Die geheimnisvolle Dr. Wayne

„Dr. Manuela Wayne“, wiederhole ich nachdenklich nunmehr zum x-ten Mal, während ich wieder im Büro der Mondloge auf meinem Lederstuhl sitze. Zusätzlich zu diesem Namen, hat mir der Alpha das Wissen zu der besagten Frau überlassen. Ich hasse es so sehr, wenn er das auf seinem Weg tut. Jedes Mal, wenn der Schöpfer der Informanten mir sein Wissen überträgt, fühlt es sich so an, als würden einige Nadeln zeitgleich meinen Kopf durchbohren.
„Man sollte doch meinen, dass ein so mächtiges Wesen eine Möglichkeit besitzt mir diese Informationen schmerzfrei zu übermitteln. Mit Worte. Oder Akten. Was ist so falsch an Akten?“, murre ich und hoffe dringlichst, dass die Schmerztablette, welche ich mir bei der Wiederkehr ins Büro eingeworfen habe, bald zu wirken beginnen.
Gehe noch einmal innerlich das Wissen um Dr. Manuela Wayne durch. Sie ist eine Frau mitte 40. Ehemaliges Mitglied der Sichelloge, was interessant ist, weil eine Anstellung beim Syndikat auf Lebenszeit beruht. Doch den eigenen Tod vorzutäuschen hat scheinbar ausgereicht, um die Nerds da drüben zu täuschen. Das war wohl noch vor meinem Amtsantritt als Logenboss. Und noch vor dem aktuellen Chef der Sichelloge.
Diese Wayne hat sich der Weiterentwicklung unserer durchsichtigen Substanz verschrieben. Was noch viel wichtiger ist: Ich bin ihr sogar bereits begegnet. Das Aussehen der Wissenschaftlerin ist mir mit den Infos gleich zusätzlich mitgegeben worden.
„Die ist doch dabei gewesen, als ich damals zusammen mit einigen Leuten meiner Loge diese Junky-Folter-Höhle in einen verfickten Schweizer Käse verwandelt und Vögelchen gefunden habe“, erinnere ich mich zurück. Vögelchen hat mir letztens grob von einer Frau erzählt, die die einzig nette Person in ihrem bisherigen Leben gewesen ist.
„Was wäre, wenn diese Dr. Wayne eben jene Frau ist, von der Vögelchen sprach?“, murmele ich gedankenverloren vor mich hin. Seufzend raufe ich mir kurz durch meine blonden Haare. Einige Augenblicke lang betrachte ich den kleinen Aktenstapel, den mir Vögelchen auf meine Anweisung hin ordentlich zurechtgelegt hat.
 
„Das kann bis morgen warten“, murre ich und erhebe mich von meinem Stuhl
„Da werde ich wohl einige Dokumente durchforsten müssen“, füge ich hinzu und befinde mich im nächsten Augenblick im Computerraum der Mondloge. Es ist einer der eher schlichteren Hinterräume unseres Standortes. In vier langgezogenen, von schlichten Zimmerlampen beleuchteten Schreibtischreihen, die mittig eine schmale Passage zum Hindurchgehen lassen, befinden sich jeweils fünf Flachbildschirme, samt Tastatur und Maus. Die Rechner sind lediglich zum Recherchieren von Syndikatsinformationen gedacht und stehen in sämtlichen Standorten aller Logen. Einer der Rechner gibt beim Start ein dezentes Lüftergeräusch von sich und der frisch Staub gewischte Bildschirm schaltet sich ein. Ich gebe ein 23 stelliges Passwort ein und logge mich mit meinem Benutzer an, ehe die Akten ehemaliger Syndikatsmitarbeiter durchforstet werden. Ehe ich den Ordner der Forschernerds öffne, klicke ich auf den meiner Loge, um nach zwei speziellen Namen Ausschau zu halten. Schnell werde ich auch fündig. Melissa. Maik. Ein nostalgisches Gefühl steigt in mir hoch. Während Melissa unter der Fuchtel des Genesis-Wesens Eternia steht, erinnere ich mich an die ersten Treffen mit Specki. Wie er mir alles beigebracht hat, was ich im Knast und letztendlich auch während meinen Anfängen bei der Mondloge zum Überleben gebraucht habe. Das Kämpfen. Skrupellosigkeit. Präzision.
„Er war zwar fett wie drei Wale, aber Gott konnte diese Missgeburt kämpfen“, murmele ich grinsend vor mich hin und zünde mir eine meiner Zigaretten an. Nehme einen Zug der leicht würzig schmeckenden Kippe und puste den graublauen Rauch in die stickige Raumluft. Dann fällt mir der Verrat ein. Das Gefühl, wie alles in mir zuammengebrochen ist, als Melissa mich an die SCP verkauft hat. Mein immenser Rachedurst, den ich nicht lange fackelnd in die Tat umgesetzt habe. Das Gefühl, wie Asmodi zum ersten Mal in mein Leben getreten ist.
„Asmodi“, hauche ich mit einem jäh bitteren Gefühl der Trauer in meiner Seele hervor. Erst einige Sekunden später merke ich, wie ich meinen gesamten Körper verspannt habe. Ich vermisse ihn. Er ist sehr lange ein fester Teil von mir gewesen. Ein Quell unglaublicher Macht. Dieser Dämon hat mir zahllose Male das Leben gerettet. Dann ist er mir genommen worden. Durch Something Worse. Auch hier hat er mir das Leben gerettet. Wäre er nicht gewesen, dann würde ich nun als weiteres Opfer der „Halbapokalypse“ zählen. Und ein weiteres Mal gelte ich für ihn als tot. Wie er sich nun fühlen muss. Mich gerade erst „zurück bekommen“ und nun wieder gestorben. Dazu noch Sunny, die einzige Frau, die es geschafft hat, das Herz des bösartigsten Serienmörders des Landes zu gewinnen. Man klingt das klischeehaft. Alice nicht zu vergessen. Sie ist das für Sleepless gewesen, was Sera-. Ich stocke bei dem Gedanken und schüttele mich, um wieder ins Hier und Jetzt zu gelangen.
„Konzentriere dich, Kev. Bemitleiden kannst du Sleepless später auch noch“, mahne ich mich selbst. Mit einem Klick schließe ich den Ordner der Mondloge und öffne den der Sichelloge, samt einer Datei, die „Ehemalige Mitglieder“, heißt. Eine schlichte Excel-Tabelle öffnet sich und zeigt die Spalten „Name“, „Alter bei Entlassung“, „Position“ & „Aufgabenfeld“. Langsam scrolle ich bis zum „D“ und überfliege die Namen der Doktoren.

„Dr. Manuela Wayne. Da bist du ja“, sage ich und nehme noch einen weiteren Zug meiner Zigarette.
„Dr. Manuela Wayne. Alter bei der Entlassung: 42. Position: Leitende Forscherin der Genetikabteilung. Aufgabenfeld: Entwicklung und Weitererforschung des Projektes „DNA-Veränderung, sowie den Projekten „Xenoph“ und „Sensenmann“. Notiz zur Handhabung “, lese ich mir selbst vor. Ein kalter Schauer überkommt mich. Sie ist der Kopf hinter den durchsichtigen Spritzen. Das ändert die Sachlage erheblich. Muss erst einmal vor Stress einen tiefen Zug der gemächlich vor sich hin glühenden Zigarette nehmen.
„Was zum gottverdammten Fickfrosch tun diese verkackten Streber da drüben nur“, zische ich gestresst hervor, nachdem ich den nach oben steigenden Kippenrauch gut hörbar auspuste und streiche mir zeitgleich mit zusammengekniffener Stirn über meinen Augenbereich. Dann wird es wohl notwendig werden mit dem Chef der Loge zu reden. Vorher schaue mir jedoch noch die Notiz an. Ein Fenster öffnet sich, als ich den Notizlink anklicke.
„Informationen nur für Logenbosse einsehbar. Bitte Passwort eingeben“, murmele ich. Ein leichtes Lächeln legt sich auf meine Lippen, ehe ich die gewünschten Anmeldedaten eingebe.
„Manchmal mag ich mein Leben“, kichere ich vor mich hin, als mir der Zugang gewährt wird und  ein schlichtes Textfeld erscheint. Mein verbliebenes Auge huscht aufgeregt über die geschriebenen Zeilen. Jeder Satz. Jedes Wort. Jeder Buchstabe. Die Informationen, die sich daraus ergeben lassen mich meine eben ausgesprochene Aussage verdammt schnell vergessen. Jetzt wird mir auch klar, warum dieser Auftrag nicht den offiziellen Logenweg gegangen ist, sondern einen derartig geheimdienstmäßigen Touch hat. Der Scheiß geht tiefer, als ich es je hätte vermuten können.
„Fuck“, stoße ich überfordert aus und nehme noch einige Züge meiner Zigarette, ehe ich sie auf dem Tisch ausdrücke und mich, sie in den Mülleimer schnippend, aus dem Raum teleportiere.
 
Das Hauptlabor der Sichelloge. Selbst in der tiefsten Nacht bei voller Aktivität. Getarnt als staatlich finanzierter Biochemie-Riese. Generell sind die verschiedenen Labore auf unterschiedlichste Art und Weise vor der Öffentlichkeit getarnt. Der Höflichkeit halber erscheine ich vor dem mehrere Meter großen Sicherheitstor des Laboratoriums. Neben dem elektronisch bedienbaren Stahltor, welches von der Straßenlaterne neben mir beleuchtet wird, befindet sich ein kleines Wachhäuschen.
Eine Einfahrtsstraße führt genau durch die Sperrung hindurch und entstammt einer kreisrunden Abhangsbiegung hinter mir.
 Hinter der Glassichtscheibe mustert mich ein strenges Augenpaar, welches zu einem scheinbar gut durchtrainierten Wachmann gehört, dessen Gesicht sich nur schwer einschätzen lässt.
„Und wohin soll es gehen?“, fragt dieser in streng autoritärer Tonlage. Entweder hat er mein plötzliches Erscheinen nicht bemerkt, oder es ist ihm egal. Letzteres wäre ziemlich eigenartig, da die Sichelloge meines Wissens nach für diesen Wachposten keine Syndikatler einsetzt. Ich tippe demnach auf Ersteres.
„Herr Laubner erwartet mich“, erwidere ich in aller gebotenen Höflichkeit. Der Sicherheitsmann hebt dezent eine seiner stark gewucherten Augenbrauen. Generell scheint sein Gesicht vor immensen Haarwachstum nur so zu strotzen. Dieser wilde, dunkle Vollbart gibt der Wache einen nicht zu verachtenden Vikinger-Flair.
„Haben Sie einen Termin?“, hakt der strikt nach Handbuch handelnde Wachmann nach. Warum gerate eigentlich ich an einen der wenigen noch ordentlich arbeitenden Sicherheitsmann?

„Nein. Jedoch wenn Sie ihn anrufen und sagen, dass Herr Plasting nach ihm fra-“
„Kein Termin. Kein Einlass. Jetzt verschwinden Sie“, fällt mir die Barttinktur auf zwei Beinen grob ins Wort. Mein Augenlid zuckt. Ich habe nicht wenig Lust mir selbst Einlass zu gewähren. Ich gehe einige Schritte an das Sichtfenster heran und bohre meinen Blick in den des Uniformierten.
„Ich empfehle Ihnen ernstlich den Hörer in die Hand zu nehmen und Herrn Laubner über meine Anwesenheit zu informieren“, wiederhole ich mein Anliegen mit etwas mehr Nachdruck. Die Hand des Wachmannes gleitet zu seinem Pistolenhalfter.
„Das würde ich mir an Ihrer Stelle ganz genau überlegen“, knurre ich, bereit mich in das Wärterhaus zu teleportieren und zu tun, was notwendig werden wird, wenn dieser gottverfluchte Sohn einer Hure weiterhin mit seinem Leben zu spielen gedenkt. Da unterbricht das schrille Geräusch eines klingelnden Telefons die nervenaufreibende Spannung. Der Bärtige erschrickt und wechselt den Blick zwischen mir und seinem Telefon. Ein breites Lächeln legt sich ob meiner Vermutung über meine Lippen.
„An Ihrer Stelle würde ich da ran gehen“, sage ich etwas ruhiger. Die Hand der Wache, welche gerade auf dem Weg zur Pistole gewesen ist, greift nun zur schwarzen Sprechvorrichtung vor sich. Er hebt langsam den Hörer an sein Ohr, mich nicht aus den Augen lassend.
„Was gi- Oh, Herr Laubner. Ja. Ja, so jemand steht hier. Nein hab ich ni- Oh aber er hat gesa- nein nein alles gut. Ja mach ich. Wiederhören“, führt der Uniformierte ein scheinbar sehr intensives Gespräch, da dessen Stimme mit jedem Wort kleinlauter geworden ist. Noch während der eingeknickte Wachmann den Hörer auf dessen Station zurücklegt, betätigt er mit der freien Hand einen Schalter zu seiner linken. Das Stahltor beginnt sich monoton brummend zu öffnen und gibt den Weg und Blick auf ein irrwitzig großes, rundes Gebäude mit gewaltigem Kuppeldach frei.
„Herr Laubner erwartet Sie im Labor drei. Das ist da-“
„Mir ist bekannt, wo sich das Labor befindet“, grätsche ich dem Mann ohne Eigenschaften ins Wort und betrete das von diversen grellen Straßenlaternen beleuchtete Laborgelände.
 
„Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn Sie irgendwo aufkreuzen, Herr Plasting“, begrüßt mich ein ziemlich großer, ziemlich schlacksiger Mann in den 40igern. Stechende dunkelblaue Augen traktieren mich hinter einer kreisrunden Brille. Das kantige Gesicht, dessen blasse Oberfläche von früher Akne einige kraterartige Narben aufweisen, scheint schon eine Weile lang keinen Schlaf mehr gefunden zu haben.
„Warum begrüßen Sie mich eigentlich nie bei meinem Rufnamen?“, frage ich seufzend, an einen der zahlreichen tristgrauen Schränke gelehnt, die sauber in parallelen Reihen aufgebaut worden sind und deren Durchgangsmitte Platz für gerade einmal zwei dünne Personen oder einen halben Maik erlauben. Kurz mustert mich der vorzeitig ergraute Anführer der Sichelloge, dessen selbstgewählter Rufname „Radon“ ist. Wie das Edelgas im Periodensystem der Elemente.
„Weil Sie nicht offiziell hier sind, denn wenn Sie es wären, gäbe es entweder vorher eine Mitteilung über Ihr Erscheinen, oder ich wäre längst tot. Da weder das Eine, noch das Andere der Fall ist, gehe ich davon aus, dass Sie in einer inoffiziellen Angelegenheit eine Unterredung wünschen, woraufhin ich mir die offizielle Anrede spa-“
„Ist gut, Radon. Ich habe nicht nach einem Roman gefragt“, murre ich dazwischen und kratze mir genervt über meinen stoppeligen Bart. Der weiße Kittel des Wissenschaftlers ist im tadellosen Zustand, sodass man den Eindruck gewinnt, er hätte ihn frisch angezogen. Ohne auf mich zu reagieren, fährt Radon damit fort, die Regale nach etwas mir unbekanntem zu untersuchen.

„Aber richtig erkannt. Ich bin in einer inoffiziellen Angelegenheit hier und muss Sie etwas bezüglich einer ehemaligen Wissenschaftlerin der Loge fragen“, erkläre ich mich, da Radon keine Anstalten macht meinen Anwesenheitsgrund zu erbitten. Das passt zu ihm. Er lässt immer die Leute von sich aus erzählen, was sie möchten. Kommunikation ist nicht so seine Stärke. Der dürre Logenanführer hält inne und wendet sich mir zu, seine etwas dreckige Brille zurechtrückend.
„Eine ehemalige Wissenschaftlerin, hm? Für gewöhnlich existiert so etwas wie „ehemalig“ im Kontext des Syndikates nur im Falle des Ablebens. Hat diese Dame auch einen Namen?“, hinterfragt Radon, drängt sich an mir vorbei und biegt in dem durch die eng stehenden Regale nach links. Am Ende des „Durchgangs“ wird der Raum wieder etwas breiter. Dort steht einsam ein schlichter Holztisch, auf dem eine Tischlampe und einige lose durcheinander liegende Blätter befindet. Radon lässt sich auf den gepolsterten Bürostuhl hinter dem Arbeitsplatz nieder und weist mir schweigend den Freien davor zu. Nickend setze ich mich.
„Dr. Manuela Wayne“, antworte ich kurz darauf, ohne weitere Umschweife. Für einige Augenblicke ändert sich der gefasste Ausdruck im Gesicht des hochintelligenten Logenbosses. Er wirkt erschrocken. Jedoch fängt er sich exakt so schnell, wie diese Überraschung gekommen ist.
 
„Ich hatte gehofft diesen Namen nie wieder hören zu müssen“, seufzt Radon erschöpft hervor und nimmt seine Brille ab, um sie mit dem Ärmel seines Kittels zu „putzen“.
„Mir wurde der Auftrag erteilt nach ihr zu suchen, da sie die Formel unserer durchsichtigen Spritzen für ihre Zwecke zu missbrauchen begonnen hat“, erkläre ich mit ruhiger Stimme und lehne mich auf dem gemütlichen Bürostuhl zurück. Aufmerksam beobachte ich, ob mein eben so überraschter Gesprächspartner etwas in seiner Körpersprache so verändert. Fehlanzeige. Nachdem er seine Brille fertig geputzt hat und sie wieder aufsetzt, schaut Radon fest in mein verbliebenes Auge.
„Sie meinen also, dass sie nicht- Das sieht dieser Wahnsinnigen ähnlich“, faucht der Boss der Sichelloge entnervt.
„Wie meinen Sie das?“
„Bis vor einer Minute dachte ich, dass diese Frau tot ist, Einauge“, erklärt Radon seinem kantigen Schädel in Falten legend. Er hat mich bei meinem Rufnamen genannt. Scheint, als wäre diese Angelegenheit von derartiger Bedeutung, dass es nun doch vonnöten ist, diesen Namen zu benutzen. Darum auch die Überraschung, als ich eben den Namen ausgesprochen habe.
„Wie ist sie denn ‚gestorben‘?“, forsche ich mit weiterhin ruhiger Stimme nach. Der Wissenschaftler erhebt sich schwer durchatmend von seinem Platz, um zu einem kleinen Beistelltisch hinter sich zu gehen, auf dem eine schwarze Kaffeemaschine steht.
„Auch einen?“, fragt er. Ich verneine und warte geduldig, bis er sich etwas von dem schwarzen Zeug eingegossen hat und wieder hinter seinem Schreibtisch platz nimmt.
 
„Feldforschung von unseren Genetikern. Doktor Wayne und einige ihrer Assistenten waren in Italien, da wir dort von einer anomalen Kreatur erfahren haben. Wir wollten vor der SCP-Foundation oder den anderen Gruppierungen vor Ort sein, um uns dieses Wesen genauer anzuschauen. Es kam nur ein Assistent zurück. Alle anderen wurden laut Videoaufzeichnungen von dieser Kreatur getötet. Auch Doktor Wayne. Jedoch sind nun Sie hier und ich gehe stark davon aus, dass unser Boss davon Bescheid weiß. Das wiederum bedeutet zwangsläufig, dass der Doktor wohl doch noch am Leben ist“, schließt Radon aus der Situation. Es hat keinen Zweck zu lügen.
„Richtige Mutmaßung. Ich wurde damit betraut das zu vollenden, was dieses Kreatur nicht erreicht hat“, sage ich kühl. An dem Kaffee nippend, nutzt mein Gegenüber scheinbar den Moment, um in sich zu gehen und seine nächsten Worte abzuwägen.
„Nun. Ich bin ob des Aufenthaltsortes der Doktorin nicht im Bilde. Jedoch kennen wir Beide jemanden, der es Ihnen zu sagen vermag“, antwortet Radon vielsagend und ich wünsche mir im selben Augenblick, er hätte es nicht getan. Ich seufze schwer und lasse meinen Kopf hängen.
„Ich will echt nicht zu ihr“, lasse ich in einem Moment der Unprofessionalität heraus zischen.
„Eine Antipathie, welche ich nur zu gut nachvollziehen kann. Kaum einer genießt gerne ihre Anwesenheit“, bestätigt Radon mit einem Anflug von Lächeln meine Worte. Ein markerschütternder Knall samt Beben lässt uns beide hochschrecken. Wir schauen uns einen Moment an.
„Außenbereich“, kommt von Radon. Ich greife dessen Arm und im nächsten Augenblick befinden wir uns direkt vor dem Laboratoriumsgebäude. Zu unsere Füßen ein komplett zerstörter Körper, dessen von Blut durchsiffte Uniform mir eine klare Vermutung beschert, welchen armen Teufel es erwischt hat. Überall um uns herum verteilt liegen Reste des Stahltores, durch das ich vorhin das Gelände betreten habe.
 
„Das gefällt mir gar nicht“, murre ich, als mein verbliebenes Auge ein Etwas auf zwei Beinen seieht. Es steht beinahe im Zentrum des Lichtkegels der Straßenlaterne vor der Einfahrt. Ein schräg deformierter, von Beulen übersäter Torso ohne erkennbaren Kopf, dafür aber mit mehreren peitschenähnlichen Auswüchsen rund um den Körper.
„Ach schau mal. Ist nur einer eurer Wissenschaftler“, kommentiere ich, meine Nervosität zu überspielen versuchend.
„Sehr lustig, Einauge. Könnten Sie sich bitte um dieses entartete Etwas kümmern?“, knurrt Radon mürrisch. Das brauche ich mir nicht zwei Mal sagen zu lassen und nehme meine Pistole aus dem Halfter unter meiner Robe. Mehrere laute Schüsse. Ohren klingeln. Normalerweise würde ich ja den Kopf anvisieren, doch wo nichts ist, da kein Ziel. Daher treffen meine Kugeln in verschiedene Körperbereiche. Eine Reaktion bleibt jedoch aus. Dieses widerliche Etwas setzt sich mittels zittriger, kleiner Schritte in Bewegung.
„Wäre ja auch zu leicht gewesen“, zische ich hervor und stecke meine Waffe wieder weg. Wenn ich mir das überall verteilte Stahltor anschaue, bin ich nicht sonderlich scharf drauf mit diesem Ding auf Tuchfühlung zu gehen.
„Ohren zuhalten“, sage ich knapp zu Radon, der es gerade noch schafft meiner Anweisung nachzukommen, ehe ich geöffneten Mundes einen Schrei rauslasse, auf den selbst Melissa neidisch wäre. Charakteristisches Kratzen in meinem Hals. Ich hasse diese scheiß Kraft. Das Vieh bleibt unbeirrt in Bewegung. Hab ich auch nicht anders erwartet, aber..
Mit dem geschickten Einsatz der kopierten Schallfähigkeit Paleos, reiße ich das Monster, welches aus einem Hentai entsprungen sein könnte, von den Beinen. Dieses Mal kein Zurückhalten, wie bei Vögelchen. Jetzt lasse ich mich überraschen, wie schnell Schall einen Körper zu zerfetzen vermag. Lachend lasse ich die Schallfrequenz meines eben eingesetzten Schreis auf mein förmlich in der Luft schwebendes Zielobjekt einprasseln. Druckstellen entstehen auf der gräulichen Hautoberfläche des Wesens, als würde etwas nicht sichtbares, tonnenschweres von allen Seiten den wandelnden Torso zerdrücken. Wohl vernehmliche, über den Platz des Geländes hallende Knackgeräusche resultieren aus der aufgebrachten Kraft. Achtlos lasse ich den Schall vergehen und mit einem lauten, nässlichen Flatsch, klatscht das leblose Fleisch auf den Boden.
 
„Hat die Sichelloge Verwendung für sowas?“, frage ich mit kratzig angeschlagener Stimme.
„Diese Frage war sicherlich ironischer Natur“, erwidert Radon, der bereits auf dem Weg zum toten Etwas ist. Einige Male tief Luft holend, trotte ich hinter dem Sichellogen-Boss her, um das komische Etwas aus der Nähe betrachten zu können. Schlaff liegen die peitschenähnlichen Fleischschläuche abgetrennt um das eingedellte Etwas herum. Radon betrachtet das Wesen aufmerksam, bevor er vernehmlich keuchend in die Hocke geht. Vermutlich um Proben zu nehmen. Eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Ehe ich etwas machen kann, saust einer dieser Fleischgebilde mit unmenschlicher Geschwindigkeit an mir vorbei und umschlingt den Körper des Wissenschaftlers.
„Fuck“, stoße ich erschrocken aus und teleportiere mich einige Meter zurück in Sicherheit, um eventuelle Angriffe auf mich besser abschätzen zu können. Radon kommt zurecht.
Eine dieser anderen Fleischschläuche scheint sich irgendwie vom Boden abzustoßen und rast mit einem Affenzahn auf mich zu. Die erweiterte Entfernung hilft mir einen günstigen Ausweichwinkel zu erwischen, sodass ich mich lediglich zur Seite werfen muss, um der widerlichen Attacke zu entgehen.
„Was zum Teufel ist hier los?“, zische ich überfordert hervor und rappel mich wieder auf die Beine. Ich habe mich gerade in die ungefähre Richtung des Was-Auch-Immers gewendet, als etwas mit solch einer immensen Wucht mein Gesicht trifft, dass mir kurz die Luft wegbleibt. Unvorbereitet heftige Schmerzreize peitschen durch meine Nervenbahnen und ehe ich reagieren kann, verfällt mein Körper in die Bewegungslosigkeit. Dieses Mistding hat meinen Körper ebenso umwickelt, wie Radon. Egal wie sehr ich es auch versuche. Ich kann mich nicht befreien. Teleportation bringt mir auch nichts, weil sich alles mitbewegt, das mich berührt.

„Scheiße!“, brülle ich lauthals und falle unsanft zu Boden. Panik steigt langsam in mir hoch. Hilflos zappel ich wie ein Fisch an Land auf der Erde herum.
„Halt still“, spricht eine mir bekannte, männliche Stimme. Radon. Eine seiner Phiolen über die stetig kräftiger drückende Schlinge ausgießend. Die kurze Stille wird durch das zischende Geräusch ätzenden Fleisches unterbrochen und augenblicklich durchfährt mich absolute Erleichterung, als dass dieses Fleischgebilde seinen tödlichen Griff um mich lockert. Hektisch befreie ich mich von dem allmählich dahinschmelzenden Etwas, ehe auch ich in Kontakt mit der Flüssigkeit trete, die das peitschenähnliche Fleischstück dahinrafft. Einige Male tief Luft holend, komme ich endlich wieder auf die Beine. Die kühle Abendluft wirkt unendlich belebend auf mein noch unter Anspannung stehendes Gemüt.
„Danke“, sage ich nickend zu Radon, welcher seinen Blick noch auf die grau-rötliche Lache gerichtet hat. Ich verstehe die Kraft des Typen nicht wirklich. Soweit mir bekannt ist, ist Radon in der Lage jede Flüssigkeit in eine andere „umzuwandeln“. Aber wie er das macht, ist mir ein Rätsel. Und da er weiß, wie meine Fähigkeit funktioniert, wird er einen Scheiß tun und mir die Funktionsweise erklären. Generell weiß jeder Logenboss, was die Fähigkeiten, wenn vorhanden, der anderen Anführer sind.
„Sie sollten Diamond aufsuchen. Ich kümmere mich derweil um…  meinen Gast“, kommt nach einer Weile vom Anführer der Sichelloge. Ich nicke.
„Wenn Sie etwas brauchen, Radon, geben Sie mir Bescheid. Sie haben etwas gut bei mir“, erwidere ich lächelnd und warte nicht auf eine Antwort seinerseits. Das vertraute Gefühl der massiven Geschwindigkeit durchfährt mich, während ich mich davon teleportiere.
 
„Was für schönes Menschenmaterial. Wenn er nicht für wen anderes bestimmt wäre, würde ich mich von ihm ficken lassen. Einen schönen breiten Schwanz hat er allemal. Ein Jammer“, murmele ich mir selbst im leider etwas klein geratenen Hinterzimmerbüro meines zweitlieblings Bordell zu. Diffuses Licht zweier Standlampen geben meinem ohnehin schon verrauchten Raum eine wundervoll zwielichtige Atmosphäre. Das Zimmer hier eignet sich eigentlich nur für kleinere Meetings zwischen meiner menschlichen Ware und mir. Ein kleiner Eckschreibtisch und drei simple Polsterstühle sind samt der Lampen, einem Feldbett, eines Beistelltisches und einer Wanduhr das Einzige hier vorfindbare Mobiliar.
Rücklinks auf besagtem mannbreiten Feldbett liegend, beginne ich gleich die Modellierung meiner wertvollen Menschenware. Gut in Sichtweite ist mein Handy auf meinem Beistelltisch an der Wand angelehnt. Das Display zeigt das ziemlich markante Gesicht eines androgynen jungen Mannes in seinen 20igern.

„Das wird kein sonderliches Upgrade, mein Schöner. Ich find dich ja so um einiges schärfer. Aber hey. Der Penis des Kunden will, was der Penis des Kunden will“, sage ich zu meiner narkotisierten Ware. Gekonnt binde ich mir meine glänzend braunen, langen glatten Haare zurück. Mit Schmackes versenke ich meine Finger, deren Nägel dunkel lackiert sind, in das Gesichtsinnere des lebenden Fickfleisches vor mir. Das warme, glitschige Gefühl, welches sich um meine Finger ausbreitet erinnert mich jedes Mal an nassen Ton, gepaart mit der wohligen Wärme menschlicher Haut.
„Jetzt wird das getan, was du später am Schwanz deines Geldgebers tun darfst. Geknetet“, kommentiere ich kichernd, als ich die Gesichtshaut des eben noch heißen Typens umzumodlieren beginne. Als würde ich Ton greifen und nach meinem Willen umformen, bearbeite ich die Hautstruktur meiner menschlichen Ware. Wäre er wach, würde er mir unter Garantie die Ohren heftiger vollschreien, als Hardcore-SM-Sexsklaven während einer zerberstenden Doppelpenetrationssession unter Zuhilfename überdimensional langer, breiter Dildos samt Vibrationsfunktion. Weich wie Kinderknete, lässt sich die Haut nach meinem Willen umformen. Die gesamte Prozedur dauert fast eine Stunde und ist ein purer Energiesauger. Doch meine Arbeit ist erfolgreich. Um zu vergleichen, halte ich mein Smartphone, das in einer dunklen Hülle steckt, neben das Gesicht meiner Ware. Gründlich betrachte ich das Vorlagenbild und den nun identisch aussehenden Mann. Auch die Kiefer- und Wangenpartie ist gleich. Die zuvor zu hohe Stirn ist  ausgeglichen. Das kleine Näslein breiter gestaltet. Lippen schmaler. Auch der Schönheitsfleck ist an der rechten Lippenstelle, wo er zu sein hat. Körpergröße hat schon vorher beinahe übereingestimmt, doch das ist dem Kunden nicht wichtig. Überraschenderweise ist dem Geldgeber auch die Penisgröße und -form gleichgültig.
„Wahrscheinlich will er ihn einfach nur gehörig durchficken“, kommentiere ich meine eigenen Gedanken und zucke mit den Schultern.
 
„Damit dürftest du dich ja bestens auskennen“, spricht eine männliche Stimme direkt hinter mir.
„Um Gottes Willen!“, brülle ich komplett erschrocken, als ich umwirbel. Mich schaut ein blonder Mann mit Augenklappe und zugeknöpfter dunkelvioletter Robe an. Ein freches Grinsen umspielt seine dünnen Lippen, während mich sein verbliebenes Auge taxiert. Dass der Kerl da ist, kann nichts Gutes bedeuten.
„Einauge“, hauche ich versucht lasziv.
„Guten Abend, Diamond“, begrüßt mich der Anführer der Mondloge freundlich und tritt an mir vorbei, nur um sich ein wenig über mein Werk zu beugen. Scheinbar um ihn sich näher anzuschauen.
Es ist niemals ein gutes Zeichen, wenn fernab von Inanspruchnahme der angebotenen Dienstleistungen Typen von der Mondloge auftauchen. Und noch weniger, wenn es gleich deren Boss ist.

„Was möchte der bestaussehenste unter allen Söldnern und Mördern von einer gutaussehenden Frau wie mir?“, schnurre ich sanft und erinnere mich an das eine Mal, als Einauge und ich miteinander gevögelt haben. Zugegeben, die Nacht ist verdammt geil gewesen. Aber abgesehen davon versuche ich Kontakt zu der Mondloge zu meiden. Wenn du als Auftrag auf Einauges Tisch landest, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis du tot bist. Seufzend, als hätte er bereits einen anstrengenden Abend gehabt, richtet sich der Einäugige zu voller Größe auf und blickt mich wieder direkt an. Mir läuft es eiskalt den Rücken runter. Der Scheißkerl scheint direkt in mein Innerstes zu schauen. Seine gesamte Aura strahlt „Tod“ aus.
„Ich habe ein paar Fragen bezüglich einer Sichellogenforscherin, die ihren Tod vorgetäuscht hat, um das Syndikat zu verraten. Ich wurde an dich weitergeleitet“, erklärt sich Einauge und auch wenn sein Ton vollkommen ruhig ist, schwingt eine bedrohliche Eindringlichkeit innerhalb seiner Worte mit. Eine Sichellogenforscherin? Verwirrt hebe ich eine Augenbraue.
„Hat sie sich mal was von uns bestellt, oder warum soll ich etwas davon wissen?“, frage ich verwirrt,
„Weil Dr. Manuela Wayne und du nachweisliche Verbindungen habt. Familiärer Natur“, antwortet Einauge nun düsterer.
 
Fortsetzung folgt…

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