Ein wundervolles Wochenende
"Endlich Wochenende ", dachte ich für mich als ich mich bereits auf dem Weg zu meinem besten Freund Martin befand. Ich musste endlich mal wieder auftanken, wollte raus in die Natur und endlich wieder klettern. Zwar saß mir noch immer der Tod meines Bruders im Nacken, aber das Leben geht nun mal weiter. Doch ich wollte nicht zu denen gehören , die irgendwann entnervt feststellen würden, dass sie ihr Leben hätten ändern können.
Ich wollte raus aus meiner täglichen Tretmühle, die mich total kaputt gemacht hat. Ich musste dringend etwas ändern, an mir , an meinem Leben. Manchmal wachte ich schweißgebadet auf und hörte die Stimme meines Bruders, der immer wieder meinen Namen rief. Ich habe es meinen Eltern erzählt, aber sie murmelten nur so etwas wie "das Leben geht weiter...", nicht wirklich eine Hilfe für mich.
Martin war der einzige, der wusste wie er mich ablenken konnte. Meine Ärztin wollte mich in eine Klinik einweisen, was ich nicht wollte. Ich erbat mir noch eine kleine Schonfrist und wollte endlich wieder klettern, wollte das Tor zum Himmel über mir spüren. Noch etwa eine Stunde, dann würde ich Martin wiedersehen.
Inzwischen war ein Jahr vergangen und wir hatten uns zuletzt bei der Beerdigung meines Bruders Stephan gesehen, dessen Freund er war. Auch er konnte den Tod meines Bruders lange Zeit nicht verarbeiten, ihm aber half das Klettern. Nun wollte er auch mir zeigen, wie er den Schritt zurück ins Leben geschafft hatte. Ich sollte mir ein Beispiel an ihm nehmen, aber so einfach war es dann doch nicht.
Er war es auch, der mich hierher eingeladen hatte: "In die Klinik kannst du immer noch gehen, falls das hier doch nichts bringt!", Ärzte bezeichnete er nur als "Quacksalber", die nicht an ihn heran durften. Seine Oma hielt auch nichts von den "Halbgöttern in weiß", konnte man ihr doch auch nicht mehr helfen, obwohl sie laufend bei denen war.
"Junge, hör auf dein Bauchgefühl!", sagte sie zu ihrem Lieblingsenkel, bevor sie für immer ihre Augen schloss. Das wurde seine Lebensmaxime, an die er sich immer hielt. Keiner konnte ihn umstimmen. Martin war so ein richtiger Naturbursche, Holzfäller von Beruf, mit einem Bizeps, der nicht zu übersehen war. Er musste täglich viele Stunden die Axt schwingen können und auch die Säge gehörte zu seinem Handwerkszeug.
Im Sommer arbeitete er oft Oberkörper frei und da hatte ich ihn auch kennengelernt. Martin war erst auf den zweiten Blick ein Mann, den man um sich haben wollte. Das lag sicher auch daran, dass ich sonst mit anderen Typen ausging, Harvardstudenten, in feinem Zwirn und mit dicker Brieftasche, die immer prall gefüllt war. Daddy sei dank.
Gerade ertappte ich mich dabei festzustellen, wie oberflächlich ich doch war. "Aus einer schönen Schüssel kann man nicht alleine essen!". Und dass war auch der Grund, weshalb ich lieber alleine lebte. So konnte mich keiner verletzen. Ich konnte tun und lassen was ich wollte, in meinen eigenen vier Wänden. Und dass zelebrierte ich auch jede Woche.
Ein Mal in der Woche ging ich mit Freundinnen aus und da war es mir bisher auch egal, was andere zur Wahl meiner Tänzer sagten. Ich war ich und wollte mich von niemanden dominieren lassen. Ich ging in die entsprechenden Clubs und genoss es, den Kerlen zu zeigen, wo es lang geht. Nur Martin war ein ganz anderer Typ, wollte nichts von mir, rein gar nichts. Er wurde aber mein bester Freund, dieser ungehobelte Naturbursche, den alle ablehnten. Er passte eben nicht in ihre "heile Welt".
"Er passte nicht zu diesen Schickimickitussen", wie er sie nannte. Fortan wollte der sich das nicht mehr antun, ich musste das endlich in Ordnung bringen, hatte noch immer ein schlechtes Gewissen. Schließlich hatte ich ihn mit zu einer Party geschleift, konnte ja nicht wissen, dass das so in die Hose gehen würde. Es kam zu einer Schlägerei zwischen ihm und zwei anderen Kerlen, bei der die anderen am Ende in der Klinik landeten.
Der eine hatte zwei fehlende Zähne und einen Rippenbruch zu beklagen und der zweite musste sich mit einem gebrochenen Arm und zwei angebrochenen Rippen herumquälen. Martin wurde festgenommen und musste viele Arbeitsstunden ableisten. Er zog danach total in die Einöde zurück und ich hörte lange Zeit nichts mehr von ihm.
Ich fühlte mich schuldig und elend zugleich, konnte aber nichts dagegen tun. Nur mein Bruder hielt mit ihm Kontakt und war regelmäßig auf Klettertour mit Martin. Er versuchte zwischen uns zu vermitteln, klappte nicht wirklich. Erst als er von Stephans Unglück erfuhr und zur Trauerfeier eingeladen wurde, kamen wir uns wieder näher, als Freund. Nicht wie ihr alle denkt, nur Freunde, mit der "Lizenz zum Dauerquatschen.", wie man uns verspottete.
"Hi, Süße, wird Zeit, dass du hier bist. Ich brauche mal wieder ein weibliches Wesen in meiner Nähe!". Ich wusste wie dass gemeint war und musste grinsen. "Denk nur ja nicht, dass ich inzwischen zum Putzteufel mutiert bin!"., sagte ich zu Martin, während ich mein Gepäck aus dem Wagen holen wollte. "Gib her, das kann man ja nicht mit ansehen!", spottet er und nahm mir meine Ausrüstung und eine große Reisetasche ab. "Komm erst mal rein!" und ich sah, wie er bereits damit beschäftigt war, uns eine warme Mahlzeit zuzubereiten.
"Lass mich raten, kochen kannst du noch immer nicht?" und ich hätte ihm dafür schon an die Gurgel gehen können, was ich aber nicht tat. Leider hatte er recht. Für wen sollte ich denn kochen? Für mich allein reichte es, die Mikrowelle bedienen zu können. "Während du dich umziehst, werde ich den Tisch decken. Trinkst du noch immer kein Bier?", wollte er von mir wissen. Mir schmeckte diese Brühe noch immer nicht, keine Ahnung was andere daran lieben.
"Nein, hast du nicht was andres für mich?", fragte ich Martin. Ich erschien zehn Minuten später, in Jeans und T-Shirt und meine Haare hatte ich zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Nichts mehr erinnerte an die angehende Rechtsanwältin, die sich kurz vor ihrem zweiten Staatsexamen befand, plötzlich keine Lust mehr darauf hatte, Anwältin zu sein.
"So gefällst du mir schon viel besser, nicht so eine überheblich Tussi, dir mich wie Sauerbier angepriesen hat!". "Autsch", das hatte gesessen. Was war der Kerl nachtragend, doch kneifen galt nicht. Ich musste diese Sache mit ihm endlich bereinigen. " Scheiße, ich hatte noch immer diesen Anwaltsfloskeln an mir!". Wütend über mich selber, versuchte ich mich zusammenzureißen. Schließlich wollte ich eine Weile hier bleiben.
"Kommst du jetzt endlich mal hier an oder muss ich dich erst auf einen Berg schleifen, damit du wieder klar denken kannst?", fragte Martin und sein Blick verhieß nichts Gutes. "Ich brauch noch ein bisschen Zeit!" und müde senkte ich meinen Kopf.
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