6.4
Meine Beziehung zu Daniel besserte sich nach diesem Abend wieder. Er erzählte abends oft von seiner Arbeit, ich brachte ihm weitere Stücke auf dem Klavier bei und ich fing wieder an zu schreiben. Ich schrieb einen Roman über eine verbotene Liebe einer Fürstin und eines Stalljungen und änderte dabei nur Daniels Geschlecht. Sonst nichts. Er inspirierte mich wieder und ich konnte etliche Kapitel auf Papier bringen. Jonathan würde es hoffentlich nicht auffallen, dass ich in Esmeralda meinen Daniel beschrieb und dass Lucas erschreckende Ähnlichkeit mit mir hatte.
Daniel und ich schliefen wieder gemeinsam und miteinander und das stimmte mich soweit erträglich, dass sich unsere Streitigkeiten auf ein Minimum reduzierten. Die einzigen Gründe, die wir hatten, um uns zu streiten, waren Dinge wie: „Ich habe doch schon gestern gesagt, dass du heute abwaschen sollst. Ich muss morgen früh raus." und andere Kleinigkeiten, die schnell nach Küssen, Umarmungen und anderen Dingen geklärt waren.
Ich bildete mir zu dieser Zeit ein, Daniel hatte aufgehört sich mit Arina und Jonathan zu treffen und dass es wirklich wirkte, dass Clara und ich uns manchmal in der Öffentlichkeit wie ein Paar verhielten. Einmal meinte ich sogar Arina hinter einem Baum im Park gesehen zu haben. Sie hatte Clara und mich gesehen und beobachten können, wie ich meinen Arm um Claras Schulter legte.
„Das ist großartig. Das ist phänomenal! Nicht eine deiner einfallsreichsten Ideen von wegen Fürstin und Stalljunge, aber die Art und Weise deines Schreibens. Wie sich die Charaktere mit der Zeit entwickeln und das Lesegefühl ist atemberaubend! Wirklich, Luther! Hut ab. Ich wusste, dass Clara und du füreinander geschaffen seid." Jonathan packte mich freundschaftlich an der Schulter und drückte. Danach ließ er sich zurück in seinen Sessel fallen. Er schüttelte lächelnd den Kopf.
War er wirklich so blöd oder wusste er es damals schon? Hatte er nicht damit gerechnet, dass Clara und ich über unsere eigentlichen Partner reden würden? Dachte er, wir wären beide viel zu verängstigt dafür uns einander anzuvertrauen?
„Ich arbeite hart dafür, glaub mir. Ich kann dir in drei Wochen den Rest vorlegen und dann kann es in die Druckerei und die Korrektur, wenn du es verlegen willst", schlug ich schulterzuckend vor.
Jonathan lachte heiter. „Er ist zurück. Mein geschätzter Kollege Luther Bride ist zurück." Er hob die Arme in die Luft und grinste mich an, bevor er sie wieder fallen ließ.
Plötzlich machte sich in meinen Gehirnwindungen ein Plan breit. „Sag mal, ich möchte nur allzu gerne deine Verlobte kennenlernen. Meinst du, Clara, sie, du und ich könnten ein Doppeldate haben? Ich meine, es wäre doch nicht schlecht, oder?"
Jonathans Miene verfinsterte sich. „Sie ist noch sehr schüchtern in Gegenwart meiner Freunde."
„Freunde. Du sagst es. Wir sind Freunde. Wieso also kenne ich deine Verlobte nicht, Jonathan? Ist sie hässlich, schwanger, arm? Ich denke nicht, ich denke, dass du weißt, wieso du sie mir noch nicht vorgestellt hast!", zischte ich und krallte mich in die Armlehnen des Stuhls. Ich kniff die Augen zusammen und beobachtete wie Jonathan sich zurück fallen ließ und erneut die Arme in die Höhe streckte. Diesmal war ein fast schon unschuldiger Ausdruck auf seinem Gesicht. „Luther... Sie ist... Können wir warten?"
„Meinst du, es wäre gut zu warten, Jonathan? Ich habe gemacht, was du gesagt hast. Habe jetzt auch eine Freundin und du hast eine Verlobte. Wir sind Freunde, wie ich schon erwähnte und deshalb..."
„Luther!", unterbrach er mich rasend und stand auf. „Ist ja gut. Du lernst sie kennen. Ich will nur nicht, dass du ausflippst, in Ordnung?"
„Wieso sollte ich?", fragte ich bitter. „Ich werde es schon überleben." Ich senkte meine Stimme. „Wenn sie es überlebt..."
„Was?", fragte Jonathan stirnrunzelnd zu mir gewandt.
„Nichts", antwortete ich zuckersüß und erhob mich. Ich nahm mein unfertiges Manuskript in die Hand und ging zur Tür. Ich wollte gerade die Klinke herunterdrücken und ohne Verabschiedung gehen, da räusperte sich Jonathan noch kurz.
„Ich finde es sehr faszinierend wie Fürstin Esmeralda meiner Verlobten bis aufs Detail genau ähnlich sieht, ihr aber in so gut wie keinem Charakterzug ähnlich ist."
Ich schluckte.
„Ich hoffe, du wirst dich mir ihr verstehen, Luther. Denn wer weiß, wenn das nicht der Fall sein sollte... Wer weiß, was dann passiert?"
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Ich liege auf meinem Bett und bin den Tränen nahe. Die Tinte verschmiert, während ich diese Worte schreibe und die Person, an die ich denke, ist Daniel.
Daniel, mein Daniel. Ich liebe ihn so sehr und er weiß es nicht einmal zu schätzen.
Es tut weh, das zu schreiben und noch mehr schmerzt es zu wissen, was ich jetzt schreiben werde. Ich hasse ihn so sehr und liebe ihn gleichzeitig. Vielleicht hasse ich es aber auch einfach ihn zu lieben. Denn: Kann man etwas gegen Gefühle tun? Kann man sich von Liebe ablenken? Wenn ich ehrlich bin, werde ich noch ein bisschen schildern wie gut sich Daniel und ich zu der Zeit verstanden haben und erst dann werde ich zum eigentlichen Ziel kommen. Zu dem Tag, welchen ich bis heute verfluche. Von welchem ich Alpträume habe...
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Ich besuchte Daniel gern bei der Arbeit. Meist fand ich ihn lesend und schreibend vor. Manchmal aber unterhielt er sich sogar mit Besuchern. Suchte Bücher aus den Regalen oder half Kindern ihr Lieblingsbuch zu finden. Bei allem was er tat, sah er gut aus.
Seine Kollegen kannten mich als seinen Mitbewohner, seinen Vermieter, der ihm in schwerer Zeit ausgeholfen hatte, nachdem Daniel noch einen weiteren Versuch bei seiner Prüfung über Kunstgeschichte brauchte.
„Es müsste hier sein. Hier sind die Romane und es ist nicht ausgeliehen. Ich werde einmal schnell nachsehen", hörte ich Daniels Stimme. Er stand wohl möglich hinter einem Regal, sein Notizbuch in der Hand und sehr konzentriert.
Ich hörte Schritte, die näher kamen und da erblickte ich Daniel in einem der Gänge, wie er sich eine Leiter nahm und ein paar Stufen hinauf kletterte.
Weil ich Angst um ihn hatte und darum, dass er herunter fallen würde, stellte ich mich hinter ihn, zufälligerweise mein Gesicht in der Höhe seines Pos, was mich zum Grinsen brachte.
Ich hielt die Leiter fest, ohne dass es Daniel merkte. Er murmelte etwas vor sich hin, verlagerte ab und zu sein Gewicht, um an weitere Regale und Bücher zu kommen.
„Wo bist du nur Macbeth", grummelte er eingeschnappt und ich musste mir auf die Unterlippe beißen, um nicht loszulachen. Daniel hatte mich immer noch nicht bemerkt. Auch wenn er ohne mich schon längst die wackelige Leiter herunter gefallen wäre.
Schließlich seufzte er zufrieden. Als ich hoch sah, hielt er triumphierend das Buch in seiner Hand und machte sich gerade daran, die Leiter herunter zu klettern.
„Ah!", schrie er entsetzt und ließ die alte Ausgabe des Shakespeare Buches fallen, als er mich sah.
Ich ließ die Leiter los und er hüpfte die letzte Stufe herunter.
„Luther! Was erschreckst du mich so?", schnauzte er und hob das Buch vom Boden auf. Dem Anblick, der sich ergab, als sich Daniel bückte, konnte ich nicht widerstehen. Ich schlug ihm spielerisch auf seinen Hintern, was Daniel ein Quietschen entlockte.
Sauer drehte er sich zu mir um. „Bride, du Perversling!"
„Daniel, mein Schatz", grinste ich und musste mich zusammen reißen, ihm nicht das Schmollen weg zu küssen.
„Ich arbeite noch. Du bist zu früh. Und außerdem: Was fällt dir eigentlich ein!", flüsterte er.
„Mister Summerville? Haben Sie es gefunden?", fragte ein Mädchen, das weitere Bücher – wahrscheinlich andere Klassiker – in den Armen trug. Sie sah aus wie eine Studentin oder eine Schülerin.
„Annie! Ja, ich habe es tatsächlich geschafft", kicherte Daniel und gab dem Mädchen das Buch. „Hier haben Sie es. Viel Spaß damit."
„Müssen Sie es nicht noch notieren?", runzelte Annie die Stirn.
Daniel schüttelte den Kopf. „Ich kenne Sie. Ich mache es gleich, wenn Sie weg sind und wenn mich mein Mitbewohner nicht weiter von der Arbeit ablenkt." Daniel drehte sich mahnend zu mir und ich musste nur leise lachen, bei dem Anblick seines Gesichtsausdrucks.
Annie, die uns währenddessen beobachtete, runzelte weiterhin die Stirn und verzog das Gesicht. Sie schüttelte den Kopf und sagte: „Wie auch immer. Einen schönen Tag, die Herren."
Das Wort „Herren" hob sie besonders hervor, als ob sie uns daran erinnern wollte, dass wir männlich waren.
Natürlich fiel uns dies damals nicht auf.
„Ich muss jetzt wieder arbeiten, Mister Bride. Wenn es Sie nicht stören würde, würde ich nun also zurück an meinen Arbeitsplatz kehren und ich würde es vorziehen, Sie erst in einer halben Stunde wieder zu sehen oder erst zu Hause, wo Sie mir ein angenehmes Mahl bereitet haben", sagte Daniel aufmüpfig und ging den Gang Hüften schwingend wieder zurück in die Richtung, aus der er zuvor gekommen war.
„Puh", meinte ich kopfschüttelnd und wischte mir den Schweiß von der Stirn. „Wie Sie wollen, Mister Summerville", murmelte ich noch, bevor ich mich auf einen kleinen Spaziergang begab.
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Als Daniel dann nach Hause kam, stand das Essen auf dem Tisch. Ich hatte Kerzen angezündet und eine Platte aufgelegt.
„Bin wieder da", hörte ich Daniels trällernde Stimme aus dem Flur, bevor er im Türrahmen des Salons erschien.
„Rechtzeitig zum Essen. Setz dich", sagte ich lächelnd und deutete auf seinen Platz.
„Es riecht so gut. Was gibt es denn?", fragte Daniel und linste in die verschiedenen Behälter, in denen ich die einzelnen Beilagen gefüllt hatte So dass sich Daniel selbst bedienen konnte. Er hatte erst letzte Woche herum gemeckert, dass ich ihm immer zu viel oder zu wenig auftat.
„Nichts besonders. Fleisch, Kartoffeln und Gemüse." Ich zuckte mit den Schultern.
„Ist das Wild?" Daniel deutet auf seinen Teller, wo bereits ein Stück Fleisch lag, über das Rotwein-Soße gegossen war.
„Reh um genau zu sein", nickte ich lächelnd.
„Das arme Ding", schmollte Daniel.
Ich verdrehte die Augen. „Daniel", sagte ich mahnend. „Das ist dein Lieblingsessen. Auf den Trick falle ich nicht mehr rein." Ich lachte heiter und hoffte, dass Daniel es aufgeben würde mich zu verwirren, doch da fingen die Tränen an seine Wangen herunterzulaufen.
„Was hat es dir getan, Luther? Es wollte auch leben, wieso kochst du es? Ist es nicht schon gemein genug, dass es tot ist? Wie alt war es denn? War es jung? Ein Kitz? Das ist nicht fair, das arme Ding!", schluchzte er und vergrub sein Gesicht in seine Hände. Er zitterte.
Als ich den Ernst der Lage mitbekam, huschte ich um den Tisch herum. „Daniel, Daniel. Nicht weinen. Bitte nicht weinen, Daniel! Hörst du mich? Es tut mir leid. Ich dachte du würdest dich freuen. Es ist dein absolutes Lieblingsessen und ich dachte, du würdest dich freuen. Bist du jetzt Vegetarier? Bitte sag mir das doch. Denn wenn ja, dann bin ich es jetzt auch. Kein Fleisch mehr ab heute. Versprochen!", redete ich fürsorglich auf ihn ein, während ich ihn vom Stuhl hob und ihn danach auf meinen Schoss setzte, nachdem ich mich auf seinen Stuhl gesetzt hatte.
Daniel schluchzte, sagte nichts und alles, was ich mitbekam, war, dass sein Körper zitterte und dass es nicht besser wurde.
„Was ist es? Ist es wirklich das Reh? Meinst du nicht, du weinst wegen etwas anderem?", flüsterte ich in seine blonden Locken und strich über seine Oberschenkel.
Er schüttelte den Kopf. „Luther, es hört nicht auf. Wir werden irgendwann sterben. Ich kann das nicht mehr. Es zerreißt mich innerlich. Ich liebe dich so sehr."
Ich runzelte die Stirn. Zerriss es ihn, dass er mich liebte? Zerriss ihn, dass das Reh tot war? War er Vegetarier oder weinte er wegen etwas anderem? Ich verstand Daniel nicht, hielt ihn jedoch nun fester als zuvor.
„Lass es raus. Ich stelle das Essen gleich in die Küche und wir setzen uns auf die Couch."
„Nein, ins Bett", protestierte Daniel schniefend und schaute mit einem roten und geschwollenen Gesicht zu mir nach hinten.
„Dann ins Bett", nickte ich und hob ihn wieder hoch. Ich stellte ihn hin.
„Jetzt gleich." Daniel klammerte sich an mich und ich zerrte uns beide nach oben. Daniel stolperte dreimal auf der Treppe und als wir es schließlich nach oben in unser Schlafzimmer geschafft hatten, da ließ sich Daniel ins Bett fallen.
„Komm hier her", murmelte er und griff nach mir.
Ich ließ mich neben ihn fallen und starrte ihn von der Seite an.
„Ich will nicht mehr in den Grenzwald", flüsterte er nach einem kurzen Schweigen. „Ich will im Schloss bleiben."
Ich runzelte die Stirn. Was meinte er damit? Er redete über das Märchen, was ich für ihn geschrieben hatte, aber was meinte er mit seinen Worten?
„Im Schloss?"
„Mit dir allein. Für immer. Die Leute aus dem Dorf und selbst die Tiere im Wald werden uns verurteilen. Werden verurteilen, dass wir uns lieben und ich kann das nicht zulassen. Ich liebe dich zu sehr, Luther. Ich liebe dich und es wird sich nie ändern. Egal, was passiert. Bitte vergiss das nie."
In seinen Augen bildeten sich wieder neue Tränen, die ich, so schnell wie ich konnte, weg wischte. Ich küsste Daniel und rollte mich auf ihn. Er klammerte sich an mich, während ich seinen Nacken entlang küsste.
„Für immer. Ich lebe dich für immer. Auch wenn wir aufgehängt werden oder weil ich dumme Sachen mache oder weil ich dich verletzte. Es ist ganz wichtig, dass du weißt, wie sehr ich dich liebe, Luther Bride. Bitte weiß das."
Damals nahm ich die Worte nicht ganz ernst. Ich sah in ihnen keine andere Bedeutung als die, dass mich Daniel liebte. Ich glaubte nicht, dass er damals schon wusste, was passieren würde. Dass er schon wusste, dass er „dumme Sachen" machen würde.
Hätte ich da nur hingehört und es hinterfragt, was er sagte. Dann wäre ich vielleicht jetzt nicht in dieser Zelle hier. Ein Tag entfernt von meinem Tod.
Jonathan stand nach einer Zeit vor meiner Tür. „Das Doppeldate. Wann und wo. Ach und wann ist das Manuskript fertig?", fragte er kühl, als er dort mit verschränkten Armen stand.
„Wann und wo ist mir egal und ich sagte in drei Wochen und meines Erachtens nach, sind die noch nicht um", argumentierte ich genauso kalt zurück.
Er nickte. „Gut. Sagen wir morgen Abend? Um sieben Uhr? Wie wäre das? Wir können es bei mir veranstalten und meine Verlobte kocht."
„Kann sie sicher gut."
Er nickte. „Das kann sie. Seid pünktlich... Du und Clara und vergiss die Geschichte nicht vor lauter Geturtel." Er lächelte, aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht.
Er wusste es. Er wusste, dass nichts zwischen Clara und mir lief und ich wunderte mich immer noch, wieso er uns beide noch nicht gemeldet hatte.
Nachdem ich die Tür wütend zu gedonnert hatte, kam Daniel aus der Küche. Haare verwuschelt und müde. „Wer war das?"
„Jonathan Carter", schnaubte ich immer noch in Rage.
„Was wollte er?", fragte Daniel leise.
„Ein Doppeldate mit Clara und mir."
„Luther, es ist besser, wenn..."
Ich drehte mich um so schnell ich konnte. „Nein, Daniel. Ich habe es satt. Ich weiß immer noch nichts über eure Gespräche und meinetwegen erzählst du mir es nie, aber ich werde mich dem Problem stellen und wenn nötig töte ich sie eben."
„Luther, bist du verrückt?", krächzte Daniel. „Wenn du meine Schwester tötest, nur weil sie von uns weiß, dann verlasse ich dich und dann werde ich höchstpersönlich dich zum Polizeirevier bringen!"
„Dann nur Jonathan." Ich verschränkte die Arme und starrte ins Leere vor mir. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Daniel sich langsam von mir entfernte. „Bitte werde nicht wieder so komisch, Luther. Du machst mir Angst."
„Angst? Die haben dir Angst gemacht. Ich bin nur froh, dass du sie nicht mehr siehst. Und sie machen Clara Angst und mir ehrlich gesagt auch. Ich habe das Recht dazu mich zu wehren!"
„Aber du darfst sie nicht einfach töten! Luther, das resultiert darin, dass du im Knast sitzt und wer beschützt mich dann, huh?" Daniel zitterte.
Ich konnte mir vorstellen, dass es wegen mir war und wegen der Wut, die sich nun auch langsam in ihm gestaut hatte. Ich selbst wusste nicht einmal was ich da sprach. Das einzige, was ich wusste, war, dass ich sie umbringen würde, wenn es hart auf hart kam.
„Du gibst zu, dass ich dich beschützen soll?", fragte ich, um Daniel weniger Angst zu machen. Vielleicht reagierte ich wirklich über.
„Ja! Ich brauche dich! Verdammt, kannst du dir das nicht selbst denken?" Er raufte sich die Haare.
Immer hatte Daniel mir gesagt, dass er kein Kind sei, dass er das allein könnte, dass er mich nicht brauchte und auch so durchs Leben kam. Er wollte nie von mir abhängig sein, ließ sich nie herum kommandieren und ließ sich nichts gefallen. Und das war einer der Gründe, wieso ich ihn so liebte.
Doch nun stand er dazu, von mir beschützt werden zu wollen und das machte mir Angst. Denn das war nicht Daniel.
Langsam ging ich also auf Daniel zu, der immer noch verzweifelt an der Wand stand. Ich stützte mich neben seinem Kopf mit meinen Händen ab und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Ich liebe dich. Du schaffst alles und du bist mein Daniel", flüsterte ich, bevor ich ihn in eine feste Umarmung schloss.
Daniel entspannte sich.
„Ich werde niemanden ermorden, solange du nicht ermordet wirst. Dann garantiere ich für nichts", setzte ich hinzu und bekam von Daniel ein Grummeln. „Was?", fragte ich nach.
„Das will ich auch hoffen, sagte ich. Denn ich bin nicht mit einem Mörder zusammen." Er löste sich etwas aus meinem festen Griff und lächelte mich an.
„Willst du lieber wieder ins Bett? Du siehst müde aus", nuschelte ich behutsam und strich ihm durchs Haar.
Daniel summte. „Vielleicht. Ja. Ich muss aber arbeiten."
„Ich gehe zur Bibliothek und sage Bescheid. Leg du dich wieder hin."
Er nickte, küsste mich dankend und verschwand nach oben.
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Als ich die Bibliothek betrat, war es äußerst still. Gewöhnlich war das ja, aber diese Stille war schon fast gespenstisch. War überhaupt jemand da?
„Hallo?", fragte ich in den großen Raum hinein.
Hinter mir betrat noch jemand die Bibliothek. „Na Schwuchtel?", hauchte mir eine feminine Stimme gefährlich leise ins Ohr.
Ich drehte mich um und sah Annie ins Gesicht. Der Schülerin oder Studentin, um die sich Daniel gekümmert hatte, als sie Macbeth gesucht hatte.
Annie hatte ein schadenfrohes Grinsen auf ihren Lippen und ihre Hand in eine ihrer Hüften gestützt. Sie hatte eine Augenbraue nach oben gezogen und sah mich erwartungsvoll an.
„Was wollen Sie? Und wieso beleidigen Sie mich grundlos?", fragte ich ruhig nach. Bloß keine Aufmerksamkeit erregen. Das konnte nur schlecht ausgehen.
„Weiß nicht genau. Ich wollte Sie begrüßen, Mister Bride." Sie zuckte mit den Schultern und zwinkerte so langsam, dass ich ihren Wimpern beim Zu- und Aufschlagen zusehen konnte.
Ich nickte nur und drehte mich wieder um. „Ich muss dann auch."
Doch Annie griff mich am Arm. „Was bekomme ich dafür, dass ich es für mich behalte und euch beiden Kranken nicht melde, huh?"
„Was soll das denn heißen? Was willst du denn?" Ich schob sie an die Seite, damit wir nicht im Weg standen und nicht von jedem neuen Besucher gleich gesehen werden konnten.
„Ich bin eine arme Studentin und brauche Geld und du mein Lieber, bist nicht nur schwul sondern auch noch reich." Sie grinste zufrieden. „Ich würde dir ja auch im Gegenzug Sex anbieten, aber den hast du sicherlich genug mit Daniel. Glaub bloß nicht, dass mir nicht schon längst aufgefallen ist, dass er an manchen Tag nicht sitzen kann oder herum humpelt... Widerwärtig ist das!", zischte sie hinterher und brach nicht ein einziges Mal den Blickkontakt mit mir.
„Dann Geld", seufzte ich. „Wie viel? Du denkst, ich wäre reich, aber so reich bin ich dann auch nicht." Ich schüttelte den Kopf über dieses Dilemma. Das hatte ich davon mich zu auffällig in der Öffentlichkeit zu verhalten...
Annie grinste wieder zufrieden. „Dann Geld. Wie viel ist dir dein Leben denn wert, Bride? Denn wenn ich euch melde, hängt ihr beiden schneller am Galgen, als du denkst."
Ich schaffte es, Annie einen Preis zu nennen, mit dem sie zufrieden war und meldete Daniel dann bei einer seiner Kolleginnen ab. Ich ging wieder nach Hause und fand in unserem Schlafzimmer einen fiebrigen Daniel wieder, der im Schlaf etwas von Rehen und Rotwein plapperte. Ich hoffte, dass sein Traum wenigstens schön war.
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Heute liege ich auf der Streckbank. Ich liege hier schon eine Weile. Mein Gesicht ist nass dank dem Schweiß, mein Bauch ist blutig geprügelt und jetzt, wo ich nahe dran bin einen Tag eher zu sterben, öffnet sich auch noch die Tür und Annie kommt in ihrer nuttigen Korsage herein.
„Da ist ja mein Lieblingspatient."
„Nenn mich nicht so", flüstere ich schwach. Innerlich prügele ich gerade auf dieses Miststück ein, aber ich hänge immer noch an dem Folterinstrument, welches mittlerweile bestimmt schon an die 400 Jahre alt sein muss.
Annie schmollt gespielt und setzt sich neben mich.
„Du machst auch alles für Geld, oder?", frage ich sie. Vielleicht sterbe ich ja gleich. Vielleicht muss ich mir das hier nicht länger antun.
Mir ist es eigentlich egal. Soll ich jetzt sterben. Das wäre in Ordnung. Mein Sinn des Lebens hat mich verleugnet und ich bin ohne Daniel nichts. Ich bin hier und das einzige, was ich vor meinem Tod noch einmal gerne sehen würde, ist Daniels Lachen. Aber das ist utopisch und ich weiß das. Deswegen darf ich auch gerne jetzt sterben.
„Ach Luther, du weißt, dass ich für Geld mit dir geschlafen hätte, wenn du nicht so schwul wärst. Bei mir hättest du ihn nicht mal hochbekommen, oder?" Sie lacht hämisch. Ihre Lache ist zu hell, zu gestelzt, zu... gemein.
Ich wundere mich, dass sie nichts macht.
„Willst du mich jetzt nicht verführen oder so ein Schwachsinn?", frage ich deswegen.
Sie zuckt mit den Schultern und sieht sich um. „Ich habe aufgegeben. Du bist so schwul, da geht das nicht."
„Na dann", ist meine flache Antwort. Ich schließe die Augen und versuche zu schlafen.
„Weißt du, Luther... Als ich Daniel gesehen habe. Zum ersten Mal. Fand ich ihn echt hübsch", fängt sie leise an.
„Schön für dich."
„Und als ich dich dann sah, da dachte ich, dass ich so einen wie dich heiraten will."
Ich nicke matt. „Danke für das Kompliment."
„Aber ihr beide miteinander. Das ist einfach nur eine Verschwendung an die Frauenwelt." Ich höre, dass sie ihren Kopf schüttelt und die Arme vor der Brust verschränkt.
„Ich werde dem Wächter sagen, das wir fertig sind. Die sollen dich waschen und du musst schlafen. Du hast zu viel Blut verloren." Das sind ihre letzten Worte an mich. Ich höre, wie sich die Tür hinter ihr schließt und sich ihre Schritte ein Stück weit entfernen.
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Clara war pünktlich bei mir und Daniel. Ich machte mich gerade oben fertig und bat Daniel an die Tür zu gehen. Er schmollte, da er das Mädchen nicht sehen wollte, das die Ehre hatte sich in der Öffentlichkeit wie meine Freundin zu verhalten, hüpfte dann aber doch in seiner Kindlichkeit die Stufen der Treppe herunter.
Ich hörte, wie er die Tür öffnete und dann hörte ich Clara reden. Dann Daniel.
Als ich schließlich in meinem feinsten Hemd und in der gepflegtesten Hose die Treppenstufen herunter kam, blickten mich sowohl Clara als auch Daniel verträumt an.
„Daniel, du hast es gut mit ihm. Er ist ein Gentleman und liebt dich bis zum Mond und wieder zurück", meinte Clara aufrichtig zu Daniel, der halb an der Tür gelehnt stand.
Daniel nickte schüchtern, grinste und wurde rot. Doch kurz nachdem sich dieser wunderschöne Ausdruck in seinem Gesicht gebildet hatte, verschwand er wieder und ich huschte zu Daniel, zerrte ihn von der Tür weg und drückte ihn fest. „Alles okay?"
Der Ausdruck, der sich nämlich gerade auf seinem Gesicht gebildet hatte, ließ darauf schließen, dass Daniel etwas bedrückte und aus vergangenen Streiten wusste ich, dass ich am besten gleich nach seinem Wohlbefinden fragte.
Wenn ich es so recht überdenke, war Daniel immer irgendwie eine kleine Prinzessin. Aber auch das liebte ich.
Daniel nickte dann nur und vergrub sein Gesicht in meiner Brust. Er atmete an mein Hemd und murmelte etwas. „Ich liebe dich so sehr, vergiss das nie. Auch nicht heute und erst recht nicht morgen", sagte er fest von sich überzeugt.
Ich nickte eilig, gab ihm noch einen letzten Kuss auf den Mund und ging wieder zurück zur Tür und zu Clara. Diese stand im Türrahmen und schaute sich neugierig im Hausflur um. Sie lächelte als sie sah, dass ich bereit zum Aufbrechen war.
„Ich werde ihn dir nicht klauen, Schatz. Dazu liebt er dich zu sehr und ich liebe meine Freundin zu sehr." Clara lächelte Daniel aufmunternd an, der wohl wieder düster geguckt zu haben schien.
Clara hakte sich bei mir unter, ich winkte Daniel, als wir den Weg entlang zum Tor gingen und er stand nur da und knallte nach einer Zeit die Tür zu, ohne zurück gewinkt zu haben.
Der Weg zu Jonathan war nicht allzu weit. Wir überquerten einige Straßen, gingen durch einen Park und schon fanden wir uns vor dem hohen Haus wieder, dessen zweiter Stock allein Jonathan gehörte.
„Klingeln wir?", fragte mich Clara.
Ich schüttelte den Kopf. „Die Tür hier unten ist offen und oben klopfen wir."
Sie nickte verständig.
Jonathan machte die Tür im zweiten Stock auf und lächelte uns beide an. „Da sind ja unsere Gäste. Kommt herein." Er grinste bis über beide Ohren und nahm uns unsere Jacken ab, als wir im Flur standen.
Ich konnte hören, dass jemand in der Küche summte und überall hätte ich diese Stimme wieder erkannt. Ungefragt löste ich mich von Claras Arm. „Ich gehe nur schnell auf die Toilette. Entschuldigt mich", nuschelte ich und machte mich auf den Weg zur Küche, welche gleich neben dem Badezimmer angelegt war.
Ich stellte mich in den Türrahmen und sah Arina dabei zu, wie sie in Töpfen rührte.
„Freut mich Sie wieder zu sehen, Miss Summerville. Oder sollte ich sie schon Misses Carter nennen?", schmunzelte ich gehässig. Ich konnte mir es nicht verkneifen. Ich wollte ihr Gesicht sehen, wenn sie mich wieder sah. Ich wollte ihr sagen können, wie sehr ich sie dafür hasste, was sie Daniel angetan hatte. Wie sie es wagen konnte, sein Leben zu einer noch schlimmeren Hölle zu machen, als es ohnehin schon war. Die Wut, die ich verspürte, war schwer in Worte zu fassen.
Arina zuckte zusammen und ihr Kopf drehte sich schlagartig in meine Richtung. Augen weit auf, Mund leicht geöffnet und den Löffel, den sie in der Hand hielt, ließ sie fast fallen. Doch so aufgewühlt und verängstigt sie auch dort stand, so geerdet und selbstbewusst war ihre Stimme. Sie erinnerte mich nicht im Entferntesten an die lebenslustige Arina, die ich in Oxford kennengelernt hatte.
„Mister Bride." Sie deutete einen Knicks an. „Welche Ehre."
„Ganz auf meiner Seite. Was gibt es denn Schönes?"
„Nichts besonders. Reh und Gemüse. Rotweinsoße und Kartoffeln." Sie zuckte mit den Schultern und schaute auf das kochende Essen vor sich, als wäre es nicht der Rede wert.
„Daniels Lieblingsessen? Hast du seit neustem ein Haar an psychologischer Manipulation gefressen? Dachtest du, dass du mich damit quälen kannst?"
„Ich habe nie gewollt, dich zu quälen", zischte sie mit zusammen gebissenen Zähnen.
„Sicher", nickte ich sarkastisch. „Der Brief war nett. Daniel hat vor Freude geweint. Stundenlang. Schön, nicht wahr?"
„Was soll das, Luther? Du bist immerhin der, der mich betrogen hat. Was meinst du plötzlich für ein Recht zu haben, mich an den Prager zu stellen?"
„Ich habe dich betrogen, aber aus einem guten Grund und ich liebe Daniel. Die Frage ist nur, was das hier soll. Du und Jonathan? Dein Ernst? Immerhin seid ihr beide verbissen. Ein süßes Paar." Ich schritt einige Schritte an sie heran.
Arina schaute zu mir auf, den Löffel in ihrer Hand nun fest gepackt. „Wir wollten helfen. Nichts weiter!"
„Helfen? Definierst du Daniel eine Gehirnwäsche zu geben als helfen? Reizend, Arina." Ich lachte leise.
„Wir haben euch nicht gemeldet. Auch wenn wir allen Grund dazu gehabt hätten."
„Ihr könnt uns nicht melden. Ihr habt keine Beweise für unsere Beziehung."
Sie grinste hämisch. „Ihr wohnt seit Monaten zusammen."
„Ja, weil ich sein Vermieter bin und Daniel nicht viel Geld hat. Und schon gar nicht kann er sich eine Wohnung leisten, die nicht das schäbige Dachzimmer einer Schenke ist."
„Ihr schlaft miteinander."
„Ach ja, hast du uns gehört?"
„Daniel hat es mir erzählt. Man muss ihn nur abfüllen, dann plappert er darauf los und erzählt munter, wie du es ihm jede Nacht besorgst."
„Mistkuh!", zischte ich. Meine Wut gewann allmählich die Überhand und ich griff an die Küchenzeile. Ich hinterließ nahezu Schrammen im Holz.
„Luther. Arina. Ist das Essen fertig?"
Wir schauten beide zur Tür. Dort stand Jonathan mit einer herab blickenden Clara an seinem Arm.
Arina lachte. „Aber ja. Sofort fertig. Ich muss es nur noch auftun und dann kann es los gehen."
Jonathan grinste und nickte ihr zu. „Clara, du kennst Arina ja schon flüchtig und wie ich sehe, habt ihr beide euch auch miteinander bekannt gemacht." Etwas funkelte in seinen Augen und ich war so gelähmt, dass ich es nicht schaffte Claras Arm zu greifen und mit ihr zu fliehen. Aus irgendeinem Grund wusste ich, dass ich jetzt nicht mehr weg konnte. Arina hatte recht. Sie hätten mich melden können, aber genauso hatte ich recht: Sie hatte keine Beweise.
_
Beim Essen herrschte Stille. Man hörte das Kauen und das Schmatzen von Jonathan.
„Jon, benimm dich!", warnte ihn seine Verlobte nach einer Zeit.
Jonathan grummelte und wandte sich dann zu mir. „Luther, erzähl uns doch mal von deinem neuen Werk! Clara hat sich ja als ehrenwerte Muse erwiesen, wie es scheint." Er lachte gespielt.
Ich schluckte den letzten Bissen herunter und räusperte mich. Ich wusste nicht, was ich von alle dem halten sollte. Seit Arinas und meiner Begenung lag in der ganzen Wohnung diese unangenehme Spannung. Jeder wusste die Wahrheit. Jonathan und Arina wussten, dass Daniel und ich immer noch verliebt ineinander waren und dass Clara noch mit ihrer Freundin zusammen war. Die beiden Gastgeber wussten dementsprechend, dass Clara und ich nicht wirklich ein Paar waren und hatten uns trotz ihres Wissens gemeinsam eingeladen, als ob sie etwas im Schilde führten. Und genau davor hatte ich Angst.
„Also", begann ich, „es ist eigentlich eine Liebesgeschichte. Eine verbotene Liebe zwischen einer Fürstin und eines Stalljungen. Die beiden können sich anfangs nicht wirklich leiden. Besonders Esmeralda mag Lucas nicht. Sie verlieben sich dann aber doch ineinander und es wird besonders schwer, als Esmeralda schwanger wird und erklären muss, von wem ihr Kind kommt. An der Stelle bin ich gerade. Ein Ende ist noch nicht wirklich geplant."
Clara lächelte mich seitwärts an und hätte ich es nicht selbst besser gewusst, hätte ich meinen können, sie sei in mich verliebt. „Das ist eine wunderschöne Idee. Ach, bitte lass sie nicht sterben. Ich hasse Geschichten, an dessen Enden die beiden Hauptcharakter sterben", bat sie mich schmollend.
Und ja, wenn Arina und Jonathan nicht von unseren eigentlichen gleichgeschlechtlichen Partnern gewusst hatten, hätten sicher auch sie jetzt gedacht, dass Clara und ich verliebt waren.
Ich lächelte Clara an und beugte mich zu ihr. Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und lachte leicht. „Das Ende wird noch nicht verraten, Liebste."
„Liebste", wiederholte Arina traurig unter ihrem Seufzer. Sie starrte auf den Tisch.
Ich schluckte. Das war damals mein Kosename für Arina gewesen.
Nach meinem kurzen Anfall von Mitleid, bildete sich in mir wieder die Wut und ich dachte an Daniel. Nein, Arina hatte kein Mitleid verdient.
„Ich denke, dass das ein Bestseller wird", meinte Jonathan und genau nachdem er dies gesagt hatte, klopfte es.
„Wer mag das sein?", fragte Arina und ich fragte mich, ob sie über den Besuch wirklich so überrascht war.
Jonathan zuckte mit den Schultern und schüttelte unwissend den Kopf. „Ich habe keinen eingeladen. Gehst du zu Tür, Liebling?"
Arina nickte, lächelte und stand auf. Sie wischte sich die imaginären Staubpartikel von ihrer Schürze, die sie immer noch um hatte und tapste in sanfter Anmut zur Tür.
Diese konnten wir vom Tisch aus gut sehen, da man, wenn man die Wohnung betrat, sofort im Essbereich stand.
Vor der Tür konnte man hinter Arina einen muskulösen Mann erkennen, der so etwas wie einen Schlagstock in der Hand hielt. „Ist ein gewisser Luther Cornelius Bride hier?", raunzte er ungeduldig.
„Ich denke schon", piepste Arina und drehe sich in meine Richtung, „Luther? Besuch für dich."
Wie falsch, dachte ich mir kopfschüttelnd. Wie ich sie doch hasste, diese Schlampe. Besuch für dich? Als wären wir eine glückliche Familie, so hatte sie es klingen lassen und als wüsste sie nichts über den Mann dort vor der Tür.
Ich stand dennoch auf und stellte mich am Türrahmen neben Arina. „Bitte?"
„Wir haben Beweise gegen sie vorlegen Sie hätten einen gewissen Daniel Summerville zu einer homosexuellen Beziehung gezwungen", ratterte er ohne viel Gefühl herunter.
Was für ihn ein weiterer Arbeitstag war, war für mich der letzte in Freiheit.
Ich starrte den Kerl vor mir an, als käme er von einem anderen Planeten. „Einen gewissen... gezwungen?", fragte ich ungläubig nach. Mein Gehirn verweigerte diese Information zu verarbeiten.
„Also leugnen Sie es nicht?", fragte er in seiner Bassstimme nach.
Noch völlig in meinen Gedanken schüttelte ich den Kopf. Das wurde von dem Muskelprotz vor mir selbstverständlich falsch interpretiert.
Er packte mich unsanft am Arm und zerrte mich aus der Wohnung in den Flur. Ich sah ihn an und dann Arina. „Was soll das?"
„Polizei ist Polizei, Luther. Du kannst dich nicht gegen das Gesetz wehren." Sie zuckte mit den Schultern und verschränkte die Arme vor der Brust.
Gerade als der Kerl mich die Treppe hinunter schleifen wollte, hörte ich hinter Arina ein panisches „Halt!" Clara kam neben ihr zum Vorschein. „Hat er nicht. Er ist mit mir zusammen. Luther, sag dem Mann, dass wir ein Paar sind! Sie haben keine Beweise! Sie können gar keine haben, weil es nämlich keine gibt! Dieser Mann hier verstößt nicht gegen das Gesetz! Er ist mit mir verlobt!" Flüchtig hob Clara ihre Hand und zeigte einen beliebigen Ring.
Der Mann grunzte wie ein Schwein. „Und wo ist deiner, du Verbrecher?" Er packte meine Hände und sah, dass ich an beiden keinen einzigen Ring trug. „Schade aber auch. Hätte fast geklappt."
„Ich habe ihn zu Hause. Er passte nicht zu meinem Outfit."
Der Polizist, der eher einem Bären glich, lachte spöttisch. „Outfit? Heiliger Bimbam bist du schwul."
„Ich bin nicht..."
Ehe ich mich weiter verteidigen konnte, zerrte er mich die Treppe hinunter. Oben konnte ich sehen, dass Jonathan Clara fest im Griff hielt und auf sie einredete, während sich in Claras Augen Tränen bildeten.
„Sie haben keine Beweise!"
„Wir haben das Opfer selbst Ich werde Sie gleich ins Revier bringen und dort können wir dann mal Daniel Summerville fragen, was er von der Sache hält."
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Der Raum war stickig und eng. Es war dunkel und vor mir stand ein Tisch, der seine besten Jahre bereits hinter sich hatte. Hinter dem Tisch, also mir gegenüber, saß ein Mann, der mit seiner lächerlichen Perücke aussah wie ein Richter. Aber ich glaube, dass es eher ein Anwalt war. An sich sah die ganze Institution nicht aus wie ein Polizeirevier und ich hätte schwören können vorhin, als wir eintrafen, Schreie aus Zellen gehört zu haben und sogar Peitschenhiebe.
Die Tür öffnete sich. Ich war an einem Stuhl gebunden, sonst wäre ich jetzt Daniel um den Hals gesprungen. Dieser kam nämlich begleitet von einem weiteren Polizisten herein. Er hatte seinen Kopf gesenkt, sein Gesicht war blass und als er sich in eine der Ecken des Raumes stellte, sah ich, dass er eine schwere Atmung hatte.
„Mister Bride, dass hier ist, wie Sie sicherlich wissen, Mister Summerville. Ihr Ankläger", begann der Typ mit der Perücke.
„Sicher kenne ich Daniel", zischte ich, „Können Sie jetzt bitte so höflich sein und mich los binden, so dass ich zu meinem festen Freund gehen kann, um ihn zu beruhigen? Denn wie Sie sehen, ist er total außer Atem. Das wäre sehr freundlich!"
Der Kerl vor mir lachte auf. „Ja, sicher doch. Damit du ihn hier gleich vergewaltigen kannst? Daniel hat sich sicher dort hingestellt, weil er so viel Angst vor dir hat."
Als ich zu Daniel schaute, guckte dieser nach unten. Seine Brust hob und senkte sich immer noch rapide.
„Daniel, sag dem Mann endlich, das wir zusammen sind."
Er schüttelte auf mein Flehen nur schnell den Kopf, sah mich nicht an.
„Dann haben wir das ja geklärt. Da ich ihr Pflichtverteidiger bin, würde ich Ihnen vorschlagen sich einfach zu stellen. Sie werden sowohl als Vergewaltiger als auch als Homosexueller angeklagt und da gibt es keinen Weg mehr drum herum."
„Ich habe niemals Daniel vergewaltigt! Wir sind ein Paar! Wir sind verliebt! Er wollte das!", schrie ich verzweifelt den Anwalt vor mir an.
„Ich denke nicht. Sehen Sie wie er da steht? Wir lassen Sie auf Schizophrenie testen. Vielleicht ist es das", murmelte er dann noch und suchte seine Dokumente, die vor ihm auf den Tisch lagen, zusammen.
„Daniel, verdammt! Sag mir endlich, dass das hier ein Scherz ist! Ich habe dich nie dazu gezwungen bei mir zu bleiben! Ich dachte, du liebst mich! Du warst bei mir! Du hast dich für mich entschieden und nicht für deine Schwester!" Jämmerliche Tränen fingen an meine roten Wangen herunter zu laufen.
Daniel rührte sich nicht. Er stand nur da in dieser Ecke und zitterte, als der Anwalt aufstand und ihn heraus begleitete.
Wenn ich heute darauf zurück blicke, hatte Daniel nichts gesagt. Er hat nichts erklärt, war nur anwesend. Sie hatten außerdem keine Beweise gegen mich und haben mich hier her gebracht. In diese Zelle.
Ich habe einen guten Grund, Daniel zu hassen. Er hat nichts gesagt. Er hätte mich befreien können. Wieso tat er es dann nicht?
Er hätte zu mir stehen können.
Außerdem fällt mir am heutigen Tag auf, dass ich es beim Verhör nie verleugnete schwul zu sein und nie verleugnete ich eine Beziehung mit Daniel gehabt zu haben. Was ich verleugnete, war die Sache mit der Vergewaltigung, die ja auch keineswegs stimmte.
Ja, an manchen Tagen hatte ich Lust gehabt und Daniel eben nicht, aber das hatten wir geklärt und wenn Daniel oft genug Nein gesagt hatte, dann hatte ich ihn in Ruhe gelassen.
Ich wusste, dass er es manchmal wollte und mich nur verneinte, weil er erobert werden wollte oder dominiert. Das wusste ich sicher, sonst hätte ich das nie gemacht. Ich hätte in Oxford nie Daniel mit in meine Wohnung genommen, wenn er es nicht gewollt hätte. Er hätte sich wehren können.
Daniel hatte doch erst noch am Nachmittag mir versichert wie sehr er mich liebte und immer lieben würde und dann hatte er mich in den Knast gebracht. Einfach so. Deswegen bin ich hier. Ich bin hinter Gittern wegen meinem eigenen Geliebten.
Die Sünde hat mich selbst verraten und ich? Ich liebe Daniel trotzdem über alles. Und morgen werde ich sterben. Dann wird alles vorbei sein und Daniel wird ja sehen, was er davon hat. Er wird sehen, dass ihn keiner so lieben kann wie ich es jetzt tue.
Daniel, ich hoffe das du den Brief nach meinem Tod findest. Ich hoffe, dass du ihn liest und elendig verreckst.
Aber irgendwie liebe ich dich trotzdem.
Ende.
(Im nächsten Kapitel findet ihr eine Art alternatives Ende. Es knüpft hier quasi an. Ich mag es nicht sonderlich, aber ich will es auch nicht weglassen. Es ist also so etwas wie eine Fortführung dieses Endes.)
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