Kapitel 03 - Vertragliches

Es soll schon vorkommen, dass man halluziniert.

Manches Mal brauchte man dann einen kleinen Stupser, der einen zurück in die Realität katapultierte. Ich brauchte nicht nur einen kleinen, ich brauchte einen riesigen Stupser. Am besten mit dem Gabelstapler, oder gleich einem LKW.

Ungefähr genauso hilflos sah ich Kian, mein Gegenüber, an — den Stupser, oder besser, den Stoß, der mich zurück in die Realität werfen sollte, hatte ich gerade bitter nötig.

»Wie bitte?«, krächzte ich.

Kian verzog die Miene, sodass sich auf seiner Stirn Denkfalten kräuselten, während sich seine Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen hoben. Offensichtlich fand er die Wirkung seiner Worte ziemlich amüsant.

»Ich weiß«, begann er, »das klingt ziemlich ... unrealistisch

»Das kannst du laut sagen.«

Er räusperte sich. »Aber du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schwierig es ist, jemanden aufzutreiben, der einen nicht für verrückt hält, wenn man sein Belangen äußert! Wirklich! Und dann habe ich deine Annonce gesehen, du bist auf der Bildfläche aufgetaucht, und dass ich die richtige Person dann auch noch anspreche und es wirklich etwas wird, das grenzt an ein Wunder!«

»Woher wusstest du überhaupt, dass ich Hannah Jäger bin?«, dämpfte ich seine Euphorie. Logisch gesehen war es schließlich unwahrscheinlich, dass er es mir von der Stirn ablas. Schließlich wusste ich, wie er aussah, doch woher wusste er, wer ich war?

Oder sah man mir die Hilflosigkeit mittlerweile so sehr an, dass ich sie mir praktisch auf die Stirn tätowieren konnte? Jung, verzweifelt, pleite.

Die Klimax meines Lebens. Ein Trauerspiel in fünf Akten.

Kian zuckte mit den Schultern. »Ein glücklicher Zufall, schätze ich.« Er sah sich vielsagend um. »Du sitzt erstens alleine, was kaum jemand anderes hier tut. In deiner Anzeige stand, dass du weiblich und 23 Jahre alt bist. Das hat die Auswahl ebenfalls beschränkt. Und außerdem habe ich eine ganz gute Menschenkenntnis. Als ich dich gesehen habe, hast du mir mit deiner Körpersprache eigentlich die fehlenden Variablen signalisiert, und tadaaa, da bin ich.«

»Ich hätte mit einer Freundin auftauchen können«, beharrte ich und verschränkte die Arme.

Kian lächelte und seufzte. Er hatte schon irgendwie was Aristokratisches an sich. Die Art, wie er sich mir gegenüber verhielt, imponierte mir. Er blieb stets höflich, obwohl ich eher pampig reagierte. Er redete langsam und gab sich eloquent. Obwohl ich mittlerweile in der Hälfte meines geplanten Studiums angekommen war und von Controlling bis Marketing sehr viel wusste, war es mir dennoch schleierhaft, wie jemand im zarten Alter von einundzwanzig Jahren schon so erwachsen wirken konnte.

Nicht jeder ist so kindisch wie du, Hannah.

Gut, das stimmte irgendwie. Aber ehe man es sich versah, ging das mit dem Erwachsen-werden furchtbar schnell und auf einmal kam man in die Schublade ›25+‹, als wäre man irgendein sonderbares Mängelexemplar bei einem Eselsohr.

Ich hob eine Braue und sah ihn herausfordernd an.

»Vielleicht hatte ich einfach Glück? Schließlich kommst du als Zielgruppe von Xoodle infrage und, naja, ehrlich gesagt ...«, er hielt inne, wohl um zu überlegen, wie er das Folgende möglichst nett verpacken könnte. »Ehrlich gesagt sieht man dir schon ein wenig an, dass du verzweifelt bist.«

Wie bitte? Single, verzweifelt, was kam als Nächstes?

Mein geräuschvolles Ausatmen sah Kian ganz recht als Einladung, zurückzurudern.

»Das war nicht böse gemeint! Nur ... sagen wir es so. Ich kann sehen, dass du das Geld bitter nötig hast. Und je nachdem, wie du dich auf der Reise schlägst ...« Er trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Marmortisch herum. »Je nachdem können wir über eine Preiserhöhung verhandeln. Allerdings erst, wenn der Urlaub vorbei ist.«

Sein Zurückrudern machte die Sache wirklich nicht besser.

»Bitte? Du kannst sehen, dass ich das Geld bitter nötig habe?«, wiederholte ich seine Worte spitz. »Sehe ich etwa wie ein zerlumpter Penner aus, oder was?«

Meiner schrillen Stimme sei dank drehten sich einige Schaulustige zu uns um. Aus irgendeinem Grund schien ich wirklich ein Händchen für skurrile Supershows in Restaurants oder Cafés zu haben. Vielleicht sollte ich daraus eine Fernsehidee entwickeln. Das schrie doch nach einer Marktlücke, die gefüllt werden musste, oder?

»Ich meine ...«

Kian gab den letzten Versuch auf und schüttelte den Kopf. »Die Preiserhöhung. Wir können über eine Preiserhöhung diskutieren, wenn der Urlaub vorbei ist.«

Wenn der Urlaub vorbei ist.

Das klang ganz so, als ginge Kian schon fest davon aus, mich an Bord zu haben.

»Ich ... Ich denke, ich muss darüber noch nachdenken. Ein paar Nächte drüber schlafen«, murmelte ich. Gedanklich fügte ich hinzu: Und jedes Detail dieser verrückten Idee mit Delia ausdiskutieren. Auf ihrem Mist war das Ganze schließlich erst gewachsen, also brauchte ich definitiv ihre Hilfe. Ich dachte viel zu oft über alles und jeden nach und wägte alles ab, womit ich meistens nur Zeit vergeudete — aber dieser innere Kontrollfreak ließ sich nicht so leicht abstellen, wie ich es gerne hätte. Zu viel Nachdenken förderte Probleme zutage, die man eigentlich gar nicht hatte.

Andererseits — wir sprachen hier über einen Yachturlaub. Ich war noch nie auf einer Yacht gewesen. Und zehntausend Euro — ich hatte noch nie zehntausend Euro gehabt. Nüchtern gesehen klang das immer noch nach einem schlechten Scherz. Wie oft bekam man schon so eine Chance? Wahrscheinlich war das eine once-in-a-lifetime-Erfahrung vom Feinsten.

»Ist okay. Denk darüber nach. Nur bitte denk' schnell, denn die Reise geht bald los.« Kian sah sich im Café nach einer Bedienung um.

»Kann es sein, dass ich hier bei Verstehen Sie Spaß? bin?«, fragte ich sicherheitshalber nach. Ich sah mich unauffällig nach Kameras oder Mikrofonen, getarnt als Blumenarrangement oder Kleiderständer um, aber nichts Auffälliges war zu sehen — außer dem völlig durchgeschwitzten Kellner, der mich an mein Single-Dasein erinnert hatte.

Ebenso betrachtete ich Kians Gesichtsausdruck genau, denn nachdem ich ja nun wusste, dass er mir verbal wahrscheinlich überlegen war, musste ich auf seine Körpersprache setzen: Minimale Zuckungen oder Regungen seiner Mimik. 

Doch Kian brach völlig demaskiert in Gelächter aus.

»Nein, bist du nicht«, antwortete er schließlich, immer noch ein amüsiertes Grinsen auf den Lippen. »Hier ist alles ernst. Wenn du dich dann besser fühlst, können wir auch gerne einen rechtlich geprüften, geschäftlichen Vertrag aufsetzen.«

Ich bezweifelte wirklich, dass er so einen Wisch so schnell herzaubern konnte, doch er wirkte überzeugend.

»Dann vielleicht doch bei der Versteckten Kamera«, murmelte ich kopfschüttelnd.

Der Kellner unterbrach unser Gespräch. Es war ihm immer noch sichtlich unangenehm, dass er mich vorhin so eiskalt erwischt hatte. Durch den Schweiß klebten einige Strähnen auf seiner Stirn, und seine Augen zuckten nervös. Ich hatte wirklich Mitleid mit dem armen Kerlchen.

»Darf es etwas zu trinken sein?«, fragte er schüchtern und wischte sich die Hände an der Schürze ab.

Kian wandte sich freundlich an ihn. »Gern. Einen doppelten Espresso für mich. Und du, Hannah?«

Ich musste mich räuspern, bevor ich etwas herausbekam.

»Kommt drauf an«, sagte ich zögerlich. »Wie lang muss ich Teller waschen, um mir einen Soja-Cappuccino zu verdienen?«

Wie banal das klang, wurde mir erst bewusst, als die Worte schon meinen Mund verlassen hatten. Die Hitze stieg mir sofort in die Wangen. Ich fasste mir an die Lippen, doch da war er schon, dieser Blick, mit dem mich sowohl der Kellner, als auch mein Geschäftspartner Kian musterten.

Dieser Blick, der wohl so viel aussagte, wie: Wie zum Teufel hast du es geschafft, dreiundzwanzig Jahre zu überleben?

Dieser erstaunte und irgendwie mitleidige Blick.

Gott, wie ich dieses Mitleid hasste.

»Ich lade dich ein«, sagte Kian deutlich verspätet, allerdings reichlich nachdrücklich. Dieses amüsierte Grinsen auf seinen Lippen nervte mich jetzt schon.

»Jetzt weißt du, warum ich die Annonce auf Xoodle gestellt habe«, zischte ich ihm zu.

Der Kellner räusperte sich und sah mich lächelnd, aber angestrengt an. Bevor er noch einen Krampf in den Wangen vom ganzen Freundlich-Lächeln bekam, beeilte ich mich, dem Ganzen ein Ende zu setzen, und sagte schließlich: »Dann nehme ich einen großen Soja-Cappuccino. Sparen Sie an nichts! Viel Kaffee, viel Sojamilch, und vor allem: Viel Schaum!«

Triumphierend lächelte nun ich die beiden an, woraufhin Kian eine Augenbraue hochzog. Der Kellner nickte und verschwand zu seinem Kollegen hinter die Theke.

»Also. Wo waren wir?«, fragte ich Kian und überschlug die Beine.

»Wir waren an der Stelle, an der du mir nicht glaubst, dass ich mein Angebot ernst meine.« Kian lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück, als hätte er diesen ganzen Vorgang durchgeplant, und betrachtete mich, während ich versuchte, vor Neugierde nicht zu platzen. In mir brodelten zehntausende Fragen herum.

Zum Beispiel: Warum machte er das Ganze überhaupt? Wenn sein Bruder nur annähernd so gut aussah, wie er, dann würde es ihm garantiert nicht schwerfallen, eine Begleitung für seinen Urlaub ausfindig zu machen!

Abgesehen davon, wer flog überhaupt mit Begleitung in den Urlaub?

Naja, so ungefähr jeder, der einen Partner hat.

Ach ja, da war sie wieder: Die bittere Erkenntnis, dass meine innere Uhr tickte und ich noch nie einen richtigen Freund gehabt hatte. Die meisten kamen mit meiner Art nicht klar — und wenn ich einen mal für einen etwas längeren Zeitraum (wir sprechen hier von einem bis maximal, aber wirklich maximaximal, zwei Monaten) für mich gewinnen konnte, dann war ich ihn spätestens dann los, wenn er meine gestörte innere Wahrnehmung kennenlernte. Dabei war ich eigentlich ganz normal — ein bisschen gestört, ein bisschen verrückt, aber wie sollte man sonst in dieser Welt überleben?

»Ach ja«, sagte ich mit einiger Verzögerung. Kian dachte vermutlich mittlerweile, dass die Neuriten in meinem Hirn irgendeinem Stau zugrunde lagen und mein Gehirn deswegen so fehlerhaft mit meinem Mund verbunden war. Darauf ließ zumindest sein amüsierter Blick schließen.

»Also. Bist du dabei?«

Ich lachte trocken auf. »Woher weiß ich, dass das nicht ein Fake ist, hm? Nein, nein, Freundchen. Als Allererstes wirst du mir all meine Fragen beantworten und dann werden wir einen Vertrag aufsetzen. Wir wollen ja schließlich, dass das hier mit rechten Dingen zugeht.«

Nun, besteuern müssen wir die zehntausend Euro nicht unbedingt, fügte ich in Gedanken hinzu.

Er warf einen Blick auf die Uhr. »Okay, ich habe aber nur noch zwanzig Minuten Zeit.«

»Tja, wenn das so ist, dann such dir eben eine andere Stewardess.«

Ich lachte trotzig, obwohl ich innerlich hoffte, dass er das nicht ernst nahm.

Kian stieß einen tiefen Atemzug aus. »Na gut. Dann schieß los.«

»Als Erstes: Wieso solltest du das machen? Zehntausend Euro — das ist verdammt viel Geld. Und das einfach so dafür auszugeben, damit der Bruder ein Date im Urlaub hat? Das erscheint mir ein wenig korrupt. Wer hat überhaupt so viel Geld? Das schreit förmlich nach irgendwelchen illegalen Spielchen. Glaub mir Freundchen, ich will nicht in irgendwelche illegalen Sachen verstrickt werden. Das ...« Ich redete mich völlig in Rage, bis ich Kians nach wie vor sehr amüsierten Blick sah.

Er zuckte mit den Schultern. »Naja, was soll ich sagen. Du musst wissen, meine Eltern sind sehr speziell. Jedenfalls hat sich mein lieber Bruder Ben seit zwei Jahren bei jedem Familiendinner, -fest oder -urlaub darauf ausgeredet, dass er mit seiner Freundin unterwegs sei und deswegen leider nicht dabei sein könne, was natürlich völliger Humbug ist, schließlich ist er single. Und jetzt verlangen meine Eltern, dass er ihnen diese Alibi-Freundin mal vorstellt. Sie bekommen ihn kaum zu Gesicht, weil er immer mit seiner Freundin unterwegs ist. Sie haben ihm angedroht, ihn zu enterben, wenn er sie die letzten zwei Jahre angelogen hat.«

Ich seufzte, er seufzte, der Kellner seufzte im Vorbeigehen.

»Wieso sagt er nicht einfach, dass sie Schluss gemacht haben?«

»Meine Eltern sind alt, aber nicht dumm. Ist schon ein wenig auffällig, wenn man sich zwei Jahre lang auf die perfekte Beziehung rausredet und auf einmal ist es aus, ohne dass je irgendwer besagte Freundin gesehen hat.«

»Und meine Aufgabe ist es jetzt, die Freundin zu spielen, oder wie genau? Ich meine, warum erschwindelt man sich eine Freundin? Warum sagt er nicht einfach, er hat keine Lust zu kommen?« Ich sah ihn etwas ungläubig an. Das Ganze kam mir immer noch nicht wirklich real vor. Welche Eltern würden allen Ernstes ihre Kinder enterben?

»Richtig.« Kian nickte. »Tja, die Freundin war nie wirklich existent. Wenn du meinen Bruder kennenlernst, wirst du auch wissen, wieso. Unsere Eltern würden es niemals dulden, dass wir nicht zu diversen Familienfesten erscheinen, weil wir«, er formte Gänsefüßchen in der Luft, »keine Lust haben. Vor allem, nachdem Ben ...« Gerade, als es spannend wurde, brach Kian ab.

Erwartungsvoll sah ich ihn an. »Vor allem, nachdem Ben — was? Jemanden umgebracht hat? Eine Bank ausgeraubt hat? Nachdem er was

Er schüttelte den Kopf. »Egal. Jedenfalls hat meine Familie einiges zu vererben. Ben mag sich oft mit meinen Eltern gestritten haben, aber Gold und Schotter kann wohl jeder unterscheiden. Wir tragen nicht umsonst ein ›Van‹ im Namen.«

»Oh, wow. Arroganter geht's auch kaum«, kommentierte ich kopfschüttelnd.

»Naja, ist doch so«, sagte er schulterzuckend. »Außerdem — ich bin ja nicht ganz unschuldig an dem Ultimatum meiner Eltern, das sie Ben gestellt haben. Ich habe ihm die Wahl gelassen — entweder, ich suche ihm eine Stewardess, wie du es so schön ausdrückst, die er ohne Wenn und Aber akzeptiert, oder ich verpfeife ihn.«

»Damit du alles erben kannst?«, fragte ich prompt.

Er sah mich merkwürdig an. »Was? Nein, um Himmels willen. Das ist schließlich mein Bruder. Nein, nein. Ich würde ihn nie wirklich verpfeifen. Ich ... ich will ihn einfach nur ein wenig unter Menschen bekommen. Er ist sechsundzwanzig und studiert Jus. Also ... glaub mir, wenn er jetzt keine Freundin findet, dann wird er vermutlich alleine sterben. Wobei das wahrscheinlich für die meisten Beteiligten auch das Beste wäre.«

»Es ist nicht so als wäre das Liebesleben jenseits der dreißig tot, okay?«, fauchte ich gereizt. Manche Menschen finden ihre Liebe früher, andere später. Aber nur, weil man sie später findet, hieß das nicht, dass sie schlechter war. Schließlich gab es für jeden Topf einen Deckel.

Bloß, dass ich mich manchmal wie ein Blumentopf fühlte.

Er schüttelte den Kopf. »Ich meine damit lediglich — es ist ihm einfach egal. Manchmal denke ich, er ist asexuell oder so.«

»Nur, weil man keinen Partner hat, heißt das nicht, dass man asexuell ist«, warf ich ein und verschränkte die Arme. Einundzwanzig und den Horizont eines Neunzigjährigen. »Abgesehen davon bezweifle ich, dass dein älterer Bruder dir das auf die Nase binden würde.«

»Jetzt lass mich doch mal ausreden!« Er seufzte und fuhr sich durch die Haare. »Also. Ben hatte ja mal sowas wie eine Freundin, vor einigen Jahren, aber sie haben sich von getrennt, weil ...« Er kratzte sich an der Stirn. »Er war ihr einfach zu eigensinnig, glaube ich. Ein Alleingänger. Ein Eigenbrötler. So ist er eben. Deswegen halten meine Eltern es ja für so unrealistisch, dass er eine Freundin hat, und deswegen wollen sie sie ja sehen.«

»M-hm«, gab ich wenig überzeugt von mir. »Und ich bin also die erfundene Freundin, die es seit zwei Jahren gibt?«

Kian nickte. »Ben hat mir daraufhin gesagt, dass ich ihm eine passende Freundin auftreiben soll. Und nachdem ich deine Annonce gesehen habe, ja, das war einfach perfekt! Da habe ich die Chance ergriffen und dich hierher gebeten.«

»Es gibt zehntausende Frauen auf dieser Welt und wenn er halbwegs gut aussieht und was auf dem Kasten hat, dann würden mindestens hunderte Frauen davon auch ohne bezahlt zu werden mit auf eure ... Luxusyacht kommen. Wo steht die überhaupt?«

Der Kellner unterbrach unser Gespräch, denn er brachte den doppelten Espresso und meinen riesigen Cappuccino. Als ich das sah, wurde mir ganz warm und kribbelig im Magen. Lecker. Keine Ahnung, ob er den kleinen Keks neben dem Kaffee aus Reue oder aus Pflicht auf die Untertasse gelegt hatte, allerdings fand ich die Geste nett.

»Hier, bitte sehr. Wollen Sie auch etwas zu essen haben?«, fragte er hoffnungsvoll.

Kian verneinte, aber mein Magen knurrte laut.

»Äh ...«, gab ich unwirsch von mir. »Vielleicht ein klitzekleines Stückchen Apfelkuchen?« Dabei lächelte ich nervös.

»Kommt sofort«, nickte der Kellner und verschwand wieder.

»Das ziehe ich von den Zehntausend ab«, sagte Kian feixend.

»Oh, trau dich nur und du wirst sehen, wie es ist, gegen einen Tiger zu kämpfen«, murmelte ich nur.

»Gut, also zurück zu den wichtigen Themen. Freu dich einfach, dass der Zufall dich auserkoren hat.« Er räusperte sich. »Abgesehen davon warten auf dich zwei Ordner.«

Meine Güte, das Schicksal war ein mieser Verräter.

»Ordner?« Meine Stimme klang piepsig.

»Ja, zwei Ordner á dreihundert Seiten mit Informationen über meinen Bruder, die du als Freundin wissen musst.« Kian grinste schadenfroh. »Er ist leider eine sehr spannende Person. Deswegen — hier, bitte schön.« Seine Stimme triefte nur so vor Sarkasmus — ihm tat das alles andere als leid.

Er hob eine schwere Papiertüte vom Boden auf. Ich hatte ihn damit gar nicht reinkommen gesehen, aber andererseits war ich zu diesem Zeitpunkt noch so damit beschäftigt, zwischen Serienkiller und Präsidentenputzfrau hin und her zu disponieren, dass ich ihm und seinem Beutel auch nicht wirklich viel Aufmerksamkeit geschenkt hatte.

»Oh«, stieß ich bloß aus. »Und ... das soll ich ... lesen

»Ja«, nickte Kian. Er warf mir einen bestürzten Seitenblick zu. »Das kannst du doch, oder?«

War er jetzt völlig bescheuert?

»Nein, Hilfe, wie geht das?«, fragte ich schließlich sarkastisch. »So viele Zahlen ... und Buchstaben

»Puh. Dachte schon ...«

»Wie genau soll ich meine Bachelorarbeit schreiben, wenn ich nicht einmal lesen kann?«

»Touché. Jedenfalls, wenn du auch relevante Informationen hast, dann schreib sie einfach auf und schick sie mir. Du hast ja jetzt meine E-Mail-Adresse.«

Der Kellner brachte meinen Kuchen und ich bedankte mich herzlich. Der Kuchen sah nämlich ziemlich lecker aus; eher wie eine Tarte, als ein Kuchen. Und er roch so gut.

»Guten Appetit«, sagte Kian spitz. »Schmeckt's wenigstens gut, mein Geld zu verprassen?«

»Ein bisschen zuckrig, aber sehr lecker. Das kann unmöglich verprassen sein«, murmelte ich mit vollem Mund, wobei ein paar Krümeln aus meinem Mund flogen.

Er sah mich einfach nur mit schiefem Kopf an. Nach einiger Zeit seufzte er und sagte: »Wenigstens bist du süß.«

Daraufhin stieg mir wieder die Röte in die Wangen.

»Danke. Gut. Zurück zum Vertrag. Wann genau geht die Reise los? Was muss ich beachten? Brauche ich irgendwie ... ich weiß auch nicht, muss ich mich für irgendwas rüsten? Impfungen? Sonst was?« Damit meinte ich sowohl mental, als auch physisch. Man konnte ja nie so genau wissen.

»Ja, da kommen wir schon zum nächsten Problem«, sagte Kian und kratzte sich am Kinn. »In drei Tagen geht es los.«

Mir fiel die Gabel aus der Hand. Sie landete klirrend auf dem Teller — erneut erntete ich neugierige Blicke von unseren Nachbarn. Gott, wenn das so weiter ging, teilte ich ihnen mit Vorliebe ein Autogramm aus. In fünfzig Jahren würde es hoffentlich Gold wert sein!

»Was?«, fragte ich, als hätte ich mich verhört.

»Bald, ich weiß. Wir treffen uns alle am Flughafen Schwechat und fliegen nach Mexiko-Stadt. Dort verbringen wir eine Nacht, dann geht es weiter per Flugzeug nach San José. In Puerto Limón wartet unsere Yacht, dorthin fahren wir drei Stunden mit dem Auto.« Kian lächelte nervös.

»In drei Tagen?«, wiederholte ich noch immer schockiert. Das war bald. Ich sollte sechshundert Seiten über einen Kerl in drei Tagen lesen, dabei mental die Geschehnisse verarbeiten und packen? Sah ich auch nur ansatzweise so aus, als wäre ich dazu imstande?

»Ja. Drei Tage.« Kian untermalte seine Worte, indem er mir mit den Fingern die Zahl drei signalisierte. Er schien mittlerweile ein bisschen ungeduldig zu sein. »Was ist jetzt? Bist du dabei, oder nicht?«

Ich sagte nichts, sondern schob die Apfeltorte von einem Ende des Tellers zum anderen.

»Wie lange werden wir unterwegs sein?«, fragte ich schließlich.

»Zweieinhalb Wochen mit An- und Abreise. Wenn alles nach Plan verläuft«, antwortete Kian ruhig. »Selbstverständlich darf niemand etwas von unserem Plan erfahren. Nur du, Ben und ich wissen davon.«

»Und ich bekomme das Geld auch wirklich? Mir wäre es lieber, wir würden einen rechtlichen Vertrag aufsetzen.«

Er verdrehte die Augen und kramte etwas aus seiner Jackentasche. Bei genauerem Betrachten sah ich, dass es ein zerknautschter Zettel war. Auf diesen Zettel kritzelte er in Blockbuchstaben etwas, unterschrieb und schob mir das Papier zu.

Hannah Jäger bekommt nach dem Yachturlaub von mir, Kian Van Hagen, zehntausend Euro überwiesen. Dieser Zettel ist gültig und kann gerichtlich vorgelegt werden.

Keine Ahnung, ob das wirklich so funktionierte, aber ich beschloss, Kian zu glauben.

»Okay«, stieß ich schließlich nach einigen Sekunden aus.

Kian sah mich mit tellergroßen Augen an.

»Okay, was?«, fragte er pedantisch. »Okay, ja, okay, nein, okay, die Welt ist schön?«

»Okay, ich mach's. Ich komme mit. Ich spiele die Freundin deines Psycho-Bruders, ich lese diese sechshundert Seiten.« Ich seufzte. Welche Wahl hatte ich schließlich? Und diese Wahl war wirklich nicht die schlechteste. Ich konnte immer noch absagen und den nächsten Monat im Augarten verbringen.

»Wirklich?«, fragte Kian hoffnungsvoll. »Danke.«

Doch in diesem Moment fiel mir etwas ein. »Mist. Wer passt dann auf Jesus-Reagan auf?«

»Wen

»Jesus-... Meine Katze.«

Kian schnalzte mit der Zunge. Das ging tatsächlich schnell von eine zugelaufene Katze zu meine Katze über.

»Wir werden schon jemanden finden, der ein Katzenasyl bietet.«

Ich nickte. Bestimmt. Und wenn ich zurückkam, würde ich uns beide verwöhnen — mit Massage, Kakao und Schokolade.

Ich kritzelte ebenfalls meine Unterschrift auf den Zettel. Nun war es offiziell. Ich würde mit Kian, einem Typen, den ich seit einer halben Stunde kannte, und seinem Bruder, den ich gar nicht kannte, Urlaub machen. Und ich würde die Freundin seines Bruders spielen.

War diese Entscheidung dumm? Möglicherweise.

Hätte ich es mir etwas genauer überlegen sollen? Möglicherweise.

Lebt man nur einmal? Tja, das war sicher — man lebte nur einmal, vorausgesetzt, man war nicht James Bond, dessen kommerzieller Erfolg ihm zehntausend Leben schenkte, und diese sogar als unterschiedliche Personen.

»Aber du weißt schon, dass du dann mit Ben in einem Bett schlafen musst und ihn gelegentlich küssen musst, oder?«, fragte Kian schließlich. Er hatte den Zettel mit meiner Unterschrift schon eingesteckt, und mir entgleisten in diesem Moment die Gesichtszüge.

»Warte, was?«

»Na, was dachtest du denn? Ihr werdet jedenfalls nicht Sandkasten-Freunde spielen. Freundin heißt Freundin-Freundin. Weißt du was ich meine? Die Sorte Frau, die man–«

»Ich weiß schon, was das heißt«, fauchte ich. »Ich dachte nur–«

»Was?«

»Vergiss es.«

Kian nickte und stand auf. Er legte einen Zwanziger auf den Tisch und hielt mir die Hand hin.

»Hannah Jäger — es hat mich gefreut, mit dir Geschäfte zu machen.«

»Warte kurz, das Wichtigste haben wir doch noch gar nicht geklärt«, unterbrach ich ihn.

»Und das wäre?«

»Na, meine Bankverbindungen«, antwortete ich, als wäre es das Logischste auf der ganzen Welt.

»Dazu kommen wir, wenn du es wirklich aushältst, meinen Bruder zwei Wochen lang rund um die Uhr zu ertragen«, grinste Kian bloß. Er schien immer noch kein Vertrauen in meine Fähigkeiten zu haben. »Ich schreib dir, wann unser Flug geht. Du musst dir keine Sorgen machen. Wenn du willst, schicke ich dir einen Fahrer vorbei. Oder wir kommen persönlich.«

Ich verschluckte mich fast an meinem Apfelkuchen — schon wieder. Einen Fahrer?

»Sag mal, seid ihr irgendwie reich oder so? Mit dem niederländischen Königshaus verwandt?« Ich grinste, aber als ich sah, dass Kian ernst blieb, hörte auch ich auf zu grinsen. »Das war ein Scherz. Ihr ... ihr seid nicht wirklich adelig, oder?«

»Wir sehen uns am Flughafen, Hannah.«

»Soll ich vielleicht noch Niederländisch lernen? Die sechshundert Seiten erscheinen mir so wenig«, rief ich ihm hinterher, aber er war schon bei der Türe des Cafés angekommen.

Ich seufzte und blickte zu den beiden Ordnern, die er mir dagelassen hatte. Mein Entschluss stand fest: Wenn ich mitkommen würde, dann musste auch Jesus-Reagan mitkommen.

Mal sehen, wie Ben das finden würde.

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