Teil IV.
"Am nächsten Morgen konnten wir ausschlafen.
Aber ich bin früh aufgewacht und Oliver hat zu laut geschnarcht, als dass ich hätte wieder einschlafen können.
Also bin ich aufgestanden und habe aus dem Fenster geguckt. Draußen war es hell und ich sah blau, blasses grün und gelb und weiß.
Das Meer, den Himmel, das trockene Gras, den Sand und die Wolken.
Und dann hatte ich Lust, schwimmen zu gehen. Wirklich zu schwimmen, nicht bloß andere mit Wasser zuzuschütten.
Also zog ich mich um und ging hinunter zum Strand. Nein, das stimmt nicht; ich ging nicht.
Ich rannte.
Ich rannte, mit weit ausgebreiteten Armen, als wolle ich das Meer umarmen.
Und dann sah ich sie. Xantia stand dort, im salzigen Wasser und starrte weiter hinaus auf das Meer, als wäre hinter dem endlosen Blau etwas ganz besonderes.
Sie trug ihren Strohhut auf dem Kopf, hielt ihn mit der rechten Hand fest, damit der Wind ihn nicht wegfliegen ließ.
Über dem schwarzen Badeanzug trug sie eine leichte und sehr große weiße Bluse, die genau wie ihre offenen Haare im Wind flatterte.
"Hi.", sagte ich. "Willst du auch schwimmen?"
"Vielleicht.", antwortete sie. Ihre Stimme war leise, gleichzeitig leicht und doch fest.
"Eher ja, oder eher nein?", fragte ich und Xantia lachte. Es war ein leises, aber kein feines Lachen. Es war das Lachen eines normalen Mädchens eben.
Und als sie aufhörte zu Lachen sagte sie: "Das Meer ist tief. Es ist tief, weit und hat kein sichtbares Ende. Wer weiß schon, was da hinten ist. Und sag jetzt nicht Google Maps!"
Ich lachte."
"Klingt so, als hätte sie Humor gehabt."
"Ja. Sie hatte Humor. Xantia wollte sich nicht langweilen."
"Was hat sie dann gesagt?"
"Sie hat noch mehr vom Meer erzählt. Dass sie nie wüsste, wie weit sie herausschwimmen soll. Dass sie Angst hätte, dann nicht mehr zurückzufinden.
Irgendwo im Meer zu sein, auf der Stelle zu schwimmen, bis man keine Kraft mehr hatte und schließlich ertrank oder erfror.
"Meine Leiche würde für immer irgendwo am Meeresboden liegen. Vielleicht würde ich nie gefunden werden. Oder vielleicht stolpern Taucher irgendwann versehentlich über meinen toten Körper.", sagte Xantia.
Ich wusste nicht genau, ob ich Lachen sollte, aber um sicherzugehen, tat ich es.
"Wieso lachst du?", fragte Xantia. Ich sagte, "Ich weiß nicht".
"Dann lach nicht. Lachen ist etwas schönes, keine Gewohnheit.""
.
"Seid ihr denn dann schwimmen gegangen?"
"Nein. Nicht an dem Tag.
Wir standen nur dort, in den Wellen und sahen hinaus aufs Meer.
"Da ist ein Schmetterling.", hat Xantia gesagt. Es war ein Zitronenfalter."
"Wie bitte?"
"Xantia hat einen Zitronenfalter gesehen. Er war genau wie sie.
Sie trug ein gelbes Band, er hatte gelbe Flügel."
"Das ist ein ziemlich schwacher Vergleich."
.
"Ich weiß. Aber Xantia war wie er. Sie war ein Zitronenfalter. Ein gelber Fleck auf der blauen Erde.
Als wir zurückgingen, klebte trockener Sand in meinen Haaren, ich weiß immer noch nicht, wieso eigentlich.
Aber Oliver hat sich bei mir beschwert, weil unsere ganze Hütte dann voller Sand war. Er hat übrigens nie gefragt, wieso ich Sand in den Haaren hatte.
Xantia hätte gefragt."
"Sicher?"
"Ja."
"Wieso hätte sie gefragt?
.
"Ich weiß es nicht."
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