Kapitel 16: Ein Kampf ums Leben

"Harry!"

Ich scheine zum Glück so laut geschrien zu haben, dass sich keine Sekunde später die Holztür öffnet und die Anderen hinausstürmen. Durch die Anwesenheit der anderen Personen befreie ich mich von meiner erneuten Schockstarre. Das Adrenalin in meinem Körper scheint mich aufzuwecken und die Kontrolle zu übernehmen. Ohne weiter nachzudenken springe ich in das kalte Wasser. Der Pool ist für einen normalen Gartenpool ziemlich tief und könnte ich nicht unter Wasser atmen, würde mein Bewusstsein am Grund ebenfalls den Geist aufgeben. Harry sehe ich klar. Seine Augen sind geschlossen und sein Körper träge. An den Füßen bekomme ich die kalten Wandfliesen des Pools zu spüren und stoße mich kräftig ab. So bekomme ich einen solchen Geschwindigkeitsschub, dass ich mit wenigen Armzügen bereits neben Harry treibe. Schnell versuche ich ihn zu drehen, damit er sozusagen über mir schwimmt. Als ich das geschafft habe, stemme ich meine Schulter gegen seine Brust, schließe auch die Augen und lasse mich vom Wasser nach oben drücken. Meine Hände drücke ich an Harrys Bauch und so kann ich ihn an der Wasseroberfläche fast mühelos aus dem Pool heben. Liam und Zayn scheinen schon auf mich gewartet zu haben und ziehen Harry an den Schultern aus dem Wasser. Ich drücke mich ebenfalls aus dem Becken.

Die Jungen kauern über ihrem Kumpel und versuchen anscheinend ihn wachzukriegen. Ohne jeglichen Erfolg. Nach einigen Sekunden schaltet mein Gehirn wieder und ich bewege mich auf die Menschen zu. Liam und Niall sitzen mit dem Rücken zu mir, also fasse ich beide an den Schultern und schiebe sie zur Seite, um mir freien Blick auf Harry zu verschaffen. An seiner Seite lasse ich mich auf die Knie fallen. Reflexartig lege ich drei Finger an seinen Hals und fühle seinen Puls. "Sein Puls ist vorhanden, aber schwach.", sage ich eher zu mir selber, als zu den Anderen. Meine rechte Hand entsichert die kleine Halterung für das Messer an meinem Gürtel und zieht es aus dem Leder. "Ich hoffe, dass du weißt, was du da tust! Und das tust du doch, oder?", kommt skeptisch von Louis, der mir gegenüber kniet. Kurz hebe ich den Kopf. "Nein! Eigentlich nicht!", kommt von mir als trockene Antwort, bevor ich mich wieder Harry zuwende. Mit der linken Hand hebe ich leicht den Kragen seines Shirts und setze das Messer am Stoff an. Seinen Oberkörper hochzuhieven und ihm das Shirt über den Kopf zu ziehen, würde mir jetzt zu lange dauern, also schneide ich den Stoff kurzerhand auf. Erst über Brust und Bauch und dann von dort aus die Ärmel. Erneut fühle ich nach seinem Puls, der anscheinend erneut schwächer geworden ist. Mein Verstand sagt mir also nun, dass es das Beste wäre ihn wachzubekommen. Nur leider habe ich keine genaue Ahnung wie! Versuch es einfach! flüstert mir eine Stimme in meinem Kopf zu. Dementsprechend handle ich einfach nach dem, was mein Kopf mir sagt und drehe Harry zu mir auf die Seite. Vorsichtig klopfe ich auf seinen Rücken, bis ich mich dafür entscheide seinen Nacken und Hals abzutasten. Dabei habe ich jetzt wirklich keine Ahnung, was ich gerade tue, aber das Vertrauen in meine Instinkte ist bei mir doch ziemlich hoch.

Scheinbar habe ich eine Blokade gelöst, denn auf einmal beginnt Harry zu husten und spuckt Wasser aus. Kurz macht sich Erleichterung in mir breit und auch die Anderen atmen erleichtert aus. Doch dieses Gefühl hält nicht gerade lange an. Harry holt zwar ein paar Mal tief Luft und dreht sich mit eigener Kraft auf den Rücken, aber nach ein paar Sekunden rollt er schmerzerfüllt mit den Augen, beginnt zu keuchen und zu zittern und strahlt eine starke Hitze aus. Ein weiteres Mal fühle ich nach seinem Puls, der zum Glück stärker geworden ist. Meine Muskeln spannen sich wieder an. Krampfhaft suche ich nach der Ursache für das Leiden des Jungen, bis ich schließlich an seinem Arm fündig werde. Einige lange Kratzer ziehen sich durch seine Haut. "Das ist nicht die Ursache! Ich kenne die Effekte von Höllenhundkrallen besser!", murmele ich, schon wieder eher zu mir, als zu den Anderen. Nur Blüte scheint mich gehört zu haben: "Höllenhundkrallen?" "Ja! Am Strand wurden wir von Zack angegriffen! Mit einem Rudel Höllenhunde im Schlepptau!", antworte ich schnellstmöglich.

Kurz darauf sehe ich nur im Augenwinkeln, wie Niall noch weiter zur Seite geschoben wird und Blüte seinen Platz einnimmt. Mit einem Blickwechsel gebe ich ihr zu verstehen, Harry mit mir etwas näher ans Wasser zu ziehen. Alle Umstehenden beobachten uns mit skeptischen Blicken. "Chrissy, Tuch!" Nickend dreht sich meine Freundin um und rennt ins Haus. Harry beginnt sich immer mehr vor Schmerzen zu winden. Beruhigend legt Blüte ihm eine Hand auf die Stirn: "Ruhig.. Alles wird gut! Du kannst Lia vertrauen!" Tatsächlich wird er etwas ruhiger. Blüte hatte es immer schon drauf, Personen in allen Lebenslagen zu beruhigen.

In diesem Moment kommt Chrissy wieder hinausgerannt und drückt mir ein Tuch in die Hand. Schnell nehme ich es ihr ab und lege es kurz neben mir ab. Dann fülle ich meine Hände mit Wasser aus dem Pool und murmele 'Alqua', das elbische Wort für Schwan. Tauriel hat mir damals gezeigt, wie ich mit diesem Spruch Wasser reinigen kann. Dann lasse ich das Wasser Tropfen für Tropfen auf die Risse auf Harrys Arm tropfen. Anfangs schreit er ein paar mal schmerzerfüllt auf, aber Blüte schafft es ihn zu beruhigen. "Blüte, ich brauche Königskraut!" Nickend steht sie auf und beugt sich über das Gras. Sie murmelt ein paar Wörter und kurz darauf erscheint unter ihren Händen ein Büschel Königskraut. Das sind Vorteile, wenn deine beste Freundin von Demeter abstammt! Sie drückt mir das Büschel Kraut in die Hand und ich beginne mit dem gleichen Prozess, wie am Strand.

Die Kratzspuren verblassen leicht auf seinem Arm und ein Stich wird deutlicher sichtbar. "Blüte! Planänderung!", rufe ich ihr erschrocken zu. Schnell lässt sie sich neben mich fallen. Erschrocken zeige ich auf den Stich. "Scheiße!", murmelt sie neben mir und ich muss ihr komplett zustimmen. Den Stich haben wir oft bei den wilden Pegasi gefunden. Der Name des Käfers ist mir seit Jahren entfallen, aber zum Glück erinnere ich mich genau an das Gegenmittel. "Gajo-Beeren!", sagen Blüte und ich gleichzeitig. Sie springt auf und rennt wieder in den Garten. Im Laufen zieht sie Chrissy ebenfalls mit. Wegen der Größe des Gartens verschwinden sie jedoch bald im Dunkeln.

Ich lege seine Hand in meine und streiche ihm mit der Anderen behutsam über die Stirn. Nach einigen Sekunden kommt wohl Gefühl in seine Finger, denn seine Hand schließt sich fester um meine. "Danke, dass du da bist!", flüstert er mit zittriger Stimme. "Ist doch klar!", antworte ich ebenfalls so leise. Seine Mundwinkel zucken in die Höhe und ich tue es ihm nach.

Dann wende ich mich erneut seinem Arm zu. Ein rötlicher Strich zieht sich über über diesen. Durch die stark roten Kratzer hat man ihn eben noch nicht erkennen können, doch nun zeichnet er sich deutlich auf Harrys Unterarm ab. Wenn dieser Strich sein Herz erreicht, dann.. Nein! Diesen Gedanken verwerfe ich so schnell, wie möglich wieder.

"Was ist das für ein Stich?" Mit dieser Frage holt Liam mich aus meinen Gedanken. "Es ist der Stich eines gefährlichen und extrem seltenen Waldkäfers. Sein Gift ist stark und kann sogar einen ausgewachsenen Wildhengst umbringen. Und Harry scheint dieses Gift nun fast fünf Tage in seinem Körper zu haben. Wenn Blüte und Chrissy nicht schnell mit dem Gegenmittel kommen, bevor dieser Strich sein Herz erreicht, dann..." Weiter kann ich nicht sprechen. Zum Glück scheint Liam das zu verstehen und nickt mir zu. "Du schaffst das, ok!", meint Niall, der wieder näher zu mir gerückt ist und legt mir eine Hand auf die Schulter. Erneut lege ich meine Hand auf seine Stirn und streiche dann sanft über seine Wange.

Auf einmal kommen Chrissy und Blüte angelaufen. Chrissy hat den Arm gehoben und winkt mit einem Bündel Beeren. "Wir haben sie!", rufen beide synchron. Ich werfe erneut einen Blick auf den Jungen, der vor mir auf dem Boden liegt. Mit den Fingern fahre ich einmal die Linie ab, die sich nun weiter auf die Brust vorgearbeitet hat, nur noch wenige Zentimeter vom Herzen entfernt. Sofort ziehe ich meiner Freundin die Früchte aus der Hand und löse einige vom Stiel. "Wasser!", sage ich bestimmend und Chrissyn die noch steht sprintet los. "Alles ist gut! Du hast es gleich geschafft!"

Plötzlich höre ich Rascheln im Gebüsch am Ende des Gartens. Erschrocken drehe ich mich um. Gerade will ich aufstehen um nach dem Rechten zu sehen, als eine Hand sich um mein Handgelenk schließt. "Bitte bleib hier!", murmelt Harry zitternd. Auf seinen Wunsch knie ich mich wieder hin, horche aber die ganze Zeit noch nach weiteren Geräuschen. Als Chrissy dann aber wieder aus dem Haus gerannt kommt, konzentriere ich mich wieder auf Harry. Behutsam lege ich ihm vier Beeren in den Mund, hebe seinen Kopf leicht an und kippe ihm etwas Wasser in den Mund. Er beginnt zu husten und ich streiche ihm ein paar Mal über die Kehle, um ihm beim Schlucken zu helfen. Nachdem er die Beeren geschluckt hat, sieht man, wie seine Muskeln sich wieder etwas entspannen und er erleichtert ausatmet. Auch in mir breitet sich Erleichterung und ich wische mir noch einige Tropfen Wasser von der Stirn. Harry versucht sich aufzusetzen, doch ich lege meine Hand vorsichtig auf seine Brust und drücke ihn wieder auf den Boden. "Du bleibst jetzt erstmal liegen und ruhst dich kurz aus!", sage ich bestimmerisch. "Ach komm Lia, mir geht es doch besser!", antwortet er mit einem gewissen Glanz in den Augen. "Nein Harry! Du bleibst die nächsten Minuten genau so liegen, damit ich deinen Puls im Blick halten kann!", entgegne ich, während ich die Messer einsammel und sie an meinem Gürtel befestige. Dann schnappe ich mir das Tuch und verbinde notdürftig seinen Arm. "Bitte Lia!", bettelt er weiter. Mit einem Bestimmer-Blick sehe ich ihn an. "Harold, du hattest scheinbar tagelang Gift in deinem Körper und bist uns hier gerade fast umgekommen!", meint jetzt Niall skeptisch. "Siehst du!", wende ich mich jetzt wieder Harry zu. Schmollend verschränkt er die Arme vor der Brust, gibt aber kein Kontra mehr.

Die Anderen setzen sich jetzt in einem Kreis mit um Harry herum. So verweilen wir nun fast zehn Minuten und immer wieder checke ich Harrys Puls. Dieser wird langsam wieder normal und auch der rote Strich entfernt sich weiter von seinem Herzen. "Dein Körper kann diese Gifte echt gut ab!", sagt Alex irgendwann anerkennend. "Warum seid ihr alle so krass beeindruckt, dass ich in den letzte Tagen kaum Probleme hatte? Das war doch bloß ein Insektenstich." Harry hat echt keinen Plan, was hier gerade abgegangen ist, oder? lässt meine innere Stimme wieder von sich hören. Die Antwort lautet definitiv Ja! Mein Blick wandert zu Blüte und Chrissy. "Früher haben wir als Kinder oft im Wald gespielt. Dort gab es große Wiesen, die im Sommer mit allen möglichen Beeren und Blumen gefüllt waren. Auf ihnen lebten große Pferdeherden. Lia und unser bester Freund haben sie damals entdeckt.", berichtet Blüte. Bei ihrem letzten Satz denke ich an den Tag an dem James und ich die Weiden entdeckt hatten und Tränen steigen in meine Augen. Auch die anderen Mädchen müssen gegen den Drang zu weinen ankämpfen und Alex schaut bedrückt auf den Boden. "Dort wurden die Pferde oft von solchen Käfern gebissen und wenn wir sie nicht innerhalb der nächsten drei Tage behandeln konnten sind sie gestorben. Wir haben uns immer bemüht uns um alle Tiere und die Natur mitsamt der Einwohner auf dem Land zu schützen und zu retten. Alles hat funktioniert und Todesfälle waren selten, bis...", setzt Alex Blütes Vortrag fort. Doch den letzten Satz beende ich mit hasserfüllter Stimme: "Bis Zack gekommen ist und alles zerstört hat!" Erneut raschelt das Gebüsch hinter uns. Wir alle springen erschrocken auf.

"Habe ich da etwa meinen Namen gehört! Ach Liachen, man soll doch nicht lästern! Bist du denn kein artiges Mädchen!", säuselt eine gehäßige Stimme im Schatten.

"Jetzt passt wohl eher: Wenn man vom Teufel spricht! Nicht wahr, Zack?"

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Hier kommt endlich das neue Kapitel! Endlich spielt Wattpad mit! Juhuu! Das Kapi war zwar Sonntag schon fertig, aber Wattpad hat natürlich rumgesponnen und wollte nicht veröffentlichen😒
Aber naja, hier ist es und ich hoffe es gefällt euch!

Eure Vici❤

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