Kuhschelle 🌸~ Die violetten Blumen
~ Die violetten Blumen ~
by NalyaCramer
Gewöhnliche Kuhschelle - Pulsatilla vulgaris
Die gewöhnliche Kuhschelle steht für Dankbarkeit.
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Während ich durch die Reihen der Bibliothek schlenderte, hatte ich meinen Blick die ganze Zeit auf eine Reihe der hohen Bücherregale gerichtet. Ich kannte die Anordnungen schon fast auswendig, schließlich war ich fast jeden Tag hier, jedoch beruhigte es mich durch die Büchergassen zu gehen. Der Geruch von Büchern hing in der Luft und ich sah Staubkörnchen im leichten Sonnenlicht tanzen, das durch eines der wenigen Fenster hier drinnen schien. Diese Atmosphäre... einfach unglaublich schön. Mein Blick glitt über die Unmengen an Büchern, bis er schließlich an einem Buch hängen blieb. Es war groß und beim Nähertreten erkannte ich, dass es auch ziemlich eingestaubt war. Ich hatte es noch nie wahrgenommen, obwohl das hier eine meiner Lieblingsreihen war. Langsam hob ich meine Hand und strich über den Einband. Er fühlte sich rau an und... alt. Als ob schon viel mit diesem Buch geschehen war. Mit einem Ruck zog ich es heraus. Zwar war ich etwas verwirrt, da es schwerer war als die zweifingerbreite Seitenanzahl vermuten ließ, doch das hielt mich nicht davon ab, es aufzuschlagen. Viele kleine Staubkörner wirbelten auf und tobten mit den anderen in dem Lichtstrahl. Ich schaute kurz hin, schenkte dann jedoch meine ganze Aufmerksamkeit wieder dem offenen Buch, das jetzt auf meinen Händen lag. Doch die Seite war leer. Verwundert blätterte ich eine Seite weiter, wobei ich wirklich Schwierigkeiten hatte, da ich mit der einen Hand das schwere Buch hielt und mit der anderen umblätterte. Aber auch hier war nichts zu sehen. In wenigen Schritten war ich beim nächstgelegenen Tisch, wo ich das Buch ablegte und mich auf einen Stuhl davor setzte. Außer mir war diese Etage der Bibliothek verlassen, wie eigentlich immer. Die meisten wussten gar nicht, dass es noch ein Stockwerk gab, was ich aber nicht bedauerte. Ich hatte mittlerweile schon fast die Hälfte des Buches durchgeblättert, als ich doch auf etwas stieß. Ich begann sofort es zu lesen und tauchte ein, in die Welt der Worte.
Der Tag beginnt,
In der Ferne schreit ein Kind.
Ich kann es hören,
doch meine Gedanken wird es nicht stören.
Ich kann es nicht wissen,
doch ich weiß es,
ich vertraue mir selbst,
mehr als jedem anderen.
Wenn Ich denke, dass etwas gut ist,
glaube ich mir,
im Jetzt oder Hier.
Noch nicht wissend, was ich von diesem Text halten sollte, blätterte ich auf die nächste Seite. Dort ging der Text wie erwartet weiter.
Ich gehe durch die Straßen und höre.
Ich höre und beobachte.
Beobachte die Menschen, höre ihren Worten zu.
Alle haben eigene Pläne.
Ihre Gedanken sind bei sich und in dem Menschentrubel schwimmen sie mit, da es aufhalten würde sich gegen die Masse zu stemmen.
Ich bleibe stehen.
Ich höre viele Leute reden.
Unterhaltungen, Lachen, Austausch.
Der Fluss der Worte fließt mir entgegen und ich höre viele Sätze.
Doch das gewünschte Wort ist nicht dabei.
Ich gehe weiter.
Vielleicht ist es woanders leichter.
Ich verschlang den Text förmlich. Seite für Seite blätterte ich um und konnte meine Augen nicht für eine Sekunde von den Druckbuchstaben nehmen, die augenscheinlich mit einer Schreibmaschine geschrieben worden waren.
Worte.
Es gibt Weniges, was mächtiger ist als Worte.
Sie bilden unseren Alltag.
Sie können Menschen zerreißen.
Sie können Menschen wieder zusammenflicken.
Worte sind nichts Materielles, nichts, das man in die Hand nehmen kann.
Trotzdem können sie mehr wiegen als jeder Stein.
Wieviel ein Wort wiegt, kommt nicht auf die Masse, sondern auf die Art des Wortes an.
Zehntausend leere Worte sind nicht halb so viel wie ein ehrlich gemeinter Satz.
Menschen haben so eine unglaubliche Macht, dadurch, dass sie einfach nur reden können.
Doch wie es mit jedem machtvollen Bestandteil ist, wissen viele nicht, wie sie damit umgehen sollen.
Es gibt viele gute Wege, Worte zu nutzen.
Und so viele grauenhafte.
Jeder einzelne Satz zog mich in seinen Bann und ich konnte nichts dagegen tun, als weiter zu blättern.
Ich schlendere weiter durch die Straßen.
Die Menschenmassen um mich herum scheinen mich gar nicht wahrzunehmen.
Es ist laut.
Die Lippen eines jeden bewegen sich innerhalb weniger Momente.
Viele stolze Reden, wohl geformte Sätze und angeregte Erzählungen dringen an mein Ohr.
Meine Augen erblicken viel Schönheit.
Bunte Kleidung.
Girlanden, die von Straßenlaterne zu Straßenlaterne hängen.
Blumen, am Rand mancher Wege.
Auch wenn ich unter den Blumen eine wunderschöne Blume erkennen kann, die Pulsatilla vulgaris, auch genannt gewöhnliche Kuhschelle, kann ich hier nicht erkennen, was ich suche.
Je mehr ich las, desto nachdenklicher machten mich die Worte. 'Wer hatte sie geschrieben? Und wieso? Vielleicht war ja auf den nächsten Seiten etwas darüber zu finden?'
Viele Menschen sind sich ihrer Macht der Worte aber auch gar nicht bewusst.
Doch man sollte niemals vergessen, dass sie für andere Menschen auch andere Bedeutungen haben.
Leider gibt es viel zu viele Menschen, die schon lange nicht mehr den Klang netter Worte in den Ohren hatten.
Es ist nicht selbstverständlich nette Worte gesagt zu bekommen.
Die Macht der Worte nicht gegen andere einzusetzen, sondern anderen zu schenken.
Und genau deshalb sollte man für jedes einzelne nette Wort dankbar sein, das einem geschenkt wird.
Ein Geschenk ist nicht alltäglich.
Nette Worte auch nicht.
Verschenken und geschenkt bekommen.
Vielleicht wird darauf in nächster Zeit mehr geachtet.
Wir können dankbar sein.
Für die Handfertigkeit von Autoren, die aus den Worten Sachen formen und sie zu ihren eigenen machen.
Für Poeten, die sich in Worte hineinversetzen können, als wären sie selbst welche und sie zusammenfügen, wie sie zusammengehören.
Für jeden Menschen, der heute etwas Nettes zu einem anderen gesagt hat.
Und besonders für diejenigen, die es bewusst getan haben.
'Dankbar für Worte?' Ich war noch nie dankbar für ein Wort gewesen. Nachdenklich blätterte ich um. Erschreckt und etwas enttäuscht stellte ich fest, dass es die letzten Worte waren, die hier standen. Und mein Gefühl sagte mir, dass auch im restlichen Buch kein weiteres stehen würde. Also gab ich mich ganz den letzten verbliebenen Sätzen hin.
Ich bleibe erneut stehen.
Ein Lächeln erscheint auf meinen Lippen.
In diesem Moment weiß ich, dass ich gefunden habe.
Ich höre tief in die vielen Menschenstimmen hinein.
Bis diese eine in mein Ohr dringt.
Ich schließe die Augen und lausche der Stimme.
Sie sagt nur ein einziges Wort.
Und jedes Mal, wenn es gesagt wird, sprießt eine violette Blume mehr aus dem Boden.
Danke.
Langsam schloss ich das Buch. Verwirrt sah ich, dass auf dem Cover in goldener Schreibschrift Dankbarkeit geschrieben stand. Darunter war eine violette Blume zu erkennen, unter der Pulsatilla vulgaris zu lesen war. Das war hier aber gerade eben noch nicht gewesen. 'Oder hatte ich es einfach nur übersehen?' Irgendwie ließen die Worte mich nicht los. Auch nicht, als ich das Buch zurückstellte, aus dem Gebäude ging und wieder in die lärmende Welt eintrat. Dankbar für Worte sein. 'Wie war man denn dankbar? Musste man es aussprechen oder einfach nur denken?' In diesem Moment kam eine ältere Dame auf mich zu. Sie hatte weißes, gelocktes Haar und augenscheinlich Schwierigkeiten ihre Einkäufe zu heben. 'Sollte ich ihr helfen?' Kurzentschlossen ging ich auf sie zu. „Entschuldigung, kann ich Ihnen helfen?", fragte ich sie. Dankbar lächelte sie mich an. „Oh, das wäre wirklich nett. Normalerweise nehme ich keine Hilfe von Fremden an, aber diesmal habe ich wohl wirklich eine Flasche Milch zu viel gekauft", erklärte sie. Ich begleitete sie noch bis zur Bushaltestelle, an der ich ihre Tasche dann abstellte. „Vielen Dank. Man erlebt ja leider nur selten solche Hilfsbereitschaft", sagte sie. Ich nickte. „Kein Problem. Haben Sie noch einen schönen Tag", wünschte ich und lächelte. Sie lächelte zurück. „Dankeschön." Damit hatte sie sich auch schon auf einen der Warteplätze gesetzt. Ich ging in die Richtung, aus der ich gerade gekommen war zurück. Ich glaube, ich hatte verstanden. Die Frau hatte sich bei mir bedankt, zum einen für das Tragen, doch zum anderen auch für meinen Wunsch, sie solle einen schönen Tag haben. Es waren nur sechs Worte gewesen, die sie zum Lächeln gebracht hatten. Somit ging ich weiter die Straße entlang, in dem Wissen, dass ich alleine durch meine Worte in der Lage war Menschen glücklich zu machen.
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