Im Bus

Ich fahre Bus. Fernbus, wenn man es genauer nimmt. Gerade jetzt. Mein Hintern tut schon weh. Fünf Stunden sind eine lange Zeit. Zumindest zum Busfahren. Nicht zum Leben, dafür sind fünf Stunden Scheißekurz. Der Himmel ist grau. Ich sitze ganz hinten. Das mag ich, weil man sich nicht so beobachtet vorkommt. Ich denke nicht dass ich paranoid bin. Der Gedanke, dass einer von euch, für mich gesichtslosen Lesern, auch hier mit im Bus sitzt, lässt mich nicht los. Vielleicht bist du ja die braun gebrannte Dame neben mir, die die ganze Zeit versucht über meine Schulter hinweg einen Blick auf mein Handy zu erhaschen. Mit Falten und Blumenbluse. Oder du bist der "stark pigmentierte Mitbürger" der bei der Kripokontrolle vorhin den Perso nicht dabei hatte. Es war eine Personenfahndung, du wurdest gleich gefragt, ob du Deutsch seist. Vielleicht bist du auch der Busfahrer. Stefan oder Paul. Ich weiß nicht ob schon durchgewechselt wurde. Ah, doch, eine Durchsage. Du bist Stefan. Gleich kommt Paul und du sagst Danke. Keiner klatscht. Die Neugierige alte Dame neben mir kritisiert dies. Aber sie hat auch nicht geklatscht. "So, jetz hämmer s gschofft." ...Sagt sie im Badischen Dialekt. Ich lächle in mich hinein. Gut desch wir das Seidebacher Bergsteiger Müsli gegesse hän! ...Komplettiere ich den Satz. Paul kann den Akzent am Besten nachmachen. Aber der ist nicht hier. Komplettieren ist Freutsch. Oder Deuzösisch. Wie auch immer, ich benutze das Wort ständig. Ich schweife ab. Wo war ich gerade? Keine Ahnung. Es regnet. Früher habe ich Regentropfenwettrennen gemacht. Der Gewinner war komischerweise immer ich. Vielleicht, weil ich der einzige Spieler war. Irgendwie hat das Busfahren etwas wohliges. Der Schwarzwald steht über uns. Er steht im Nebel. Mein Rücken tut weh. Bestimmt werde ich im Urlaub wieder dick. Wie immer. Aber eigentlich bin ich gar nicht dick, das weiß ich. Die Dame stupst ein anderes Mitglied der Rentnerreisegruppe an."Jetz Isch das Wedder reichlich trübselig". Ich mag das Wetter. Gerne würde ich jetzt die frische Luft einatmen. In meine Lunge. Ganz tief. Im Bus ist die Luft stickig, aber es geht. Es ist eher leise. Ich höre nichtmal Musik. Komisch. Es ist erst kurz nach sechs, aber draußen dämmert es schon. " Es isch scho wie inne Herbscht" sagt die Dame. Recht hat sie. Aber es ist August. Anfang August. Ich lese mir die letzten beiden Sätze leise vor. Ich prononciire (Freutsch/Deuzösisch) sie wie Bond. James Bond. August. Anfang August. Ein Herr, Miglied der Rentnergruppe, beschwert sich. "Der neue Fahrer hat sich gar nicht vorgestellt, Schweinerei." Stimmt. Aber ich weiß, es ist Paul. Nicht mein Seitenbacher-Bruder-Paul. Busfahrer-Paul. Ich fühle mich wohl. Im Bus ist gutes Wetter. Angenehm warm, mit einer Östlichen Klimaanlagenbrise. Die Strickjacke auf meinen Oberschenkeln ist schön weich und die Lichter sind gedimmt. Ich sitze am Fenster. Die Fahrbahn glänzt vor Nässe und Autoscheinwerfer fahren mir entgegen. Hohe Klippen und Tannen ragen an den Fahrbahnenden hinauf. Ich gucke was da noch ist, genau dann kommt der Hirschsprung. Was für ein schöner Hirsch. Was für ein schöner Zufall dass ich genau in dem Moment rausgeguckt habe. Muss wohl Schicksal sein. Es regnet noch immer. Gerade amüsiere ich mich darüber, dass ich die ganze Zeit am Stück weiterschreiben kann, ohne nachzudenken, da fällt mir nichts mehr ein. Lustig. Muss wohl Schicksal sein. Es regnet noch immer. Man ist sitt wenn man keinen Durst mehr hat. Ich bin gerade nicht sitt. Mein Schreiben hindert mich am Trinken. Ich muss an Zoe denken. Der Sitt-Fakt war auf einem der 128 Zettelchen den sie mir im Einmachglas vorletzte Geburtstagsfeier im Mai geschenkt hat. Ich habe im September Geburtstag. War spät dran, in dem Jahr. Dieses Jahr auch. Zoe kommt mit uns in den Urlaub, morgen. Ich gähne. Da muss ich wieder lange rumsitzen. Aber im Auto. Nicht im Bus. Ich hoffe, es regnet.

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