Kapitel 17 - Tschernobyltomate meets Darm-TNT

Die restliche Fahrt verlief ereignislos — was vielleicht daran lag, dass ich für die übrigen zwei Stunden meine Klappe hielt und auch Ben keinen Kommentar losließ.

Als das klapprige Taxi in Puerto Limón hielt, neigte sich der Tag bereits dem Ende zu. Es war bereits kurz nach acht Uhr, allerdings war die Sonne immer noch nicht untergegangen. Dafür war es immer noch ziemlich heiß, wie ich feststellte, als das Auto mitten am Hafen hielt.

Gabriella drehte sich zwar zu uns um und sagte irgendwas zu Ben, Lisa — das war Barbies richtiger Name, wie ich im Laufe der Fahrt herausgefunden hatte — und Kian, aber weil es auf Niederländisch war — und sie mir damit unmissverständlich klarmachte, dass es nicht für meine Ohren bestimmt war — ignorierte ich sie. Ich war sowieso viel zu sehr mit Beobachten beschäftigt.

Nie zuvor war ich in Südamerika gewesen, schon gar nicht in Costa Rica. Das Einzige, was ich über dieses Land wusste, war, dass es vor Lebensfreude und Energie strahlte. Hier gab es tropische Wälder, die schönsten Naturabbildungen, und weite Strände. Bunte Häuser, Cafés und kleine Boutiquen.

Der Hafen von Puerto Limón war klein, denn die ganze Stadt war recht überschaubar. Man baute hier hauptsächlich Flachdächer und einstöckige Häuser, dafür allerdings in den schrillsten Farben. Sogar jetzt, in der abklingenden Sonne, strahlten die Häuserwände gelb, orange und rot. Auch das Wasser spiegelte den Himmel in einem satten Blau wider, obwohl wir uns hier am Hafen befanden.

Dieser war übrigens erschreckend winzig. Ein Kreuzfahrtschiff parkte irgendwo am offenen Meer und einige kleinere Boote waren befestigt worden. An der Promenade waren einige kleine Lokale, in denen viele Touristen zu Abend aßen. Girlanden leuchteten und verliehen den Gastgärten ein romantisches Flair.

Ich konnte mich erst aus dem Starren losreißen, als Ben mich etwas unsanft in die Seite boxte.

»Au«, murrte ich und riss den Blick vom Fenster. »Was ist denn?«

Erst jetzt fiel mir auf, dass wir die einzigen beiden waren, die noch im Auto saßen. Abgesehen vom Taxifahrer natürlich, dessen kleine, dunkle Augen mich nach wie vor im Rückspiegel beobachteten. Gab es irgendeine Sache, die gruseliger war, als Augenkontakt über den Rückspiegel mit dem Fahrer zu haben?

Ich bezweifelte es stark.

»Aussteigen. Wir sind da, falls du es nicht gemerkt hast«, erklärte Ben und nickte mit dem Kinn zum Hafen.

»Ach, wirklich?«, fragte ich sarkastisch. Ich hätte gerne irgendwas Schlagfertiges, Lustiges gesagt, doch mir fiel in diesem Moment auf die Schnelle einfach nichts ein. Außerdem erstreckte sich die Müdigkeit allmählich über all meine Extremitäten, weshalb ich auch keine Lust auf eine Grundsatzdiskussion mit Ben hatte.

Obwohl mich seine Motive für diese bescheuerte Karottendiät durchaus interessierten.

Ben nickte überflüssigerweise. »Brauchst du irgendwie Hilfe beim Aussteigen oder sind die Nervenbahnen vom Gehirn in die Beine nicht lang genug?«, fragte er genervt.

»Tja, das leider nicht. Aber manches Mal habe ich komische Reflexe, da treten meine Beine einfach wild um sich. Zum Beispiel in die Testikeln.«

Ich verschränkte die Arme und zog eine Augenbraue hoch, während ich Ben herausfordernd ansah. An dem kurzen Zucken seiner Lider bemerkte ich, wie er sich den Schmerz eines Trittes in die Eier gerade mehr als bildlich vorstellte, weshalb sich ein Lächeln auf meine Lippen stahl. Alles lief nach dem Plan.

»Steig einfach aus«, knurrte Ben und schüttelte den Kopf.

»Glaubst du, ich bin ein Hund, dem du alles befehlen kannst?«, fragte ich höhnisch.

»Dann steige eben ich aus«, fauchte Ben.

»Gut, dann steig du aus!«, keifte ich hinterher. Leider war Müdigkeit meistens der ausschlaggebende Faktor dafür, dass die Bitch in mir herauskam. Ben rollte nur die Augen, dann rutschte er tatsächlich auf den Platz, auf dem Kian vorhin noch gesessen hatte, hinüber und stieg aus dem Auto aus. Das Zuknallen der Autotüre war so kraftvoll, dass der Jeep ungelogen wackelte.

Toll, nun war ich alleine da. Unglücklicherweise machte ich den Fehler, einen Blick in den Rückspiegel zu werfen – nur um zu sehen, dass der Taxifahrer mich immer noch anstarrte. Deswegen murmelte ich ein hastiges ›Gracías‹ und verließ eilig den Wagen.

Die Van Hagens und Miss Blondie (mir war unterwegs ihr Name wieder eingefallen – Lisa) standen bereits abwartend beim Kofferraum, allen voran das wütende Muttertier alias Gabriella.

»Wir haben nicht bis übermorgen Zeit«, keifte sie mich an. Was vermutlich so viel heißen sollte, wie: Beweg deinen Hintern hierher und hol deinen Koffer!

Tja, und leider erwachte bei akuter Müdigkeit und Erschöpfung nicht nur die Zicke, sondern auch das Teufelchen in mir. Diabolisch langsam ging ich zu ihr, wobei ich Ben so eindringlich anstarrte, dass er fragte: »Was denn?«

Ich hüstelte lächelnd. »Koffer ...«

»Was?«

»Der Koffer!«, zischte ich nun etwas lauter.

»Ich glaube, du sollst ihr helfen, den Koffer rauszuhieven«, flüsterte Kian so laut, dass es wirklich jeder hörte. Lisa konnte kein Deutsch, weshalb sie es vermutlich nicht verstand, aber das war auch nur ein schwacher Trost. Gabriella zog die Brauen kritisch hoch und Hendrik kratzte sich verzweifelt am Kopf.

Ja, das Ganze hier war auch wirklich zum Verzweifeln.

Mürrisch löste sich Ben aus seiner Beobachtungspose, in der er die Bewegungen der Möwen genau betrachtet hatte, und kam zu mir herüber, um diesen verdammt schweren Koffer aus dem Kofferraum zu heben. Sobald er den Kofferraum zugeklappt hatte, fuhr der Taxifahrer so rasant davon, dass ich überrascht zusammenzuckte.

Okay, deswegen also der eindringliche Augenkontakt.

Er wollte, dass wir uns beeilten.

Mit den Koffern im Schlepptau standen wir also da — eine vierköpfige Familie, eine echte Freundin und eine gespielte Freundin — und sahen uns ratlos um. Nur Kian schien wirklich zu wissen, wo wir lang mussten.

»Mr. Dubs meinte, dass die Yacht auf C13 steht ...«, murmelte er vor sich hin, während er sich nach den Bodenmarkierungen umsah.

Ich hatte keine Ahnung, was C13 bedeutete, doch ich vermutete, dass es der dritte Steg war. Steg? Nannte man das überhaupt so? Ach, was wusste ich denn. Mich mit Yachten zu beschäftigen hatte ich eigentlich erst vorgehabt, wenn ich mal das Geld dazu hatte, eine Yacht zu bewohnen — und aus der Perspektive der finanziell benachteiligteren Hannah von vor einer Woche war das sehr weit in der Zukunft.

»Da lang«, sagte Kian und deutete nach rechts. »Da geht es zur Yacht.«

Ben hatte es mittlerweile aufgegeben, die Unterschiede zwischen Yachten und Booten und anderen Wassergefährten zu erklären. Vielleicht war er auch müde — obwohl ich mittlerweile ja schon gemerkt hatte, dass Ben eigentlich nie müde war.

Naja, fast nie zumindest. Er war einer dieser Leute, die zwei Nächte durchfeiern könnten. Nicht, dass er es tat, aber er würde es überleben. Wenn ich dagegen nicht meine acht Stunden Schlaf bekam, mutierte ich zu einer Person, von der man sich wünschte, sie lieber nicht getroffen zu haben.

»Bist du dir sicher?«, fragte Ben.

»Todsicher«, versicherte Kian, doch es klang nicht so selbstbewusst, wie es sollte.

»Dann steht unserem Tod ja nichts mehr im Wege«, murmelte Ben, ehe er sich mitsamt seinem Koffer in Bewegung setzte und seinem kleinen Bruder folgte.

Wir stiefelten die Promenade entlang, Gabriellas Füße auf ihren hohen Hacken klackerten bei jedem Schritt, ehe Kian die erste Abzweigung nahm. So ein Hafen konnte verdammt verwirrend sein, obwohl er gar nicht so groß war. Wenn ich nur an den Hafen von Nizza oder Monaco dachte, wurde mir ganz flau im Magen.

»Tadaaaaa«, machte Kian mit einem breiten Lächeln, als wir schließlich vor dem Boot standen, in dem wir die nächsten vierzehn Tage verbringen sollten.

Mir klappte fast die Kinnlade runter. Nun, lasst mich spezifizieren: Sie klappte mir tatsächlich runter. Mit geöffnetem Mund stand ich da und betrachtete das Schiff, das sich vor meinen Augen erhob.

»Warte mal ...«, sagte Ben. Er kam auf mich zu und hob mein Unterkiefer, sodass meine Zähne aufeinander knirschten. »So macht man das. Besser für dich selbst, dann kommen keine Gelsen rein. Diese Viecher können zu dieser Jahreszeit in Costa Rica ganz schön lästig sein ... Du bist doch gegen FSME geimpft, oder?«

Ich war viel zu überwältigt von der Schönheit der Yacht, um auf Bens dummes Gerede einzugehen. Die Yacht hieß Vredesduif, was in geschwungenen Lettern groß auf dem Bug des Schiffes zu lesen war. Außen war das Schiff schwarz und hatte eine lange, spitze Schnauze. Das Heck war hochmodern, alles glänzte selbst im Abendlicht noch fein geputzt und aufpoliert. Die Fenster, die niederländische Fahne, die Steuerkajüte, das Deck — dieses Boot war der Inbegriff von Ästhetik in seiner Endstufe.

»Wow«, war das Einzige, was ich rausbrachte.

»Ja, ganz schön toll, nicht wahr? Deswegen denke daran: Arbeite immer viel, eines Tages wirst du dir das auch leisten können«, zerstörte Gabriella meine Bewunderung in einem Satz. Ich zog wütend die Augenbrauen zusammen und war schon drauf und dran, zu fragen, ob sie denn das Geld, das diese Yacht gekostet hatte, selbst erarbeitet hatte, doch Ben griff in diesem Moment so überraschend nach meiner Hand und drückte sie, dass meine Wut augenblicklich eine Sekunde verpuffte.

Aber nur für einen Moment. Kian sah mich bittend an — und ich schwöre, Hendriks entnervter Blick war der einzige Grund, weshalb ich mich am Riemen riss und meine Klappe hielt. Ihm schien dieses ständige Gestichel ziemlich auf die Nerven zu gehen.

»Dann lasst uns doch endlich hinein in die gute Stube gehen«, sagte er mit einem väterlichen Lächeln auf den Lippen. Mit einer zuvorkommenden Handbewegung deutete er uns an, dass wir doch eintreten sollten. Als mein Blick auf die winzige Verbindung zwischen dem festen Boden und dem Boot fiel, wurde mir wieder ganz flau im Magen und allmählich begann sich das Flugzeugessen, das nebenbei wie vorgekaut und ausgekotzt geschmeckt hatte, in meinem Magen zu drehen. Wie zum Teufel sollte ich meinen Koffer da irgendwie raufbekommen?

Aber als hätte Gott meine Sorgen erhört, traten in diesem Moment zwei Pagen aus dem Schatten des Bootes. Sie warfen eine breitere Verlängerung der Brücke über Bord, sodass man etwas entspannter hinüberspazieren konnten. Dann kamen beide zu uns her und nahmen ohne ein einziges Wort unsere Koffer, um sie zu verstauen.

»Wir werden nachher zurückkommen. Als erstes sollten wir etwas essen gehen — den ersten Abend in Puerto Limón gebührend feiern!«, erklärte Hendrik, der meinen verwirrten Blick aufgriff.

»Oh«, machte ich bloß. Gut, das erklärte es.

»Also, wonach beliebt euch?«, fragte er. Doch da er dabei nur mich ansah, sah ich es als meine Aufgabe, zu antworten.

»Ach ... Ich weiß nicht. Vielleicht etwas Traditionelles, um uns mit der Kultur vertraut zu machen?«, fragte ich, wobei es eher nach einer unsicheren Frage klang.

Kian nickte, bevor jemand meinen Vorschlag zunichtemachen konnte. »Das halte ich für eine ausgesprochen tolle Idee!«

»Mh«, machte Gabriella zähneknirschend.

Am liebsten hätte ich der Frau gerade jedes ihrer blondierten Haare einzeln ausgerissen, in hässliche Farbe getunkt und dann mit Gaffer-Band wieder angeklebt. Dieser Gedanke befriedigte meine Wut auf eine seltsam diabolische Art. Ich glaube, es wird Zeit, sich Sorgen um meine Psyche zu machen.

Um nichts zu sagen, drehte ich mich einfach um und sah stattdessen Ben an, der mich ebenso in diesem Moment musterte. Wie viel das besser war, konnte ich noch nicht einschätzen, aber ich gab mir definitiv lieber Bens Visage als die seiner Mutter.

»Lass uns abhauen«, murmelte ich in seine Richtung.

»Was meinst du?«, fragte er, begriffsstutzig wie immer, zurück.

»Abhauen, wie in Weglaufen«, erklärte ich mürrisch.

»Aber ...«

»Kein Aber!«

»Was soll ich meinen Eltern erzählen?«

»Der Sinn von Abhauen ist, dass die anderen es erst merken, wenn man schon weg ist«, sagte ich augenrollend. »Was stimmt eigentlich nicht mit dir?«

»Willst du eine Liste?«, fragte er ironisch. »Meine Ex hat mir freundlicherweise eine dagelassen, nachdem sie über Nacht ausgezogen ist.« Er rollte die Augen, kam dann aber zum eigentlichen Thema zurück (obwohl mich das mit seiner Ex durchaus interessiert hätte). »Okay. Abhauen. Und wohin?«

»Das überlegen wir uns am Weg«, sagte ich schulterzuckend.

»Mhm«, machte er wenig überzeugt. »Das ist unlogisch. Bei einem Fluchtplan ohne Ziel endet die Reise meistens im Gefängnis.«

»Was willst du mir damit sagen? Dass wir in einer Sackgasse bei einem Gemüsehändler mit Chernobyl-Tomaten landen, die Bullen in den Sackgassen abhängen und mich die Jalapeños vom Mittagessen bis in meine Träume und noch lange zur Kloschüssel begleiten werden?« Vielleicht klang meine Stimme ein bisschen zu hysterisch — jedenfalls drehte sich Lisa interessiert zu uns.

»Du hast einen Vogel, Hannah«, sagte Ben kopfschüttelnd.

Unter Lisas Blick fühlte ich mich ein bisschen unwohl, weshalb ich Ben kurzerhand am Ärmel ein paar Schritte abseits mit mir zog. Meine Finger streiften seine warme Haut, was ein Kribbeln in meinen Händen auslöste.

»Also«, sagte ich schließlich und verschränkte die Arme. »Nachdem du keine Anstalten machst, mich vor deiner Mutter zu verteidigen, obwohl sie mir ganz offensichtlich zu spüren gibt, was sie von mir hält, habe ich wirklich keine Lust, jetzt auch noch mit ihr zu essen. Lieber faste ich.«

Pünktlich begann mein Magen zu knurren. Ben sah mich mit einer hochgezogenen Braue an und blickte von mir zu seiner Mutter und wieder zurück.

»Es ist jetzt kurz vor neun. Wenn wir uns beeilen, bekommen wir noch einen Platz in irgendeinem Lokal.« Er zuckte mit den Schultern. »Es hat sicher niemand etwas dagegen, immerhin macht das unsere ... Liebesbeziehung nur glaubwürdiger.« Ben sprach mit gesenkter Stimme, allerdings hatte ich trotzdem Angst, dass uns jemand hörte, weshalb ich den Finger auf die Lippen legte.

»Psst«, fauchte ich. »Und jetzt sag irgendwas Nettes zu mir, damit deine Mutter es hört und glaubt, wir würden nicht gerade streiten.« Ich warf einen Blick zu Gabriella. Ja, wir waren definitiv ein Blockbuster für sie. Ihr Leben musste ja wirklich langweilig sein, wenn sie das ihres Sohnes so überwachte.

Hoffentlich würde das bei mir anders sein, wenn ich fünfzig war.

Ja, denn da wirst du zehn Katzen haben, alle nach Jesus-Reagan benannt und nummeriert, die ziemlich dick und ziemlich haarig sind. Ach, wie nett. Mein mangelndes Selbstwertgefühl ließ mich auch wirklich nie im Stich — wenigstens auf einen konnte ich hier zählen.

»Du hast ... schöne ... Zähne«, sagte Ben.

Ich zog eine Braue hoch. »Das soll ein Kompliment sein?«, fragte ich ungläubig.

Er zuckte mit den Schultern. »Wieso sollte ich dir etwas sagen, was sowieso offensichtlich ist? Der ganze Punkt vom Komplimente-geben ist doch sinnbefreit.«

»Hm.« Darin lag mehr Wahrheit, als ich gerne hätte.

»Also. Du hast zwar einen großen Po, aber dafür sind deine Sommersprossen süß.« Ben lächelte.

Ich dagegen fiel aus allen Wolken.

»Bitte?«, rief ich, während ich ihn entrüstet anstarrte. Wow, das kam also auch auf die Liste der Dinge, die er dringend lernen sollte: Frauen nicht immer die 100%ige Wahrheit zu sagen.

»Und du hast eine krumme Nase und bist dein Leben lang single gewesen«, fauchte ich. Dass mein Argument von hinten bis vorne hinkte, fiel mir leider erst auf, als die Worte bereits meinen Mund verlassen hatten. Deswegen fügte ich schnell hinzu: »Wenn wir jetzt nicht sofort essen gehen, werde ich zur Chernobyl-Tomate und explodiere hier, bevor die Polizei Wind von uns bekommen hat, kapiert?«

Meinem Tonfall zufolge duldete ich keinen Widerspruch, weshalb Ben hüstelnd zu seinen Eltern trat und ihnen auf Niederländisch mein Dilemma erklärte. Allerdings war ich mir sicher, dass er die Story zusätzlich aufbauschte, denn die Emotionen, die sich auf Hendriks Gesicht widerspiegelten, änderten sich alle paar Sekunden. Das konnte nichts Gutes heißen.

Fünf Minuten später kam Ben zu mir zurück.

»Alles geklärt?«, fragte ich zur Sicherheit.

Er nickte. »Sie denken jetzt übrigens, dass du auf schnellstem Weg eine Toilette brauchst, weil du die Jalapeños nicht vertragen hast, dir schlecht ist und du Durchfall hast.«

»Bitte? Das hast du deinen Eltern erzählt?«

Er nickte. »Ist doch nichts dabei. So jedenfalls stellen sie keine Fragen, weil das Thema Darm-TNT genau richtig stigmatisiert ist — so sehr, dass man nicht gern darüber redet, aber nicht so sehr, dass man ein Außenseiter ist.«

Das wurde ja immer schöner.

»Dann lass uns abhauen, bevor ich wirklich noch die Scheißerei bekomme ...«, seufzte ich pessimistisch. Im Vorbeigehen warf ich verstohlen einen Blick auf die silberne Metalltafel, die am Steg angebracht war, in der wir uns spiegelten.

So groß war mein Hintern gar nicht. Vielleicht nicht gerade flach, aber von groß konnte auch keine Rede sein, und—

»Schaust du dir gerade wirklich deinen Po an, weil ich das vorhin gesagt habe?« Ben lachte auf.

Peinlich berührt drehte ich mich um.

»Einbildung ist auch eine Bildung«, zischte ich nur und sah stur geradeaus. Wir folgten Arm in Arm — um das Ganze glaubwürdiger zu machen — dem gepflasterten Weg vom Meer wieder zurück zur Promenade. Tatsächlich rumorte es in meinem Magen ein bisschen, allerdings konnte das genauso gut daran liegen, dass mich die Erkenntnis erst jetzt so richtig traf.

Ich war hier.

In Costa Rica.

Mit einer Familie, die ich nicht kannte, und Menschen, die eine Sprache sprachen, die ich nicht beherrschte.

Wenn ich hier verloren gehen würde, würde ich nie wieder zurückfinden.

Vielleicht klammerte ich mich deswegen etwas näher an Ben heran. Er strahlte eine immense Ruhe aus. Das gefiel mir irgendwie. Das mochte ich an seiner Nähe.

Und vielleicht begann ich langsam, diesen komischen, durchgeknallten und ziemlich schlauen Kauz mehr zu mögen, als ich es als gespielte Freundin sollte.

* Eine Chernobyl-Tomate ist eine extrem große Tomate mit Wucherungen, so genannt, weil das Gemüse nach dem Unglück wahnsinnig gut und extrem fruchtig war, aber eben sehr verstrahlt und daher ungenießbar

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