Kapitel 12 - Das erste Verhör

Gabriella.

So hieß das Monster also.

Dass seine Mutter wahrlich ein Drache war, schien Ben zu merken, als er mich langsam, aber bestimmt in die Richtung unseres Hotelzimmers lenkte.

»He, pass doch auf, ich bin ja kein Einkaufswagen«, zischte ich schlecht gelaunt, weil er mich vorwärts schubste und ich mir daraufhin meinen Ellbogen an der Wand anschlug. Gwendolyn aus Rubinrot zu zitieren gab mir zumindest etwas Sicherheit — ich hatte die Bücher von Kerstin Gier als kleines Mädchen bereits verschlungen und las sie immer wieder, wenn es mir schlecht ging.

»Sorry«, sagte er bloß. »Das da hinten ist unseres.«

Ich warf einen neugierigen Blick um die Ecke — nur um festzustellen, dass wir wirklich im hintersten Winkel untergebracht worden waren. Weit und breit war keine einzige Türe, nur die eine, hinter der wir die kommende Nacht verbringen würden.

Ich fragte mich nach wie vor, wieso ich mir das antat. Vor allem, wenn ich mir noch einmal überlegte, wie herablassend Mrs. Van Hagen mich behandelt hatte. Immerhin war ich Bens Freundin und sollte auch so behandelt werden! Ich konnte nicht glauben, wie arrogant und kühl sie mir gegenüber trat — gut, sie war älter als ich, aber gab ihr das jegliches Recht, mich so zu behandeln? Nein!

Vielleicht war das ja nur ein Ausrutscher, in Wirklichkeit könnte sie ja ganz nett sein und—

Das glaubst du doch nicht wirklich?

Mit einem Kopfschütteln wischte ich den inneren Konflikt in mir beiseite und konzentrierte mich wieder auf das Hier und Jetzt.

»Mhm. Fernab von jeglicher Zivilisation, genau, wie ich es am liebsten mag«, gab ich augenrollend von mir, während ich meinen Koffer hinter mir herzog und machte, dass ich zu dem Zimmer kam. Ich wollte mich unbedingt hinlegen, bevor wir zu Mittag aßen — mein Kopf dröhnte und ich hatte das Gefühl, die Sterne vor meinen Augen würden mich erdolchen. Zumindest für ein paar Minuten.

»Ja, wenn ich dich nachts umbringe, wird niemand deine Schreie hören«, gab Ben ebenso trocken zurück. Zugegeben, ich warf ihm einen Seitenblick zu, obwohl ich mir sicher war, dass das ein schlechter Scherz sein sollte. Aber als er mein nervöses Flackern wahrnahm, zuckte er nur mit den Schultern. »Was denn?«

»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass du deswegen keine Freundin hast, weil du sie umbringst und ihre Gedärme in deinem Keller aufhebst«, gab ich etwas spitz von mir.

Er legte den Kopf schief. »Hm, naja, gemessen an der Feuchtigkeit in meinem Keller würde wohl jeder sofort riechen, was los ist. Nein, da musst du schon ein wenig kreativer denken, um herauszufinden, wo ich meine Leichen aufbewahre.«

Er grinste und ich hatte das unbehagliche Gefühl, dass er damit irgendwas sagen wollte. Natürlich nicht, dass er wirklich irgendwen umgebracht hatte — das traute ich Ben nun wirklich nicht zu. Aber ... Die Fotos in dem Ordner hatten so abrupt aufgehört, und ich fragte mich, ob hier die Straße wohl weiter ging. Meinte er mit Leichen in seinem Keller Menschen, zu denen er die Beziehung abgebrochen hatte?

Ich erreichte die Türe als erstes und konnte mir demnach auch zuerst ein Bild von dem Zimmer machen. Im Zimmer war es richtig kalt, weswegen ich sofort die Klimaanlage ausschaltete.

»Wieso das denn? Draußen hat's fünfunddreißig Grad«, beschwerte sich Ben und ließ seinen Koffer mitten im Weg stehen.

»Eine Hommage an Greta«, sagte ich sarkastisch, wurde dann aber wieder ernst. »Es ist total kalt.«

»Oh, ich bin so kaltblütig, ich spüre das gar nicht«, sagte Ben großmäulig, woraufhin ich ihm ein Kissen an den Kopf warf.

»Ach ja?«, feixte ich. »Wusste gar nicht, dass du ein Pferd bist.«

Daraufhin sagte er nichts, sondern verschwand einen Moment lang ins Badezimmer. Ich ließ mich auf das Bett fallen. Es war so unglaublich weich, und an der Decke gab es einen Spiegel, und ich fühlte mich, als läge ich auf einer Wolke, eingebettet in weichen Federn, und ...

Meine Augen fielen wie von selbst zu, als ich auf diesem Himmelbett lag und einfach nur meinem Herzschlag lauschte. Die Lider klappten zu, und alles wurde schwarz — als hätte jemand einfach den Stecker gezogen und dieses Bild von mir in Mexiko verschwand.

»Aufwachen!«, riss mich eine Stimme aus dem Schlaf.

»Mmmh?«, stöhnte ich und hob den Kopf. Irgendwer spielte hier ganz schrecklich Klavier ... oder... was zum Teufel war das?

»Da bin ich mal fünf Minuten nicht da und schon pennst du ein«, murmelte die Stimme. Ich konnte sie endlich zuordnen, als ich dieses unverkennbare Geplapper hörte: Ben.

Als ich mich etwas aufrappelte, sah ich, dass er unruhig im Zimmer auf und ab tigerte.

»Was willst du von mir? Lass mich einfach schlafen!«, maulte ich noch immer schlaftrunken, aber Ben dachte gar nicht daran, mir Ruhe zu gewähren.

»Wir sind in zehn Minuten fürs Mittagessen verabredet«, informierte er mich nicht minder begeistert.

Ich setzte mich kerzengerade im Bett auf, als ich das hörte. Der Schock fühlte sich wie ein Stromschlag an. »Was? Zehn Minuten? Mit wem?«

Doch dann fiel mir ein, was Kian am Flughafen gesagt hatte, und ich ließ mich wieder zurück in die weichen Seidenkissen fallen.

»Nein, nein, nein«, stöhnte ich und strampelte mit meinen Beinen auf. »Diese blöde ...«

Den Satz beendete ich mal lieber nicht.

»Wenn du mich nochmal aufweckst, dann ... dann schubse ich dich aus dem Fenster!«, drohte ich, während ich mich langsam und anmutig wie ein betrunkenes Walross aus dem Bett bewegte. Ich rollte runter und landete zielgerichtet auf meinen Beinen.

Ben lugte aus dem Fenster, und ich fragte entgeistert: »Was machst du da?«

»Ach, ich schau nur, wie hoch es ist«, sagte er sarkastisch. »Natürlich nicht. Ich habe nachgesehen, ob sie schon warten! Beeil dich mal ein wenig, du bist ja langsamer als meine Großmutter und die hatte zwei Hüftimplantate.«

Ich verdrehte nur die Augen und riss meinen Koffer auf. Ich hatte gut fünf Minuten Zeit, um mich anzuziehen — Gott segne Delia, dass sie mir die Outfits bereits zusammengesucht hatte —, zu schminken und zu lernen, wie ich mich halbwegs situiert gegenüber seinen Eltern benehmen sollte.

»Wieso?«, fragte er verwirrt. Ben saß auf einem braunen Lederfauteuil und betrachtete die Speisekarte des hoteleigenen Lieferservices. Tatsächlich machte sich in diesem Moment mein Magen bemerkbar, denn ich war denkbar hungrig. Wann hatte ich überhaupt das letzte Mal etwas Vernünftiges, das nicht aus Zwiebel-Chips und Kaffee bestanden hat, zwischen den Zähnen?

Ich konnte mich nicht einmal mehr daran erinnern, so lange war das her.

»Na, weil sie adelig sind, oder?«

Obwohl ich schon mit Kian darüber gesprochen hatte, stellte ich Ben gerne diese Falle. Vielleicht war er ja anderer Meinung als sein Bruder — dass sie eben sehr wohl adelig waren.

Während ich geschickt meine Hose gegen eine weiße Leinenculotte tauschte, legte Ben seine Menükarte zur Seite und schüttelte den Kopf.

»Wir sind nicht adelig. Hat dir Kian das nicht schon gesagt? Abgesehen davon reicht es, wenn du einfach ganz normal grüßt. Vielleicht keinen Ghetto-Slang, aber ein ganz normales ›Guten Mittag‹ ist okay.« Er verschränkte die Arme und sah mir zu, wie ich versuchte, möglichst umständlich mein T-Shirt auszuziehen und ein anderes anzuziehen, ohne, dass er meinen Micky-Maus-BH sah.

»Du weißt aber schon, dass wir ab morgen zwei Wochen zusammen auf einer Yacht sind? Da sehe ich dich auch im Bikini«, gab er etwas verstört von sich, woraufhin ich, deren Gesicht gerade vom grauen Stoff verdeckt wurde, abfällig antwortete: »Das ist etwas anderes!«

»Was ist daran anders? Dieselben Stellen sind bedeckt, nur nicht durch Baumwolle, sondern durch Neopren.«

Tatsächlich klang es lächerlich, so wie er es formulierte. Ich drehte mich einfach um und wechselte das Band-T-Shirt (übrigens schrieb ich diesem alten Fummel zu, dass Mrs. Van Hagen mich so abfällig behandelt hatte) gegen ein schönes Trägertop, das ich mir einmal von Delia geliehen und seitdem nicht mehr zurückgegeben hatte. Es war karminrot und hatte zwei Schleifen an den Trägern, genau dort, wo mein Schlüsselbein war.

»Du bist blöd«, murrte ich einfach nur, woraufhin Ben rau lachte.

»Blöd, weil ich die Dinge logisch formuliere. Manches Mal klingt es ausgesprochen anders als gedacht, Hannah«, sagte er nur, und mein ganzer Körper zuckte kurz, als er meinen Namen aussprach. Er sprach das H nämlich mit einem kleinen, süßen Akzent aus, und ich musste zugeben, dass mir das schon irgendwie gefiel.

Irgendwie.

»Das tut jetzt nichts zur Sache«, antwortete ich gestresst. Gestresst, weil es mich stresste, dass Ben auf mich so eine Wirkung hatte, obwohl ich ihn nicht einmal wirklich kannte.

Er sagte nichts, sondern sah mir nur zu, wie ich hektisch ins Bad wuselte, mein Gesicht wusch, mir Mascara auftrug und etwas Puder benutzte, und dann wieder zurück ins Zimmer wuselte. Ich zog weinrote Espadrilles an und nahm dazu meinen kleinen Lederrucksack, der mich eigentlich überall hin begleitete.

Tatsächlich besaß ich erstaunlich viel Gewand dafür, dass ich eigentlich nicht allzu viel darauf gab, wie mich andere sahen.

Nein, denn ab einem bestimmten Zeitpunkt wird es einem einfach egal — es war einfach wurscht, wie wir zu sagen pflegten.

»Können wir?«, fragte ich schließlich und pustete mir verschwitzt eine Locke aus der Stirn.

Ben nickte langsam und stand gemächlich aus seinem Stuhl auf. Dort, wo er gesessen hatte, zeichneten sich zwei tiefe Furchen ab.

»Bist du bereit für die Höhle des Löwen?«, fragte er im Witz, aber ich nahm das ganze todernst.

»Absolut. Nicht.«

* * *

Dass ich absolut nervös war, war auch völlig berechtigt, denn als Ben und ich — wir hatten uns darauf geeinigt, dass ich meinen Arm bei ihm unterhakte, weil Händchen-Halten ein wenig zu intim für den Anfang war — in die Lobby traten, saß Gabriella bereits wie der Höllenhund vorm Tartaros wartend da und schielte auf ihre Uhr.

Sie beugte sich zu ihrem Mann, einem älteren Herrn mit weiß-melierten Haaren, sagte irgendwas, woraufhin er sie beschwichtigend tätschelte. Vermutlich regte sie sich darüber auf, dass ich das Problem war, und dass ich sicher der Grund war, warum wir zu spät dran waren.

... was ich ja auch war, aber nur deswegen, weil ich einfach hundemüde von diesem Flug war. Wer setzte auch sofort nach der Ankunft ein Familienessen an? Wollten sie uns auf die Probe stellen, oder was?

»Sie hasst mich«, zischte ich trocken Ben zu, achtete jedoch darauf, dass mein bestes gefälschtes Lächeln nicht verrutschte. Man könnte meinen, ich wollte Menschen mit der Farbe meiner Zähne blenden, so angestrengt lächelte ich.

»Tut sie nicht«, beschwichtigte Ben mich und zog mich etwas näher zu sich. Als ich ihn fragend ansah, meinte er bloß: »Es soll doch glaubwürdig wirken.«

Daraufhin nickte ich und wir näherten uns dem Drachen.

»Ihr seid zu spät«, war das Einzige, was Gabriella spitz zu mir und ihrem Sohn sagte. Ihr kühler Blick galt definitiv mir.

»Tut mir leid, Moeder«, sagte Ben zerknirscht.

Gabriella atmete tief durch, geprägt von ihrer Resignation, ehe sie aufstand und sagte: »Zu meiner Zeit konnten die Jugendlichen noch die Uhr lesen. Scheinbar hat sich in meiner Abwesenheit vieles in Wien getan.«

Dass das eindeutig an mich gerichtet war, war wohl kaum zu übersehen. Wie konnte Ben also denken, dass sie etwas anderes als Hass für mich empfand?

Ich merkte, wie mir ein böser Kommentar auf der Zungenspitze brannte, aber ich sah, dass Kian, der etwas abseits stand, mir einen warnenden und bittenden Blick zu warf. Deswegen ließ ich die Schimpftirade über mich ergehen — kampflos. Ich fühlte mich wie ein eingesperrter Löwe, der nur zu gerne das Maul aufgerissen und gebrüllt hätte.

Zehntausend Euro, Hannah. Du bist hier nur für das Geld. Denk daran. Zehntausend Euro.

»Du bist also die Freundin von Thijs«, sagte der Mann schließlich zu mir und stand von seinem Plätzchen auf. Er machte einen freundlichen Eindruck — seine warmen Gesichtszüge erinnerten mich an Kian, der wohl eindeutig nach seinem Vater kam.

»Ja, genau, und Sie sind?«, nickte ich mit einem freundlichen Lächeln. Es fühlte sich falsch an, jemandem so offen ins Gesicht zu lügen, aber hatte ich denn eine Wahl? Jedenfalls war es keine Option, die nächste Zeit auf der Straße zu verbringen.

Abgesehen davon würden unsere Leben sowieso in zwei Wochen getrennte Wege gehen — wir würden uns nie wieder sehen. Jedenfalls nicht als Paar und vermutlich auch nicht irgendwie anders.

»Hendrik. Bitte, sag doch du zu mir, wir sind ja quasi eine Familie. — Wie schön, dass wir dich endlich kennenlernen. Wir haben schon viel gehört«, sagte er freundlich und klopfte mir auf die Schulter. Es war offensichtlich, dass er nicht wirklich wusste, was er sagen sollte — aber immerhin versuchte er, nett zu sein, anders als seine Göttergattin.

»Hoffentlich nur Gutes«, ließ ich den Standard-Satz fallen, woraufhin Mr. Van Hagen lachte.

»Absolut«, bestätigte er. »Dann lasst uns Mittagessen gehen, ich habe schon einen Bärenhunger!«

Dieser Idee konnte ich mich nur anschließen.

* * *

»Und wie lange seid ihr nun schon zusammen?«

Wir hatten gerade erst Platz genommen, und schon prasselten weitere Fragen auf mich ein. Dass ich mich im Kreuzverhör befand — und das vermutlich die nächsten Tage auch noch — war mir klar, aber dass es so schlimm war, hätte ich nicht gedacht.

Ich wollte gerade einen Blick in die Karte werfen, aber Mr. Van Hagen hielt mich davon ab.

Wir hatten ein nettes kleines Lokal auf einer Anhöhe gefunden, von der aus man das Treiben in den Straßen Mexikos wunderbar beobachten konnte. Die Varietät an Personen war unglaublich — hier waren von Künstlern bis Businessmenschen wirklich alle Zuhause.

»Seit eineinhalb Jahren«, antwortete ich mit einem freundlichen Lächeln.

Ben, der neben mir saß, tätschelte meinen Oberschenkel, woraufhin mein Blick zu ihm glitt. Es war ... es war ungewohnt. Ich, die ich ja nie wirklich Beziehungserfahrung gehabt hatte, spielte nun die Freundin eines adeligen Kerlchens, das sonst enterbt würde. Ich konnte es nach wie vor nicht ganz glauben, dass seine Eltern so etwas tun würde, und das, obwohl ich mittlerweile seine Mutter kennengelernt hatte.

Machte das überhaupt Sinn?

Keine Ahnung. Fakt war allerdings, dass ich gerade eher als 10.000 Kilometer entfernt in Mexiko in einem netten Lokal saß und mein Leben genießen konnte.

»Und ... habt ihr euch an der Uni kennengelernt?« Mr. Van Hagen schaute sich zwar die Bilder der Gerichte an, doch er ließ nicht davon ab, mir viele Fragen zu stellen.

Ich verneinte. »Ich studiere BWL an der Wirtschaftsuniversität Wien und er ist am Juridicum. Dass sich unsere Wege gekreuzt haben, ist also ein Wunder.«

Er lachte auf, und ich zuckte bei dem tiefen, klangerfüllten Ton unmerklich zusammen.

»Wunder, ich glaube nicht an Wunder. Es hat einen Grund, warum du hier und heute bei uns sitzt.« Mr. Van Hagen nippte an seinem Weinglas und prostete mir zu.

Ja, und der Grund ist, dass dein Sohn dich jahrelang angeschwindelt hat und ich Schmiergeld bekomme, um zu schweigen.

Das konnte ich natürlich nicht sagen, weshalb ich einfach einen scheinheiligen, verliebten Blick zu Ben warf und »Vermutlich«, säuselte.

»Ach, so jung und verliebt, erinnerst du dich noch?«, sagte Mr. Van Hagen zu seiner Frau. Von ihr kam, wie zu erwarten, keine Reaktion. Sie war ein Eisklotz, der selbst bei den animalischen Temperaturen in Mexiko nicht auftaute.

Gabriella antwortete ihrem Mann nicht, sondern durchlöcherte mich mit einem starren Blick. Ich griff rasch nach meinem Wasser und wünschte mir nichts sehnlicher, als dass es sich zu Wein verwandelt hätte, ganz im Bibel-Stil.

»Eine Strandparty also«, sagte sie und legte die Karte beiseite.

»Hm?«, fragte ich etwas verwirrt.

»Wo ihr euch kennengelernt habt«, erklärte sie genervt.

»Ach, ja«, nickte ich. Mist, beinahe hatte ich das Detail, das ich ihr in der vorherigen Panik auf die Nase gebunden hatte, vergessen.

»Wo?«

»An ... der Donau. Motto am Fluss, Sie wissen schon.« Ich verhaspelte mich ein paar mal und für jeden Trottel war es offensichtlich, dass ich hier gerade ziemlich miserabel schwindelte.

Gabriella ließ sich nichts anmerken. »Es wundert mich, dass ihr euch dort kennengelernt habt, wo mein Sohn Strände doch so hasst. Aber das wusstest du bestimmt schon.«

»Bestimmt«, nickte ich. Die Hitze stieg mir zu Kopf und ich wünschte gerade wirklich, dass Jesus auferstand und mir ein Achterl Grünen Veltliner reichte. Oder Gin Tonic, dann ging es schneller.

»Was fasziniert dich an meinem Sohn?«

Die Frage kam so abrupt, dass ich mich an meinem Wasser verschluckte und erst einmal kräftig um mein Leben röcheln musste.

»Wie bitte?«, fragte ich heiser und gepresst.

»Was fasziniert dich an Ben? Warum bist du mit ihm zusammen?« Sie verschränkte die Arme und sah mich herausfordernd an.

Scheiße.

Ich zwang mein Gehirn, nachzudenken, aber alles, woran ich mich erinnerte, waren die blöden Fotos, und ...

»Karotten!«

»Wie bitte?«, fragte Hendrik etwas amüsiert. »Karotten? Hast du Hunger?«

Mein Gesicht musste mittlerweile so rot sein wie mein Top. Ich schüttelte tapfer den Kopf. »Ich war ja schon die ganze Zeit von ihm fasziniert, immerhin ist er wahnsinnig intelligent und ...« Ich warf ihm einen entschuldigenden Blick zu, den Gott sei Dank nur er sehen konnte. »Und er sieht gut aus, er ist ein guter Schwimmer — so jung hat er schon das Seepferdchen gemacht? Ich glaube es ja wirklich kaum! Und er hat die Mathe-Olympiade mehrfach gewonnen, und ...«

»Fokus«, zischte mir Ben zu, gut getarnt zwischen zwei Hustern, während er sich aufsetzte, um mir etwas Wasser einzuschenken.

»... äh, genau, und als sein Kumpel mir dann erzählt hat, dass er einen Monat lang nur Karotten gegessen hat, um ein Forschungsprojekt an sich selbst durchzuführen, ja, da war's dann vorbei mit meiner Beherrschung und ich habe mich Hals über Kopf in ihn verliebt!«

Wie zur Bestätigung legte ich meine Hand auf seine.

Einen Moment lang spürte ich lauter kleine Elektroschocks.

Dann jedoch erwiderte er die Geste und drückte meine Hand, gut sichtbar für jeden, egal ob Mutter, Vater, Kellner oder der neugierige Dackel, der wohl lieber unserem Fiasko zuhören und zuschauen wollte, als bei seinem Herrchen zu bleiben. Jedenfalls schaute er erschreckend oft in unsere Richtung.

»Karotten also«, nickte Gabriella wenig überzeugt. »Welcher Freund war das?«

»Na ...« Verdammt, gleich die nächste Karambolage. »Lukas«, log ich und nickte überzeugt. »Lukas, ein sehr guter Freund! Sie kennen sich schon ewig, haben sich beim ... Pipi-Kontest kennengelernt.«

Himmel, was redete ich denn da? Ich konnte selbst nicht glauben, wie viel Blödsinn gerade in Wallungen aus meinem Mund floss.

»Pipi-Kontest?«, fragte Kian. Er klang wenig überzeugt — wahrscheinlich dachte er, dass das ganze jetzt auffliegen würde.

»Ja, das sind Partys, wo es gratis Getränke gibt, bis der erste aufs Klo muss«, sagte Ben schnell, um unser perfektes Image zu wahren. Nun, perfekt war übertrieben, aber die wenigen Kratzer verliehen uns als Duo Charakter.

Ich nickte. »Genau. Lukas war das.«

»Ich kenne keinen Lukas«, gab Gabriella immer noch nicht auf.

Vielleicht, weil dein Sohn sechsundzwanzig ist und dir nicht jeden Scheiß erzählt, nur neugierige Frau? Abgesehen davon, du kennst Lukas nicht, weil er nicht existiert. Hundert Punkte für Gryffindor und jetzt bitte, lass uns in Frieden mit unserer Lüge leben!

Ich widerstand nur schwer dem Willen, die Augen zu verdrehen und ihr all das ins Gesicht zu brüllen, klimperte stattdessen jedoch zuckersüß mit den Wimpern und sagte bloß: »Lukas ist gerade auf einem Auslandsjahr in ... Alaska

»Alaska«, sagte Hendrik beeindruckt. »Hoch. Kalt. Gebirgig.«

Ja, aber die hatten dort schließlich auch Universitäten, oder?

Meine Fantasie wurde immer verrückter, und ich erzählte davon, dass Lukas in seiner Freizeit Bären jagte und Indianerlieder erfand. Schließlich, als der Kellner kam, rundete Kian das ganze ab, als er sagte: »Hannah war auf der Strandparty betrunken und Lukas gibt es nicht. Ich habe die beiden einander vorgestellt.«

Okay, das klang definitiv etwas realistischer, aber meine Erzählung von Lukas und Alaska war definitiv glaubwürdig.

»Betrunken?«, fragte Gabriella, als wäre das die achte Todsünde.

Ich nickte und murmelte leise, sodass es niemand außer Ben und mir hörte: »Ja, und ich wäre es gerade auch gerne.«

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top