5.2

Der Krieg fand im Osten des großen Landes statt. Manche waren betroffen, besonders die politisch engagierten Königreiche. Jene, die viel zu sagen hatten und eine große Fläche besaßen. Das Land von Prinz Jonathan war so eins. Ein großes Land. Und man hätte wirklich meinen können, der Wald trenne zwei Welten.


Im Königreich von Luther herrschte Frieden, während Jonathan in den Krieg ziehen musste.
Arina wusste nur die Hälfte. Sie kannte nun nur noch die eine Seite. Die Seite ihres geliebten Jonathans. Ihres Prinzen.


Sie wusste, sie würde sterben, wenn er starb, aber das machte ihr nichts, denn sie würde für ihn sterben und wenn er zurück kam, würde er leben. Ja, mit ihr, dieser biestigen Gestalt von Ehefrau, aber er würde immer noch leben.


Arina war in den nächsten Tagen mit ihren Gedanken nur bei ihrem Geliebten. Wenn es nur alle wüssten, dann wäre sie schon gehängt worden.


Etwas Komisches verband sie mit diesem Zusammenhang. Sie dachte all das, als sie gerade die Wäsche wusch und sie hörte kurz auf, als sie diesen Gedanken hatte.
Sie verband etwas Emotionales damit. Damit, gehängt zu werden, weil die Liebe nicht rechtens war, doch dann entfiel Arina der Gedanke wieder und sie wusch weiter.


Es war an einem Dienstag und Arina ging gerade an die Arbeit. Sie musste das Essen vorbereiten. Das Frühstück war es. Es war frühmorgens und sie hechtete in der Küche herum, um so schnell wie möglich ihre Aufgaben zu erledigen. Dann endlich war sie bereit und schritt elegant in den Saal, an dem sich die Königsfamilie schon versammelt hatte.


Sie stellte gerade den Aufschnitt nieder, da bekam sie etwas Furchtbares mit.
„Der Doktor meint, sie schaffe es nicht. Ich weiß nicht, was in so einem Moment zu sagen ist. Was geschieht, wenn Jonathan wieder kommt? Es ist doch seine geliebte Frau! Sie wird vielleicht... Ich mag es nicht sagen. Nur gut, dass sie noch keine Kinder haben."


Arina ging zurück in die Küche und machte sich an die weitere Arbeit. Des Prinzen Frau schwebte in Lebensgefahr? Hatte sie eine gefährliche Krankheit erlitten? Arina dachte den ganzen Tag darüber nach und sie wusste zu diesem Zeitpunkt zum Glück noch nicht, was das bedeutete.


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Ausritte waren schon immer eine von Daniels Lieblingsbeschäftigungen gewesen. Er hatte es auch geschafft, Luther nach einer Zeit davon zu überzeugen, gerne auszureiten.

Gemeinsam ritten sie in den Wald. Über Luther hing immer noch eine graue Gewitterwolke. Kurz bevor beide gestern eingeschlafen waren, hatte Luther noch gemeint: „Jetzt es wieder da. Das Schuldgefühl. Nur wenn wir... dann ist es weg, verstehst du?"


Daniel verstand und er hatte genickt. Er hatte Luther ein letztes Mal geküsst und dann waren beide Arm in Arm eingeschlafen.


Jetzt wurden die Pferde gesattelt und nach einer Zeit ritten sie los.
Daniel schlug vor, in den Wald zu reiten und Luther war es egal. Also stimmte er Daniel zu und beobachtete ihn, wie er auf sein Pferd stieg und Luther dazu motivierte, es ebenfalls zu tun.


Manchmal passierte das eben. Da sah Luther nur Daniel und dann konnte er sich auf nichts anderes konzentrieren, als auf ihn. Dann war alles verschwommen und er sah nur Daniel, den Mann, den er liebte und immer lieben würde.


Schließlich kamen sie am Waldrand an. Sie ritten den hellerleuchteten Feldweg entlang, an dem Daniels Pferd sich einmal vor einer Schlange erschreckt hatte. Lächelnd dachte Luther, dass ohne diese Schlange, die aus dem hohen Gras gekrochen war, sich die beiden nie geküsst hätten.


„Reiten wir zur Lichtung?", fragte Daniel an Luther gewandt und lächelte.
Luther nickte perplex und Daniel drehte sich wieder um.


Die Lichtung lag genau in der Mitte des Waldes und sie war der liebste Ort von Daniel und Luther. Die beiden ritten immer hier hin. Die Lichtung war unspektakulär und doch so schön. 

Als sie sie erreicht hatten, fragte sich Luther, wie es hier wohl im tiefsten Winter aussah. Der Schnee war seit einigen Tagen gänzlich weg und im wirklich tiefen Winter waren die beiden nicht oft ausgeritten.
D

Daniel stoppte sein Pferd und drehte sich zu Luther. Dieser saß mit Blick nach unten und schaute auf den Hals seines Pferdes.


Daniel seufzte. „Luther, langsam musst du es überwinden. Sie wird nicht wieder kommen, verstanden? Arina ist tot."


„Sie war deine Schwester", schluchzte Luther. Es brach alles heraus und da war diese eine Frage, die er sich die ganze Zeit schon stellte. „Wieso bist du so... kalt, Daniel?"


„Wieso bin ich kalt?", fragte dieser schockiert.


„Sie war deine Schwester, jetzt ist sie weg und du verbringst die ganze Zeit nur damit, zu sagen, dass sie nie wieder kommen wird. Bist du denn gar nicht traurig?"


Daniel sah zu Boden. „Doch schon. Ja, das bin ich. Nur weißt du, was nützt uns das Leben, wenn wir zu zweit traurig sind? Würden wir uns nicht selbst irgendwann umbringen, wenn du und ich gleichermaßen geplättet wären?" Daniel schaute Luther an. Durch einen Schleier von Tränen blickte Luther in Daniels schöne grünblaue Augen.


„Steig ab", bat Daniel seinen Geliebten ruhig und Luther stieg vom Pferd.


Daniel tat es ihm gleich und die beiden, immer noch mit den Zügeln ihrer Pferde in der Hand, gingen aufeinander zu.


Daniel küsste Luther auf die Wange und flüsterte ihm dann ins Ohr: „Einer von uns beiden muss das unterdrücken. Ich bin genauso traurig wie du. Sie war meine Schwester. Aber es ist niemandes Schuld. Es sei denn, sie wurde ermordet. Ich weiß nicht, wo sie ist und ob sie noch ist, aber Luther, wir müssen stark sein und es aushalten. Sie hat es doch damals auch getan. Sie hat es ausgehalten zu wissen, dass du mich liebst. Sie ließ dich zu mir kommen in der Nacht. Und jetzt müssen wir stark sein. Manchmal glaube ich, sie lebe noch. Ja, da ist es, als sehe ich ein Bild vor Augen. Und deswegen bin ich auch so gerne hier. Ich sehe sie hier. Ich sehe, wie sie über die Lichtung tanzt."


Daniel schaute Luther an und er lächelte matt. Luther wischte sich die Tränen weg und Daniel gab ihm einen zarten Kuss auf die Wange. Er schmeckte nach dem Salz seiner Tränen. Dann bedeutete Daniel Luther, er solle sich die Lichtung genauer ansehen. Und jetzt sah es auch Luther. Er sah, wie Arina im roten Kleid über die Lichtung tanzte. Sie lachte und weinte vor Freude. Er klammerte sich an Daniel, welcher leise atmete. Dieser schmiegte sich an Luther und die Pferde wieherten und die beiden blieben eine Ewigkeit so stehen und sahen Arina beim Tanzen zu, bis sie zurückritten.


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Das ganze Schloss bereitete alles für die Feier vor. Doch war es weniger eine Feier, als viel mehr eine Beerdigung.


Arina stand in der Küche und schnitt Gemüse. Sie schaute nach draußen aus dem Fenster und sah, wie der Garten geschmückt wurde und wie gedeckt wurde. Die meisten Gesichter der Leute waren traurig und berührt. Nur wenige schien es nicht zu interessieren, was Jonathan sagen würde, wenn er erfuhr, dass seine Frau gestorben war.


Arina hatte sie wirklich nicht gemocht, nein, eine grässlich arrogante Frau war sie gewesen. Doch sie hatte nie gewollt, dass sie stirbt. Und auch noch dann, wenn ihr Prinz im Krieg kämpfte.
A

Arina fing leise an zu weinen, aus welchem Grund auch immer. Ihre Tränen tropften auf das Gemüse und sie drehte sich weg und wischte sie mit dem Stoff ihres Kleides hinfort.

Sie hatte es gewusst. Jonathans Frau Amalia hatte von dem Verhältnis der beiden gewusst. Jonathan war es einmal in Arinas Gegenwart herausgerutscht.


Und nun war sie tot. Gestorben. Ungeliebt und einsam.


Arina berührte das zutiefst. Die anderen in der Küche trösteten sie, rieten ihr aber dazu, weiter mit ihrer Arbeit fortzufahren.


Arina stellte sich nur eine Frage: Wenn Jonathan wieder kam, falls er wiederkam, er nicht gestorben ist, also Arina ebenfalls noch lebte: Heiratete er dann wieder? Heiratete er noch eine Frau?


Arina wusste nicht wieso sie Amalia so gehasst hatte. Selbst wenn sie nicht Jonathans Frau gewesen wäre, hätte sie sie gehasst. Amalia erinnerte sie an eine Frau, die sie dunkel in Erinnerung hatte. Sie war sich sicher, ihr Name hätte mit C begonnen. Vielleicht Courtney, Camilla oder vielleicht doch Caitlin?


Jedenfalls mochte Arina sie nicht. Sie hatte sie nicht gemocht und jetzt war Amalia tot und sie weinte, als wäre Jonathan gestorben. Doch das konnte nicht sein, denn dann wäre Arina selbst nicht mehr am Leben.
So beschloss Arina, den restlichen Tag damit zu verbringen, ihren Aufgaben nachzugehen und sich zu Tode zu schuften, um sich abzulenken.


Es gab Gerüchte, der Krieg wäre bald vorbei, doch Arina glaubte daran nicht. Was wussten die Küchenmägde und Köche schon vom Krieg?


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Jonathan saß in der Kutsche und starrte hinaus. Den Verband hatte er immer noch um seinen Bauch gebunden und es tat noch ziemlich weh, doch das war ihm egal. Ein Wunder war es, dass er noch lebte und das war das Wichtigste. Der Krieg war vorüber und er konnte heimkehren.


Er sah die Landschaft an sich vorbei ziehen. Viel Schreckliches hatte er gesehen, doch er lächelte. Denn das Einzige, woran er denken konnte, war seine Geliebte Eden. Sein Herz pochte und es stillte den Schmerz. Jonathan saß da, ließ sich von der Kutsche durch rütteln. Gleich würde er zuhause sein und sie würde da sein. Vielleicht in der Küche, vielleicht draußen, aber sie würde da sein, das wusste er.


Nun war er da. Jonathan konnte nicht allein aus der Kutsche aussteigen. Ihm wurde geholfen. Die Kutsche wackelte, als er sie verließ und er hielt sich den Bauch, dort, wo man ihn durchbohrt hatte. Er hatte das Schwert sogar gesehen, obwohl es von hinten passiert war. Er hatte gesehen, wie sein Blut daran geklebt hatte. Schrecklich. Er war in Ohnmacht gefallen und erst wieder aufgewacht, als er bereits in Gewahrsam lag. Ihm wurde gesagt, er hätte nicht viel verpasst. Man hätte gewonnen und die Gegner hätten sich ergeben.


Er schnupperte die Luft um das Schloss ein und sah das prächtige Gebäude vor sich. Erst schaute er sich im Innenhof um. War sie hier vielleicht irgendwo? Doch er konnte Eden nirgends erblicken.


Im Schloss erfuhr er dann von dem schrecklichen Tod seiner Frau. Ihm schossen die Tränen in die Augen.


„Der Doktor sagte, sie habe etwas von Innen aufgefressen. Aber ihr Tod war unerklärlich. Man konnte wohl nicht feststellen, was es nun wirklich war."
Jonathan nickte und ging in sein Gemach. Er setzte sich auf das Bett und strich über die Seite, wo sie immer gelegen hatte.


War es seine Schuld gewesen? Hatte sie vielleicht das Wissen aufgefressen, dass er sie nicht liebte und sich mit einer anderen traf? War dies der Grund für Amalias Tod? Nein, das konnte nicht sein.


Nach einer Stunde erhob sich Jonathan wieder und rannte in die Küche. Alle Angestellten erstarrten und sahen ihn bloß an. Dann verbeugten sich die Männer und die Frauen machten einen Knicks. Manche Mädchen wurden rot.


Jonathan sah sich um. Doch Eden war nicht zu sehen. Wo steckte sie nur?


„Wisst ihr, wo sich Eden aufhält?"


Erst wusste niemand recht etwas zu sagen. Es war der Prinz, der sprach und man konnte doch nicht mit dem Prinzen in der Küche ein kleines Pläuschchen abhalten! 
Schließlich wagte sich einer der Köche, es ihm zu sagen. „Eden geht es nicht sehr gut. Sie ist wahrscheinlich in ihrem Gemach, Eure Hoheit."


„Ihr geht es nicht gut?" Nach diesem Satz rannte Prinz Jonathan in den Flur, in dem die Zimmer der Angestellten lagen. Wie immer war es dunkel, nicht gut beleuchtet. Er rannte über die Steine am Boden und hörte alles wie durch einen Tunnel.


Er klopfte an Edens Tür.


"Ja?", hörte er von drinnen eine heisere Stimme.


Jonathan öffnete die Tür. Eden lag in ihrem Bett und hustete. Als sie Jonathan sah, erstarrte sie.
„Was tust du hier? Wie bist du doch...? Hast du nicht...? Aber ich...", stotterte sie und schlug sich auf den Mund. „Eure Majestät."


Dann stieg sie aus dem Bett, doch Jonathan deckte sie bei ihrem Versuch sogleich wieder zu.

 Er kniete sich neben sie und küsste sie leidenschaftlich.

Nach dem Kuss sah er ihr in die Augen. „Meine Schönheit, du nennst mich beim Namen? Du sagst zu mir „du"? Du glaubst nicht, wie mich das freut."


Eden setzte sich auf und starrte ihn an. Sie erblickte seine Wunde am Bauch und deutete perplex auf diese. „Was ist geschehen?"


„Ein Wunder", meinte er und setzte sich ihr gegenüber aufs Bett. Dann erzählte er vom Krieg. Lange saßen die beiden da und Jonathan erläuterte Eden die Sache mit dem Schwert. Die schwere Wunde und so weiter. Das Mädchen saß nur da und sein Gesichtsausdruck wurde immer angsterfüllter und trauriger. Jonathan bemerkte es und sprach seine Geliebte darauf an. „Was hast du, Liebste?"


„Ich war ebenfalls weg, als du im Krieg warst. Ich war im Wald, da wo du mich fandst. Die Lichtung, sagtest du nicht einmal, es war eine? Auf dieser Lichtung fand ich eine Hütte. Klein, leicht zu übersehen. Die Frau, die darin wohnt, hat Kräfte, die mir einst mein Leben retteten. Sie beschützte mich vor meiner Vergangenheit, indem sie mir mein Gedächtnis nahm. Ich wollte von ihr den Tod, doch ich bekam dich." Sie lächelte kurz. „Ich erzählte dir doch, dass ich unter einem Bann stünde, richtig? Ich sagte dir, ich sei Eden, ein Bauernmädchen, nicht wahr?"


Jonathan nickte und lauschte weiter dem wunderschönen Klang ihrer Stimme.


„Nun denn, die Frau gestand mir, dass Eden nicht mein Name ist und ich sei auch kein Bauernmädchen, so meinte sie."


Das Mädchen seufzte. „Jonathan, wir sind uns schon einmal begegnet. Auf einem Ball. Ich weiß jetzt, dass mein Name Arina ist und dass ich adeliger Abstammung bin. Du musst mir nicht glauben, aber tief in meinem Herzen weiß ich, dass es so ist."


„Arina ist ein wundervoller Name."


„Die Erinnerung kam Stück für Stück wieder, doch ich weiß immer noch nicht, was die Frau meinte, als sie sagte, ich sei geflohen vor meinem Gatten Luther. Ich kann mich nicht an ihn erinnern und auch nicht an das, was vorgefallen ist."


Arina schluckte und musterte Jonathan. Er saß da wie versteinert. Sie erzählte weiter. Sie musste es los werden.
 „Ich bat die Frau im Wald, sie solle dafür sorgen, dass wenn du im Krieg fällst, ich anstatt von dir sterbe. Und jetzt kommst du und sagst, es sei ein Wunder gewesen und du seist getroffen worden und kurz vorher stirbt sie. Deine Frau. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat." Arina sackte zusammen und Jonathan rückte näher. 
„Ich glaube dir, Liebste. Ich will mit dir in den Wald gehen und du zeigst mir die Lichtung, in Ordnung? Vielleicht kommen deine Erinnerungen alle samt wieder. Ich habe schon einmal von Luther gehört, aber mehr auch nicht. Ich kenne nichts, was hinter dem Grenzwald liegt. Nicht viel. Ich weiß, was dort ist, aber ich habe es noch nie wirklich betrachtet."


Arina kuschelte sich an ihn und weinte ein paar Tränen, da sie weder aus noch ein wusste. Dann sah sie auf.


„Bitte tue das. Geh mit mir zur Lichtung und ich werde dir die Hütte zeigen. Wir werden die Frau fragen, werden sagen, dass da etwas falsch gelaufen sein muss. Vielleicht finde ich hinter dem Wald mein altes Leben wieder."


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Jonathan und Arina machten sich mit zwei Pferden auf den Weg. Wahrlich schaute man ihnen nach, wahrlich konnte man kaum glauben, was man da sah, doch die beiden merkten es nicht. Selbst wenn sie es getan hätten, hätte es sie nicht gestört.


Sie ritten in den Wald hinein und Arina bedeutete Jonathan, wohin er reiten musste. Doch er kannte den Weg, denn diesen war er geritten, als er Arina gefunden hatte.


Konnte es sein? Hatte er die kleine Hütte übersehen, als er Arina im Schnee aufgefunden hatte?
Sie kamen an und stiegen von ihren Zossen ab. Beide hielten die Zügel ihrer Pferde und tappten langsam in die Richtung der Lichtung. Arina war etwas kalt, doch sie hielt es aus. Sie rieb sich die Arme und Jonathan legte seinen Arm behutsam um sie. Doch seine Augen waren nicht bei Arina, sondern bei der Lichtung, die dalag, als wäre sie nichts besonderes.


Die beiden schreckten zurück, als sie Stimmen hörten. Arina sah Jonathan mit großen Augen an und der Prinz blickte wieder zur Lichtung. Die Stimmen schienen von der anderen Seite zu kommen. Direkt gegenüber von ihnen.


„Was ist das?", flüsterte Arina, der flau im Magen wurde. Irgendetwas tief in ihr erkannte die Stimmen und irgendetwas tat da weh.


Sie sah den beiden Herren zu, die nun von der gegenüberliegenden Seite auf die Lichtung reiten wollten und sich dabei über Belanglosigkeiten unterhielten. Als der eine der beiden Arina und Jonathan erblickte, hielt er den anderen zurück.


„Daniel, warte", sagte er kaum hörbar. Bei Arina kam es trotzdem an.


Der Junge, der wohl Daniel hieß, drehte sich zu dem anderen. „Was ist?", fragte dieser unbekümmert nach und wollte weiter reiten.


„Steig ab", bat der andere ihn, während er seinen Blick auf Arina und Jonathan gerichtet hatte.


„Wieso?", fragte Daniel nach.


Dann deutete der andere auf die beiden Gestalten am gegenüberliegenden Ende der Lichtung. Sie waren wie eingefroren.


Ein blonder Mann war es und eine braunhaarige Frau. Luther konnte es kaum erkennen und dachte, er hätte es hier wieder mit seinen Wahnvorstellungen zu tun, doch Arina war in seiner Vorstellung immer blond. Sie hatte blonde Locken. Das Mädchen dort hatte braunes Haar, deswegen konnte es unmöglich eine Wahnvorstellung sein.


Erschrocken griff er Daniel bei der Hand, welcher ihn nur stirnrunzelnd ansah. „Was hast du, Liebster? Da sind Menschen, ja, aber..."


„Erkennst du sie nicht?" Luther holte Daniel näher an sich heran und flüsterte ihm zu: „Das ist Arina."


Prompt schüttelte Daniel den Kopf. „Unmöglich."


Luther schüttelte den Kopf. „Wer sagt das? Sie wurde nie gefunden."


„Lass meine Hand los", meinte Daniel etwas gereizt.


Luther sah ihm erschrocken in die Augen. „Was... aber..."


„Luther, da sind Fremde. Willst du es darauf anlegen, dass sie uns hängen?"


Schlagartig ließ Luther die Hand seines Geliebten los. Geplättet lehnte er sich etwas gegen sein Pferd.


Daniel reichte ihm die Zügel von seinem und schritt in die Mitte der Lichtung.


Das Mädchen auf der anderen Seite löste sich aus der Umarmung des Mannes und tat es ihm gleich.


Nun stand Arina ihm gegenüber. Dem Jungen aus ihrem Traum. Er war kleiner gewesen und ja, er hatte tausendmal erfreuter ausgeschaut. Doch er war es und er hieß Daniel. Doch wer war dieser Daniel? Und wieso hatte er die Hand des anderen gehalten? Waren die beiden verliebt? Waren sie zusammen? Aber sie waren Männer...


„Arina?", fragte der Junge vor ihr nach und Arina wurde aus ihren Gedanken gerissen.


Sie nickte. „Und du heißt Daniel, richtig?", fragte sie nach.


Der Junge namens Daniel schaute nach hinten zum anderen, der das Schauspiel der beiden argwöhnisch und neugierig beobachtete.


„Erkennst du mich nicht mehr, Schwesterherz?", fragte Daniel, nachdem er sich wieder zu ihr gedreht hatte.


Sie schüttelte den Kopf. „Ich sah dich einst in meinem Traum und gerade habe ich erfahren, dass du Daniel heißt, aber ich weiß nicht, wer du bist."


Daniel sah zu Boden. Wie konnte seine Schwester ihn nur vergessen haben?


Hoffnungsvoll reichte er ihr eine Hand. „Lass dich umarmen. Bitte. Auch wenn du nicht mehr weißt wer ich bin. Ich will dich einmal wieder spüren. Solange haben Luther und ich befürchtet, du seist tot."


„Luther? Ist das der andere?", fragte Arina nach. Daniel nickte stumm.


Sie ergriff die Hand ihres vermeintlichen Bruders und ließ sich von ihm umarmen. Sie erwiderte die Geste und schloss ihre Augen. An ihrem Kopf wurde es warm dabei. Die Wärme floss bis nach unten in ihre Haarspitzen. Daniel ließ sie erschrocken wieder los. Doch er lächelte und hatte eine Träne im Auge.


Jonathan konnte seinen Augen nicht trauen, als er sah wie bei der Umarmung mit dem Jungen die Haare seiner Geliebten blond wurden. Es fing oben an und zog sich bis zu den Haarspitzen herunter.


Ein schallendes Lachen schallte über die Lichtung. Es ließ auch die Pferde aufschrecken. Arina klammerte sich an Daniel und Luther an die Zügel der Pferde. Jonathan richtete seinen Blick nach oben.


Dann erklang eine Stimme, welche rief: „Da hast du es wieder, Prinzessin. Dein Gedächtnis."


Und wahrlich: Die Stimme der Frau, die Arina als Hexe kennengelernt hatte, hatte recht. Sie sah auf Luther, dann auf Daniel und umarmte ihren Bruder erneut. „Ich bin so froh, dich wieder zu haben", schluchzte sie.


Danach drehte sie sich zu Luther. Er stand immer noch einsam bei den Pferden.


Arina lächelte ihn an und ging auf ihn zu. Luther wusste nichts zu tun. Seine ehemalige Ehefrau gab ihrem Bruder die Zügel. Sie nahm sie Luther einfach aus der Hand. Dann umarmte sie auch Luther und ließ ihn nicht mehr los. „Ihr lebt noch! Ihr beide lebt noch!"


„Ja, das tun wir." Luther lächelte sie an.


Nun kam Jonathan auch zur anderen Seite der Lichtung und musterte alle. „Was hat das alles zu bedeuten?", fragte er etwas entrückt.


„Jonathan, das sind mein Bruder Daniel und mein Mann Luther. Luther? Daniel? Das ist mein... Jonathan."


„Ehemaliger Mann. Arina, wir sind nicht mehr verheiratet. Die Hochzeit wurde annulliert." Luther lächelte stolz, dann schlang er seinen Arm um Daniels Hüfte. Dieser errötete leicht.

 Arina sah den beiden lächelnd dabei zu. Es war schön zu wissen, dass sich bei ihnen nichts geändert hatte.


„Prinz Jonathan?", fragte Luther und verbeugte sich, nachdem er Daniel wieder los gelassen hatte. „Es ist mir eine Ehre, endlich von Euch Bekanntschaft zu machen. Mein Name ist König Luther. Ich bin der Herrscher des angrenzenden Königreiches."


„Mein Name ist Prinz Daniel. Mir gehört das Reich im Süden." Daniel lächelte Jonathan an, der mit allem noch nicht klar zu kommen schien.


„Und Ihr seid...?" Ungläubig zeigte er von Luther zu Daniel und wieder zurück.


„Staatsverbündete", antworteten beide im Chor und Arina kicherte.


Jonathan fand das Verhalten der beiden komisch, aber er sagte nichts, da Arina wieder glücklich war und er das Glück seiner Geliebten nicht zerstören wollte.


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Einen Monat später schon war es soweit. Jonathan machte sich fertig. Er sah sich im Spiegel an und merkte, wie er aufgeregter wurde. Gleich würde es endlich soweit sein. Gleich würde er die Richtige heiraten.


Arina war nicht minder aufgeregt. Schon damals bei ihrer ersten Hochzeit, der Hochzeit mit Luther, war sie es gewesen, doch nun war die Freude kaum auszuhalten. Sie drehte sich vor dem Spiegel und lachte freudig.


Daniel und Luther saßen in der Kapelle. Nebeneinander in der letzten Reihe. Das hatten sie so gewollt. Als Luther Daniels Hand ergriff, zog Daniel seine weg. Luther schaute traurig auf seinen Geliebten.


„Nicht hier", sagte dieser leise und achtete dabei auf die Leute vor ihnen.


Dann betrat die Braut den Saal. Jonathan stand vorne und richtete seinen Blick auf Arina. Seine Augen leuchteten und ein Lächeln umspielte seine Lippen.


Daniel und Luther schauten zu Arina, die elegant dahin schritt. Als sie an ihnen vorbei war, sagte Luther leise zu Daniel: „Du kannst gar nicht fassen, wie glücklich ich gerade bin. Endlich sitze ich da, wo ich richtig bin. Neben dir. Arina hat ihren Prinzen und ich habe meinen." Er lächelte Daniel an, der nun auch seinen Blick von seiner wunderschönen Schwester ab wand und Luther anschaute.


Auch seine Augen leuchteten. Er schlang seine Arme um Luthers Hals. Kurz sah er ihm tief in die Augen. Stirn an Stirn saßen die beiden nun. Dann tat er es. Er küsste ihn und Luther konnte sein Glück kaum fassen. Er erwiderte den Kuss und sah Daniel danach atemlos in seine grünblauen Augen.


„Ich liebe dich", flüsterte Daniel aufrichtig. „Seit ich dich sah, liebe ich dich und das wird sich nie ändern."


Diesmal ergriff Luther die Initiative und küsste Daniel. Er schloss seine Hände um sein Gesicht und rückte näher an ihn heran.


Als die Klänge der Orgel abklangen, schnellten beide errötet und aus der Puste auseinander, doch Luther griff nach Daniels Hand und dieser lehnte sich an seinen Geliebten. Dann schauten die beiden Arina dabei zu, wie sie ihren Prinzen Jonathan heiratete.


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Arina und Jonathan kümmerten sich nicht nur um ihr Königreich, nein, es wurde beschlossen, natürlich unter Luthers Aufsicht, dass sein Königreich mit dem von Jonathan, der ebenfalls nach einer Zeit König wurde, zusammengeschlossen wurde.


Luther und Daniel zogen in Daniels Königreich, wo sie lebten. Ihre Liebe hielten sie größtenteils geheim, doch sie machten sich daraus fast schon einen Spaß und hatten Freude daran, den Unwissenden vorzuspielen, sie seien Geschäftspartner.


Jonathan und Arina bekamen vier Kinder und Jonathan lebte endlich glücklich sein Leben als König. Er wurde nie wieder in den Krieg geschickt und sorgte dafür, dass sich sein Land nie wieder in einen verwickelte.


Daniels Eltern erfuhren nach einer Zeit von der Liebe von Luther und Daniel. Sie lachten herzhaft, als Daniel anfing, verlegen nach unten zu gucken, nachdem es ihm herausgerutscht war. Seine Eltern sagten ihm, sie hätten es schon längst gewusst. Es ihm nur nicht gesagt, da sie ihn nicht in Verlegenheit bringen wollten.


Arina bekam ihren Prinzen, wurde liebevolle Mutter und verantwortungsbewusste Königin.
Luther und Daniel konnten zusammen sein und diesmal wirklich für immer.


Und die vermeintliche Hexe hatte ihren Auftrag erfüllt. Sie stand auf der Lichtung, bereitete alles für ihre Abreise vor und breitete ihre Flügel aus. Aus ihren edlen Kleidern entwuchs ein schlichtes Weißes und sie kicherte mädchenhaft, als sie sich empor schwang.


Es ist alles eben nie so, wie man denkt...

Das ist das Ende, Daniel und ich hoffe sehr, dass es dir gefällt. Als du heute unter Tränen nach Hause kamst, hatte ich das Gefühl, dass ich dir endlich das glückliche Ende unser „wahren" Geschichte, so wie du sie immer nennst, eröffnen muss.

Ich liebe dich nicht nur in der Geschichte, mein Liebling.

Ich werde dich immer lieben, vergiss das nie.

Dein dich über alles liebender (und deswegen manchmal liebeskranker und eifersüchtiger) Luther Bride

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