Duftveilchen 🌺 ~ El sufrimiento de la violeta perfumada

~ El sufrimiento de la violeta perfumada ~

by ziallhorlikstalker

Duftveilchen - Viola odorata

Das Duftveilchen steht für die Schüchternheit.

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Seit zwei Wochen sehe ich ihn immer dort oben auf der Anhöhe sitzen. Anfangs noch mit einer dicken Jacke und einer Decke, mittlerweile nur noch im dünnen Langarmshirt.

Meistens sitzt er, oft lag er aber auch entspannt im niedrigen Gras und genoss offenbar die Sonne und die Ruhe, denn er beschäftigte sie nie mit etwas anderem. Er war einfach dort und wirkte dabei entspannt.

Jeden Tag war er da und jeden Tag kam ich hier vorbei und beobachtete ihn aus der Ferne, während ich eigentlich meiner Arbeit nachgehen sollte.

Vor drei Wochen habe ich es nach Jahren endlich wieder geschafft meine Großeltern zu besuchen und kann nun voller Vorfreude noch auf weitere zwei Monate blicken, die ich hier in dieser Idylle verbringen kann.

Als Kind hatte ich jede Ferien hier verbracht, doch je älter ich wurde desto weniger Zeit hatte ich, wodurch meine Großeltern leider etwas in den Hintergrund gerutscht waren.

Das wollte ich wieder etwas gut machen, deswegen verbrachte ich jetzt gleich so viel Zeit am Stück hier.

Hier war ein alter Bauernhof, gut einen Kilometer vom nächsten Haus und ganze fünf Kilometer vom nächsten Dorf entfernt. Kurz mal Einkaufen fahren, war hier nicht.

Deswegen wunderte es mich umso mehr, den jungen Mann allein auf der Anhöhe sitzen zu sehen, ohne Auto oder Fahrrad in der Nähe. Zu Fuß dauerte es ewig irgendwo hinzukommen, aber offenbar nahm er die Zeit gerne in Kauf.

Irgendwie konnte ich ihn aber auch verstehen.

Auf der Anhöhe mit dem dichten Fichtenwald im Hintergrund hatte man eine atemberaubende Aussicht auf die umliegenden Felder und oft trauten sich sogar am helllichten Tag die Rehe auf die Wiese.

Außerdem begannen auf der Wiese, auf der er immer saß, bereits die ersten Knospen zu treiben, was daraufhin deutete, dass der Frühling in den Startlöchern stand.

Heute war ein besonders warmer Frühlingstag und wie die letzten Tage auch war ich mit Opas altem Hengst Apollo unterwegs.

Mein Weg führte mich wie selbstverständlich durch den Wald hinauf auf die Anhöhe, in der Hoffnung den Fremden dort wieder zu sehen.

Bis jetzt hatte ich noch nicht den Mut ihn anzusprechen, aber heute wollte ich mich endlich dazu durchringen. Dafür hatte ich extra eine weitere Wasserflasche eingepackt, damit ich ihm bei den beinahe sommerlichen Temperaturen etwas zu trinken anbieten konnte.

Apollos Hufe trafen im seichten Trab dumpf auf der feuchten Waldboden auf und brachten mich meinem Ziel immer näher, während der laue Wind mir die ersten Frühlingsdüfte entgegenbrachte.

Der Frühling - die Zeit, in der die Natur wieder zu neuem Leben erwachte - war schon seit Kinderfüßen an meine liebste Jahreszeit.

Als die Wiese durch die dichten Bäume zu erahnen war, stieg meine Nervosität ins Unermessliche. Es fiel mir schwer mich davon abzuhalten, meinen Plan nicht einfach wieder zu verwerfen.

Viel zu oft hatte ich mich davor gedrückt, aber heute, heute war es endlich so weit.

Mit einem zufriedenen Schnauben trabte Apollo auf die Wiese - soweit hatten wir uns dato noch nie hinaus getraut - und sofort fiel mir die Gestalt auf, die entspannt zwischen den Blumenknospen lag und offenbar die Sonne genoss.

Ich konnte es mir nicht nehmen einige Augenblicke seine Schönheit aus der Ferne zu bewundern.

Rabenschwarze Haare, ein leichter Drei-Tage-Bart, sinnliche Lippen, deren rote Farbe mich bis hierher anlächelte, seine großgewachsene Statur.

Ich hatte ihn nie stehen sehen, aber selbst wie er so da lag, konnte ich mit Sicherheit sagen, dass er größer war als ich.

Leider hatte ich mich nie nah genug an ihn herangetraut, als dass ich seine Augenfarbe erkannt hatte.

Außerdem trug er die meiste Zeit eine schwarze Sonnenbrille, die mir sowieso die Sicht darauf versperrt hätte.

Meine Knie zitterten als ich langsam vom Apollos Rücken rutschte. "Bleib hier, mein Junge", säuselte ich dem Hengst zu, der sich jedoch schon auf das junge Gras gestürzt hatte und mich gänzlich ignorierte.

Ich atmete ein letztes Mal tief durch, ehe ich zögerlich auf den Fremden zuging.

"Hey. Uhm, entschuldige, dass ich dich störe. Ich, ähm... bin Joe und..." Meine Stimme zitterte und eingeschüchtert wie ich war, hätte ich mich am liebsten gleich wieder umgedreht und wäre gegangen. Doch damit würde ich mich jetzt nur noch mehr blamieren.

"Hey, Joe." Seine tiefe Stimme riss mich aus meinem Gedankenkarussell, welches bei dem rauen Kratzen sofort stoppte. "Ich bin Chester. Ich habe mich schon gefragt, wann du mich endlich ansprichst." Ein leises Lachen kam von ihm und ich konnte sehen, wie er die Lippen zu einem Lächeln verzog.

Ich stand hinter ihm und er lag weiterhin auf dem Rücken und starrte zum Himmel hinauf. Aus der Position konnte er mich nicht sehen und offenbar wollte er auch nicht wissen, wie sein Gesprächspartner aussah, denn er wand seinen Blick nicht vom wolkenlosen Himmel ab.

'Warte... Er hat bemerkt, dass ich ihn immer vom Waldrand aus beobachtet hatte?'

Ich war nie auf die Wiese hinausgetreten, aus Angst, er würde mich bemerken und am nächsten Tag nicht mehr wiederkommen, weil ich seine Ruhe gestört hatte.

Augenblicklich schoss mir die Röte ins Gesicht und urplötzlich war ich froh, dass er mich nicht ansah.

"Du-u... hast mich... bemerkt?", fragte ich zögernd nach und ließ mich mit etwas Abstand neben ihn auf der Wiese nieder.

Wie oft hatte ich mir genau dieses Szenario bereits vorgestellt? Wie oft wollte ich mich zu ihm setzen?

"Dich weniger, aber dein Pferd. Ihr seid jeden Tag da." Seine sinnlichen Lippen umspielte weiterhin ein sanftes Lächeln und entzückt stellte ich fest, dass Chester aus der Nähe noch viel schöner war als aus der Ferne.

"Wieso hast du mich nicht vorher angesprochen?", lachte er und drehte mir nun doch sein Gesicht zu.

Aus der Nähe konnte ich auf seinen Nasenrücken vereinzelte Sommersprossen erkennen, die seinem Gesicht nur noch mehr Schönheit verliehen.

Hoffentlich wird er durch die dunklen Gläser seiner Sonnenbrille meine roten Wangen nicht erkennen können, welche unter seinem Blick nur noch dunkler wurden. Ich hatte beinahe Angst, dass mein Herz gleich die Funktion einstellen würde, weil es so wild klopfte.

"Ich... uhm weiß nicht", antwortete ich ausweichend und wandte meinen Blick vom ihm ab.

Wenn ich ihn weiterhin so anstarrte, würde er mich gleich noch komischer finden als ohnehin schon. Ich meine, er hat bemerkt, dass ich ihn zwei Wochen lang heimlich beobachtet hatte. 'Kann ich da überhaupt noch komischer rüberkommen oder war das gesamte Ausmaß schon erreicht?'

"Sei nicht so schüchtern. Ich beiße nicht." Sein Lachen war melodisch und beruhigte meine Nervosität auf eine unbekannte Art und Weise.
"Bist du dir sicher?", antwortete ich gespielt locker und ärgerte mich im selben Moment darüber, wie unsicher meine Stimme klang.

'Joe. Reiße dich zusammen! Du bist 24 Jahre alt. Du wirst dich wohl mit einem anderen Mann unterhalten können. Einem unglaublich hübschen anderen Mann.'

Allein auf einer Wiese, abgetrennt von jeglicher Zivilisation.

Ich schluckte trocken.

Sein raues Lachen hallte zwischen uns und mit einem kecken Lächeln auf den Lippen, drehte er sein Gesicht wieder der Sonne zu.

"Leg dich zu mir." Seine Aufforderung ließ mein Herz sofort die doppelte Klopfgeschwindigkeit aufnehmen und wenn ich vorhin nicht drohte ohnmächtig zu werden, dann war ich jetzt verdammt nah dran.

Langsam legte ich mich etwa einen Meter von ihm entfernt in das weiche Gras und genoss die Sonne auf meinem Gesicht, die fröhlich auf uns hinunterschien. Hoffentlich würde ich keinen Sonnenbrand bekommen.

Apollo war im Hintergrund zu hören, wie er das Gras Halm für Halm ausrupfte und sich so langsam seinen Weg über die Wiese bahnte, während zwischen Chester und mir eine angenehme Ruhe aufkam.

Der seichte Wind streichelte zwischen den Grashalmen hindurch und kitzelte meine Nase. Bald würde die Pollenzeit wieder richtig losgehen, da würde mich auch mein Heuschnupfen wieder quälen.

"Riechst du das?", flüsterte Chester plötzlich, wodurch er meine Aufmerksamkeit wieder voll auf sich zog. Fragend sah ich zu ihm, doch er starrte ungeniert weiter zum Himmel.

Auf meine fehlende Antwort hin, schlich sich wieder ein Grinsen auf seine roten Lippen, ehe er sich lasziv darüber leckte.

'Hatte er bemerkt, dass ich ihm auf die Lippen gestarrt hatte? Hat er das absichtlich gemacht?'

"Das Duftveilchen. Es läutet den Frühling ein", erklärte er mir mit einem schiefen Grinsen.

Probeweise atmete ich tief ein. Ja, es duftete nach Frühling, aber eine bestimmte Blume konnte ich dabei nicht herausriechen.

Und selbst wenn, hätte ich sie wohl nicht benennen können.

"Das kannst du einfach so riechen?", fragte ich überrascht und atmete noch einmal tief ein. Diesmal konzentrierte ich mich stärker auf die verschiedenen Düfte, aber auch diesmal konnte ich nichts konkret benennen. "Also  herausriechen, meine ich."

Das raue Kichern, das daraufhin von Chester ausging, jagte mir eine sichtbare Gänsehaut über den Körper. Aus Angst er könnte sie sehen, verschränkte ich meine Arme hinter meinem Kopf und wand meinen Blick wieder dem Himmel zu.

Ich wollte ihn weiterhin ansehen, aber ich traute mich einfach nicht.

"Ja, das kann ich herausriechen."
Er lachte nochmal leise.
"Das liegt aber vor allem daran, dass das Duftveilchen meine Lieblingsblume ist."

"Du hast eine Lieblingsblume?", fragte ich überrascht nach und zuckte im selben Moment zurück. Normalerweise brechen die Wörter nicht so aus mir heraus. Eigentlich war ich eher zurückhaltend und musste mich erst an meinen Gegenüber gewöhnen, bevor ich fähig war richtige Gespräche zu führen.

"Du etwa nicht?", fragte er perplex nach und ließ es so klingen als wäre es das Normalste überhaupt eine Lieblingsblume zu haben.

Kurz spekulierte ich, ob es eine Blume gab, die ich gerne mochte, doch außer Rosen und Sonnenblumen konnte ich kaum eine Blume benennen und von den beiden war ich auch kein sonderlich großer Fan. Deswegen verneinte ich seine Frage leise.

"Wieso... also warum ist das Duftveilchen deine Lieblingsblume?", fragte ich neugierig nach. Chester wirkte mit seiner Körpergröße, dem dichten Bart und dem kantigen Gesicht eher weniger wie jemand der sich viel mit Pflanzen beschäftigte.

"Nun ja, ich finde die Geschichten, die sich hinter ihr verbergen, interessant."

'Geschichten? Hinter einer Blume?'

Etwas irritiert, wand ich meinen Blick jetzt doch wieder dem hübschen Schwarzhaarigen zu.

"Das hört sich jetzt bestimmt richtig schräg an, oder?" Er lachte heiser und wirkte jetzt zum ersten Mal so als wäre ihm etwas unangenehm. Dato hatte er nicht den Eindruck gemacht als könnte Chester etwas anderes als selbstbewusst sein.

Ich wollte nicht, dass er sich unwohl fühlte oder sich gar für seine Interessen schämte.

"Nein, ich finde es faszinierend, dass du dich mit so etwas beschäftigst. Ich wusste nicht einmal, dass sich hinter Blumen Geschichten verbergen können." Ich hielt den Atem an. Ich hätte von mir selber nicht erwartet, dass ich so viele Wörter auf einmal an Chester richten konnte, ohne kläglich vor mich hin zu stottern.

Ein schüchternes Lächeln trat auf Chesters volle Lippen und unweigerlich musste ich darauf starren.
'Wie sie sich wohl bei einem Kuss anfühlten?' Bestimmt waren sie genauso weich, wie sie aussahen.

"Erzählst du mir ihre Geschichte?", fragte ich ebenso schüchtern nach und sah wieder in den Himmel hinauf.

Ich konnte meine vor Scham heißen Wangen spüren. Hoffentlich hatte er nicht bemerkt, dass ich seine Lippen erneut angestarrt hatte.

"Das Duftveilchen wird auch die Blume der Liebe genannt. Sie kommt in der griechischen Mythologie vor. Ein für ihre Schönheit bekanntes Mädchen wurde von den Strahlen des Sonnengottes verfolgt. Sie floh vor ihm und bat Zeus verzweifelt um seine Hilfe. Zeus hatte Mitleid mit dem Mädchen und verwandelte sie in ein Veilchen, das geschützt vor dem Strahlen im Gebüsch des Waldes wächst." Seine Stimme driftete  beinahe ins Schwärmende ab und ich konnte währenddessen nur leicht schmunzeln. Es war schön ihm zuhören zu können, vor allem wenn er über ein Thema sprach, dass ihn so sehr interessierte.

Mit einem Seitenblick zu Chester konnte ich sehen, dass auch er ein kleines Lächeln auf seinen Lippen trug.

"Das war sehr nett von Zeus", antwortete ich leise aus Angst sein Lächeln verscheuchen zu können.

"Ja, das war es." Er seufzte leise. "Außerdem ist die Blume auch vielseitig einsetzbar. In der Parfümherstellung beispielsweise oder in der Medizin."

Ich nickte interessiert.

Er sagte nichts weiter und auch ich wusste nicht, was ich noch hätte sagen sollen. Ich wollte nicht, dass das Gespräch stoppte, aber ich war auch zu schüchtern um es weiterzuführen.

Ich setzte mich zögerlich auf und ließ meinen Blick über die Wiese wandern. Einige wenige Knospen waren bereits geöffnet und verschönerten die grüne Wiese mit farbenfrohen Blüten.

'Wie sah ein Duftveilchen überhaupt aus?'

Vielleicht war ja gar eines unter den bereits blühenden Pflanzen. Dann könnte ich Chester eins pflücken.

"Wie sieht ein Duftveilchen aus?"

Meine Stimme war leise, aber man konnte die Entschlossenheit heraushören.

Ich wollte Chester ein Duftveilchen schenken.

Ein heiseres Hüsteln kam von Chester, der sich ebenfalls aufsetzte und den Blick über die Wiese wandern ließ.

"Ich weiß es nicht."

Überrascht zog ich die Augenbrauen zusammen. 'Er wusste über ihre Geschichte Bescheid, konnte mir aber nicht sagen, wie sie aussah?'

Irritiert musterte ich den hübschen Mann neben mir, der bewusst meinen Blick mied und stattdessen weiterhin auf die Wiese sah.

"Es ist klein und hat dunkle Blüten... Violett?" Es hörte sich weniger an wie eine Aussage als eine Frage und urplötzlich war der schüchterne Gesichtsausdruck zurück.

Er sah mich weiterhin nicht an.

Ich zog mein Handy aus meiner Hosentasche und tippte den Begriff Duftveilchen in die Suchleiste. Wenigstens Google müsste mir sagen können, wie sie aussah.

Da das Internet in diesem abgelegenen Abschnitt der Welt recht schlecht war, dauerte es einige Minuten bis mir unzählige Suchergebnisse angezeigt wurden.

'Ah. Solche hatte ich am Herweg am Waldrand gesehen.' Zwar mussten hier in unmittelbarer Umgebung auch welche sein, immerhin hatte Chester sie gerochen, aber bei diesen wusste ich zumindest ungefähr wo sie waren.

Von neuem Tatendrang gepackt, erhob ich mich, klopfte mir das Gras von der Jeans und pfiff Apollo zu mir.

"Was machst du?" Chesters Kopf schoss ruckartig in meine Richtung.

Er wirkte unsicher und wenn mich nicht alles täuschte leicht panisch.

'Wollte er nicht, dass ich ging? Wollte er mich weiter hier haben?'

'Genoss er meine Gesellschaft genauso wie ich seine?'

"Ich... ich bin gleich wieder zurück." Plötzlich war ich mir doch etwas unsicher, aber er würde sich doch bestimmt freuen, wenn ich ihm eins pflückte. Immerhin hatte er noch nie ein Duftveilchen gesehen.

Der Hengst trabte gemächlich auf uns zu und kam schnaubend bei mir zum Stehen. Schwungvoll zog ich mich an seiner Mähne hinauf auf seinen breiten Rücken und lenkte ihn gleich in die Richtung, in der ich die Veilchen vermutete.

Apollo freute sich sichtlich über den Galopp, mit dem ich ihn schnell über die Wiese und zurück in den Wald schickte. Erst als wir ungefähr an der Stelle angekommen waren, wo ich die Veilchen vermutete, drosselte ich seine Geschwindigkeit, während ich den Waldboden mit Adleraugen absuchte.

Ganz unscheinbar unter einem üppigen Busch blitze ein Teppich aus kleinen und blauvioletten Blüten hervor, die genauso wie die aus dem Internet aussahen.

Ich stoppte Apollo. Langsam und mit einem breiten Grinsen glitt ich von seinem Rücken, darauf bedacht keine der filigranen Blüten unter meinen Schuhsohlen zu zerdrücken.

Ich ging in die Hocke und streckte meine Nase in die schöne Blütentracht. Ihr süßer Duft stieg mir in die Nase und sofort konnte ich nachvollziehen warum sie in der Parfümerie benutzt wurde.

Trotz ihres angenehmen Duftes überraschte es mich weiterhin, dass Chester sie ohne weiteres aus dem Mischmasch an Frühlingsduft filtern konnte. Selbst jetzt wo ich wusste, wie sie roch, konnte ich sie nicht direkt von etwas anderem unterscheiden.

Mit zitternden Finger zupfte ich einen einzelnen Stängel mit einer besonders schönen Blüte aus der Menge und betrachtete das kleine Pflänzchen zwischen meinen Fingern.

Ich hatte für einen Mann kleine Hände, aber gegen dieses Blümchen wirkten sogar meine Hände groß.

Mit einem zufriedenen Lächeln stieg ich wieder auf Apollo und schickte ihn im seichten Trab zurück auf die Wiese. Galopp wollte ich der kleinen Blume nicht zumuten.

Als wir auf die Wiese hinaustraten, saß Chester nicht mehr auf der Wiese, sondern sah sich stehend um.

'Wartete er auf mich?'

"Chester. Wir sind wieder da..."

Zögerlich schritt ich auf den sichtbar größeren Mann zu, der sich mit einem Lächeln in meine Richtung wandte.

"Ich habe euch gehört." Mit einem frechen Grinsen nickte er in Apollos Richtung, der sich bereits wieder über das saftige Gras hergemacht hatte.

Schüchtern überwand ich die letzten Meter zwischen uns, sodass ich ihm nun nah gegenüberstand.

Er war beinahe einen ganzen Kopf größer als ich - ich konnte gerade so über seine Schultern hinwegsehen -, wodurch ich ihn auf mindestens 1,90 Meter schätze.

Ich schluckte nervös.

"Auf dem Herweg wächst ein ganzer Teppich von ihnen", murmelte ich mit zitternder Stimme und verfluchte mich abermals selber für meine unendliche Schüchternheit.

"Duftveilchen?", fragte Chester überrascht und zog seine Augenbrauen etwas nach oben, sodass sie über seiner schwarzen Sonnenbrille vollends sichtbar wurden.

"Ja. Ich habe dir eine mitgebracht." Mit zitternden Fingern hielt ich ihm das kleine Pflänzchen entgegen.

'Ob es ihm gefallen wird? Was er wohl dazu sagt?' Immerhin hatte er ja offenbar noch nie eine gesehen.

Chester zögerte einige Augenblicke, ehe er mir seine geöffnete Handfläche entgegen hielt, sodass ich das Veilchen hineinlegen konnte.

Die filigrane Blume wirkte in seinen großen Händen noch kleiner als in meinen, doch Chester hielt sie so vorsichtig als hätte er Angst sie mit einer einzigen Berührung kaputt zu machen.

"Nur die sittsamsten Mädchen sind in der Lage ein Duftveilchen zu pflücken." Er kicherte leise. "Aber ich denke, dasselbe bezieht sich auch auf Männer."

Das indirekte Kompliment trieb mir augenblicklich wieder die Röte auf die Wangen. 'Wollte er damit andeuten, dass er mich als sittsame Person sah?'

"Wie sieht das Veilchen aus?"

Überrascht löste ich meinen Blick von der Blüte in seiner Handfläche und sah stattdessen in sein schönes Gesicht.

"Ähm..." Mehr brachte ich nicht heraus.

Sie lag in seiner Hand. Er brauchte sie nur ansehen, dann wusste er es.

Aber er machte nicht einmal den Anschein als wollte er den Blick auf seine Handfläche senken, stattdessen sah er weiterhin in meine Richtung.

"Ähm..." 'Verdammt, Joe! Reiß dich zusammen!' Innerlich ohrfeigte ich mich selber. Wieso konnte ich keinen richtigen Satz formulieren.

"Joe?" Seine Stimme riss mich aus meinen verfluchenden Gedanken und sofort schenkte ich dem schönen Mann wieder meine Aufmerksamkeit.

Seine freie Hand zitterte etwas als er sie zu seiner Sonnenbrille führte und das schwarze Gestell langsam von seinem Nasenrücken hob und stattdessen in seine schwarzen Haare hinaufschob.

Sofort fielen mir seine dunkelbraunen Augen auf, die perfekt zu seinem schönen Gesicht passten.

Erst auf den zweiten Blick realisierte ich seine trübe Linse.

Sprachlos sah ich zwischen seinen Augen und der kleinen Blume in seiner Handfläche hin und her.

Ich brauchte einige Minuten bis ich mich gesammelt hatte. In der Zwischenzeit hatte er kein weiteres Wort mehr gesagt und wartete offenbar meine Reaktion ab.

Ich biss mir auf die Unterlippe und versuchte Ruhe in meine wirren Gedanken zu bringen.

"Es ist blauviolett und hat fünf Blüten. Drei eher nach unten geneigt, zwei gehen nach oben. Im Inneren wird sie heller, fast weiß." Ich stutze.

'Wusste er überhaupt, wie die Farben aussahen? Wie erklärt man Farben ohne Farben dafür zu verwenden?'

Automatisch ging meine Atmung schneller und spürte bereits wieder wie meine Schweißdrüsen ihre Arbeit aufnahmen. Gut gemacht Joe. Du hast gerade einem Blinden versucht etwas mit Farben zu erklären.

"Gefällt sie dir?"

Überrascht sah ich wieder in das Gesicht des Größeren.

Er trug ein sanftes Lächeln auf den Lippen und wirkte keinesfalls so als hätte ich ihn mit meiner schlechten Erklärung aufgestoßen.

"Ja. Sie ist so filigran und klein und fällt dank ihrer kräftigen Farbe trotzdem auf."

Am liebsten hätte ich mir die flache Hand auf die Stirn geschlagen. 'Kräftige Farben? Ganz große Klasse, Joe.'

Chesters Lächeln wurde breiter und verzog sich schlussendlich zu einem frechen Grinsen.

"Ich weiß, wie Farben aussehen. Also mach dir deswegen keinen Kopf."

Ungewollt stieß ich die angehaltene Luft aus und merkte wie der Druck von meinen Schultern abfiel. Dies hatte zur Folge, dass Chester lauthals zu lachen begann.

Dabei legte er den Kopf in den Nacken, zog seine Mundwinkel stark nach oben und das fröhliche Geräusch, das dabei über seine Lippen kam, ließ eine zufriedene Gänsehaut über meinen Körper ziehen.

Als er wieder zu mir hinunter sah, blitzen seine Augen so glücklich, dass mir vor Freude beinahe schwindlig wurde.

Ich hatte ihm diesen Ausdruck verpasst. Nur wegen mir wirkte er gerade so glücklich.

Ich musste selber lächeln.

"Darf ich?" Vorsichtig, um sie nicht kaputt zu machen, tastete er sich mit den Finger an ihrem Stängel entlang und nahm sie vorsichtig von seiner Handfläche.

Ich wusste nicht, was er meinte, doch bejahte dennoch.

Erst jetzt bemerkte ich richtig, dass er weder die Pflanze noch mich wirklich ansah, woraus ich schloss, dass er komplett erblindet war.

Er streckte seine freie Hand zaghaft nach mir aus und um ihm etwas zur Hilfe zu kommen, griff ich nach seinem Handgelenk und führte seine Hand auf meine Schulter.

Seine nackte Haut zu berühren löste ein angenehmes Kribbeln in meinen Fingern aus und am liebsten hätte ich ihn nie wieder losgelassen. Das Gefühl ihn zu berühren war einfach viel zu gut.

Das zarte Lächeln auf seinem Gesicht verschwand nicht. Auch nicht als er die Hand auf meiner Schulter langsam an meinen Hals legte und von dort zaghaft nach oben strich.

Seine Fingerkuppen auf der empfindlichen Haut meines Halses zu spüren, brachte meinen Körper sofort wieder in Wallung und schnell kam die Angst auf, dass er meinen rasenden Puls an meiner Halsschlagader spüren konnte oder dass er die Gänsehaut, die seine Berührungen auslösten, bemerkte.

Seine Hand wanderte weiter nach oben, strich sanft über meinen Kiefer und legte sich schlussendlich auf meine Wange. Dabei berührten seine Finger leicht mein Ohr.

Vorsichtig führte er auch seine zweite Hand mit dem Duftveilchen an mein Gesicht. Das Pflänzchen hielt er fest zwischen Daumen und Zeigefinger, während die anderen drei Finger ausgestreckt über meine Wange hinter zu meiner Ohrmuschel strichen.

"Weißt du, man sagt, dass demjenigen, der ein Duftveilchen in seinem Haar trägt, Entschlossenheit und Mut zuteilwird. Mit dessen Hilfe ist man bereit für Neues."

Mit einem sanften Lächeln und einem starken Glitzern in seinen Augen, platzierte er die filigrane Blume hinter meinem Ohr.

"Du erinnerst mich an ein Duftveilchen", flüsterte er.

Ich schluckte trocken. Er war mir plötzlich so nah. 'Hatten wir vorhin schon so nah beieinander gestanden?' Oder war er näher an mich herangetreten?

"Wieso?" Meine Stimme brach vor Nervosität ab und klang viel zu schrill. Peinlich berührt wollte ich mein Gesicht von ihm abwenden, aber seine Hände, die immer noch zärtlich auf meinen Wangen lagen, hielten mich davon ab.

"Du bist schüchtern und zurückhaltend. Das sind genau die Attribute, die dem Duftveilchen zugesprochen werden."

Ein schiefes Lächeln kam auf meine Lippen. 'Sollte ich das als Kompliment ansehen?'

"Das gefällt mir", hing er schlussendlich noch dran und lächelte zaghaft auf mich hinunter.

Wenn es eine Obergrenze für rote Wangen gab, dann hatte ich sie nun erreicht. Ich spürte die Wärme, die von meiner Haut ausging und Chester musste sie an seinen Händen auch spüren.

'Kam er mir näher?' Nein, das musste ich mir einbilden.

Doch. Er kam mir näher.

'Wie war das? Das Duftveilchen verlieh seinem Träger Mut, damit man bereit für Neues war?'

Ich spürte den dünnen Stängel hinter meinem Ohr. Ich spürte ihr kaum vorhandenes Gewicht und urplötzlich glaubte ich an Chesters Worte.

Das Duftveilchen verlieh mir Mut.

Mut dazu, meine Hände in seinen Nacken zu legen und ihn ohne Umschweife zu mir zu ziehen.

Seine weichen Lippen prallten sanft auf meine und sofort fuhr ein angenehmes Kribbeln durch meinen Körper, dessen Ausgangspunkt seine Lippen auf meinen waren.

Sie waren genauso weich, wie sie aussahen und passten perfekt auf meine. Sein Bart kratzte angenehm an meiner glattrasierten Haut und wiedermal wurde mir vor Augen geführt, warum Männer mich mehr ansprachen als Frauen.

Ich erwiderte seine hauchzarten Bewegungen in der gleichen Zärtlichkeit und als er seine Arme vorsichtig um meine Hüfte legte und mich näher an sich zog, explodierten die Schmetterlinge in meinem Bauch und flatterten wild darin herum.

Er ließ seine Zunge sanft über meine Unterlippe fahren und mit einem leisen Keuchen begrüßte ich sie und ging auf den spielerischen Dominanzkampf ein.

Er schmeckte herb, aber keinesfalls schlecht. Er schmeckte nach mehr.

Sein Griff um mich wurde fester und auch ich zog ihn an seinem Nacken näher zu mir.

Der sanfte Kuss entwickelte sich langsam zu mehr, aber ohne dabei an Zärtlichkeit zu verlieren.

Wir rangen beide nach Luft als wir uns zaghaft voneinander lösten. Er lehnte seine Stirn gegen meine, wodurch ich seinen warmen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte.

"Ich glaube, ich habe doch eine Lieblingsblume", flüsterte ich gegen seine Lippen. Ich wollte meine Stimme nicht heben, aus Angst den Moment zu zerstören.

Ein leises Lachen kam von ihm und seine Arme um meine Hüften drückten mich näher an ihn.

"Welche denn?", fragte er scheinheilig nach, wobei man die Belustigung auch in seiner Stimme hören konnte.

"Das Duftveilchen."

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