eindeutig irgendwas in die Richtung (nachdem ich The Mentalist durchschaut hatte, hatte ich mir geistig bereits den Doktortitel für Psychologie vor meinen Namen geschrieben).

»Dann bekommst du eben eine Bestrafung«, antwortete Ben genauso leise. Seine Augen waren dunkel. In seiner Stimme lag etwas Gefährliches, sodass mein Mund trocken wurde.

Wie gebannt starrte ich ihn an — er starrte mich an.

In meinem Magen begann es zu prickeln, die Härchen auf meiner Haut stellten sich kampflustig auf.

»E-Eine Bestrafung?«, fragte ich.

Unbehagen schlich sich in meine Knochen. Ich wünschte, ich könnte abschätzen, auf welche Art Ben das meinte. Schließlich wusste ich genau, dass er ein Mann mit Bedürfnissen war, doch andererseits war ich mir trotzdem nicht ganz sicher, ob er nicht vielleicht doch ein Roboter war.

Die Invasion begann ...

Gut, vielleicht sollte ich weniger Science-Fiction-Filme schauen. Wobei die Nachrichten heutzutage ja kaum besser waren.

»Ja, wenn das Essen schlecht ist, zahlst du«, antwortete Ben simpel.

Mit einem Mal war der Bann zwischen uns gebrochen. Dieses unsichtbare Band, das an seiner und meiner Brust befestigt war und uns zueinanderzog, war gerissen, und mir wurde wieder klar, wo wir waren. Außerdem begann die Kellnerin schon etwas dümmlich in unsere Richtung zu schauen, weshalb ich einige Schritte von Ben wegging und einen Blick auf den kleinen Cafétisch warf, der außerhalb des Gartens stand. Dort war nämlich die Speisekarte angebracht.

So komisch Ben manchmal auch war — er war eindeutig der Erwachsenere von uns beiden. Es war schließlich intelligent, einen Blick in die Karte zu werfen, um das Preisleistungsverhältnis abzuschätzen.

Was ich als angehende Masterstudentin der Wirtschaftsuniversität eigentlich wissen sollte.

Zu meinem Verdruss (ich könnte wetten, dass Ben sich insgeheim ins Fäustchen lachte) war kein freier Platz mehr in dem Lokal. Deswegen mussten wir weitersuchen — denn obwohl dieser Ort ein wahrer Touristenmagnet war, gab es doch nicht besonders viele Restaurants.

Wir landeten schließlich in einem winzigen Lokal in einer Seitengasse, das von einer Großfamilie geführt wurde. Die Mutter, eine ältere Dame mit riesigem Vorbau, war die Küchenchefin, während der Vater hinter der Getränketheke stand. Die vier Töchter nahmen die Bestellungen auf.

Es gab zwar nur drei Tische, doch sie waren allesamt lieblich hergerichtet.

»Ist hier noch etwas frei?«, fragte ich in meinem klaren Schulenglisch an eine der Kellnerinnen gewandt.

Sie sah mich mit schief gelegtem Kopf an, ehe sie auf Spanisch sagte: »Disculpe

Ich kratzte mich am Kopf. Mist, hier kam ich mit meinem erlernten Spanisch auch nicht weiter.

Doch dann passierte etwas, mit dem ich in meinen kühnsten Träumen nicht gerechnet hätte.

Ben räusperte sich und fragte in perfektem, wirklich astreinem Spanisch: »Todavía tienes un lugar para nosotros?«

Ich verstand nur Bahnhof. Anscheinend war mir die Ratlosigkeit als Fragezeichen auf die Stirn tätowiert, denn nachdem die Tochter genickt hatte — ihren Augen nach zu urteilen war ihr ein Licht aufgegangen — beugte sich Ben zu mir, sodass ich seinen warmen Atem an meinem Ohr spürte: »Ich habe sie gefragt, ob es noch einen Platz für uns gibt.«

»Auf Spanisch?«, fragte ich entgeistert.

»Nein, auf Chinesisch.« Ben verdrehte die Augen und rückte wieder etwas von mir ab. Ein kleiner, aber nur klitzekleiner Teil von mir regte sich bei dieser Geste, denn er wünschte sich, dass Ben dableiben würde. Aber bevor dieser Teil sich lauter aufregen konnte, erstickte ich meine Hoffnungen im Keim und trat selbst einige Schritte von ihm weg.

Nicht, dass er sich irgendwas darauf einbildete, dass sich die Härchen in meinem Nacken bei seiner Nähe aufstellten und mein Magen sich anfühlte, als würden zehntausend Elefanten eine Geburtstagsparty feiern.

Babyelefanten. Zehntausend Babyelefanten.

»Kommst du jetzt?«, fragte Ben, als ich immer noch in der Gegend Wurzeln schlug. Er war bereits bei dem kleinen Tisch angekommen, zu dem uns die Kellnerin wies. Er war klein, aber adrett gedeckt, und das mit Blumen bestickte Tischtuch lenkte von den Hartplastikstühlen ab, die man normalerweise im Garten stehen hatte.

»Jaja. Du hast mir gar nie erzählt, dass du Spanisch kannst!«, rief ich empört.

»Ich hab' dir auch nie erzählt, dass ich mit drei Jahren schwimmen gelernt habe. Und?«, fragte Ben und setzte sich. Kian hätte mir vermutlich den Stuhl zurechtgerückt, aber Ben war eben nicht Kian, und deswegen musste ich den Sessel selbst zurechtrücken, ehe ich meinen, laut Ben, großen Hintern darauf platzierte.

»Du weißt, was ich meine«, knurrte ich. Im Hintergrund klimperte ein Straßenmusiker auf einer Ukulele und sang auf Spanisch, während die Lichterketten und Girlanden, die um den Türrahmen des Restaurants angebracht waren, ein romantisches Flair verbreiteten. Aus den weit geöffneten Fenstern drang der Geruch nach leckerem scharfem Essen zu uns. Mein Magen knurrte.

Gut, damit hätten wir das also: An diesen Symptomen, die ich vorhin bei Bens Nähe gezeigt hatte, war nicht Ben selbst, sondern mein leerer Magen schuld.

»Wolltest du nicht eigentlich wissen, was meine Ex meinte?«, wechselte Ben geschickt das Thema. Seine Beine waren so lang, dass er sie neben mir ausstreckte, und er verschränkte die Arme. Wenn man einen Stummfilm mit ihm drehen würde, wäre er wohl James Dean. Dann kam sein Gerede dazu, und vorbei war es mit Gentleman und Charmeur.

»Richtig«, nickte ich. Die Kellnerin, deren Pferdeschwanz bei jedem ihrer Trippelschritte wippte, kam erneut zu uns und brachte beiden von uns eine Speisekarte. Diese war nicht halb so glamourös wie vorgestern, als wir in Mexiko zu Mittag mit Bens Eltern essen waren, doch dafür, dass Gabriella mich nun nicht mit nervigen Fragen durchlöchern konnte, nahm ich die klebrigen, laminierten Blätter gerne in Kauf, zumal sie mit Liebe verfasst worden waren.

»Ich kann genau gar nichts davon lesen«, stellte ich wenig begeistert fest. »Das ist alles auf Spanisch!«

»Spanisch ist die am zweithäufigsten gesprochenste Sprache der Welt. Es wäre also eine gute Investition in die Zukunft, wenigstens die Basics zu beherrschen«, belehrte mich Ben. Ich verschränkte die Arme.

»Dann sag du mir doch mal, Mr. Superschlau, was da drinsteht!«, fauchte ich. Für mich war das bloß eine Aneinanderreihung an Buchstaben mit komischen Apostrophen. Das wars.

Ben seufzte. »Wie lautet das Zauberwort mit zwei T?«

»Flott«, sagte ich mit einem schelmischen Grinsen.

Ben starrte mich einen Moment lang mit einem so undefinierbaren Blick an, dass ich mich fast schon fragte, ob ich etwas Falsches gesagt hatte, doch dann seufzte er und setzte sich auf.

Gerade, als er die Karte aufschlug, näherte sich wieder die Kellnerin. Nun, bei der überschaubaren Tischanzahl von drei am Stück war es schließlich auch kein Wunder, dass sie unverhältnismäßig oft zu uns kam.

»Puedo traerte algo para beber?«, fragte sie lächelnd. Tatsächlich war sie eigentlich sehr hübsch: Vielleicht zwanzig Jahre alt, groß, schlank und mit Sommersprossen am ganzen Körper, sogar ich das erkennen konnte, ausgestattet. Die Pigmente bedeckten ihre Arme, ihre Beine und auch ihr Gesicht. Sogar auf ihren Fingern waren Sommersprossen zu sehen.

Abgesehen davon war ich mir ziemlich sicher, dass hinter ihrem breiten Grinsen, mit dem sie die niedliche Lücke zwischen ihren Schneidezähnen offenbarte, mehr als bloß formale Höflichkeit steckte.

Keine Ahnung, wieso, aber irgendwie sprang da wieder der eifersüchtige Hund in mir auf, der allen deutlich zeigen wollte, dass Ben und ich ein Paar waren. Und das obwohl niemand in der Nähe war, dem wir unsere Beziehung beweisen mussten.

Trotzdem lächelte ich fröhlich, obwohl ich kein Wort verstanden hatte. Gott, ich kam mir so bescheuert vor.

»Was möchtest du trinken?«, fragte Ben an mich gewandt, ebenso lächelnd. Ich hasste es irgendwie, dass er und die Kellnerin sich auf ihrer Geheimsprache verständigen konnten, während ich daneben saß und null Komma gar nichts verstand.

»Ein großes Glas Cola«, antwortete ich gereizt. Dass er immer mit allen Mädchen flirten musste, die ihn umgaben, fand ich nämlich so gar nicht cool.

Ben nickte und bestellte sich selbst auch etwas, wobei ich natürlich wieder nicht verstand, was er sich bestellt hatte. Es klang irgendwie wie Serwessa.

»Zurück zu der Liste«, sagte ich, härter als beabsichtigt. Wenn ich wusste, welche Fehler Ben hatte, dann würde es mir vielleicht leichter fallen, zu ignorieren, dass er pausenlos mit anderen Frauen flirtete. Kian würde sich heute noch etwas anhören können. Die Ausrede, dass niemand mit Ben zusammen sein wollte, konnte er sich in den Popo stecken. Ganz offensichtlich war er ein Frauenmagnet, und ich saß wie der begossene Pudel, das fünfte Rad am Wagen, daneben, wenn er mal wieder flirtete, und wartete auf bessere Zeiten.

»Was genau willst du wissen?«, fragte Ben. Wieso klang seine Stimme genau jetzt, wo ich ihn gerne an die Wand nageln und dort hängen lassen würde, so samtig und rau und sexy?

Mit verschränkten Armen starrte ich ihn feindselig an. Vielleicht würde er sich vor meinen Augen in Luft auflösen?

»Alles.«

Er hob die Augenbrauen. »Toll. Sie meinte, ich hätte Asperger, wäre Autist und würde nicht auf ihre Bedürfnisse eingehen, obwohl sie klarerweise einfach nur eine Frau war, die sehr viel Aufmerksamkeit brauchte. Wenn ich ihr ein Kompliment machte, sagte sie, dass das nicht stimmte, also machte ich ihr keine Komplimente mehr, woraufhin sie sich aufregte, warum ich keine machte.«

»Mhm. Klassischer Fall von Fishing for compliments«, kommentierte ich seine Aufzählungen.

»Jedenfalls meinte sie dann noch, dass ich sie öfter sexuell befriedigen sollte — obwohl sie diejenige war, die nie Lust hatte — dass ich ein Problem habe, weil ich es nicht mag, wenn Kurz- und Langarm-Shirts in einem Regal liegen und — ach ja — dass ich ein Problem habe, weil ich die Gurke nicht aus meinem Cheeseburger entferne.« Er schüttelte den Kopf. »Sie war die mit dem Problem.«

»Das unterschreibe ich jetzt mal nicht«, murmelte ich und überschlug die Beine. Mittlerweile war es dunkel geworden, weshalb die Kellnerin noch einmal zu uns kam und die kleine Kerze zwischen Ben und mir anzündete.

Ich schluckte. Durch den hellen, orangenen Schein der Kerze sah ich sein Gesicht sehr viel deutlicher. Seine Augen lagen wie zwei Saphire ruhig in den Augenhöhlen, doch ich wusste genau, dass er alles im Blick hatte. Ben war jemand mit einer unglaublichen Beobachtungsgabe. Seine Nase war knubbelig und vielleicht ein bisschen zu lang. Aber irgendwie mochte ich das. Außerdem war der Nasenrücken ein bisschen schief, als hätte er in jüngeren Jahren mal einen Ball auf die Nase bekommen und war danach direkt weiter ins Krankenhaus gefahren.

Seine Lippen waren schmal. Ein schmaler Strich, doch wenn er sie zu einem Lächeln verzog, sah ich deutlich die Grübchen auf seinen Wangen — zwei tiefe Furchen, die so viel mehr Herzlichkeit ausstrahlten, als das meiste an ihm.

Ich merkte erst, wie intensiv ich ihn anstarrte, als eine Weile keiner von uns beiden etwas sagte. Ben sah mich nämlich genauso offen und interessiert an, wie ich ihn, als würde er ebenso jeden Zentimeter meines Gesichtes erkunden und studieren. Meine kleine Stupsnase — die ich selbst eher als knubbelige Knollnase, als als süß bezeichnete — meine viel zu großen Lippen, die meinem Gesicht immer einen schockierten Ausdruck verliehen. Die Sommersprossen, die großen Augen, die Haare, die mir dank meines Seitenscheitels immer wieder ins Gesicht fielen.

Schließlich brach ich den Blickkontakt, indem ich mit einem nervösen Lächeln meine Haare richtete und zu Boden sah.

»Sie hatte recht. In vielen Dingen. Ich bin definitiv nicht der Typ, den man an jeder Straßenecke trifft. Aber das wusste sie von Anfang an. Ich habe ihr gesagt, dass ich nicht versprechen kann, sie glücklich zu machen.« Er seufzte, senkte aber nicht den Blick. Stattdessen sah er mich weiterhin so intensiv an, dass mein Herz ein paar Male aussetzte. Mir stieg die Wärme ins Gesicht — was natürlich genauso gut an der hellstrahlenden Kerze zwischen uns liegen konnte.

»Und dann?«, fragte ich atemlos.

Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe schnell gemerkt, dass das mit uns nichts werden würde. Von Anfang an war ich nicht sehr überzeugt. Ich habe mich immer mehr in mein altes Leben zurückgezogen, mich auf die Uni konzentriert und ... naja, sie fand das nicht so toll. Ich ... ich finde es ohnehin schwierig, eine Balance zwischen mir und meinen Beziehungen — egal, zu wem — zu schaffen. Ich bin vermutlich einfach nicht der Typ für sowas. Feste Bindungen.« Er schüttelte den Kopf, als hätte er gerade etwas Ekliges geschmeckt.

»Dafür ist man nicht der Typ. Das ist die falsche Sichtweise, Ben.« Die Worte verließen wie von selbst meinen Mund — tatsächlich schwang ich dafür, dass ich seit Beginn der Zeitrechnung single war, ganz schön große Reden. »Eines Tages findet man einen Menschen, bei dem man sich keine Sorgen mehr machen muss. Liebe ist zwar nur ein Konstrukt unserer Gesellschaft, aber ... ich glaube, dass Freundschaft manchmal sogar wichtiger ist.«

Er zog die Augenbrauen zusammen. »Ach ja?«

»Naja, wie soll ich jemanden lieben, wenn er nicht mein bester Freund ist? Ich muss mit der Person über alles reden können. Ich muss es nicht tun, aber die Möglichkeit sollte bestehen.« Ich zuckte mit den Schultern.

Doch Ben schien dem ganz und gar nicht zuzustimmen. »Weißt du, genau das ist das Problem an Liebe und diesem ganzen Scheiß. Ich muss, ich muss, ich muss. Ich muss gar nichts außer sterben! Wenn ich jemals eine Partnerin haben sollte, dann soll sie mir vertrauen können und ich ihr. Wenn ich etwas erzählen will, dann mache ich das, und wenn nicht, dann nicht. Ich will meinen Platz in einer Beziehung haben, und ich will mich nicht rechtfertigen müssen. Ich bin vielleicht nicht der durchschnittliche Typ von nebenan, aber jeder, der sich auf irgendwas mit mir einlässt, weiß das.«

»Ja«, sagte ich trocken. Das stimmte.

»Gut, dann haben wir das ja geklärt«, sagte Ben.

»Toll«, murmelte ich.

»Sehr gut.«

»Bombastisch.«

»Perfekt.«

»Wie viele Synonyme kennst du eigentlich noch?«, fragte ich kopfschüttelnd und schob das Besteck vor mir zurecht.

»Hervorragend, vorzüglich, förderlich—«

»Das war eine rhetorische Frage«, murmelte ich und verschränkte wieder die Arme.

»Ach so. Dann — sehr witzig«, fauchte er sarkastisch.

Glücklicherweise unterbrach uns die Kellnerin erneut, denn sie servierte die Getränke. Für mich eine große Cola mit Eiswürfeln und einer Zitrone und für Ben ein großes Bier. Das überraschte mich aus irgendeinem Grund. Warum überraschte mich das?

Ich hätte Ben einfach nicht als jemanden, der Bier trank, gesehen.

Tja, aber offensichtlich konnte man sich gewaltig täuschen, denn Ben nahm sofort einen großen Schluck von seinem Bier und stieß einen zufriedenen Laut aus.

»Du ... hast da was«, murmelte ich und deutete auf meine Oberlippe, um ihm anzudeuten, dass er gerade mit einem Schaum-Schnauzer vor mir saß.

Seelenruhig wischte er sich den Mund ab, wobei die Serviette an der feuchten Stelle zu knittern begann, und warf dann erneut einen Blick in die Speisekarte.

»Dann stellen wir uns gleich der nächsten enorm wichtigen Frage: Was sollen wir essen?«, murmelte Ben vor sich hin, während er begann, die Hieroglyphen zu studieren.

»Redest du von dir selbst im Majestätsplural?«, fragte ich ironisch.

»Naja, du bist ja meine Sprachverlängerung. Dachte, es wäre freundlicher, wenn ich von ›uns‹ spreche — aber dann rede ich halt nur noch von ›mir‹.« Ben zuckte mit den Schultern.

»Na wunderbar. Sehr beruhigend.«

Ich wartete darauf, dass Ben mir die Speisekarte fertig vorgetragen hatte, und entschied mich schließlich für Gallo Pinto, dem typischen Nationalgericht von Costa Rica. Reis und Bohnen, wenn das mal nicht eine würzige Nacht gab ... Doch andererseits — was sollte es. Früher oder später würde der Tag kommen, an dem ich vor Ben pupste. Dann eben früher.

»Ich geh mal kurz wohin«, meinte Ben und stand auf.

»Wohin gehst du?«, fragte ich verwirrt, weil ich den Wink nicht sofort kapierte.

»Vermutlich zur Hölle«, antwortete Ben grinsend. »Spaß, an den Ort der Wahrheit ...« Er wackelte mit den Augenbrauen. Ich seufzte und lehnte mich tiefer in den Stuhl. Oh. Auf die Toilette.

Doch gerade, als Ben verschwunden war, kam die Kellnerin wieder zu uns. Scheiße. Wie sollte ich bestellen, wenn ich kein Spanisch konnte? Ich konnte ja nicht einmal erklären, dass ich kein Spanisch konnte und deswegen auf Ben warten musste!

Ich vergrub meinen Kopf, der mittlerweile vermutlich hochrot angelaufen war, etwas in der Hand, doch heute hatte wirklich niemand Mitleid mit mir. Erbarmungslos bleib das Mädchen vor mir stehen und holte ihren Block hervor, gemeinsam mit dem Kugelschreiber.

»¿Que sera?«, sagte sie und sah mich fragend an.

»Ähm ...«, murmelte ich und kratzte mich am Kopf. Scheiße, was zum Teufel sollte ich jetzt tun? Die wusste doch genau, dass ich kein Spanisch konnte, also wieso musste sie mich genau jetzt ansprechen?

Ich griff schließlich auf eine altbewährte Methode zurück. Wie hatte man sich schließlich früher verständigt, wenn es Kommunikationsprobleme gab?

Richtig, über Zeichensprache.

Deswegen deutete ich auf meinen Mund und schüttelte Kopf und Zeigefinger, um zu verdeutlichen, dass ich kein Spanisch konnte. Die Kellnerin sah mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank.

Toll, Hannah, wirklich super gemacht.

»Que?«, fragte sie. Ich wurde immer unruhiger – und von Ben war weit und breit keine Spur.

»Ähm ...«, murmelte ich und sah mich nach ihm um. Die Kellnerin zog verwirrt die Augenbrauen zusammen und sah mich an.

Erneut versuchte ich ihr mittels meiner minder ausgeprägten Zeichensprachenkünste zu kommunizieren, dass ich kein Spanisch verstand und sprach.

»Estás bien?«, fragte sie.

Ich antwortete nicht. Ich kam mir so dumm vor, dass ich am liebsten meinen Kopf gegen die Tischplatte gedonnert hätte, weil es mir auch noch so unangenehm war.

Glücklicherweise erschien in diesem Moment Bens Gesicht wieder in der Türe, denn er kam geradewegs zurück zu mir an den Tisch. Offensichtlich amüsierte es ihn, wie ich versuchte, mich mit Händen und Füßen zu erklären, denn er setzte sich mit einem eindeutig zu breiten Grinsen, als dass es unschuldig sein könnte, an den Tisch.

»Que sera?«, wiederholte sich die Kellnerin. Ich konnte ihr die Erleichterung deutlich ansehen. »Lo siento, ¡no sabía que tu novia era tonta!«

Ben zog überrascht die Brauen hoch. »Que?«

Die beiden redeten auf Spanisch, weshalb ich demonstrativ in die Luft schaute und offensichtlich zur Schau gab, dass ich wieder einmal das fünfte Rad am Wagen war.

Nach einigen Minuten schließlich verließ uns die Kellnerin wieder. Sofort fiel Bens Blick auf mich, und zurück war dieser schnelle Herzschlag. Ich zwang mich, normal weiterzuatmen.

»Wieso genau glaubt sie, dass du stumm bist?«, fragte Ben amüsiert, während er sich nach vorne lehnte und die Ellbogen auf dem Tisch abstützte.

Ich verdrehte die Augen. »Keine Ahnung«, murrte ich.

»Oh, ist da jemand eingeschnappt?« Er grinste immer noch.

»Nein, wieso auch? Du flirtest ja nur mit ungefähr jedem weiblichen Wesen hier auf dem Planeten außer mit der Person, mit der du eine Beziehung vortäuschst.« Ich sah demonstrativ in eine andere Richtung, um mich nicht von Bens klaren, blauen Augen beirren zu lassen.

»Flirte ich nicht auch mit dir?«, fragte er rau.

Ich sah ihn an, als wäre er irgendwie bescheuert. »Äh, offensichtlich nicht?«

»Oh. Dachte, ich würde es offensichtlich genug machen ...«

Mir blieb der Mund offen stehen. »Wie bitte?«, fragte ich entgeistert. »Das nennst du flirten

Ben kratzte sich am Kinn, wo sich bereits der Schatten seines dunklen Dreitagebartes zeigte, obwohl er ihn erst heute Morgen rasiert hatte. Dann fuhr er sich durch die dunklen Haare. »Nun ja ...«

»Also wenn das für dich flirten ist, dass du mir sagst, mein Hintern sei riesig, dann will ich nicht wissen, wie es ist, wenn ich wirklich deine Freundin wäre«, murmelte ich kopfschüttelnd.

Er zog die Brauen hoch, sagte allerdings nichts.

* * *

Bis das Essen kam, verfielen wir in Schweigen.

Es war ein Schweigen der unangenehmen Sorte.

Der Sorte, bei denen beide irgendwie etwas sagen wollten, aber keiner so richtig wusste, wie er anfangen sollte.

Die Kellnerin stellte schließlich einen dampfenden Teller vor mich und einen vor Ben. Er hatte sich ein Steak geholt, rare, denn laut seiner Expertise wäre das die einzig wahre Stufe. Ich war da ganz anderer Meinung.

»Schmeckt's?«, fragte ich schließlich, als wir uns auch beim Essen anschwiegen. Ich spürte Bens Blick auf mir, wenn ich ihn nicht ansah, und blickte ihn an, wenn er wegsah. Ein Katz-und-Maus-Spiel, wie ich es zuletzt in meiner Unterstufenzeit in der Schule erlebt hatte.

»Mhm«, machte Ben, den Mund so voll, dass er gar nicht reden konnte.

»Ich will nicht streiten, okay?«, murmelte ich schließlich in die Stille hinein. Nur der Straßenmusiker malte mit seiner Musik Farben in die kahle Landschaft zwischen Ben und mir.

»Okay«, sagte Ben.

»Okay? Das wars? Sonst hast du nichts beizufügen?«, fragte ich, immer noch gereizt. Ich zog die Brauen zusammen. »Ich möchte nicht, dass du mit anderen Frauen so ... so offensichtlich flirtest. Ich meine, wenn ich es erkenne, dann ist es schon sehr auffällig!«

»Okay«, sagte Ben erneut und säbelte an seinem blutroten Steak herum.

Ich verdrehte die Augen. »Bei einer Konversation musst du mehr als nur ›Okay‹ sagen!«

»Okay.«

Der Typ trieb mich doch glatt zur Weißglut.

»Okay«, sagte ich schließlich. Mal sehen, wie er das findet.

Ben biss von seinem Steak ab. Er hatte schöne Zähne, vermutlich hatte er lange eine Zahnspange getragen.

Oh Gott. — Wieso dachte ich über solche Details nach? Ich schüttelte den Kopf und konzentrierte mich auf mein Essen.

Gute zehn Minuten später hatte ich aufgegessen. Auch Bens Teller war so gut wie leergeputzt und er trank genüsslich seinen letzten Schluck Bier aus.

»Ich verstehe echt nicht, wie Bier Leuten schmecken kann«, murmelte ich und nippte an meinem Cola. Die Süße und die Kälte waren gerade der Balsam für meine Seele, den ich benötigte.

»Wieso? Ist doch lecker?« Er zuckte mit den Schultern, während die Kellnerin kam und die leeren Teller mitnahm, als hätte sie uns beobachtet und nur auf den Moment gewartet, zuzuschlagen. Wahrscheinlich hatte sie das auch, denn wir waren mit einem älteren Herren die einzigen Gäste, und der saß seelenruhig da und las Zeitung.

»Eh, ja, klar, wenn man bitter und ranzig in einem lecker findet, dann ist das eine zehn von zehn«, nickte ich.

»Du bist wahnsinnig, weißt du das?«, fragte Ben grinsend und stellte das leere Glas ab. »Willst du noch etwas trinken?«

Ich warf kritisch einen Blick auf meine Tasche, in der sich mein Portemonnaie befand. Zwar könnte ich mir das Essen hier leisten — immerhin waren die Preise in Costa Rica wirklich nichts im Vergleich zu denen in Wien, was mal wieder beweist, wie teuer die Stadt war — allerdings wollte ich nichts mehr trinken.

»Nein«, sagte ich deswegen bestimmt.

Nur wollte ich trotzdem nicht zurück zum Boot. Irgendwas in mir wollte noch weiterhin Zeit mit Ben — alleine — verbringen.

»Was hältst du davon, wenn wir ein wenig durch die Altstadt spazieren?«, fragte ich deswegen. Doch ich realisierte leider etwas spät, dass das Ganze wie ein romantischer Abendspaziergang bei Mondlicht und Salzwasserluft klang. Was es ja auch war. »Ganz ... normal, natürlich.«

Ben nickte. »Gerne.«

Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Die Wut, die ich zuvor auf seine doofe Art gehabt hatte, verpuffte. Stattdessen stand ich auf. »Gut. Ich geh mal wohin.«

»Wohin denn?«, äffte er meine vorigen Worte nach.

»Zur Hölle, wahrscheinlich!«, wiederholte ich seine Worte grinsend.

Vermutlich wäre die Situation für jeden anderen komisch gewesen, aber Ben kapierte es. Er lachte leise und schüttelte den Kopf.

Ja, vielleicht hatte ich einen Draht zu ihm. Einen, den nicht jeder hatte. Vielleicht lag es daran, dass wir denselben Knall hatten, oder wie auch immer es Kian auszudrücken vermochte. Was es auch war, es gefiel mir.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top