Kapitel 07 - Letzte Besorgungen
Kian hatte sich für die Adresse bedankt und zwei Stunden später stand ein blondes Mädchen vor meiner Türe. Sie sah sich etwas abfällig um, als würde irgendwie Popel in meiner Nase kleben, der für mich selbst unsichtbar war, aber dann stellte sich heraus, dass sie lediglich ein wenig ordnungsfanatisch war.
Ganz im Gegensatz zu mir, denn ich hatte meistens nichts dagegen, wenn es in meiner Wohnung aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Nur manchmal, wirklich ganz selten, da kam die Putzlaune irgendwie über mich und ich stellte meine komplette Wohnung auf den Kopf, putzte jede Ecke und jeden Spalt, befreite wirklich alles von Staub und Lurch. Da schlug die deutsche Marie Kondo so gewaltig zu, dass ich mich vor Ausmistlaune gar nicht mehr retten konnte.
»Hallo, ich bin Emma«, sagte das Mädchen und lächelte. Dabei präsentierte sie eine perfekt gereihte, glänzend weiße Zahnreihe, an der bestimmt viele Zahnärzte und Kieferorthopäden gearbeitet hatten. Ich dagegen fühlte mich mit der kleinen Lücke zwischen meinen Schneidezähnen ein wenig fehl am Platz.
Aber vielleicht musste ich mich jetzt, wo ich mit Leuten wie Ben und Kian zutun hatte, einfach daran gewöhnen, dass mein Umfeld glamourös und gestylt war. Abgesehen von mir, natürlich. Ich war einfach nur ... Hannah. Nicht zu dick, nicht zu dünn, nicht zu blond, aber auch nicht zu brünett, und irgendwas zwischen durchschnittlich groß und sehr groß.
»Hey. Hannah«, lächelte ich und zwang mich, nett zu wirken.
»Kian hat mich vorbeigeschickt.« Sie zwängte sich einfach an mir vorbei in meine Wohnung und sah sich um. Ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte, aber es war besser, als zwischen Tür und Angel zu sprechen.
»Er meinte, ich solle mit dir zum Frisör, zur Mani- und Pediküre, zur Drogerie und wohin wir Mädchen sonst noch gehen.« Sie wackelte verschwörerisch mit den Augenbrauen, und ich glaubte, einen leichten Akzent in ihrer Stimme wahrzunehmen. Aber leider reichten meine hellseherischen Fähigkeiten nicht aus, um auszumachen, welcher Nationalität sie wohl angehörte.
»Ich gehe sicher nicht zum Brazilian Waxing«, sagte ich etwas neben der Spur, woraufhin sie kicherte.
»Du weißt aber schon, dass du auf einer Yacht sein wirst, und vermutlich den ganzen Tag im Bikini rumrennst?«
Gut, das klang einleuchtend. Aber ... ich hatte das einmal mit Delia ausprobiert. Wir waren zu einem kleinen Laden gegangen und hatten den Heimweg kriechend unternommen, weil wir solche Schmerzen hatten. Wirklich, die Welt von unten zu sehen und dabei Höllenqualen im Tempel der Sinne zu erleiden ist nichts, was man seinem Erzfeind wünscht.
»Ja. Ein Rasierer tuts auch«, sagte ich schulterzuckend. Sie machte eine wegwerfende Handbwegung.
»Wie du meinst. Kian jedenfalls hat mir auch ein wenig Geld mitgegeben, damit du für keine Kosten aufkommst. Er meinte, du wärst ein wenig ... knapp bei Kasse.«
Was hat er wohl sonst noch erzählt? Dass ich so knapp bei Kasse war, um so eine Xoodle-Anzeige aufzugeben? Und wem erzählte er eigentlich noch so von meinen finanziellen Nöten?
Bevor meine Wangen vor Scham noch mehr erröteten, nickte ich schnell und sagte: »Ja, dann können wir ja eigentlich los.«
Wir verließen gute fünf Minuten später meine Wohnung, und ich merkte, wie die Stimmung gedämpft war. Emma schien nur mäßig begeistert zu sein, dass sie mich mitschleppen musste, und ich war von der Tatsache nur mäßig begeistert, dass sie mäßig begeistert war. Alles in allem: Mäßige Begeisterung herrschte über uns. Mir kam es allerdings irgendwie so vor, als hätte sie etwas gegen mich. Wenn ich meine üblichen Hannah-Scherze riss, bei denen die meisten vor Lachen unterm Tisch lagen, konnte ich ihr nichts als ein trostloses »Ha, ha« entlocken.
»Und ... wie lange bist du schon mit Kian zusammen?«, fragte ich schließlich, während wir zum Drogeriemarkt gingen. Es war warm draußen, und die ersten sommerlichen Sonnenstrahlen brannten auf meine Haut.
Ich hatte absolut keine Ahnung, was ich sagen sollte, weshalb ich mich für diese typische Beziehungsfrage entschied. Damit konnte man doch nichts falsch machen, oder?
»Zusammen?«, fragte Emma und lachte trocken auf. »Wir sind doch nicht zusammen. Wir sind beste Freunde seit dem Sandkasten. Mit Kian.« Sie lachte und schüttelte den Kopf.
Ich zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Oh.«
»Ja, wir sind in denselben Kindergarten gegangen und dann auch in dieselbe Schule«, nickte sie. Daher also der Akzent. Sie kam auch aus der Niederlande.
»Wie lange bist du schon in Wien?«, fragte ich weiter. Smalltalk vom Feinsten.
»Seit vier Jahren«, antwortete sie.
»Dafür sprichst du gut Deutsch«, sagte ich anerkennend nickend.
»Danke.«
Stille.
Was war das denn für eine merkwürdige Konversation?
»Kennst du Ben?«, fragte ich, als wir beim DM angekommen waren.
»Thijs?«, fragte sie. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich meine, ja, ich kenne ihn gut. Aber wir nennen ihn nicht Ben.«
»Sondern?«
»Thijs.«
Dumme Fragen, dumme Antworten, dachte ich mir selbst. Wie konnte ich manchmal nur so beschränkt sein, wie ich es war?
»Ach so«, sagte ich und nahm mir einen Wagen. »Und wie ist er so?« Welch ein Klassiker. Ich klang wie eine verknallte Viertklässlerin, die gerne als Geheimagentin arbeiten würde und alle Informationen über ihren Crush herausfinden wollte, um daraufhin wegen zwei Sekunden Blickkontakt einiges an Tinte aufs Tagebuchpapier zu bringen.
»Schlau. Ein bisschen eigensinnig und stur. Ungefähr das Gegenteil von Kian.« Sie grinste. »Ich habe immer ein kleines Ding für ihn gehabt. Er sieht schließlich gut aus, und schlau ist er auch.«
Ich sah sie vielsagend an. »Ach ja? So ist das also.«
»Ja. Aber er ist manchmal wirklich komisch. Ich frage mich, wieso du das freiwillig machst, mit ihm ein Paar spielen ...« Sie schüttelte den Kopf.
Ja, wer Geld braucht, wird kreativ.
»Meine finanzielle Misere ließ leider wenig andere Optionen zu«, gab ich wenig begeistert zurück. »Ich hätte diesen Engpass gerne umfahren, aber was soll ich sagen? Mit dem Kopf durch die Wand ist auch ein Weg zur anderen Seite.«
»Mhm«, machte Emma, als würde sie verstehen.
Ich seufzte. Das könnte anstrengend werden.
* * *
Drei Stunden später war ich wieder zurück in meiner Wohnung. Emma und ich hatten beim DM einen Großeinkauf getätigt, sodass ich nun von Shampoo bis Gesichtscreme alles wieder besaß, und dementsprechend gut ausgerüstet war. Tatsächlich stellte ich fest, dass es ganz schön praktisch war, wenn man jemanden wie Kian kannte, der für Kosten gerne aufkam. Beim ihm spielte Geld scheinbar keine Rolex. Außerdem rechnete ich es ihm hoch an, dass er mich in meiner Not nicht einfach alleine dastehen ließ. Schließlich hatte ich genau genommen noch gar nicht gearbeitet und er bezahlte trotzdem für mich.
Der Klarlack auf meinen Fingernägeln glänzte verführerisch, und auf einmal sahen meine Hände grazil und schön aus. Früher hatte ich mich für meine dünnen, kleinen Finger immer geschämt, aber nun, wo die Nägel passend präpariert worden waren, änderte sich meine Sicht der Dinge.
Meine Zehennägel waren kirschrot lackiert und ebenso schön hergerichtet. Tatsächlich hatte ich noch nie zuvor eine Maniküre oder eine Pediküre unternommen, einfach, weil mich sowieso selten jemand ohne Socken gesehen hatte. Und bis vorhin hatte ich ja auch geglaubt, meine Zehennägel selbst genauso schön lackieren zu können, wie die Dame im Geschäft.
Aber vertraut mir: Das ist eine Lüge. Rückblickend sah es damals wohl so aus, als hätte ein Kind sich mit Wachsmalkreiden verausgabt.
Abgesehen vom Drogeriemarkt hatte ich Emma ganz galant noch in den Supermarkt gelockt, um die zwei restlichen Tage nicht von Luft und Liebe leben zu müssen. Kian hatte sie aber anscheinend gut genug informiert, denn sie stellte keine Fragen und bezahlte bereitwillig alles, was ich in den Einkaufswagen verfrachtete. Und wie ich es als Opfer meiner Zeit eben war, sorgte ich dafür, dass von Haferflocken über Reis bis Mehl alles Haltbare dabei war. Man musste schließlich auch von etwas leben, wenn man zurückkam.
»Hast du noch Lust, auf einen Kaffee zu gehen?«, fragte ich Emma schließlich, als wir voll beladen aus dem Geschäft kamen. Ich trug zwei Jutebeutel, während sie den Plastiksack mit den Dingen vom DM trug.
Sie sah ziemlich skeptisch auf unsere Ladung und meinte: »Vielleicht sollten wir das hier zuerst abladen. Aber ... ich bin heute Abend noch verabredet, ich müsste also sowieso bald los.«
Seufzend nickte ich. Um ehrlich zu sein hatte ich selbst keine großartige Lust gehabt, mit ihr noch sonderlich viel mehr Zeit zu verbringen, weil sie weder besonders gesprächig war, noch meine Witze verstand. Für mich war das das A und O — wenn jemand meinen Humor nicht verstand, konnte ich nichts mit der Person anfangen.
Auf der anderen Seite wollte ich allerdings nicht wie die ausbeuterische und ausnutzende Zicke wirken, die ich nun mal war, weil niemand gerne ins negative Licht gerückt wurde. Wir machten uns also auf den Weg zurück zu meiner kleinen Wohnung — schweigsam. Ich fragte mich wirklich, wie Kian mit Emma so gut befreundet sein konnte, aber vielleicht war sie auf Niederländisch ja lustiger.
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