33 | Elawa Aikaterini Foxwish
Tai und ich rannten beinahe ineinander, als wir gleichzeitig zu unserem Zimmer zurückkehrten.
„Du hast überlebt!", sagte ich und war erleichterter, als ich sein wollte. Ich wusste nicht, ob ich nach Tais Tod morgen noch hätte aufstehen können.
Tai zuckte mit den Schultern. „Natürlich."
„Was haben sie dich gefragt?", fragte ich, während ich die Tür zu unserem Zimmer öffnete.
„Frag nicht." Unter der lässigen Fassade sah Tai verwirrt aus, mitgenommen. „Ich musste einige Details preisgeben, die ich nicht preisgeben wollte."
„Worüber?"
„Keavans und meine Beziehung", sagte sie mir einem Seitenblick zu den Kameras. „Aber genug darüber. Ich bin Keavan vorhin begegnet und auch wenn ich ihm nicht mehr in die Augen sehen kann, nachdem jetzt wahrscheinlich der ganze Palast ... über unser Liebesleben Bescheid weiß, hat er einen coolen Plan für heute Abend."
Ich musste mir das Lachen verkneifen. „Keavans und dein Liebesleben?"
„Ich sagte, frag nicht. Also, bist du dabei?"
„Heute Abend? Was ist denn der Plan?"
„Keavan hat einen Wächter überredet, ihm Schlüssel fürs Palastdach zu geben."
„Oh. Interessant. Aber klar, ich bin dabei", sagte ich.
„Super! Meinst du, wir kriegen irgendwo Alkohol her? Ich muss die Befragung irgendwie vergessen."
***
„Wartet", flüsterte Ambrose in die Dunkelheit, während Keavan die schmale Treppe hochkletterte, die aufs Dach führte.
„Was?", flüsterte Tai zurück.
Ambrose sah sich um. „Ich kann nicht raus", sagte er dann, so leise, dass ich es kaum hören konnte, obwohl ich direkt neben ihm stand. Zu nah. Ich spürte seinen Atem auf der nackten Haut an meinem Hals. „Wenn das Mondlicht meine Haut trifft, verwandle ich mich in einen Wolf."
„Daran habe ich schon gedacht." Keavan, der oben auf der Treppe stand, drehte mit einem Klicken den Schlüssel im Schloss um. Kaum Licht fiel hinein, als er die Tür aufstieß. „Es ist Neumond."
„Bist du sicher?", fragte Ambrose. „Ich vertraue dir nicht mehr, seit wir für das Stehlen des Alkohols fast aufgeflogen wären."
„Wenn ich falsch liege, darfst du mich zerfleischen", sagte Keavan.
Zögerlich stieg Ambrose die Treppe hoch. Tai und ich folgten ihm.
Keavan hatte recht gehabt. Der Mond war nicht zu sehen. Nur Sterne, wie Sommersprossen am tintenblauen Nachthimmel. Der Palast befand sich am Rand der Stadt auf einem Hügel und man hatte eine Aussicht auf ganz Alskau.
Ich war erst einmal hier gewesen, bei einem kurzen Job. Alskau galt als Ort, an dem es sich nur die Reichsten und Privilegiertesten leisten konnten, zu leben. Ich hatte mich fehl am Platz gefühlt mit den Narben auf meinem Rücken und dem Geruch nach Rauch in meinen Haaren. Andererseits fühlte ich mich überall fehl am Platz.
Außer hier auf dem Palastdach mit den drei Menschen, die meine Freunde geworden waren.
Ich hatte viele Städte von oben gesehen, aus Hotelzimmern in Wolkenkratzern, und mehrmals hatte ich mich gegen die Scheibe gelehnt und gewünscht, das Glas würde unter meinem Gewicht nachgeben. Ich war vor Fensterscheiben gestanden und hatte mit den Fäusten gegen das Glas geschlagen, in der Hoffnung, dass es zersplitterte. Aber das hier war etwas anderes. Hier wollte ich nicht vom Dach springen, in der Hoffnung, den Aufprall nicht mehr zu spüren.
Tai und Keavan diskutierten über das Verhör, aber ich setzte mich neben Ambrose, einige Meter abseits von ihnen. „Tut mir leid wegen heute Nachmittag", sagte ich.
„Was tut dir leid?", fragte er.
„Ich weiß es nicht. Aber du hast plötzlich so abweisend gewirkt."
Er fuhr sich durch die Haare. „Nicht deine Schuld. Es ist nur ... du beginnst, mir etwas zu bedeuten, und das macht mir Angst."
Bevor jemand von uns noch etwas sagen konnte, schob mich Keavan ein wenig zur Seite und setzte sich zwischen uns. Tai setzte sich auf meine andere Seite. „Du musst mir dieses Werwolf-Ding noch mal erklären", sagte Keavan. „Du verwandelst dich in einen Wolf, wenn der Mond scheint?"
„Ja. Nicht nur bei Vollmond. Es reicht, wenn der Mond am Himmel steht", antwortete Ambrose.
„Aber der Mond scheint doch technisch gesehen auch am Tag."
Ambrose warf Keavan einen genervten Blick zu. „Ich habe die Physik nicht erfunden, Keavan."
„Ich sage nur ..."
„Ich weiß es auch nicht, okay? Die Forschung ist sich uneinig über Werwölfe und niemand will weitere Nachforschungen betreiben, weil die Menschen am liebsten ignorieren, dass wir existieren."
Ich hörte dem Gespräch nur mit halbem Ohr zu, sah Tai von der Seite an und fragte mich, ob sie das Gespräch zwischen Ambrose und mir mitbekommen hatte.
Ob sie gehört hatte, dass ich Ambrose etwas bedeutete.
Ambrose McLaren, der niemanden an sich heranließ. Kalt wie Eis.
Nur dass ich Eis kontrollieren konnte und Ambrose nicht.
„Aber Mondlicht ist ja eigentlich nur Sonnenlicht, das vom Mond reflektiert wird", sagte Keavan.
„Erzähl das meiner Verhandlung", knurrte Ambrose.
„Und theoretisch steht der Mond auch jetzt am Himmel, man sieht ihn nur nicht."
„Es gibt die Theorie, dass wir den Mond sehen müssen, um uns in einen Wolf zu verwandeln. Aber niemand weiß so genau, ob es stimmt."
„Aber manchmal sieht man den Mond ja auch tagsüber."
„Wenn du so weitermachst, zerfleische ich dich wirklich als erstes, falls ich mich mal in einen Wolf verwandle. Dann ist dir die Physik auch egal."
„Bitte zerfleisch Keavan", sagte Tai. „Dann muss ich ihn nicht mehr ansehen."
„Weiß jemand von euch die Details der Befragung? Tai will sie mir nicht verraten", sagte Keavan.
„Nur etwas über euer Liebesleben", sagte ich.
Er sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Unser Liebesleben?"
„Ich habe die Lüge erzählt, die du wolltest, dass ich erzähle, okay? Müssen wir darüber reden?", fragte Tai.
„Ja! Müssen wir!" Keavan grinste ein zweideutiges Grinsen. „Hast du Details verraten?"
„Selbst wenn, dir werde ich sie nicht verraten." Tai sprang auf und entfernte sich hastig von uns. Keavan folgte ihr.
Als die beiden außer Hörweite waren, sah ich Ambrose an. „Du bedeutest mir auch etwas", sagte ich.
Er blinzelte, brauchte einige Sekunden, bis er meine Worte verstand. Sein Gesichtsausdruck, der vorhin bei der Diskussion mit Keavan noch hart wie Eis gewesen war, wurde weich. „Als Freund, oder?", fragte er mit einem hochgezogenen Mundwinkel.
Ich hatte ihn noch nie so unsicher gesehen. Nun taten mir meine Worte von früher heute, mit denen ich versucht hatte, die Distanz zwischen uns zu behalten, leid.
Ich sah in Ambrose' Augen. Suchte Risse im Eis.
Lehnte mich nach vorne, sodass nur noch Zentimeter unsere Gesichter trennten. Ich erwartete, dass er mich wegstoßen würde, aber stattdessen legte er eine Hand an die Seite meines Gesichts und strich mir mit dem Finger über die Wange.
Und ich schlug mit den Fäusten gegen das Eis, bis es zersplitterte und die Welt gefror. Bis wir in Eiswasser ertranken und uns an den Scherben schnitten. Nur noch Bruchstücke. Ambrose' Lippen auf meinen. Seine Hand, die von meiner Wange zu meiner Taille wanderte. Er vertiefte den Kuss, seine Zunge streifte meine flüchtig, ich vergrub die Hände in seinen Haaren. Am liebsten wollte ich den Moment einfrieren.
Dann stieß Ambrose mich weg. Sah mich einen Moment lang atemlos an, sprang auf und verließ das Dach. Ich sah ihm nach. Konnte nicht mehr atmen. Zersplittertes Eis in meinen Lungen.
Keavan lief Ambrose hinterher, Tai sah mich an. „Du musst ihm sicher nur etwas Zeit geben", sagte sie, aber sie klang unsicher, als würde sie Ambrose nicht wirklich verstehen. Niemand verstand Ambrose. Er war ein Buch mit zusammengeklebten Seiten und verschmierter Schrift.
„Aber was, wenn nicht? Was, wenn ich alles kaputt gemacht habe?", fragte ich.
„So viel, was du kaputt machen konntest, gab es gar nicht", sagte Tai.
„Wie bitte?" Ich wollte nicht verletzt klingen, aber ich hörte die Scherben in meiner Stimme selbst.
Sie hob beschwichtigend die Hände. „Ich meine ja nur, es ist nicht so, als wärt ihr zusammen gewesen oder so."
Wenn man rational dachte, hatte sie recht. Ambrose und ich waren nichts. Wir waren kein Paar. Wir waren nicht einmal auf einem Date gewesen. Wir waren zwei Fremde, die sich weniger kaputt fühlten, wenn sie miteinander redeten. Zumindest ging es mir so. Aber ich durfte Ambrose nicht mögen. Ich hätte Ambrose nie mögen sollen.
„Aber ich mag ihn", sagte ich mit unsicherer Stimme. „Er ist irgendwie die einzige Person, bei der ich das Gefühl habe, ich selbst sein zu können." Obwohl ich ihn anlog. Obwohl er nicht wusste, wer ich wirklich war. Trotzdem fühlte ich mich, als müsste ich bei ihm meine Fassade nicht aufrechterhalten. Als würde er mich nicht dafür verurteilen, wie gebrochen ich war, weil er selbst genauso gebrochen war.
„Autsch. Dann bist du bei mir nicht du selbst?", sagte Tai, lachte aber.
„Doch, aber du bist manchmal so fröhlich!"
Tai lachte lauter und ich ebenfalls, obwohl ich eigentlich weinen wollte. Ich wollte wissen, warum Ambrose weggelaufen war. Hatte ich etwas falsch gemacht? Hatte er mich nicht küssen wollen? Aber er hatte mich zurückgeküsst. Ich schmeckte den Kuss immer noch, Eis und Asche auf meinen Lippen.
Trotzdem. Er war aufgesprungen und weggelaufen. Wenn etwas zwischen uns gewesen war, hatten wir es gemeinsam kaputt gemacht.
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