Himmelstränen

Ich halte den Blick gesenkt.
Ein Bächlein aus eiskalten Tropfen rinnt mir in den Nacken, über den Rücken. Ich schaudere. Wie es da reingekommen ist, weiß ich nicht. Eigentlich sollte meine Jacke regendicht sein.. doch mittlerweile haben sich die Daunenpolster schon vollgesogen.
Unter meinen Wanderschuhen bilden sich rote Pfützen.

...Der Boden getränkt vom Blut so rot,
Die Körper sind tot,
Die Seelen sind tot,
Geschrien Geheult Gefoltert in Not,
Die Körper sind tot,
Die Seelen sind tot,
Verhungert ohne ein Fetzen Brot,
Die Körper sind tot,
Die Seelen sind tot...

Würde ich jetzt weinen, wäre das okay. Aber ich tu's nicht. Ich kann nicht.
Himmelstränen Plätschern neben mir her. Sogar der Himmel weint.
Sie frisst mich auf, die Scham.
Dass ich so mühelos rumdichten kann, dass die leichte Anstrengung beim hochlaufen der Barackenschräge mir überhaupt auffällt, dass ich mich beklage weil der unaufhörliche, kräftige Regen mich durchnässt.
Wahrscheinlich hat die Scham mit mir noch ein besseres Los gezogen als die Gerippe die nun als Asche und Knochen unter dem durchnässten roten Boden liegen.
Ich will weinen, oder schreien, oder zusammenbrechen, es wäre richtig.
Ich höre den Rest der Klasse hinter mir- anscheinend bin ich unbewusst zu schnell gelaufen. Ein paar reden, andere sind still. Das Prasseln dröhnt in meinen Ohren. War das ein Schrei? Der Geruch von Verwesung? Nein.
Mein Blick wandert hoch.
Automatisch führt er zu dem Galgen, dessen Strick im dichten Nebel versinkt. Der Galgen lässt mich nicht los, schon seit wir hier angekommen sind. Er ist das einzige Zeichen des Todes hier, und doch strotzt das ganze Lager vor Leiden. Wenn ich mich konzentriere, höre ich die Schreie der Opfer. Hilf mir, rufen Sie, ich brauche auch nur einen Zipfel Wurst. Hol mich hier raus, rufen Sie, ich werde getötet. Rette mich, schreien Sie mich an, es ist die Hölle. Ich weiß nicht was ich tun soll.

Als wir die doppelten Stacheldrahtzäune durchquert haben und wieder im Bus sitzen, hole ich ein Kartenspiel raus. UNO? Frage ich, werfe mir eine Traube in den Mund und grinse.

Vergessen ist das einfachste.







Juni 2016 - Konzentrationslager

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