Kapitel 2 ✔️
„Jetzt zieh dich endlich um." Ms. Bradford sah ihre jüngste Tochter tadelnd an.
„Warum soll ich das jetzt schon anziehen? Weihnachten ist doch erst morgen." Sky schob die Unterlippe vor und schmollte. Sie liebte ihren Pullover und die Strumpfhose. Das war bequem. Im Gegensatz zum kirschroten Kleid, das ihre Mutter in der Hand hielt.
„Keine Widerrede Skylar Bradford! Unser Boss kommt heute Abend vorbei. Ich erwarte, dass Ihr alle tadellos ausseht und Euch genauso verhaltet." Die Frau wandte sich an ihre zwei älteren Kinder.
„Emma, du wirst deine kleine Schwester in Ruhe lassen. Ich dulde keine Hänseleien. Damon, beschäftige bitte Sky, wenn unser Gast ankommt."
„Aber natürlich Mutter", sagte er nur, griff das Kleid und nahm das Nesthäkchen der Familie auf den Arm. „Komm, wir ziehen dich erst einmal um." Er trug sie hoch in ihr Zimmer und setzte sie ab. Sie nutzte den Moment, rannte sofort ans Fenster und starrte zum Wald.
„Wie sehen Aliens aus?", fragte sie wie vom Blitz getroffen.
„Wie kommst du denn darauf?" Entgeistert schaute der große Junge auf das kleine Mädchen.
„Meinst du, die können sich unsichtbar machen?" Sie fixierte die Bäume.
„Weiss ich nicht." Er zuckte mit den Schultern. „Fragst du, weil Mama und Papa an Aliensachen forschen?"
„Ja, da draußen ist etwas. Es beobachtet uns. Ich spüre seinen Blick. Gesehen habe ich es nicht. Daher muss es unsichtbar sein", beendete sie erhobenen Hauptes ihre Analyse.
Damon legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und überlegte kurz. Die Worte des Mädchens verwirrten ihn. Unsichtbare Außerirdische? Normale kleine Kinder hatten eine blühende Fantasie. Doch Sky zeigte oft ein Gespür für Gefahren und seltsame Ereignisse. Er vertraute ihr. Draußen schlich etwas herum. Der Junge entschloss, dem nachzugehen.
„Ich schaue morgen mit Papa im Wald nach. Danach berichte ich dir, was wir entdeckt haben. Einverstanden?" Er hielt seiner Schwester das Kleid hin.
Sie nickte und zog sich ohne zu murren um. Ihr Bruder war derjenige, bei dem sie sich am wohlsten fühlte. Er behandelte sie im Gegensatz zu Emma nicht wie ein Baby, sondern hörte ihr zu und lachte sie nicht aus.
„Komm, wir bürsten deine Haare, sonst schimpft Mama wieder." Sanft umfasste er ihre Hand und lief mit ihr ins Badezimmer. Vorsichtig entwirrte er ihre langen Haare, bevor er diese geschickt durchbürstete. Als sie aus dem Raum traten, riss Sky sich von ihm los. Die Tür zum Büro der Eltern stand offen, ein verbotener, gleichzeitig verlockender Ort für die Kleine. Wie oft hatte sie nicht murrend davor gewartet, bis Vater oder Mutter hinauskamen! Es war für ihn keine Überraschung, dass sie die einmalige Chance nutzte und flink wie ein Wiesel in den Raum flitzte. Leise folgte er ihr und beobachtete sie.
Mit weit aufgerissenen Augen sah Sky sich um. Das Büro war vollgestopft mit alten, in Leder eingebundenen Büchern. Gleich daneben standen Aktenordner fein säuberlich aneinandergereiht. Ein Globus, den sie in mit einem leichten Stupser in eine sanfte Rotation versetzte. Der Computer der Eltern mit zwei großen Bildschirmen, die nun so schwarz wie die Nacht waren, ihre Geheimnisse nicht preisgaben. Enttäuscht wandte sie sich ab, betrachtete den Rest des Zimmers. Auf einem Regal stand ein weißer Engel aus Metall. Er sah schwer aus. Sky traute sich nicht, ihn anzufassen. Aus Angst, Selbigen zu zerstören. Damon lächelte wegen des sehnsüchtigen Blickes seiner Schwester. Mühelos hob er die Figur herunter.
„Opa hat sie geschmiedet. Aus leichtem Metall, das er bei einer Mission gefunden hat." Er reichte sie dem Mädchen. Ehrfürchtig hielt sie den Engel fest.
„Darf ich ihn draußen auf den Weihnachtsbaum als Spitze setzen?" Sie sah ihren Bruder an so hoffnungsvoll an, dass er zögernd nickte.
„Klar, und wenn er erst einmal dort ist, wird Papa bestimmt nicht schimpfen." So sicher war Damon sich da nicht. Im Notfall behauptete er, dass es seine Idee war, um seine kleine Schwester aus der Schusslinie zu halten. Zusammen brachten sie die Figur in Skys Zimmer. Anschließend stiegen sie die Treppe hinunter.
„Da seid Ihr ja", rief ihre Mutter entzückt. Neben ihr stand ein Mann in den Fünfzigern. Seine ergrauenden Haare waren streng nach hinten gekämmt. Mit Habichtaugen betrachtete er die Kinder.
„Du bist also Damon", begrüßte er prompt den Jungen mit einem Handschlag. „Deine Mutter erzählte, dass du große Fortschritte in der Sparte Technik machst. Deine Schwester mausert sich immer mehr zu einer Biochemikerin. Ich bin beeindruckt." Sein Blick fiel auf das jüngste Familienmitglied, das unschlüssig und halb verborgen hinter ihrem Bruder stand. Die Stimme des Mannes klang seltsam in ihren Ohren. So als heuchelte er nur Interesse. Seine Augen waren stumpf und starr. Nichts Freundliches, das aus ihnen sprach. Sie trat einige Schritte zurück.
„Bitte entschuldigen sie meine Tochter. Skylar ist Fremden gegenüber zurückhaltend." Ms. Bradford legte ihre warmen Hände auf die Schultern des Mädchens, bremste die Flucht des Kindes.
„Absolut verständlich." Er hockte sich vor Sky. „Du wirst sicher mal eine Forscherin wie dein Großvater. Dann erkundest du für uns alte Stätten und fremde Kulturen." Das kleine Mädchen nickte eingeschüchtert. Sie war froh, als nach dem Essen ihre Eltern und der Besucher im Büro des Vaters verschwanden. Schnell lief sie in ihr Zimmer und holte den Engel. Leise schlich sie aus dem Haus zum Tannenbaum. Missmutig starrte sie hinauf. Wie bekam sie die Figur auf die Spitze? Sie drehte sich um, um unverrichteter Dinge zurück nach drinnen zu kehren, als jemand sie hochhob. Ihr ganzer Körper kribbelte wie von tausend kleinen Stromstößen. Sie sah an sich herunter. Nichts war zu sehen. Das Mädchen zitterte und schnappte hörbar nach Luft. Erst leises, dann immer lauter werdendes Brummen drang an ihre Ohren. Nein, kein Brummen. Ein dunkles Schnurren. Langsam beruhigte ihre Atmung sich. Nach einigen Minuten streckte sie ihre Arme und platzierte den Engel oben auf der Spitze. Wer auch immer sie festhielt, stellte sie zurück auf den schneebedeckten Boden. Sie legte ihren Kopf schräg und starrte auf ihre Füße. Der Unsichtbare war riesig, sonst hätte er sie nicht so weit hochheben können. Außerdem waren seine Spuren im Schnee, in denen sie stand, größer im Vergleich zu Fußabdrücken normaler Erwachsener. Wartete ein Außerirdischer hier bei ihr?
„Danke", hauchte sie ins Leere, rannte dann zurück ins Haus.
Er sah ihr mit schräggelegtem Kopf nach. Der Welpe faszinierte ihn. Angst hatte sie nicht gezeigt. Das Kind hatte die Situation analysiert. Untypisch für das Lou eines Ooman. Es war ein Mädchen. Ihr rotes Kleid vor dem weißen Hintergrund erinnerte ihn an seine erfolgreiche Jagd vor einigen Stunden. Blut auf Schnee. Ein junger Hirsch hatte ihm als Mahlzeit gedient. Dessen Kopf hing mittlerweile gesäubert in seinem Trophäenraum. Gleich neben dem Schädel des Wachmannes.
Sein Blick wanderte zu dem Gebäude. Er roch den Anführer der Weißkittel. Das bedeutete, das Labor war ungeschützt. Gemächlich setzte das Wesen sich Richtung Stadt in Bewegung. Die Menschen feierten ein Fest. Daher schmückten sie seit einigen Tagen ihre Häuser. Kaum jemand arbeitete. Ideale Bedingung für die Ausführung seiner Aufgabe.
Es schneite wieder und er war froh, dass seine Kleidung ihn wärmte. Kälte lag seiner Spezies nicht. Er sehnte sich nach dem heißen Klima seines Heimatplaneten. Für das menschliche Auge unsichtbar lief er auf dem Asphalt am Straßenrand entlang, um keine Spuren zu hinterlassen. Nur selten fuhr ein Fahrzeug an ihm vorbei.
Kurze Zeit später stand er vor dem fünfstöckigen Haus. Es war so unscheinbar wie ein Bürogebäude. Doch in seinem Inneren beherbergte es Geheimnisse. Dort lagerten Gegenstände, von deren Existenz kaum jemand Kenntnis hatte. Was er nicht mitnahm, würde einer Explosion zum Opfer fallen. Genug Akrei-Non, einem Sprengstoff, der dem auf der Erde weit überlegen war, trug er in seiner Tasche.
Mit einem Messer öffnete er das Schloss eines abgeschlossenen Notausgangs an der Seite des Gebäudes. Kurz wartete er, lauschte in die Dunkelheit. Nur ein kleines Notlicht brannte über ihm. Kein Alarm war zu hören. Zu leicht. Das bedeutete, sie erwarteten ihn.
Er stellte seine Bio-Maske auf Infrarot um. Scannte die Umgebung nach Lebewesen ab. Zwei Wärmequellen erschienen in wenigen Metern Entfernung. Er zog sein Dah'Nagara, das Kurzschwert, das vertraut in seiner Hand lag. Mit drei Hieben erledigte er die Menschen. Der metallische Geruch des Blutes berauschte ihn. Das schnelle Klicken seiner Mandibeln verriet seine Erheiterung, doch niemand hörte ihn. Die Schädel der Wachleute ließ er zurück. Ihre Besitzer waren unwürdig gestorben. Lautlos arbeitete er sich vor. Hoffend auf eine würdige Beute. Die Jagd fing erst an und er genoss jeden Moment davon.
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