Noch ein Geheimnis
Da wir ein ganz schönes Stück zu fahren hatten, wollten wir ausgeschlafen sein. Nach meinem "Ich-bin-endlich-ich-Bad", stieg ich erfrischt aus den Fluten und im Handumdrehen hatte ich nun meine bequemen Sachen an. Dass hieß: "Heute verlasse ich das Haus nicht mehr!". Martin war einfach eingeschlafen und ich schlich auf leisen Sohlen nach unten und zauberte ein paar Sandwiches, verpackte sie hübsch und brachte sie auf einem kleinen Tablett nach oben.
Noch immer bemerkte er mich nicht. Erst als ich unter die Decke kriechen wollte, griff seine Hand nach mir : "Du riechst aber gut!" und er schlug endlich die Augen auf. Erschrocken... er gerade auf die Uhr blickte "Was schon so spät?", saß er plötzlich kerzengerade. Amy nutzte dies und hielt ihm ein Sandwich unter die Nase. Er kostete und war zufrieden und so wurde noch ein Abendessen im Bett daraus. "Woher wusstest du...", fragte er.
"Du warst so müde und ich wollte dich da einfach schlafen lassen! Auch dein Schlaf war nicht immer erholsam, in letzter Zeit...", sprach Amy und Martin nickte. "Recht hast du, aber ich hoffe, dass wird endlich besser!" und schon griff er nach einem neuen Sandwich. Ich aß nur zwei Stück und war satt, aber ich aß. Er schaute mich an und nun wollte er ein Bad nehmen. "Lass uns ein wenig die Beine vertreten!", sagte Martin.
"Ja mit vollem Magen würde ich auch nicht baden gehen. Baden kannst du später!", sagte ich. Schnell wieder umgezogen, zog ich ihn nun aus dem Bett. Er schlüpfte in eine bequeme Hose und zog sich einen Pullover über. "So, fertig...wenn du es auch bist?", schaute er, was ich mir angezogen hatte. Ab ging es, Jacke übergeworfen, Schuhe an. Rein ins Auto und los ging es, schnell noch tanken fahren. Jetzt fuhr er wieder in eine andere Richtung, zeigte mir wieder einen anderen Ort, von dem er noch nichts erzählt hatte.
Wir befanden uns auf einer kleinen Wiese, links und rechts fanden sich zahlreiche kleine Tannen unterschiedlicher Höhe. Mein Blick schweifte nach oben und ich sah mehrere Berge, die nebeneinander waren, ein Weg schien sie zu verbinden. Wehmut machte sich breit, konnte spüren, wie sehr ihn dieser Blick an etwas zu erinnern schien "Herrlich, was für eine tolle Sicht!" und ich griff nach seiner Hand, hielt ihn ganz fest. Er hatte Tränen in den Augen.
"Hier war ich mit Stephen als er das erste Mal von dir erzählte.". Nun wusste ich, was ihn mit diesem Ort verband. Er dachte an seinen besten Freund, meinen Bruder, und auch an mich, ohne mich zu kennen. An diesem Ort erfuhr er auch von der Krankheit meines Bruders und musste das vor aller Welt geheimhalten. Oft wollte er mir davon berichten, aber tat es dann doch nicht. Er hatte es meinem Bruder versprechen müssen. All die Zeit durfte er niemals mit jemand anderen über diese Bürde sprechen, was ihn krank gemacht hatte.
Stephen war todkrank und hielt sein Leiden selbst nicht mehr aus. Martin musste ihm versprechen, von einem Unfall zu sprechen. Nur war es dies nie. Er hatte sein Leben selbst beendet, und nur Martin wusste davon. Endlich konnte er es mir sagen. Ich konnte den Stein fallen hören, der auf seiner Brust drückte. "Endlich durfte ich dir davon erzählen! " und ich hielt seine Hand. Ich versprach ihm, niemals jemand davon zu erzählen. Zu schmerzlich wäre es. Wir aber waren stark genug, um das auszuhalten, gemeinsam.
Irgendwann würden wir dort gemeinsam oben stehen und ein Licht für Stephen anzünden. Doch das würde noch eine Weile auf sich warten lassen. "Aber aufgeschoben, ist nicht aufgehoben!", wie schon meine Oma zu sagen pflegte. Ja die Lebensweisheiten dieser klugen Frau waren immer mehr zu meinen eigenen geworden. Jede Generation hatte solche allgemein gültigen Weisheiten, aber wer würde das denn wirklich zugeben, dass die Alten am Ende doch recht behielten?
Und wieder hatte Martin einen Schritt weiter auf mich zu gemacht.
Ich weiß nicht wie lange wir uns an den Händen hielten und sehnsüchtig nach oben blickten, wir waren wie in einer Zeitschleife eines guten Buches gefangen. Doch irgendwann löste sich diese Starre wieder. Zeit, nach Hause zu fahren. Es wartete ein anstrengender Tag morgen auf mich, auf uns oder ein leichter, der alles in den Schatten stellen würde. Wir konnten nur gewinnen, nicht verlieren. Endlich wieder im Auto, die Berge nicht mehr zu sehen, in Gedanken schon weit weg. Obwohl vergessen konnte ich meinen Bruder Stephen niemals.
Er hatte mir seine Tagebücher hinterlassen, in die ich aber bisher noch nicht geblickt hatte. Vielleicht würde ich ja bald das Bedürfnis haben, sie alle lesen zu wollen. Ich wusste nun den wahren Grund, warum er sich ganz plötzlich bei niemanden mehr gemeldet hatte, nur eben bei Martin. Wie groß war das Vertrauen in ihn gewesen, dass er alles mit ihm besprochen hatte und keinen anderen damit belasten wollte? Wie stark musste sein bester Freund gewesen sein, als dieser sich ihm anvertraute?
Ich war nur froh, dass mein Bruder nicht allein war und stolz auf Martin, dass er selbst in eigner Not nicht das Versprechen gegenüber meinem Bruder gebrochen hatte, zeugte es doch von wahrer Größe und Stärke. Und dieser Mann würde bald auch vor aller Welt meiner sein. Ein schöner, nein besser ein sehr schöner Gedanke.
Draußen war es schon finster, als wir wieder zu Hause angekommen waren. Raus aus dem Auto und schnell einen heißen Tee für uns.
"Nur ja nicht erst hier 'festsetzen', war wohl nicht nur mein Gedanke", denn Martin wolle schnell in eine heiße Wanne. Also ließ ich das Wasser ein und er verschwand ins Bad. Ich hingegen hatte mich blitzschnell umgezogen und mir ein Buch gegriffen, was ich in der Zeit anfangen wollte zu lesen. Als er aber nach mehr als einer halben Stunde noch immer nicht das war, musste ich nachsehen, ob es ihm gut ging. Da lag er seelenruhig und aalte sich.
Er hatte nicht mal mitbekommen, dass ich hinter ihm stand. Das Wasser war auch schon an kalt werden. "Bist du etwa eingenickt?", wollte ich wissen, erschrocken sein Blick als hätte ich ihn gerade bei etwas Verbotenem erwischt. "Ein bisschen vielleicht! ", sagte er. Lustig so eine Aussage, aber Vorwürfe wollte ich ihm nicht machen, war halt um ihn besorgt.
"Ach, bist du süß!", war seine Reaktion. "Hast du mal zur Uhr gesehen? Wollten wir nicht ausgeschlafen sein für morgen?", fragte ich. Er nickte: "Bin gleich da!" und ich ließ ihn in Ruhe. Als er endlich mal wieder auf der Bildfläche erschien, war ich eingeschlafen. Vorsichtig schlich er ums Bett, um dann zum Schrank zu gelangen, wo seine Sachen für die Nacht lagen. Er rutschte in eine Shorts und warf sich sein T-Shirt über den Kopf.
Müde vom warmen Wasser, legte er sich ganz nah zu mir, spürte seinen warmen Atem. Und wir schliefen mehr als acht Stunden am Stück. Als ich kurz wach war, sah ich mein Buch zusammen geklappt auf dem Nachttisch liegen. Schnell ins Bad und wieder hinein ins warme kuschelige Bett. Herrlich, wenn man noch genug Zeit hat, den Tag ruhig zu beginnen.
Ich tastete neben mich. Doch das Bett war leer. Stattdessen stand Martin am Fenster und schickte mit einem tiefen Seufzer einen Blick gen Himmel. Er vermisste Stephen noch immer. Ich stand hinter ihm. "Komm, wir können noch ein wenig schlafen!" und zog ihn vom Fenster weg. Und ganz leise, flüsterte ich: "Er fehlt mir auch!".
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