Christrose 🌹 ~ till the end of time
~ till the end of time ~ (A Malec-Story)
by RaKoVader
*Smut-Warnung*
Fortsetzung zu Boulevard of Broken Dreams
https://www.wattpad.com/813344534-malec-hot-one-shots-%F0%9F%8F%B9from-the-head-of-rakovader
~•••~
In der schweigenden Welt,
die der Winter umgangen hält, hebt sie
einsam ihr weißes Haupt;
Selber geht sie dahin und schwindet
Eh' der Lenz kommt und sie findet
aber sie hat ihn doch verkündet, als
noch keiner an ihn geglaubt.
(Johannes Trojan)
Christrose - Helleborus niger
Die Christrose steht für Frömmigkeit und Unschuld.
~•••~
Die Vergangenheit ist Geschichte, die Gegenwart beängstigend und die Zukunft nicht zu sehen. Wochen gingen ins Land, ohne ein Lebenszeichen von Alexander. Der Brief, den Jace ihm gab, warf ihn komplett aus der Bahn. Weinend und mit den Nerven am Ende saß er in der Mitte seines Zimmers. Umgeben von Bildern seiner Jugend und mir. Jace redete Alec gut zu, gab ihm Zeit um das Gelesene zu verarbeiten und tröstete ihn so gut es ging. Doch egal was er sagte, wie viele Worte der Entschuldigung seinen Mund verließen, Alec hatte keinen klaren Gedanken. Denn nicht Jace war ihm eine Erklärung schuldig, sondern ich. Mein Brief klärte noch lange nicht alle Fragen und auch wenn Alec es wert war Antworten zu hören, so ist die Wahrheit doch oftmals genau das, was am meisten schmerzt.
Ich erinnere mich gut an den Tag von Alecs erster Nachricht. Ich kam mit Gideon vom Kinderarzt und wollte nur noch schlafen. Die vergangene Nacht war der Horror und die nächste sollte nicht besser werden. Nur wusste ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Mein Kleiner hatte Dreitagefieber, jammerte und weinte und ich konnte nichts weiter tun als ihm fiebersenkende Mittel zu geben und ganz viel Nähe und Liebe. Gerade als ich glaubte Gideon wäre eingeschlafen und auch ich könnte für einen Moment die Augen schließen, ertönte das sanfte vibrieren meines Telefons. Träge und mit halbgeschlossenen Augen drehte ich meinen Kopf in die Richtung und versuchte nicht zu verzweifeln. Viel zu oft sah ich in den letzten Wochen immer wieder auf das Telefon und bettelte es förmlich an ein Signal von sich zu geben. Ein Lebenszeichen von Alec und mittlerweile war es mir auch egal, ob er mich anschreien würde oder mit sanfter Stimme meinen Namen aussprach. Hauptsache ich bekam irgendeine Reaktion auf meinen Brief. Doch mit jedem Klingeln, jeder Nachricht die nicht von Alec stammte, sank meine Hoffnung und ich weinte mich jeden Abend in den Schlaf.
Ich hatte Alec verletzt, seine Gefühle mit Füßen getreten und seine Seele zerrissen. Mit zarten 18 Jahren verlangte ich eine Entscheidung und war mir doch allzu sehr bewusst, dass es feige war dieses von ihm zu verlangen. Doch ich blieb bei meiner Entscheidung und somit in Florida. Camille machte es mir alles andere als einfach. Nicht das ich etwas anderes erwartet hätte, aber dennoch traf es mich unvorbereitet. Ganze drei Tage ließ sie mich zappeln, spielte mit meiner Liebe zu diesem unschuldigen reinen Wesen. Ich durfte Gideon nicht sehen, bekam weder ein Foto noch ein Lebenszeichen. Nichts. In meiner Verzweiflung wandte ich mich an meinen besten Freund aus Kindheitstagen, Ragnor Fell. Unsere gemeinsame Vergangenheit begann an einem grauen, trüben und verregneten Herbsttag in Ohio. Ich kam in ein neues Kinderheim, da das alte in dem ich bis dahin lebte, durch Brandstiftung dem Erdboden gleichgemacht wurde. Viele Jahre war Ragnor mein Bruder, Beschützer und bester Freund. Er half mir durch schwere Tage und finstere Nächte. Bis er an seinem 18. Geburtstag das Heim verlassen musste, denn ab diesem Tag unterstehen Kinder, wie wir nicht mehr dem Schutze des Staates. Ich war 13 Jahre alt und wusste, dass die nächsten Jahre eine Hölle auf mich wartete, aus der es kein Entkommen gab. Der einzige Ausweg war ein Leben auf der Straße und dazu konnte ich mich nicht überwinden. Also ergab ich mich meinem Schicksal. Neue Narben, neue Gesichter, neue Ängste und immer wieder der gleiche Gedanke. Du musst überleben. Ich sah nie zurück, immer nur nach vorne und genauso tat es auch Ragnor. Er ließ die Hölle hinter sich und baute eine neue Zukunft in Florida auf. Wir blieben in engem Kontakt, verloren uns nie aus den Augen. All die Jahre war er an meiner Seite und auch wenn wir uns seit seinem Auszug aus der Hölle nicht täglich sahen, so dachten wir immer aneinander. Und so war es wieder einmal Ragnor, der mir in einer ausweglosen Situation beistand.
Ohne Fragen zu stellen überließ Ragnor mir sein Gästezimmer und fuhr mich jeden Tag zu Camille. Ich erzählte ihm alles, von meiner Nacht mit Camille und wie sie mich vor vollendete Tatsachen stellte. Von Alec, meinem Kummer und unserer berauschenden Nacht in der wir uns verloren und nie wieder zurückkehren sollten. Ragnor hörte stumm zu und lächelte sanft als ich vollkommen aufgelöst und mit tränenfeuchtem Gesicht in seiner Küche saß. Um uns herum tobten seine Zwillinge Jonathan und Sebastian, führten einen imperialen Krieg gegen Orks und einen großen goldenen Drachen. Mein Kindheitsfreund blieb die Ruhe selbst. Er verurteilte mich nicht, schrie mich nicht an oder versuchte mir den Kopf zurecht zu rücken. Ragnor war einfach nur da. Und das bedeutete mir so unendlich viel. Ich hatte ihm von Alec erzählt, ganz am Anfang als ich den Job als Nachhilfelehrer annahm. Er erinnerte mich an Alecs Alter und das nicht jeder heiße Kerl schwul sei. Seine Frau Cat nickte bestätigend und ich versprach ihnen, sie auf dem Laufenden zu halten. Das tat ich bis zu diesem Tag und als Cat nach einem langen harten Arbeitstag in der Notaufnahme nach Hause kam, nahm sie mich fest in den Arm und kochte mein Lieblingsessen.
Wir sprachen lange und überlegten mögliche Strategien um Camille davon zu überzeugen mir wenigstens einen kurzen Blick auf Gideon zu gewähren. Zweifel regten sich, ob ich wirklich der leibliche Vater war. Aber diese lösten sich beim ersten Blick in das Gesicht meines Engels in Luft auf. Gideon hat eindeutig meine Gesichtszüge und die gleichen schwarzen Haare. Babyblaue Augen blickten mich forschend an und mein Herz zersprang in tausend Stücke. Statt Gideon sah ich Alec und seine wunderschönen Augen, die mich liebevoll betrachteten. Zitternd umklammerte ich das kleine Bündel Mensch in meinen Armen und ließ meinen Tränen freien Lauf. Camille hinterfragte es nicht und eigentlich redeten wir auch kaum miteinander. Es war mir auch egal und ich versuchte in diesem Moment nicht komplett die Kontrolle zu verlieren. Gideon stahl sich vom ersten Moment an in mein Herz. Ragnor war an meiner Seite und nutzte den Moment einer halbwegs gutgelaunten Camille und schoss ein Foto nach dem anderen. Denn wir waren uns noch immer nicht sicher, ob Camille mir Gideon vorenthalten würde oder nicht.
Noch am selben Tag verkündete Camille, dass ihr Umzug endgültig war und sie vorerst nicht wieder nach New York zurückkehren würde. Somit war auch meine letzte Hoffnung, der Strohhalm an den ich mich so sehr klammerte, zerbrochen. Alles reden brachte nichts. Es wirkte, als hätte Camille eine Mauer um sich herum errichtet und diese zu durchdringen, war eine schier unlösbare Aufgabe. Ich hatte weder die Kraft noch die Zeit und der Brief des Familiengerichtes gab mir den Rest. Wir sind nicht verheiratet und Camille hat als Mutter das Recht zu bestimmen, wo Gideon leben soll. Auch wenn sie es vorzog mir die meiste Arbeit zu überlassen und Gideon nur an den Wochenenden für ein paar Stunden holte, so badete sie regelrecht in ihrem Übermut und mein Herz zog sich schmerzlich zusammen. Ich musste Alec die Wahrheit sagen und wünschte mir so sehr, dass er mir verzeihen konnte. Doch tief in mir drin wusste ich, dass es nicht so einfach war.
Nachdem Jace mit Alec sprach rief er mich an und erzählte mir jedes noch so kleine Detail. Ich schloss meine Augen und legte mich mit dem Rücken auf die Matratze des großen Bettes und lauschte Jace Worten. Er berichtete von ihrem Gespräch und schwärmte in den schönsten Farben von Alecs Kunstfertigkeit. Das er lange Zeit nach einem geeigneten Kandidaten für das Förderprogramm seiner Universität gesucht hatte und nun endlich einen würdigen jungen Mann fand. Seine Worte trieben mir die ersten Tränen in die Augen und gedanklich sah ich Alec bereits über den Campus der Kunstakademie flanieren. Zusammen mit Jace und Clary und einer Horde Studenten welche die Liebe meines Lebens anhimmelten. Der Gedanke war zum Kotzen und doch wünschte ich Alec eine Zukunft, in der er so sein konnte, wie er wollte. Und vor allem, mit seiner Kunst glücklich zu werden statt einem Wirtschaftsstudium. Jace berichtete von Alecs emotionalen Zusammenbruch als er meinen Brief aus seinen Händen gleiten und seinen Gefühlen freien Lauf ließ. Erst weinte er stumme Tränen, dann schlug er auf das schwarze Leder seines Sofas ein. Zum Schluss schrie er seine Wut heraus und sank schluchzend zu Boden. Zitternd, mit bebendem Leib und Tropfen von Tränen, so zahlreich und nass wie der Wasserfall des Niagara River, klammerte Alec sich an Jace.
Minutenlang saßen sie einfach nur in der Mitte seines Zimmers auf dem harten Fußboden und Jace versuchte erst gar nicht die Situation schön zu reden. Auch er tat sich unglaublich schwer damit Alec so zu sehen. Allein seine Erzählungen reichten um den Schmerz zu spüren und ich wünschte mir nichts sehnlicher als bei Alec zu sein. Meine Gedanken drehten sich nur um ein Thema. Alec und seine verletzte unschuldige Seele. Gideon, klein, unschuldig und hilfsbedürftig. Ich konnte ihn nicht im Stich lassen, aber ich konnte auch schwer ohne Alec leben. Mein Herz sehnte sich so sehr nach ihm, schrie mich an endlich in ein verdammtes Flugzeug mit dem Ziel New York zu steigen und Alec um Verzeihung zu bitten. Ich sehnte mich nach seinen sanften Berührungen, den wunderschönen weichen Lippen und seinem einzigartigen Duft. Nicht ein einziges Bild hatte ich von Alec und wagte es nicht Jace darum zu bitten. Die Bilder in meiner Erinnerung waren noch lange nicht dabei zu verblassen. Jedoch hatte ich vor diesem Tag Angst. Dass ich eines Tages nicht mehr wusste in welchen Farben des Ozeans Alecs Augen strahlten und ob seine Haare wirklich so nachtschwarz waren, wie ich es mir vorstellte. Den Klang seiner Stimme und die Geräusche der Lust vergessen, ja das gehörte eindeutig zu meinen größten Ängsten.
Nachdem ich mir sicher war, dass Camille nicht nach New York zurückkehren würde, suchte ich eine geeignete Wohnung und scheiterte kläglich. Zu teuer, zu klein, zu abgelegen, zu irgendwas war immer. Nach zwei Wochen im Gästezimmer meines Freundes bot Cat mir an, die kleine Wohnung im oberen Teil des Hauses zu besichtigen. Ich wusste, dass Cats Elternhaus über eine separate Wohnung mit eigenem Zugang verfügte. Ihr Bruder lebte jahrelang dort, bevor er an den Folgen eines Verkehrsunfalles starb. Davor Cats Großeltern und irgendwie fand sie die Vorstellung von mir und Gideon gemeinsam mit Alec unter ihrem Dach total süß. Gedanklich saßen wir bereits alle am gedeckten Tisch zu Thanksgiving und in kitschigen Pyjamas mit regenbogenkotzenden Rentieren unter dem Weihnachtsbaum. Ihre lebhafte Erzählung ließ meine deprimierte Gemütslage für eine Weile verschwinden. Lachend träumten wir von einer Zukunft, die es so niemals geben würde.
Jeden Tag telefonierte ich mit Jace, schrieb Nachrichten und fragte ihn Löcher in den Bauch. Jedoch gab er mir immer die gleiche Antwort. Alec bräuchte noch Zeit. Alec ginge es nicht gut. Alec war wütend. Alec war am Ende. Und alles nur, weil ich zerrissen und mit mir nicht im Reinen war. Ich wollte Alec und das er glücklich ist. Aber ich wollte auch ein guter Vater für Gideon sein. Mit jedem weiteren Tag ohne Alec und ein Lebenszeichen von ihm starb ein Teil von mir. Nur Gideon verhinderte, dass mich der Kummer zerfraß. Vier Wochen nach seiner Geburt und einen Tag vor Heiligabend, stand eine nervöse Camille vor der Tür meiner neuen Wohnung und drückte mir einen weinenden Gideon in die Arme. Sie machte unmissverständlich klar, dass ich ohne ihr Einverständnis die Stadt zusammen mit Gideon nicht verlassen darf. Völlig überrumpelt nickte ich und sie warf mir eine Tasche mit Windeln, Flaschen, Babynahrung und etwas Kleidung vor die Füße. Bevor ich etwas sagen konnte, war sie bereits verschwunden.
Mein erster Gang führte mich eine Etage tiefer zu meinem Kindheitsfreund und seiner liebevollen Frau. Bis zu diesem Tag hatte ich Gideon nur im Beisein von Camille gesehen. Ihr Adlerblick war jedes Mal mörderisch auf mich gerichtet sobald ich Gideon auch nur zu nahe kam. Woher der plötzliche Wandel kam, weiß ich bis heute nicht. Fünf Tage die Woche lebt Gideon bei mir und jeden Freitag kommt Camille und holt ihn zu sich. Die kinderfreien Wochenenden kann ich kaum genießen. Ich mache mir Sorgen um Gideon und ob meine Exfreundin auch in der Lage ist sich ausreichend um ihn zu kümmern. Ein Anwalt prüft bereits meine Chance auf das alleinige Sorgerecht. Jedoch liegt die Wahrscheinlichkeit zur Erfüllung meiner Bitte bei fast null.
Cat und Ragnor empfingen Gideon als wäre er ihr eigenes Kind. Ich bin ihnen beiden unendlich dankbar für ihre Freundschaft, den Rückhalt und die unermüdliche Geduld. Theoretisch wusste ich wie man sich um ein Baby kümmerte. Cat erklärte mir die Zubereitung einer Flasche Säuglingsnahrung und das richtige füttern. Dass das Wechseln von Windeln nicht selten ohne Spuren auf dem eigenen Shirt auskommt und Koliken leider zum Alltag eines Säuglings gehören. Jonathan und Sebastian standen plötzlich mit einer Kiste voll von bunten Legosteinen in der Küche und bauten einen Turm nach dem anderen. Gideon schlief friedlich in meinen Armen und beide Jungs eröffneten mir, dass diese Steine jetzt dem Baby gehören und sie ihm natürlich zeigen, wie man die höchsten Türme baut. Ihr breites Lächeln offenbarte zwei fehlende Schneidezähne bei Jonathan und einen Eckzahn weniger bei Sebastian. Ihre ausgelassene kindliche Freude trieb mir Tränen in die Augen und ich dankte beiden von Herzen. Alles in allem hatte ich Glück mit meinen Freunden und der Hilfe die sie mir ganz uneigennützig gaben. Doch Alec meldete sich noch immer nicht und mein Herz war kurz davor zu versteinern. Ich hielt diesen Schmerz und die Sehnsucht kaum noch aus. Jede Nacht weinte ich mich in den Schlaf. Selbst in meinen Träumen sah ich Alec und wie er mich anlächelte. Seine Blicke bedurften keiner Worte, pure Liebe sprach aus ihnen. So sah ich ihn jede Nacht und am nächsten Morgen wachte ich mit Tränen in den Augen auf. Die andere Hälfte des Bettes war leer und kalt, ich hatte körperliche Schmerzen von der Sehnsucht nach Alec und mein Herz tat so unglaublich weh. Gideon brachte mich jeden Tag dazu aufzustehen und nur für ihn blieb ich stark.
Alecs Nachricht traf mich vollkommen unvorbereitet und in einem Moment der Schwäche. Ich war müde, machte mir Sorgen um Gideon und mein Chef saß mir im Nacken mit der Frage, wann und ob ich wieder zurückkehren würde. Seine Worte voller Wut und Verzweiflung rissen mir den Boden unter den Füßen weg und ich starrte minutenlang auf das Display, weinend und am Ende.
"Lass uns reden. Bitte", war alles was ich ihm schrieb. Kurz darauf vibrierte mein Telefon ein weiteres Mal und diesmal war es Alec, der mich anrief. Nicht Jace oder Ragnor, Cat oder mein Boss. Alec, und mein Herz raste, drohte förmlich aus der Brust zu springen und direkt in seine Arme. Mit zitternden Fingern betätigte ich das grüne Symbol und sagte nur ein Wort. "Alexander."
Stille am anderen Ende der Leitung, leise Musik war im Hintergrund zu hören. Nicht Billie Joe Armstrong war der trostspendende Mann an seiner Seite, sondern Freddie Mercury mit einem Song der nicht hätte passender sein können. Alec sagte nichts, ich hörte ihn leise atmen und lauschte der melodischen kraftvollen Stimme meines Musikgottes und stellte mir Alec vor. Auf dem schwarzen Sofa in seinem Zimmer sitzend, den Kopf auf der Lehne ruhend, mit geschlossenen Augen und glitzernden Tränen welche über die helle Haut rannen.
'While we live according to race, colour or creed
While we rule by blind madness and pure greed
Our lives dictated by tradition, superstition, false religion
Through the aeons, and on and on...'
Es war seltsam schön und zugleich unglaublich traurig. Wir weinten beide, sprachen nicht ein Wort und spürten den Schmerz des jeweils anderen. Irgendwann verschwand Freddie und Alecs Stimme drang an mein Ohr.
"Ich hasse dich", sagte er. Der liebliche Klang seiner Stimme war ein kompletter Gegensatz zu der Härte seiner Worte.
"Ich weiß. Du hast auch allen Grund dazu", antwortete ich mit tränenerstickter Stimme.
"Warum Magnus?"
"Alexander..."
"Nenn mich nicht so", zischte er wütend. Ich sah ihn förmlich vor mir. Seine Hände zu Fäusten geballt, im Blau seiner Iriden ein Sturm von Emotionen und die Lippen, seine wunderschönen weichen Lippen zu einem schmalen Strich zusammen gepresst. Es gab keine Entschuldigung für mein Handeln, jedes Wort hörte sich so unsagbar dumm an.
"Ich wollte dir nie wehtun Aber ich kann auch nicht mein Kind im Stich lassen. Meine Ex kümmert sich nicht um ihn. Die meiste Zeit lebt Gideon bei mir", begann ich meine Rechtfertigung. Doch ich kam nicht weit und Alec stoppte meinen Redeschwall.
"Hast du den Namen ausgesucht?", fragte er und ich fühlte mich seltsam ertappt.
"Ja." Ich war ihm die Wahrheit schuldig und nichts als die Wahrheit. Nie im Leben würde ich diesen wunderbaren Jungen anlügen.
"Mein zweiter Vorname ist Gideon.
"Ich weiß. Max hat es mir gesagt. Ich fand den Namen schön und Camille anscheinend auch. Eigentlich überließ sie mir die Namenswahl."
"Wie gnädig", sagte er spöttisch. Ich konnte es so verstehen. Genauso hatte Ragnor auch reagiert.
"Wo bist du?", fragte ich um die einsetzende Stille zu durchbrechen.
"Zuhause", kam als Antwort und ich hörte ihn tief durchatmen. Heute weiß ich, dass er Kraft sammelte, seine Gedanken sortierte um einen Sturm zu entfesseln und auf mich hernieder zu lassen. Ich fühlte mich bereit für seine Worte, all den unbändigen Zorn und die heiße Wut. Doch die Realität strafte mich lügen.
"Ich habe dich so sehr geliebt. Wie oft habe ich mir vorgestellt, wie es sein wird dich zu küssen oder wenigstens deine Haut zu berühren. Viel zu oft und jedes Mal zerbrach mein Herz. Der Liebeskummer fraß mich auf, du hast mich nie beachtet und ich fühlte mich so dumm und kindisch. Wie hättest du mich auch lieben können? Du bist so viel älter als ich und erfahrener. Ein Junge wie ich? Da war ich dann wohl doch eine leichte Beute. Hast du damit geprallt wie geil es war mich zu ficken? Sag schon? Wem hast du es erzählt? Ich schäme mich dafür, dass ich dir nachgegeben habe. Das war ein Fehler und wir hätten niemals miteinander schlafen dürfen..." Alec wurde mit jedem Wort lauter, seine gesamte Wut entlud sich in weniger als einer Minute und mein Herz zerbrach endgültig. Ich konnte nichts sagen, so viele Worte formten sich auf meiner Zunge, aber ich sprach sie nicht aus. Alec schrie und weinte, genauso wie ich.
"Du hast mich angelogen. Du hast gesagt, du kommst wieder. Aber das war gelogen. Stattdessen stand da so ein ekliger Typ vor mir und nicht du. Du warst nicht da. Du hast mich alleingelassen. Du hast Jace geschickt..."
Alec war am Ende und ich spürte es deutlich in jedem Wort und all dem minutenlangen Schweigen. In den Schluchzern der Verzweiflung und den Tränen des Hasses.
"Du hast mit meinen Gefühlen gespielt Magnus. Ich habe dich in mein Herz gelassen. Und du hast es mit Füßen getreten und dann auch noch mit in dieses verfickte Florida genommen. Florida. Dein Ernst? Weißt du wie viele Kilometer das sind? Nein? Ich schon. Ich habe recherchiert. Oh ja das habe ich. 1846,5 km. Das sind siebzehn Stunden mit dem Auto. Siebzehn. Das ist fast ein ganzer Tag Magnus. Und ich weiß noch nicht mal wo in Florida du genau bist", beendete er seinen emotionalen Ausbruch.
"Wo bist du?", flüsterte er.
"Miami", antwortete ich. "Ich habe eine kleine Wohnung im Haus meines besten Freundes. Nichts Großes. Aber für uns reicht es. Gideon hat sein eigenes Zimmer. Die Küche ist geräumig, mit einem schönen Essplatz. Es gibt keinen Balkon, aber ich darf jeder Zeit mit Gideon in den Garten. Ich bin Ragnor und Cat sehr dankbar."
"Miami", sagte er seufzend und ich biss mir verzweifelt auf die Unterlippe. Es war einfach zu viel, für uns beide.
"Wie geht es dir?", fragte er irgendwann nach quälend langen Minuten des Schweigens. Ich wischte mir mit der flachen Hand über das Gesicht, meine Augen brannten von den vielen Tränen und mein Hals fühlte sich rau und kratzig an.
"Es geht so. Ich halte durch. Für Gideon. Er ist ein super süßes Baby. Wirklich Alexander, es könnte so schön sein. Mit uns. Wir drei zusammen. Davon träume ich jede Nacht und das kostet mich wahnsinnig viel Kraft."
"Ich verstehe es nicht. Wie konnte es so kompliziert werden, bevor es richtig angefangen hat?" Das fragte ich mich auch. Nicht nur einmal in den vergangenen Wochen und auch nicht zum letzten Mal.
"Ich weiß es nicht. Ich habe Fehler gemacht. Wir hätten darüber reden müssen. Es tut mir leid. New York zu verlassen war ein Fehler. Aber ich wäre auch nicht glücklich geworden in dem Wissen, mein Kind im Stich gelassen zu haben. Das wollte ich nicht. Nicht so."
"Das er ausgerechnet in dieser Nacht geboren wurde grenzt schon an einen Arschtritt des Universums. Gott bestraft mich", sagte Alec und ich blinzelte irritiert.
"Gott? Was hat der damit zu tun?", fragte ich lachend.
"Naja, laut meinen Eltern bist du der Teufel in Person. Du hast dafür gesorgt, dass ich schwul werde und mich dann um den Finger gewickelt. Meine Großeltern beten jeden Abend für den Erhalt meiner unschuldigen Seele und mein Dad ist ja die Frömmigkeit in Person. Also hat er beschlossen mir mein Studiengeld zu verwehren. Solange bis mein Körper gereinigt wurde und der Teufel nicht mehr Besitz von mir ergriffen hat. So sieht es aus", sagte er und ich starrte verwirrt auf das Telefon in meinen Händen.
"Alec, was versuchst du mir zu sagen?"
"Die letzten Wochen waren nicht leicht. Im Gegenteil. Ich war nur ein Schatten meiner Selbst. Meinen Eltern ist das nicht entgangen. Ich verließ mein Zimmer nur noch zum Essen, ich sprach noch weniger als ohnehin schon und ich konnte vor lauter weinen nicht schlafen. Sobald ich meine Augen schloss sah ich dich und du verfolgst mich bis in meine Träume. Das ist scheiße Magnus und ich hasse es."
"Es tut mir leid. Ich wollte nie, dass du leidest." Eine Phrase. Immer wieder die gleiche Phrase. Aber sie entsprach der Wahrheit. Das Letzte was ich wollte, war Alec leiden zu sehen.
"Ich habe meinen Eltern von uns erzählt. Also nicht im Detail. Nur das wir uns verliebt haben", berichtete er und ich ließ ihn einfach reden.
"Ich war so wütend auf dich. Mein Dad schrie mich an, dass ich die Collegebewerbungen endlich fertig machen soll. Doch ich konnte es nicht. Es war nicht das, was ich wollte. Wirtschaft. Nur Sport wäre schlimmer gewesen. Er hielt mir einen Vortrag über wichtige Entscheidungen im Leben, dass man nicht immer das bekam was man wollte und Kompromisse eingehen musste. Dass Gott einen Plan hat. Für jedes seiner Kinder, auch für mich. Ich sollte endlich aufwachen und verstehen was im Leben wichtig war. Ich habe ihn schreien lassen und saß stumm auf dem Sofa. Meine Mum sah mich ausdruckslos an. Sie verzog nicht eine Miene und unterstützte meinen Vater noch bei dem was er sagte. Ich haderte mit mir. Sollte ich ihnen nachgeben und einfach auf dieses beschissene stinklangweilige College gehen? Sollte ich meine Haare wieder schwarz färben und die Piercings entfernen? Sollte ich den Mustersohn spielen? Hetero, Vorzeigeehemann, langweilig. Eine Horrorvorstellung in meinen Augen und so platzte einfach aus mir heraus was ich schon so lange unterdrückte. Ich erzählte meinen Eltern von uns, dass wir eine Nacht zusammen verbracht haben und ich meine Collegebewerbung bereits abgegeben hatte. Anfänglich besserte sich ihre Laune, sie glaubten, dass ich ihren Wünschen nachgab. Lächerlich. Als wenn ich mich verbiegen lassen würde. Dad schmiedete bereits Pläne wie es nach dem Wirtschaftsstudium weiter gehen soll. Eine Anstellung in der Steuerkanzlei meines Onkels. Fuck, mir fiel alles aus dem Gesicht. Das war also sein Plan. Die Bilder in meinem Kopf von mir in einer Kleinstadt in Texas, umgeben von homophoben schießwütigen Arschlöchern und jeder Singlefrau die mich anbaggerte waren so widerlich. Ich bekam Angst mich zu verlieren. Das was mich ausmachte wegzusperren, nur um ein Leben zu leben was mich nicht glücklich macht. Magnus, ich wollte das nie. Ich wollte nie ein verstecktes homosexuelles Leben führen. Dieses ganze Gerede von Gott und Verdammnis, schwulen Männern die kleine Jungs zum Frühstück aßen und meine Großeltern welche mit einem Kruzifix über meinem Kopf rumwedeln ist doch einfach nur zum kotzen. Mir platzte der Kragen und ich sagte meinen Eltern, dass ich Kunst studieren möchte. Vielleicht sogar Lehrer werden möchte um Kindern die Freude und Schönheit an der Malerei näher zu bringen. Die Worte meiner Mutter trafen mich schwer. Ich fühlte mich wie beim Rumble in the jungle und stand zwischen George Foreman und Muhammad Ali."
"Was hat sie gesagt?" Ich glaubte die Antwort zu kennen, aber ich wollte, dass Alec es mir selbst erzählte. Es war wichtig für seine Verarbeitung der Geschehnisse.
"Sie sagte, dass so jemand wie ich niemals Lehrer werden dürfte. Die Kinder wären nicht sicher vor meinen sexgetriebenen schwulen Gedanken. Mir war so übel und ich wollte nur noch schreien."
"Was willst du jetzt machen?", fragte ich vorsichtig. Es war die Frage vor der ich mich am meisten fürchtete. Denn Alecs Antwort entschied über unsere Zukunft.
"Ich weiß es nicht. Keine Ahnung. Ich weiß nur eines sicher. Und das ist die Tatsache, dass ich schwul bin und es auch schon vor dir war. Du bist nicht der erste Mann in meinem Leben. Aber ich will, dass du der Letzte bist", antwortete er und mir blieb vor Aufregung fast das Herz stehen. Er hatte es gesagt. Alec wollte mich, egal was geschehen war.
"Alexander", hauchte ich.
"Magnus", kam als Antwort, leise geflüstert und doch hörte ich die Worte so laut, als würde er direkt neben mir stehen. Diese Nacht vor drei Monaten war der Beginn unserer ungewöhnlichen Beziehung. Fernbeziehungen sind immer schwierig. Eine große Portion Vertrauen, eine offene und ehrliche Kommunikation sind ebenso wichtig wie die kleinen Dinge im Leben. Zum Beispiel ein 'Guten Morgen mein Engel. Ich hoffe du hast gut geschlafen und wünsche dir einen schönen Tag.' oder eine Nachricht zum Ende des Tages. Zwar leben wir an unterschiedlichen Orten, doch bleibt uns die Hürde einer Zeitverschiebung erspart. Das ist ein riesengroßer Vorteil. Wir sprachen noch lange. Über uns und verletzte Gefühle, mein Leben in Miami und Alecs Bewerbungen an verschiedenen Kunstakademien. Nicht nur New York stand auf seiner Liste. Auch Florida und nachdem er wusste wo ich war, auch Miami. Er schaffte es gerade so die Abgabefrist einzuhalten und sitzt nun wie auf heißen Kohlen und wartet auf eine Antwort.
Jace, Ragnor und auch Cat waren sehr erleichtert als ich ihnen erzählte, dass Alec und ich uns ausgesprochen hatten. Zumindest so gut es eben ging über die Entfernung hinweg und einem gebrochenen Herzen. Jace hatte es doppelt so schwer. Er hörte sich nicht nur meine Sorgen an, sondern auch die von Alec. Er war meinem Geliebten eine Stütze und wie ich später erfuhr auch Simon, welcher nicht müde wurde Alec aufzumuntern und aus seiner Finsternis zu holen. Alec war immer ehrlich und sagte offen was er dachte. Wir sprachen über seine Zweifel und Ängste, dass ein Kind unsere Beziehung ins Wanken brachte und nun irgendwie immer zwischen uns steht. Es gab Momente des Glücks in denen wir viel lachten, über alle möglichen und unmöglichen Dinge sprachen oder uns minutenlang schweigend ansahen. Videotelefonie wurde unser allabendliches Ritual, wir lernten uns kennen und erfuhren viel über den jeweils anderen. Ich sprach über meine Kindheit und ließ kaum ein Ereignis aus. Es war befreiend und so einfach mich Alec anzuvertrauen. Doch neben all dem Glück gab es auch Traurigkeit und stundenlange Tränen. Hilflosigkeit und Freude wechselten sich ab.
Camille kümmerte sich immer weniger um Gideon. Meinen geplanten Flug zu Alec nach New York musste ich auf unbestimmte Zeit verschieben. Ihr Job als Staatsanwältin folgt keinen geregelten Arbeitszeiten. Somit kommt es häufiger vor, dass sie Treffen kurz vorher absagt und sich auch erst Tage später wieder meldet. Ich liebe Gideon, aber Camille geht mir so wahnsinnig auf die Nerven. Sie ist unzuverlässig und das drückt auf meine Laune. Genauso wie auf meine Arbeitszeiten, welche sie geflissentlich ignoriert. Mein Boss hatte sehr viel Verständnis für meine Situation und auch wenn ich immer glaubte eine gute Menschenkenntnis zu haben, so täuschte ich mich hier doch ganz gewaltig. In der Firma gilt er als eiskalter Mann mit stechendem Blick und keinen Sinn für Humor. Denn mein Boss Mr. Morgenstern, erwies sich als äußerst kinderlieb und familienfreundlich. Ich wechselte ins Homeoffice und konnte den Großteil meiner Aufgaben an den Wochenenden erledigen. Oder am Abend, wenn Gideon im Bett und am Schlafen war. Ein Hoch auf die IT-Branche und meinen total fehleingeschätzten Boss. Natürlich leidet meine Beziehung zu Alec unter Camilles Verhalten. Er hat sich so sehr auf unser erstes Treffen gefreut. Die ganze Woche redete er über nichts anderes und schmiedete Pläne. Er wollte in den Central Park und den Zoo besuchen, ein Picknick in der Wärme der Frühlingssonne machen und mich einfach nur küssen. Den ganzen Tag und die ganze Nacht. Auch ich wollte das und zitterte am ganzen Körper als ich ihm sagte, dass ich nicht kommen werde. Alec weinte und legte ohne ein weiteres Wort zu sagen einfach auf. Er gab mir keine Chance mich zu erklären und über eine Lösung des Problems zu sprechen. Meine Gedanken drehten sich im Kreis und ich verfluchte Camille und Miami und meine Dummheit.
Es verging ein halber Tag bis Alec sich endlich meldete. Hunderte Anrufe und tausende Nachrichten später war ich fast am Durchdrehen. Jace konnte ihn auch nicht erreichen und die Nummer von seinem besten Freund Simon hatte ich nicht. Umso erleichterter war ich, als das erlösende Signal eines eingehenden Anrufes ertönte und Alecs engelsgleiches Gesicht auf dem Bildschirm meines Laptops erschien. Sein entschuldigendes Lächeln ließ mich alle Sorge vergessen und auch er war wieder etwas gefasster. Gideon spürte meine Nervosität und war den ganzen Tag sehr unruhig gewesen. Vielleicht hatte er auch einfach nur einen schlechten Tag. Auch er entspannte sich nachdem meine Nervosität verschwand und schlief friedlich auf meiner Brust. Alec sah ihn zum ersten Mal und etwas veränderte sich. Bis zu diesem Tag wollte er nicht über Gideon reden oder ihn sehen. Ich kann mir nur ansatzweise vorstellen wie schwer es für Alec sein muss das Ergebnis meiner Nacht mit Camille zu sehen. Alec war enttäuscht das ich nicht kam. Mir ging es nicht anders und ich versprach so schnell wie möglich zu ihm zu kommen.
Ich schickte meinem Süßen ein Flugticket, doch er konnte sich nicht darüber freuen. Sein Vater fand den Brief und nahm den Pass seines Sohnes an sich. Alec hat bis heute nicht darüber gesprochen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Mr. Lightwood die Hand ausgerutscht ist. Viel zu oft habe ich Hämatome im Gesicht und anderen Stellen gesehen. Handflächen, Fäuste, Fußtritte. In den Jahren der Hölle war alles dabei. Es zerriss mir das Herz ihn so zu sehen und wieder kamen Zweifel bei Alec und Angst bei mir. Er konnte es mehr schlecht als recht verbergen und so bat ich Jace und Clary nach ihm zu sehen. Das anschließende Telefonat bestätigte meine Befürchtung. Den Tränen nahe stand ich in der Mall umgeben von gestressten Eltern und lautstarken Teenagern, vollgepackt mit Windeln und Babynahrung, einem weinenden Gideon im Kinderwagen und meiner Hilflosigkeit im Handgepäck. Wir schafften es gemeinsam nicht zu verzweifeln. Alec geht weiterhin zur Schule, lernt für die Prüfungen und trifft sich regelmäßig mit Simon, Jace und Clary zum Essen. Es ist alles andere als eine leichte und vor allem alltägliche Situation. Von Anfang an stand unsere Beziehung unter einem eher dunklen Stern als dem funkelnden, den wir uns wünschten. Ich vermisse Alec mit jedem Tag mehr und sehne mich so sehr nach einer Umarmung und einem Kuss.
Mein süßer Engel überwand seine Frustration und akzeptierte Gideon an meiner Seite. Alec erkundigt sich jeden Abend wie es uns geht und ob wir auch genügend Schlaf in der Nacht hatten. Er hörte geduldig zu wenn ich vom Besuch beim Kinderarzt berichtete und wie tapfer der Kleine beim Impfen war. Über den missglückten ersten Versuch von Säuglingsmilch auf Karottenbrei umzusteigen. Alec lachte lauthals als ich ihm in den schönsten Farben meine Bemühungen beschrieb. Er entschuldigte sich bei mir, sagte, dass er mich nicht auslachen wollte. Ich war nicht böse auf Alec. Im Gegenteil. Es machte mich glücklich ihn so fröhlich und ausgelassen zu sehen. Ich liebe ihn so sehr und er fehlt mir unglaublich. Wir wissen nicht wann wir uns wiedersehen und die Sehnsucht nacheinander ist sehr groß. An einem Wochenende im Frühling überraschte Alec mich mit einem Videochat der besonderen Art. Er wusste, das Gideon bei meiner Exfreundin war und erst am späten Nachmittag des nächsten Tages zurückgebracht wurde.
Alexander, mein süßer unschuldiger Alexander empfing mich mit nichts weiter als einem dunkelblauen Handtuch um seinen Hüften und einem Dildo in der Hand, welcher sanft vibrierte und sich einen Weg über seinen Körper suchte. Auf diesen Anblick war ich nicht vorbereitet und ich vergaß alles, schnappte mir den Laptop und das Ladekabel, lief so schnell es ging ins Schlafzimmer und war lange nicht so erregt. Unsere Sehnsucht nacheinander schrie bis zum Himmel. Alec sprach nicht ein Wort. Er sah mich über die kilometerweite Entfernung hinweg an und das Feuer in seinen Augen loderte heiß. Der schwarze Dildo umkreiste sanft die Brustwarzen und gab ein farblich harmonisches Bild zusammen mit dem erneuerten tiefschwarzen Piercing ab. Alec streichelte über seinen Bauch und den Rand des Handtuchs. Leise Geräusche der Lust verließen seinen Mund und ich entledigte mich meiner Kleidung in Windeseile. Er setzte sein Spiel einfach fort, schob die Hand unter den flauschigen blauen Stoff und ich wünschte so sehr, er wäre bei mir gewesen. Meine Fingerspitzen kribbelten vor Erregung und obwohl es außen angenehm warm war, zitterte ich leicht. Mit gespreizten Beinen saß ich auf dem Bett, der Mann meiner Träume so nah und doch unendlich weit entfernt. Ich wollte ihn berühren, meine Zunge über das erhitzte Fleisch seines Körpers gleiten lassen und die Süße seiner Lippen kosten. Diese Lippen, sinnlich, weich und leicht gespalten lockten mich und ich schloss kurz meine Augen. Holte die Erinnerung an unsere Nacht hervor, spürte das Verlangen und die süße Sünde seiner Lippen auf meiner Haut.
"Oh Baby, du bist so wunderschön. Zeig mir den Rest deines Körpers. Zeig mir, wie erregt du bist", sagte ich und Alec bis sich stöhnend auf die Unterlippe als seine Hand rhythmisch über den harten Schwanz rieb. Deutlich sah ich seine Erregung, die harten Nippel, zartrosa Wangen von der Hitze in seinem Leib, das Heben und Senken seiner Brust, kraftvoll, stark, das Herz im Rausch der Emotionen schlagend und die Gier in seinen ozeanblauen Iriden. Alecs Zunge umspielte die leise vibrierende Spitze des Dildos, das Handtuch verließ den Ort seiner Bestimmung und ich wusste nicht wohin meine Augen zuerst schauen sollten. Alecs wunderschöner Penis streckte sich mir willig entgegen. Ich schmeckte die Tropfen seiner Lust auf meiner Zunge, eine langsam verblassende Erinnerung wie der strahlende Frühling den grauen Winter vertreibt. Ich sah ihm dabei zu wie eine große starke Hand langsam über seinen harten Schwanz glitt. Die Eichel glänzte so wunderschön und ich leckte mir gierig über die Lippen. Was hätte ich dafür gegeben meine Zunge zwischen den Spalt gleiten zu lassen. Alec pur und seine Hand würde sich in meinen Haaren vergraben während ich den letzten Rest Verstand aus meinem Geliebten saugte. Alecs Schwanz tropfte vor Gier, sein Daumen zog Kreise über die geschwollene Eichel und ich war so hart und hielt es kaum noch aus mich nicht selbst zu berühren. Doch ich wollte nicht, dass es zu schnell vorbei war und krallte mich stöhnend in das Laken unter mir.
Mein Blick wechselte zu seinem Mund als ein tiefes Raunen meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ich hatte das Gefühl jeden Moment zu kollabieren. Die ruhige See in seinen blauen Iriden war verschwunden. Übrig blieb das tosende Meer. Dunkel, kraftvoll, stark. Sein Blick nahm mich gefangen, zog mich hinab in die Tiefen seiner Seele. Ich sah Liebe und Hingabe, Verlangen und Schmerz. Alec ließ den Dildo genüsslich in seinen Mund gleiten, stöhnte und vollzog ein Zungenspiel welches mir sehr wohl im Gedächtnis geblieben war. Ich sah ihn vor mir knien, mit meinen Fingern in seinen Haaren vergraben und meinen Schwanz tief in seinem Mund. Pinkfarbene Lippen welche genüsslich über meinen harten Penis glitten und sollte das Alecs Absicht gewesen sein, so hatte er definitiv gewonnen.
Ich gab auf und umfasste meinen pochenden Schwanz. Zu gerne hätte ich zugelassen, dass die Erlösung prompt folgte, doch ich wollte es so lange wie möglich genießen. Alec gab sich mir hin, zeigte deutlich welche Fantasien durch seinen hübschen Kopf streiften. Auch wenn ich ihn nicht berühren konnte, so tat er es nur für mich. Er wusste, dass wir uns in einem geschützten Raum befanden, fernab von ungebetenen Besuchern. Alec stöhnte, entließ den Dildo aus seinem Mund und bevor ich mich versah, spreizte er die Beine und lag so willig vor mir, dass meine gesamte Lust, all das Verlangen welches ich seit Monaten unterdrückte, schwallartig hervor brachen. Ich zitterte am ganzen Körper, mein Stöhnen hörte sich unnatürlich laut in meinen Ohren an. Aber das war mir egal. Die Sehnsucht nach Alec und seinen Lippen auf meinen war so groß. Zu groß und das beklemmende Gefühl in meiner Brust bestätigte mir, dass ich ihn nicht voll und ganz haben konnte. Daher war dieses Geschenk welches er mir machte, umso wertvoller.
Die vibrierende Spitze des Dildos umkreiste seinen Eingang, Alec stöhnte und blickte mir tief in die Augen. Er machte mich verrückt mit diesem Spiel, ich genoss jede einzelne Sekunde und musste mich beherrschen nicht sofort zu kommen. Immer weiter massierte das schwarze Toy den Punkt unserer letztmaligen Vereinigung. Auch hier holte ich die Erinnerung hervor, meine Penisspitze die sanft in ihn eindrang, die letzte Barriere durchbrach und uns beiden ein tiefes langgezogenes Keuchen entlockte. Es war so unfassbar geil. Alexander in voller Schönheit, sein blau-schwarzes Haar leicht feucht sowie der Rest seines anbetungswürdigen Körpers. Das vibrierende Toy im Hintern und seine Hand welche im stetigen Rhythmus über den harten Schwanz rieb. Alec wurde immer unruhiger, ließ seiner Gier und dem Verlangen nach Ekstase freien Lauf. Ich pumpte mich im gleichen Rhythmus, betrachtete meinen süßen unschuldigen Engel, der in diesem Moment alles andere als unschuldig war. Lustgetränkt, auf dem Weg über die Klippen, dem Abgrund so verdammt nahe. Mein Körper bebte, ich stöhnte laut und hemmungslos, spürte das Feuer aus Verlangen und Ekstase durch meine Adern rauschen. Mein Herz schlug so schnell, pumpte Adrenalin und alle möglichen Glückshormone schwallartig durch meinen Leib und wir waren nichts weiter als zwei stöhnende Liebende. Gefangen im Rausch der Emotionen, Universen voneinander entfernt und doch so nah. Die Liebe meines Lebens sah mir in die Augen. Mit einem gehauchten "Ich liebe dich", explodierte die Ekstase in seinen Lenden. Alec bäumte sich auf, stieß das mittlerweile lauter vibrierende Toy tief in seine heiße Enge und als die ersten Schübe seines Spermas aus ihm flossen kam ich laut stöhnend und wünschte mir nichts sehnlicher, als bei ihm zu liegen.
Ich weinte, mein Körper bebte vor Lust, Ekstase und den Worten aus Alexanders lieblichem Mund. Nach unserer gemeinsamen Nacht hatte er sie nicht wieder gesagt. Wir sprachen nicht darüber, hatten irgendwie eine stille Übereinkunft. Ich sagte es, bei jedem Abschied hörte er mein leises 'Ich liebe dich Alexander'. Und er ließ mich warten. Bis zu diesem atemberaubenden Tag mit einem krönenden Abschluss.
"Ich liebe dich auch Alexander", sagte ich und ließ mich kraftlos auf die Matratze sinken. "So sehr. Du fehlst mir. Ich wünschte, wir könnten jetzt beieinander liegen."
Eine Weile sprachen wir kein Wort. Jeder hing seinen Gedanken nach und zusammen genossen wir die letzten Wogen des Orgasmus. Alec lächelte mich liebevoll an und bevor ich mich versah, sanken seine Augenlider immer wieder hinab. Dichte schwarze Wimpern kamen auf heller Haut zum Erliegen und ich seufzte an die Erinnerung unserer letzten und einzigen Nacht. Alecs Körper so nah wie nur möglich an meinem, der Duft seines Shampoo kitzelte lieblich in meiner Nase, sein kräftiger Herzschlag, ein gleichmäßiger Takt zu dem meinigen und die schönste Melodie in meinen Ohren.
"Baby nicht einschlafen", sagte ich und Alec öffnete seine Augen.
"Warum nicht?", fragte er und ich schüttelte lächelnd den Kopf.
"Duschen. Jetzt. Und dann treffen wir uns hier wieder und schlafen zusammen ein. Wie klingt das?"
"Wie ein nie wahrwerdender Traum", antwortete er traurig lächelnd.
So war es, wir schliefen gemeinsam ein. Auch wenn uns Millionen Kilometer voneinander trennen, so wurde auch das zu einem liebgewonnenen Ritual. Jeden Abend sprechen wir miteinander, mal lang mal kurz. Aber immer beenden wir unseren Tag mit einem 'Ich liebe dich' und Alec ist meistens der erste der einschläft. Meine Müdigkeit reicht jedes Mal bis zum Mond und wieder zurück, die Tage sind anstrengend und lang, aber ich zwinge mich wach zu bleiben und die Schönheit meines Geliebten zu betrachten. Ich wache über Alec in seinen Schlaf und auch wenn sich unsere Beziehung auf einem guten Weg befindet, wir glücklich sind, so zahlreich sind auch die dunklen Gedanken. Immer mit der Angst, dass Alec mich verlässt. Er ist nur halb so stark wie er immer sagt. Ich sehe den Schmerz in seinen Augen wenn ich über eine gemeinsame Zukunft spreche. Alec schweigt dazu, jedes Mal. Er lächelt sanft und nickt.
Kalte Angst begleitet meine freudige Erwartung, seit Tagen ist Alec nervös und nicht ganz bei sich wenn wir miteinander sprechen. Jedoch weicht er meinen Fragen aus und versichert, dass alles in Ordnung sei. Ich weiß es besser, glaube ihn mittlerweile ganz gut zu kennen um zu wissen, dass meinen Geliebten etwas quält. Seine dunklen Augenringe sehen aus wie gemalt, doch ich weiß es besser. Die letzten Tage hat er schlecht geschlafen. Bei jedem aufwachen strahlten mich ozeanblaue Augen an und an der Rötung erkannte ich, dass er geweint hatte. So ist es auch heute Abend. Alecs Augen sind gerötet und das Lächeln welches er mir schenkt, ist nicht echt.
"Hallo meine Süßer. Wie geht es dir?", frage ich.
"Hallo Magnus. Gut." Falsch. Lüge. Verleumdung. Es geht ihm nicht gut und ich sehe es klar und deutlich. Alec spielt nervös mit dem Armsaum seines Shirts, versteckt die Handgelenke und ich bin mir ziemlich sicher, dass sich unter dem schwarzen Stoff blau-liladunkle Verfärbungen befinden. Alec hat lange kein langärmeliges Shirt getragen. Seit der Frühling auch die letzten Winkel von New York erreicht hat, ist er ganztägig auf T-Shirts umgestiegen.
"Was ist los Alexander?"
"Nichts", antwortet er ruppig und ich ziehe eine Augenbraue nach oben, verschränke die Arme vor der Brust und sage ernst: "Und jetzt nochmal. Aber diesmal mit der Wahrheit. Was ist los?"
Alec seufzt und fährt sich mit den Händen durch die frischgefärbten Haare. Ein noch intensiveres Blau, wunderschön im Zusammenspiel mit seinen Augen.
"Mein Literaturlehrer sitzt mir im Nacken. Ich hätte bereits letzte Woche einen Aufsatz abgeben müssen. Aber ich habe keinen Plan, was ich schreiben soll."
"Welches Thema?", frage ich und hoffe, dass der Abend nicht im Desaster endet. Denn gerade läuft es alles andere als gut.
"Das ist doch nicht wichtig", entgegnet er genervt. Heute ist wieder einer dieser Tage, an denen Alec an alles und jeden zweifelt.
"Doch ist es. Es ist wichtig für dich. Du bist mein Freund und es geht dir nicht gut. Also höre ich dir zu. Also welches Thema?"
"Helleborus niger", sagt er seufzend. Die Christrose. Eine wunderschöne Pflanze.
"Ich soll verschiedene Texte finden und analysieren. Die Christrose und ihre Bedeutung als das zentrale Thema. Ich habe ein altes Weihnachtslied gefunden. Aber der Autor könnte auch ein Pferd meinen. Ich weiß es nicht. Das Märchen von Wilhelm Hauff, kennst du das? Der Zwerg Nase heißt es, da gibt es ein Heilkraut das nennt sich 'Niesmitlust'. Meine Oma hat mir früher immer Märchen vorgelesen. Bevor ich schwul und vom Teufel besessen wurde. Na egal. Eduard Mörike, Johannes Trojans, Hermann Linggs und Kurt Herthas. Sie alle schrieben Gedichte über die Christrose als Frühlingsblume, Bote für was auch immer. Es ist so mühsam und ich habe jedes einzelne Werk gelesen. Und irgendwie ist der Tod auch immer präsent. Es gibt einen Roman, indem sich der verratene Held in die Berge flüchtet und dort ein zurückgezogenes Leben führt. Er verzichtet auf seine Rache und lebt dort bis zu seinem Tod. Um seinen Leichnam wachsen die ersten Schneerosen und ich stelle mir das so friedlich und rein vor. Die Christrose steht für Unschuld und Frömmigkeit. Unschuld ist für mich persönlich Reinheit. Etwas Schönes, was den Tod bekämpft. Ihm den Mittelfinger entgegen streckt und laut 'Sieh her. Ich bin noch immer wunderschön. Winterstürme habe ich überstanden, meine Blätter nie verloren und wache nun über die Seelen der Menschen, die du fortgenommen hast.' entgegen brüllt. Es passt zu dem was ich recherchiert habe. Helleborus niger wurde schon immer zur Behandlung verschiedenster Krankheiten benutzt. Geisterkrankheiten, Zahnschmerzen, Abführmittel, Herzmittel, harntreibendes Medikament, sogar zur Bekämpfung der Schweinepest. Kaum zu glauben. Und dennoch ist sie ebenso giftig. 'Drei Tropfen machen rot, zehn Tropfen machen tot.' Wie ich bereits sagte, Leben und Tod. Verrückt oder? Bei so vielen Dingen in unserem Dasein sind das Partner die einfach zusammen gehören. Ohne das eine, kann das andere nicht existieren. Wie der Winter und der Frühling. Der eisige Winter tötet, legt alles um uns herum in einen tiefen Schlaf. Der Frühling erweckt, löst den Schlaf und spendet mit seiner Wärme neues Leben. Und die Christrose ist beides. Frühling gleich Leben, Winter gleich Tod."
"Da hast du deinen Aufsatz", sage ich. Alec schüttelt den Kopf, kaut nervös auf seiner Unterlippe herum.
"Das reicht nicht. Es müssen mindestens 2000 Worte sein."
"Das schaffst du. Es ist ein guter Start. Der Rest ergibt sich beim Schreiben. Alexander, du bist klug. Du schaffst das. Ist das alles was di... warte kurz", unterbreche ich mich und lausche auf das krächzende Geräusch aus dem angrenzenden Kinderzimmer.
"Was ist los?", fragt Alec und ich schließe kurz meine Augen, fluche leise. Warum heute?
"Gideon war den ganzen Tag unruhig. Sein Mittagsschlaf war mit einer Stunde viel zu kurz. Ich habe ihn gerade erst hingelegt. Es hat ewig gedauert bis er eingeschlafen ist", antworte ich leise und hoffe, dass mein Kleiner nur einen bösen Gedanken hatte und sich daraus kein Albtraum entwickelt. Gerade heute möchte ich meinen Geliebten Alexander nicht einfach abwimmeln müssen.
"Also. Was hast du noch auf dem Herzen?", frage ich und hoffe auf eine ehrliche Antwort. Alec schweigt, überlegt was er mir sagen soll. Ich kann das Gedankenkarussell welches unaufhörlich seine Runden dreht förmlich sehen. 'Bitte spring ab' bete ich innerlich.
"Du fehlst mir", haucht er in die Kamera seines Laptops und der Klang seiner Stimme, der sehnsuchtsvolle Unterton mit so viel Schmerz zerreißt mich fast.
"Du mir auch. Wir werden uns bald sehen können. Ich verspreche es dir. Nicht mehr lange", sage ich tröstend. Alec glaubt mir nicht. Seine Augen füllen sich mit Tränen und ich höre das laute Schluchzen. Er versucht erst gar nicht es zu verbergen. Warum auch? Wir sind ein Paar, haben schon so oft hier miteinander gesessen und geweint. Stumme Tränen und auch laute.
"Ich weiß nicht wie lange ich das noch schaffe. Bin ich so naiv? Oder bist du es? Sind es wir beide? Was versuchen wir hier eigentlich?"
"Alexander, ich..."
"Ich schaff das nicht mehr", sagt er aufgebracht unter Tränen. Hilflosigkeit überkommt mich. Was passiert hier gerade? Egal wie traurig Alec war, die Sehnsucht ihn verzweifeln ließ, so hat er nie angedeutet, dass er keinen Sinn mehr in unserer Beziehung sieht. Nie. Nicht mit einem Sterbenswörtchen. Oder habe ich seine Worte und Gesten einfach nur falsch gedeutet?
"Was willst du mir sagen? Alexander. Rede mit mir. Ich habe Angst."
"Ich auch. Nicht um dich. Du hast Gideon. Aber um mich. Es tut so weh. So verdammt weh und ich sehe einfach kein Licht am Ende des Tunnels." Alecs Worte kommen verschluckt bei mir an, unterbrochen durch Schluchzer und Tränen. So unglaublich vielen Tränen. Es zerreißt mir das Herz ihn so zu sehen. Woher kommt das auf einmal? Zu den Tränen meines Geliebten mischt sich das schmerzerfüllte Weinen meines Sohnes.
"Geh zu Gideon. Ich warte", sagt er.
"Bitte warte. Ich bin gleich wieder bei dir. Ich liebe dich." Schnell laufe ich zu Gideon, das Nachtlicht projiziert einen Sternenhimmel an die Decke, verströmt eine angenehme warme Atmosphäre. Nur so viel das ich etwas erkennen und Gideon trotzdem in Ruhe schlafen kann. Er liegt weinend in seinem Bettchen, feuchte Tränen benetzen sein kleines Gesicht. Ich nehme ihn hoch, lege meine Hand an seine Wange und atme erleichtert auf. Keine Hitze, kein Fieber. Das ist sehr beruhigend. Gideon weint noch immer, alles wiegen in meinen Armen und leise geflüsterte beruhigende Worte bringen nichts. Meine Gedanken sind bei Alec und Gideon, ein Wechsel zwischen den beiden Männern in meinem Leben die mir alles bedeuten.
Leise summend streichele ich über Gideons dunkle Haare, er blickt mir aus seinen großen Kulleraugen entgegen. Langsam beruhigt er sich und nach einer gefühlten Ewigkeit wage ich den Versuch ihn wieder in sein Bett zu legen. Es gelingt und Gideons Augenlider werden schwer und fallen zu. Seine kleine Hand umklammert mein Zeigefinger. Er braucht dieses Ritual und den Körperkontakt um einschlafen zu können. Vorsichtig entferne ich meinen Finger aus seinem Klammergriff und schicke ein Stoßgebet an wer auch immer gerade da oben auf dem Thron sitzt und über uns wacht. Einen Moment bleibe ich neben seinem Bett stehen, lausche dem regelmäßigen Atem und bin mir sicher, dass er wieder eingeschlafen ist. Immer wenn man versucht besonders leise zu sein, dann hören sich alle Geräusche die man verursacht so an, als würde eine Blaskapelle neben einem her laufen. Die knarrende Diele ist heute besonders laut und ich höre Gideon leise seufzen. 'Bitte nicht. Schlaf weiter' sage ich stumm zu meinem kleinen Engel. Nein. Es hat nicht geholfen. Gideon wimmert leise und noch bevor ich wieder an seinem Bett stehe, bricht der Damm und lautes Weinen erhellt die Stille.
Minutenlang versuche ich ihn zu beruhigen, wechsle die Windel und den leicht feuchten Schlafanzug. Seine Stirn ist mittlerweile etwas wärmer als normal. Beginnendes Fieber. Vielleicht. Vielleicht ist es auch einfach zu warm. Ich weiß es nicht und hoffe inständig, dass die Nacht ruhig verläuft. Irgendwann ist Gideon eingeschlafen. Sein kleiner Körper liegt auf meiner Brust, warm und verletzlich. Ich bin mir nicht sicher wieviel Zeit bereits vergangen ist. Zehn Minuten? Dreißig? Eine Stunde? Es hilft nichts, ich muss zu Alec und mich entschuldigen. Das schlechte Gewissen nagt hart an mir. Es geht ihm nicht gut, er braucht mich jetzt. Aber Gideon braucht mich auch. Also nehme ich ihn kurzerhand mit ins Wohnzimmer und lasse mich auf das Sofa fallen. Ich bin müde und erschöpft und kurz davor durchzudrehen. Alec ist nicht mehr da. Panisch versuche ich einen neuen Anruf zu starten und warte gefühlte Stunden bis er sich endlich blicken lässt.
"Es tut mir leid", sage ich augenblicklich. Alec sieht noch beschissener aus als vorher. Er hat geweint, seine Augen sind gerötet und verquollen. Die Haare stehen ihm in allen Richtungen ab und seine Augen blicken mir ausdruckslos entgegen. Wie muss er sich fühlen? Was geht in seinem Kopf vor?
"Schon gut", antwortet er. "Kann er nicht schlafen?" Selten hat Alec so kühl mit mir gesprochen. Es ist Wochen her und war nicht schön.
"Ja. Er fühlt sich etwas warm an."
"Ich habe Post bekommen. Mehrere Briefe in den letzten Tagen", fängt Alec ein längst überfälliges Gespräch an.
"Miami hat mich abgelehnt. Und auch die anderen waren wohl nicht der Meinung, dass ich es wert bin auf ihre Akademie zu gehen. Tja Magnus, so sieht es aus. Ich bleibe in New York", sagt er und lacht dabei sarkastisch. Mir wird plötzlich übel und das Herz in meiner Brust zieht sich schmerzhaft zusammen. Ich bekomme kaum noch Luft und atme einmal tief durch. Gerade geschieht, wovor ich seit Wochen Angst hatte. Auf diesen Tag habe ich mich innerlich vorbereitet. Und doch erwischt es mich eiskalt. Ich ahne Schlimmes und traue mich kaum die nächste Frage zu stellen.
"Es ist meine einzige Chance auf ein Kunststudium." Ich sehe Alecs Kampf, er versucht die Kontrolle zu behalten und scheitert kläglich. Erste Tränen verlassen seine geröteten Augen, er versucht sie zu vertreiben und reibt sich mit der flachen Hand über das Gesicht. Dabei verrutschen die Ärmel seines Shirts und ich schlucke den dicken Kloß in meiner Kehle hinunter. Ich hatte Recht. Eine feine lilafarbene Spur ziert das linke Handgelenk und auch das rechte sieht nicht besser aus.
"Alexander. Was heißt das für uns?", frage ich zögerlich.
"Es tut mir leid. Ich liebe dich. Aber ich ertrage das nicht länger. Machs gut Magnus."
Stille. Dunkelheit. Alexander. Was ist passiert? Warum hat er den Anruf beendet? Wovon hat er gesprochen? Was meint er damit? Hat er sich gerade getrennt? Panik macht sich breit, bittere Galle brennt in meiner Kehle. Ich schwitze und zittere, bekomme kaum noch Luft und umklammere Gideons kleinen Körper. Panisch wähle ich immer wieder Alecs Kontakt. Minutenlang, doch das Bild auf dem Laptop verändert sich nicht. Es bleibt wie es ist. Frustriert, wütend und verwirrt nehme ich mein Telefon und versuche Alec anzurufen. Nichts. Sein Handy ist ausgeschaltet und so bleibt mir nichts weiter übrig als ihm eine Nachricht nach der anderen auf die Mailbox zu sprechen. Meine Stimme klingt seltsam schrill und panisch. Unzusammenhängende Sätze, Alec muss beim Abhören glauben ich hätte den Verstand verloren. So fühle ich mich auch. Als wäre jeder rationale Denken mit ihm gegangen.
Ich habe Angst, dass dieses Gespräch das Letzte zwischen Alec und mir war. Gideon auf meiner Brust schläft seelenruhig, die Temperatur hat sich kaum verändert und ich wage den Versuch ihn in sein Bettchen zu legen. Ein Stoßgebet und mehrere Schwüre später gehe ich leise aus seinem Zimmer und wähle zum wiederholten Male Alecs Nummer. Doch es bleibt dabei. Mailbox. Fuck. Die Haken meiner Nachrichten verändern sich ebenso wenig. Sie wechseln nicht von grau auf blau und werden auch nicht mehr. Es bleibt bei einem, sein Telefon ist nach wie vor ausgeschaltet.
Jace. Mein Strohhalm, ein letzter Funken Hoffnung. Ich muss es versuchen. Wenn Alec mir nicht antwortet, dann redet er vielleicht mit Jace. Oder Clary. Eventuell brauchen wir auch noch Simon, seinen besten Freund. Es ist zum verrückt werden. Die Angst Alec verloren zu haben, hat schon längst Besitz von mir ergriffen. Mein Herz schlägt so laut, dass es in ganz Florida zu hören ist und schnell, mein Brustkorb schmerzt höllisch und ich bekomme kaum noch Luft.
"Magnus?", fragt Jace schlaftrunken, nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit dem nervenden Anrufgeräusch gelauscht habe. Habe ich ihn geweckt? Seit wann geht er so früh am Abend schlafen?
"Ja. Hi. Hast du geschlafen?"
"Es ist fast Mitternacht. Natürlich habe ich bereits geschlafen. Was denkst du denn?", fragt er aufgebracht. Haben sich heute alle gegen mich verschworen? Und dann dämmert es plötzlich. Die Erkenntnis reißt mir den Boden unter den Füßen weg. Mitternacht? Mitternacht. Ich war lange weg, habe Alec in seiner Traurigkeit allein gelassen. Aber ich musste mich um Gideon kümmern. Das hätte nicht passieren dürfen. Doch was bleibt mir für eine andere Wahl? Ich schließe meine Augen und atme tief durch. Jace lässt mir Zeit um etwas zu sagen. Vielleicht ist er auch wieder eingeschlafen.
"Alec hat sich von mir getrennt", sage ich leise und nun ist Jace hellwach.
"Was?", fragt er aufgeregt. "Hat er gesagt warum?"
"Ich weiß es nicht. Also nicht so richtig. Er war schon seit Tagen nervös und angespannt."
"Ja, wegen seiner Bewerbungen. Die ersten Antworten kamen diese Woche. Hat er dir davon erzählt?" Es wundert mich nicht das Jace darüber Bescheid weiß. Ich bin ihm nicht böse, dass er es mir nicht erzählt hat. Es ist nicht seine Aufgabe.
"Ja, heute Abend. Es ging ihm nicht gut. Ich habe ihm gesagt, dass wir eine Lösung finden. Fuck Jace, er meldet sich nicht mehr. Ich weiß nicht, was ich noch tun soll. Kannst du mit ihm reden?"
"Das habe ich bereits", antwortet Jace. Zornig presse ich meine Lippen aufeinander und unterdrücke einen lauten Schrei. Warum erzählt er mir das nicht?
"Was hat er dir gesagt?", frage ich erschöpft. Ich bin müde und gleichzeitig so wahnsinnig nervös und von Angst zerfressen.
"Alec war gestern bei mir. Er hat geweint und gesagt, dass er keine Kraft mehr hat. Dass er einfach keinen Sinn mehr in eurer Beziehung sieht. Du kommst ihn nie besuchen, obwohl du es versprochen hast. Magnus, es tut mir sehr leid für dich. Aber ich habe versucht ihn zu beruhigen. So gut es ging. Aber ich habe auch eine andere Sicht auf die Dinge."
"Die da wäre?" Jace ist schon lange mein Freund. Wir waren immer ehrlich zueinander. Doch gerade habe ich das Gefühl, dass er mit einem Messer in der Hand hinter mir steht und auf den passenden Moment wartet mein schmerzendes Herz zu durchbohren.
"Ich habe Alec geraten in New York zu bleiben. Den Studienplatz anzunehmen. Er hat ein vollumfängliches Stipendium. Clary hat ihm angeboten bei uns zu wohnen. Er wird nächste Woche das Gästezimmer beziehen. Ich schätze, du hast gesehen, wie er aussah. Seine Gelenke?" Ich nicke stumm, höre Jace Worte und kann es kaum glauben.
"Es ist viel schlimmer als du weißt. Ich habe ihm versprochen nicht mit dir darüber zu reden."
"Hast du Alexander gesagt, dass es keine Zukunft für uns gibt?", zische ich zornig. Ich bin so unsagbar wütend. Am liebsten würde ich mich in den nächsten Flieger nach New York setzen.
"Nein. Das habe ich nicht. Aber ich habe ihm gesagt was passiert, wenn er einfach ohne Ausbildung, ohne Job und jegliche finanzielle Unterstützung vor deiner Tür steht. Das ein Alltag mit Baby nicht einfach ist und besonders wenn man, wie er nie Kinder wollte."
"Das hat er mir nie erzählt", sage ich geschockt.
"Dir nicht. Aber Simon, Clary und mir. Was glaubst du, warum er so lange gebraucht hat um Gideon zu akzeptieren? Er hat nichts gegen Kinder. Aber er wollte nie eigene haben. Geschweige denn adoptieren. Alec reicht es sich um die zukünftigen Kinder seines Bruder zu kümmern oder auch um Simons wenn er denn mal welche bekommt. Magnus du musst wissen, dass wir in den letzten Monaten viel Zeit miteinander verbracht haben. Er liebt dich. So sehr. Aber die Liebe zu dir zerstört ihn."
"Und was ist mit mir?", frage ich aufgebracht und rufe mir die Haare. Das ist ein Albtraum und definitiv ein sehr schlechter Scherz des Universums. Ich habe kaum Worte, in meinem Kopf dreht sich alles. Nie im Leben hätte ich geglaubt, dass Jace mich so hintergeht. Er hat bei keinem unserer Telefonate erwähnt wie schlecht es Alec wirklich geht. Oder das ihn die Ungewissheit einer Zukunft so sehr quält. Ja ich wusste, dass es Alec Zuhause nicht einfach hat. Und auch, dass er mich schrecklich vermisste. Mir ging es doch genauso. Aber oft war es Alec dessen Schmerz und Traurigkeit im Vordergrund standen.
"Fragt ihr euch auch mal wie es mir geht? Für mich ist das auch nicht leicht. Ich mache mir jeden Tag Vorwürfe Alec alleine gelassen zu haben. Aber was hätte ich denn tun sollen?", schreie ich Jace entgegen. Dabei ist es mir egal ob er nach diesem Gespräch noch mein Freund ist oder nicht. Ich bin wütend und enttäuscht, voll von Liebe für Alec und Angst um die Zukunft meines Sohnes. Es ist keine zwölf Stunden her, da verkündete Camille mir die frohe Botschaft, dass sie meiner Bitte eines Wochenendes mit Gideon in New York nicht zustimmen wird. Wir hatten alles geplant, Ragnor, Cat und ich. Die Zwillinge würden hier in Miami bleiben bei Cats Vater, einem liebreizenden älteren Herren. Vor seiner Pensionierung war Luke Polizist und jagte schwere Jungs sowie Kleinkriminelle durch die Straßen der Stadt. Laut seinen bildlichen Erzählungen war er gefürchtet und so mancher Mafiaboss ergab sich freiwillig, sobald Detective Luke auch nur seine Augenbrauen verengte. Heute ist er der liebevolle Geschichtenerzählende Opa für Jonathan, Sebastian und auch Gideon. Denn mein kleiner Engel ist schon lange ein Teil der Familie Fell. Ragnor und Cat wollten mich nach New York begleiten, als seelische Stütze und um ihre Hochzeitsreise nachzuholen.
Doch daraus wird nun nichts und ich bin gerade mehr als froh, weder mit Jace noch Alec über meine geplante Überraschungsreise gesprochen zu haben.
"Ich wollte nach New York kommen. Nächste Woche. Zusammen mit Ragnor und Cat und Gideon. Es war alles geplant. Wir wollten euch besuchen und ich wollte Alec endlich das Picknick im Central Park ermöglichen. Den Besuch im Zoo nachholen und Popcorn essen während wir Godzilla dabei zusehen wie er King Kong die Knochen bricht. Ich wollte ihn küssen und halten, ganz fest in meinen Armen. Ihn einfach nur festhalten und nie wieder loslassen. Ich wollte ihn bitten mich zu heiraten, irgendwann in der Zukunft."
Ich möchte schreien, ganz laut und hemmungslos so dass es auch der letzte Mensch auf diesem Planeten hört. Und ich möchte weinen, ganz viel und all den Schmerz heraus lassen. Doch auch wenn die Tränen bereits minutenlang gegen meine Schutzmauer drücken, so durchbrechen die nicht die Barriere. Meine Augen brennen und ich fühle mich so unendlich müde und erschöpft. Kraftlos und jenseits jeglicher Hoffnung. Warum tut er mir das an?
"Magnus. Warum hast du nichts gesagt? Alec wartet schon so lange auf dich", sagt Jace entwaffnend.
"Warum? Fragst du mich das echt? Warum? Genau aus diesem Grund. Wegen dem, was heute Abend geschah. Ich wollte Alec überraschen. Und falls es nicht geklappt hätte, dann hätte er nicht hoffen müssen. Ich hätte ihn nicht wieder enttäuscht. Denn das wäre nicht zu ertragen gewesen. Nicht noch einmal. Camille hat meine Vorfreude zunichte gemacht. Ihr wisst gar nichts. Nichts. Keine Ahnung wie lange ich das noch ertrage. Es zerreißt mir das Herz zu wissen, dass sein Vater ihn verprügelt und ich nichts dagegen tun kann. Ich weiß wie sich das anfühlt. Jede Nacht mit der Angst im Nacken einzuschlafen, dass ein stinkender keuchender Kerl über dir liegt und dein Gesicht in das Kissen drückt. Und du dir nichts weiter wünschst als zu sterben. Oder nach dem fünften Knochenbruch aufhörst zu zählen weil du genau weißt, es wird nicht der Letzte gewesen sein. Ich weiß wie es sich anfühlt Angst zu haben. Ich kenne das Gefühl ganz allein auf dieser Welt zu sein. Ich bin auch nur ein Mann mit Gefühlen und einer verletzten Seele. Also warum erdreistest du dir zu glauben zu wissen, was das Beste für Alec und mich ist? Warum Jace? Warum? Du weißt es nicht", schreie ich mich in Rage und jedes Wort hinterlässt einen Stich in meinem Herzen. Alte Wunden platzen auf, bluten den Boden unter meinen Füßen voll und ich breche weinend auf diesem zusammen. Es ist einfach zu viel und tut so unglaublich weh. Ich ertrage das nicht länger.
"Es wäre besser einen Schlussstrich zu ziehen Magnus. Alec ist am Ende und du auch. Eure Zeit ist noch nicht gekommen", sagt Jace und ich nicke.
"Ja. Vielleicht. Aber ich werde Alexander immer lieben. Sag ihm das."
~~~••••••••••~~~
Zwei Wochen sind bereits vergangen. Zwei quälend lange Wochen seit dem Gespräch mit Alec und meinem Streit mit Jace. Mir geht es schlechter als jemals zuvor. Mein emotionaler Ausbruch blieb nicht unbemerkt. Gideon wachte natürlich von meinem Geschrei auf und weinte. Nein, er schrie regelrecht, genauso wie ich. Und auch Cat bekam irgendwie mit das etwas nicht in Ordnung war. Das aufgeregte Klopfen an meiner Wohnungstür verschlechterte meine Laune und ich öffnete zornig die Tür. Eine aufgeregte Cat stand vor mir und Ragnor folgte ihr prompt, eingewickelt in einen flauschigen dunkelblauen Morgenmantel. Die Farbe erinnerte mich an Alec und seine Augen, die Haare und das Handtuch welches er locker um die Hüften trug als wir vor einer gefühlten Ewigkeit sein Badezimmer verließen und uns gemeinsam in die seidig weichen Kissen seines Bettes kuschelten. Das gab mir den Rest und ich schluchzte hemmungslos, ließ mich kraftlos auf den Boden fallen und rollte mich zu einer kleinen Kugel zusammen. Mein Kopf tat weh und auch der Rest meines Körpers fühlte sich seltsam fremd an. Als würde er nicht zu mir gehören, wie eine Hülle für meine geschundene Seele.
Cat ging sofort zu Gideon und blieb den Rest der Nacht bei ihm. Mein schlechtes Gewissen, Gideon in dieser Nacht allein gelassen zu haben, reicht bis zum Himmel. Auch noch heute, zwei Wochen später und ich bin Cat sehr dankbar, dass sie sich die Nacht um die Ohren schlug und auf ihn achtete. Anscheinend hatte sich Gideon beim Babyschwimmen etwas verkühlt und kämpfte gegen eine Erkältung. Ragnor nahm mich mit in sein Haus und gemeinsam saßen wir auf der Terrasse und tranken Bier, sahen den Sternen bei ihrem Wettlauf gegen die Zeit zu und schwiegen. Wir hatten keine Eile und Ragnor verstand es schon immer hervorragend zu warten und einfach nur zuzuhören. Die kühle Nachtluft war wunderbar erfrischend, vertrieb den Kopfschmerz und so begann ich irgendwann in den frühen Morgenstunden, die Geschichte eines zerbrochenen Traumes zu erzählen. Ragnor hörte schweigend zu und lächelte sanft als ich fertig mit meiner Erzählung war. Das erinnerte mich an meine ersten Tage in Miami. Auch da erzählte ich Ragnor was geschehen war und auch damals lächelte er mich auf die gleiche Art an.
Und zwei Wochen später sitze ich wieder mit Ragnor auf seiner Terrasse und schaue in den Himmel. Keine Sterne sind zu sehen, stattdessen reines Blau, wunderschön und kraftvoll. Die Sonne steht hoch oben am Firmament und strahlt mit ihrer ganzen Kraft auf uns herunter. Die Zwillinge bauen für Gideon hohe Türme aus den verschenkten Bausteinen und jeder will der Beste sein. Der Bruder welcher Gideon zum Lachen bringt und seine volle Aufmerksamkeit erhält. Es ist ein wahrer Wettkampf ausgebrochen und nicht selten fliegen die Fetzen um die Gunst des unschuldigen Engels. Dem ist das alles sowas von egal. Gideon liegt auf der Decke im saftigen grün, umgeben von duftenden pinkfarbenen Rosensträuchern und weißen Oleander, strahlt über das ganze Gesicht und dreht sich in einer Tour vom Rücken auf den Bauch und wieder zurück. Seit ein paar Tagen ist es sein neuestes Hobby und ich bin fast ausgeflippt vor Freude. Doch teilen konnte ich sie in dem Moment nicht. Alec reagiert nicht auf meine Anrufe oder Nachrichten. Seit einer Woche habe ich es gänzlich eingestellt. Auch wenn es unsagbar schmerzt und Alec mir fehlt. Unser allabendliches Ritual ist Vergangenheit, die Gegenwart ist grau und was die Zukunft bringt, vermag ich nicht zu sagen.
"Hast du nochmal mit Jace gesprochen?", fragt Ragnor und auch Cat schaut interessiert zu mir.
"Ja", antworte ich knapp.
"Und?", fragt er neugierig. Ragnor war immer froh, dass ich in New York nicht alleine war und der Bruch mit Jace fiel mir nicht leicht.
"Wir haben uns ausgesprochen. Gestern Abend", sage ich. Es war ein langes Gespräch und ich bin froh, dass wir es geführt haben. Jace war in den letzten Jahren für mich da und auch Alec war er eine große Stütze. Wir sprachen über vieles. Ich erzählte ihm ein paar Dinge aus meiner Vergangenheit und er berichtete über Alec und seinen täglichen Kampf mit der Trennung zurecht zu kommen. Ich verstand Jace besser und Jace verstand mich.
"Das ist sehr gut. Jace will dir nichts Böses. Er meint es nur gut."
"Du hast ja Recht. Trotzdem hat es mich tief getroffen. Ich hätte einfach nie geglaubt, dass er Alec dazu bringt sich von mir zu trennen. Das sitzt tief. Aber ich werde darüber hinweg kommen."
"Und trotzdem bist du mit deinen Gedanken nicht hier."
"Nein. Natürlich nicht", antworte ich und weiteres ist nicht notwendig. In den letzten zwei Wochen haben wir drei viel geredet. Cat und Ragnor sind sehr verständnisvoll. Sie waren in der Dunkelheit da, hielten mich warm und sicher, gaben mir das Gefühl eine richtige Entscheidung getroffen zu haben. Die Frustration sitzt tief und auch der Schmerz, wie ein Stachel bohrt sie sich Millimeter für Millimeter durch meine Haut.
"Oh", sagt Cat plötzlich. Ich blicke etwas verwirrt zu ihr. Was ist los?
"Ich glaube, eine langsam erwartete Lieferung ist endlich da. Ich geh mal schnell zur Tür", flötet sie und schwebt schon fast elfengleich über die Terrasse und verschwindet im Haus.
"Es ist wichtig, dass du niemals die Hoffnung verlierst", sagt Ragnor plötzlich ernst und seine stechend grünen Augen bohren sich fest in meine. Früher, vor einer ewig langen und doch nicht vergessenen Zeit, war dieser Blick für mich alles. Hoffnung, Liebe, Kraft und Zuversicht.
"Das sagst du so einfach. Ich kann nicht einfach so tun als wäre nichts gewesen. Alexander ist nicht irgendein Kerl von einer Party mit zu viel Alkohol und Drogen. Er ist meine große Liebe. Und zu wissen, dass ich ihn nicht haben kann, das zerreißt mich regelmäßig. Gideon ist der Grund warum ich noch nicht aufgegeben habe. Warum ich nicht den ganzen Tag im Bett liege und mir die Seele aus dem Leib schreie. Alexander ist überall. Und ich habe das Gefühl so langsam den Verstand zu verlieren. Ich höre seine Stimme und rieche seinen Duft." Ich schlucke trocken, atme tief durch und meine Sinne spielen mir auch jetzt einen Streich.
"So wie jetzt. Ich rieche ihn. Aber ich weiß, dass er nicht da ist."
"Was wäre wenn doch?", fragt Ragnor und ich blicke ihn traurig an.
"Das wäre wunderbar. Ich würde ihn schwindelig küssen, solange bis er den Boden unter den Füßen verliert. Ich würde ihm immer wieder sagen wie sehr ich ihn liebe und wie Leid es mir tut. Ich würde ihn in Ketten legen oder zumindest mit einem Ring an mich binden. Ich wäre der glücklichste Mann der Welt", schluchze ich. Ja, das wäre wirklich die Erfüllung eines Traumes.
"Warum tust du es dann nicht?", fragt Ragnor und ich komme mir leicht verarscht vor.
"Wenn es doch so einfach wäre. Alec reagiert nicht auf meine Anrufe oder Nachrichten. Camille lässt mich mit Gideon allein. Ich darf ihn nicht mit nach New York nehmen. Also sag mir, Ragnor Fell, wie soll ich das anstellen?"
"Indem du einfach damit anfängst deinem Herzen zu folgen und deinen Sinnen vertraust."
"Ich habe keine Ahnung wovon du redest", erwidere ich erschöpft und sehe wieder Ragnors sanftes Lächeln.
"Magnus?", ertönt eine liebliche Stimme hinter mir. Der Klang treibt einen Schauer ungeahnten Ausmaßes über meinen Rücken und mein Herz setzt ein paar Schläge aus. Genauso wie meine Atmung und ich habe das Gefühl zu fallen. Ganz tief in die dunkelste Nacht, aus der es kein Entrinnen gibt. Das kann unmöglich wahr sein.
... to be continued
~•••~
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top