Meine eigenen Dämonen
Noch saß ich mit Martin auf der Decke und meine Tränen kullerten noch immer. Irgendwie wollte ich sie nicht mehr zurückhalten. Wir redeten die halbe Nacht und ich merkte, dass er eigentlich nur darauf gewartet hatte. Er reichte mir ein Taschentuch und versuchte mich zu trösten.
Er fragte mich, seit wann ich nicht mehr normal essen könnte. Ich tat so, als hätte ich diese Frage nicht gehört. "Ignorieren gilt nicht mehr!" und ich musste ihm nun erzählen, dass mich ein Kollege "hässlich und fett" genannt hatte. Von da an hungerte ich, konnte aber nicht mehr aufhören, hatte schon längst die Kontrolle an "meine eigenen Dämonen" verloren.
Ich war zu einer dieser Fress-Kotz-Zombies bis hin zu den Nicht-mehr-Fress-Zombies mutiert, was nicht mehr wirklich erquickend war, roch es doch ständig nach Kotze , so dass ich Unmengen an Reinigungsmitteln verbrauchte, von Sprays gar nicht erst zu reden. Das war wirklich kein Leben mehr! Ich wollte das nicht mehr und mein bester Freund tat das einzig richtige : Er stellte mich vor einen Ganzkörperspiegel... Ein Horrorfilm für jeden Essgestörten auf diesem Erdball.
Er versuchte mir behutsam beizubringen, mich wieder selbst zu mögen. Was ich nicht wusste, er war inzwischen Psychotherapeut mit eigener Praxis. Und er setzte die Natur als ein Hilfsmittel für Essgestörte mit ein. Sie sollten lernen, ihren Körper zu spüren, barfuss über eine Wiese laufen gehörte dazu.
Vom Holzfäller zum Seelenklempner...Was für ein Sprung. Aber so spielt halt manchmal das Leben. Hätte er mir das vor ein paar Jahren gesagt...Ich hätte ihn glatt ausgelacht. Aber ich saß hier mit ihm auf einer Decke und wir starrten den Mond an. Warum war ich hierher gekommen? Jetzt wo ich wusste was sich in seinem Leben verändert hatte...
"Scheiße, ich denke schon wieder zuviel nach! Warum kann ich nicht einfach die schöne Luft genießen, den Mond betrachten und auf die Kätzchen hören?", dachte ich und er schien meine Gedanken zu lesen. Aber diese Psychologiefuzzis, sorry dafür, haben so eine Art, die horchen dich aus, ohne dass du es mitbekommst.
"Ich bin noch immer dein bester Freund, auch wenn ich meinen Beruf gewechselt habe.", sagte Martin. "Konnte ich ihm das glauben, wollte ich ihm glauben...?", noch wusste ich nicht, wie meine Reise hier weitergehen würde.
Doch er war hier, meine Eltern ließen mich einfach hängen, waren wohl überfordert. Ich schwor mir, sollte ich jemals Kinder haben, dass sie immer zu mir kommen konnten, egal wie alt sie sind. Ein offenes Ohr sollte man schon haben. Und mein offenes Ohr war jetzt Martin. Er sollte mein Rettungsanker sein, doch wollte er das auch? Plötzlich fing es an zu regnen und wir rannten schnell zum Auto.
"Puh, gerade noch geschafft!", rief er und wir fuhren wieder zu seiner Wohnung zurück.
Ich ging schnell nach oben, wollte mir was bequemes anziehen. Auch Martin zog sich um und fragte mich, ob ich noch ein wenig mit ihm reden wollte, über alte Zeiten und so. " Da ich noch nicht müde war, wollte ich mir noch einen Film ansehen. Ich schnappte mir eine Decke und setzte mich neben Martin auf die gemütliche Couch. " Macht es dir was aus, wenn ich mit unter die Decke komme?", fragte er und ich schüttelte den Kopf.
Er war ja nicht mein Therapeut, sondern wie er immer wieder betonte, "mein bester Freund". Er hatte einen lustigen Film ausgesucht "Dating Queen", eine gute Wahl, wie sich herausstellen sollte. Wir lachten um die Wette. Was für ein schöner Morgen. Aber nun wollte ich doch noch ein wenig schlafen. Ich gab ihm einen Kuss auf die Stirn und zog mich dann zurück. Er wollte mich dann gegen zehn Uhr wecken. " Okay, ich konnte also noch sieben Stunden schlafen.".
Ich ging in das Gästebadezimmer und zog mich aus, wollte mich schnell duschen. Dann warf ich mir mein Schlafshirt auf meinen knochigen Körper und verzog mich in mein Zimmer. Ich bettete meine müden Glieder auf das frisch bezogene Bett und fiel sofort in den Schlaf. Anscheinend war es doch keine so schlechte Idee gewesen, nochmal mit Martin rauszufahren.
Überhaupt fühlte ich mich hier sauwohl. Vielleicht sollte ich mir überlegen, ob ich nicht hierher ziehe. Die Berge vor der Haustür, den besten Freund in der Nähe. Oder war es wieder nur eine Flucht vor meinen Problemen? Sogar im Schlaf beschäftigte mich dieser Mist. Denn ich wurde mal wieder wach, vom Schrei meines toten Bruders. Ich muss so laut geschrien haben, dass selbst Martin dies gehört hatte. Erschrocken stand er plötzlich neben meinem Bett und schaute mir direkt ins Gesicht: "Verfolgt er dich noch immer?" und mit starrem Blick schaute ich zurück. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. " Wie lange geht das schon so?", wollte er wissen. Ich zuckte mit den Schultern.
Einschlafen konnte ich jetzt nicht mehr. "Rutsch rüber!" und schon lag er neben mir. Mein Kopf ruhte auf seinem Brustkorb, was mir nicht unangenehm war. Martin kraulte in meinen Haaren. Dann schliefen wir ein, wurden vom Zwitschern der Vögel geweckt. Erst jetzt sah ich, dass ich mich im Schlaf von meiner Decke befreit hatte. "Tolle Aussicht!", das konnte nur ein Kerl von sich geben. "Nun erst recht!", dachte ich und reckte ihn mein Hinterteil entgegen, trug nur einen Tanga. Wie musste das für ihn aussehen? " Chronisch untervögelt", schleuderte ich ihm in Gesicht.
Martin wunderte sich zwar über meine Ausdrucksweise, musste aber trotzdem grinsen. "Frau Anwältin, was für derbe Worte aus ihrem Mund?", sagte er frech. "Ich bin auch nur aus Fleisch und Blut und was ich privat mache....", weiter kam ich nicht. "Geht keinem was an!", ergänzte er. Wie recht er damit hatte, sollte sich bald zeigen.
Nicht dass ich es wirklich drauf angelegt hätte, aber ein bisschen necken war ja wohl noch erlaubt. Schließlich konnte ich machen wo ich wollte, hatte ja derzeit keinen Freund. Wer wollte schon so ein Gerippe wie mich haben? " Also du nimmst dich nicht mehr verzerrt wahr?", wollte er mir triumphierend unterjubeln. Doch wollte ich das hören, ehrlich man wird bis zum Anschlag zugetextet und muss mit anderen Essgestörten kochen. Und die Krönung des ganzen: "man muss gemeinsam mit den anderen essen". Der Horror schlechthin.
Und trotzdem : ich wollte meine eigenen Dämonen bekämpfen, ihnen endlich das fürchten lehren. Egal wie lange es dauern würde: Ich wollte endlich wieder glücklich sein, Essen genießen können so wie früher. Ich hasste diesen Kollegen, der mich immer verspottete und wollte endlich dafür sorgen, dass er seine gerechte Strafe bekommt. Aber mir war eine Kollegin zuvorgekommrn, mit der er ähnliches abgezogen hatte. Diese hatte sich gewehrt und noch am selben Tag durfte er deshalb seine Koffer packen.
Ich wollte endlich wieder klettern können, hoffte dass Martin das auch zuließ.
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