3.3

Am Abend nach dem Essen ging ich wieder in mein Zimmer. Ich hatte mir beim Abendbrot anhören müssen, wie schön es draußen gewesen war. Arina plapperte begeistert, während Luther mich versuchte mit seinen Blicken auszuziehen, doch ich hörte das erste Mal seit ein paar Tagen meiner Schwester bei ihren ausführlichen Erzählungen zu und ignorierte ihn.

Angekommen in meinem Zimmer machte ich mich daran, mich umzuziehen. Natürlich schloss ich davor die Tür ab, um zu verhindern, dass Luther hereinplatzte.

Nach einer Zeit, ich war fertig umgezogen, klopfte es.

„Wer ist da?", rief ich und machte keine Anstalten die Tür zu öffnen.

„Die Putzfrau", sagte Luther mit gespielt hoher Frauenstimme.

Ich rollte mit den Augen. „Ach wirklich? Um halb zehn Uhr abends? Merkwürdig..."

„Bitte lassen Sie mich herein."

Glaubte er wirklich, dass ich auf seinen Trick herein fiel?

„Luther, ich weiß, dass du es bist", seufzte ich entnervt und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Gut, dann kannst du mich ja herein lassen. Wenn du das nämlich nicht tust, komm ich selbst rein."

„Versuche es doch." Ich drehte mich zur Tür und sah der Türklinke amüsiert zu, wie sie herauf und herunter sprang. Die Tür jedoch blieb geschlossen. Ich lachte leise.

„Du hast abgeschlossen?"

„Ja."

„Wieso?"

„Schau in den Spiegel, dann weißt du es", pampte ich. Hatte er denn meine Worte von vor 24 Stunden vergessen, als ich ihm sagte, dass ich uns nur noch eine Nacht gab?

„Daniel, das ist lächerlich. Wieso solltest du wegen mir abschließen?" Er versuchte, seine Nervosität zu verstecken.

„Das kannst du dir selbst beantworten", meinte ich schnippisch.

Ich hörte ein leichtes Seufzen. Nun stand ich nahe an der Tür. Ich wollte nicht so schreien, schließlich war Arina nur zwei Zimmer weiter.

„Bitte mach die Tür auf. Ich verspreche dir auch, nichts Unanständiges zu machen."

„Als ob", lachte ich bitter zurück.

„Komm schon, Daniel! Vertraue mir. Ich will nur mit dir reden", jammerte er etwas leiser und verhalten.

Kurz überlegte ich, ob es eine gute Idee war. Nein, war es nicht, aber irgendwie konnte ich nicht anders, als den Schlüssel im Schloss umzudrehen und die Klinke herunterzudrücken.

Luthers Hemd war halb aufgeknöpft. Schnell blickte ich in seine Augen, um keine Ideen zu bekommen. Er grinste mich an und mal wieder lehnte er lässig im Türrahmen. „Guten Abend, Daniel."

„Hallo", nuschelte ich nur. „Was war jetzt so wichtig?"

„Das hier", brachte er noch heraus, bevor er sich zu mir beugte, an meine Taille fasste und mich stürmisch küsste.

Hilflos versuchte ich mich zu befreien, doch da stolperte er schon mit mir ins Zimmer rein, donnerte meine Tür hinter uns zu und drehte den Schlüssel im Schloss um.

Kurz ließ er von mir ab.

„Arina ist zwei Zimmer weiter!", schnauzte ich flüsternd.

„Und deswegen müssen wir leise sein." Luther legte mich aufs Bett und krabbelte auf mich.

„Oder wir lassen es einfach. Was hältst du davon?", lachte ich nervös.

„Lass mich überlegen... Nein."

„Luther Bride, du fremdgehender Mistkerl! Ich mache da nicht mit!", versuchte ich mich zu wehren.

Seine Hände strichen langsam an meinen Seiten auf und ab.

„Nein, das kannst du vergessen!" Meine Stimme wurde wehrloser. Aber ich durfte jetzt nicht aufgeben! Ich konnte nicht schon wieder zulassen, dass der Freund meiner Schwester fremdgeht. Und zwar mit mir.

„Nur noch eine Nacht und dann lass ich dich in Ruhe", hauchte er auf meine Lippen.

„Vergiss es!"

„Bitte?" Er sah mir treu und gutherzig in die Augen.

„Nein, geh runter von mir."

Doch mein Vorhaben klappte nicht und an einem gewissen Punkt hatte ich nicht einmal mehr die Kraft, irgendetwas gegen ihn zu sagen. Anfangs beschimpfte ich ihn noch, doch Luther lachte nur darüber.

„Das hier ist die letzte Nacht und dann machen wir das nie wieder", sagte ich nur noch atemlos, bevor mir alles egal war.

Arina saß sorgenfrei am Frühstückstisch und erzählte munter, was sie letzte Nacht geträumt hatte. Als der Traum darin ausuferte, dass Luther und sie verheiratet waren und Kinder hatten, da verschluckte sich mein Gegenüber und trank einen großen Schluck Tee, um diesen Wunsch zu verdauen.

Gestern hatte ich ihn noch gefragt, was er eigentlich Arina gesagt hatte, als sie ihn gefragt hatte, wieso er nicht hatte mit ihr schlafen können. Er hatte gemeint, die beiden hätten noch nicht über dieses Thema gesprochen.

Luthers Eltern waren äußerst selten zu Hause und ich hatte sie bis jetzt erst zweimal gesehen. Da Luthers Vater Arzt war, war er immer unterwegs. Seine Frau vertrieb sich die Zeit mit anderen Dingen. Ging aus und besuchte Freundinnen. Manchmal half sie in der Praxis mit, um ihrem Leben ein wenig Sinn zu verleihen. Beide fanden es reizend, dass Luther endlich eine Freundin gefunden hatte und auch mich begrüßten sie herzlich. Sicherlich hätten sie dies nicht getan, wenn sie wüssten, bei wem Luther abends zuvor im Bett gelegen hatte.

Es wunderte mich nicht, als Luther mich abends, nachdem Arina zu Bett gegangen war, mit in sein Zimmer zog und die Tür abschloss. Doch was mich wunderte, war das, was darauf folgte.

„Daniel, wollen wir einen kleinen Ausflug machen?" Er grinste mich an und hielt mich mit beiden Händen an meiner Taille. Ich hatte meine Hände an seinen Schultern plaziert.

„Bitte was?" Ich lachte. Das meinte er doch wohl nicht ernst, oder? Wie wollten den zwei Männer einen Ausflug miteinander machen, wenn sie viel mehr waren als Freunde? Was war, wenn uns jemand sah?

„Einen Ausflug. Ich weiß auch schon wohin wir gehen. Lass dich einfach überraschen."

Ja, ich hatte gesagt, das hier sollte enden. Ich hatte gesagt, ich musste weg. Doch es war dann doch so, dass man sich nicht dagegen wehren konnte, wenn man verliebt war. Und wenn diese Person die Liebe erwiderte, war das einfach so schön, dass man es kaum glauben konnte. Und da war es einem egal, welches Geschlecht man selbst und welches die besagte Person hatte. Man folgte ihr bis ans Ende der Welt. So war es nun mal.

Luther nahm mich bei der Hand und gemeinsam gingen wir durch das leere Haus. Ich grinste vor mich hin, als wir draußen ankamen und das Tor durchquerten. Wir gingen eine Weile nach rechts, bis wir an einen Park kamen. Er war leer. Keine Menschenseele war in Sicht.

„Wie im Märchen", nuschelte ich fasziniert.

„Was ist wie im Märchen?", fragte Luther amüsiert und steuerte mit mir auf eine Bank zu, auf welcher wir Platz nahmen.

„Na, das hier niemand ist."

„Und Märchen, weil...?" Luther schien es nicht zu kapieren.

Ich rollte mit den Augen. „Weil es schön ist, du Ochse!"

Er lachte. „Das freut mich, Liebster." Seine Stimme klang so atemberaubend und wunderbar, wenn er dieses Wort flüsterte, dass mir ein Schauer den Rücken hinab lief.

Eine Weile saßen wir da. Luther strich mir über den Arm, wuschelte mir durch die blonden Locken, küsste meine Stirn, ich sah ihn an und dann kuschelte ich mich enger an ihn.

Ich setzte mich auf seinen Schoß, schloss die Augen und versank in unseren Küssen. Es war so wunderschön hier bei ihm zu sein. Auch wenn es verboten war und ich ein Mistkerl war, weil ich meiner Schwester ihren Freund weg nahm. Es war zu spät. Ich konnte die Zuneigung zu Luther nicht mehr verhindern. Und ihn verlassen sowieso nicht.

Morgens wachte ich auf. Allein. Mein Bett war leer und ich grinste die Welt zunichte. Ich reckte und streckte mich. Ich fühlte mich gut. Endlich hatte ich damit Frieden geschlossen, Luther zu lieben. Endlich hatte ich damit abgeschlossen, dass es falsch war, obwohl es das schon irgendwie war, da ja eigentlich Arina Luthers offizielle Freundin war.

So stand ich fröhlich auf, wusch mich, zog mich an und hopste förmlich aus meinem Zimmer. Ich wollte gerade die Treppe herunter schweben, da hörte ich jemand von hinten rufen.

„Daniel!" Ich drehte mich geschockt zu Luther. Er schien verzweifelt und aufgelöst.

„Was ist los? Ist alles in Ordnung?"

„Nein, nichts ist in Ordnung!", seufzte er. Da bemerkte ich, dass er einen Zettel in der Hand hielt. „Hier." Er gab ihn mir. Es war ein Brief.

„Von Arina? Aber wieso...?"

„Lies doch einfach!", schimpfte er und deutete auf das Blatt Papier. Ich zuckte zusammen. War Luther wütend auf mich oder wegen des Briefes?

So nickte ich und überflog die Zeilen. Luther musste mich festhalten, als ich nahe daran war, zusammenzuklappen.

„Nein", wimmerte ich nur und Tränen fingen an, mein Gesicht zu bedecken. „Wo hast du den her?", fragte ich Luther, der mich umarmte, als ich auf dem Boden saß.

„Der lag in ihrem Zimmer auf ihrem Kopfkissen. Ich wollte sie wecken, aber da war sie schon weg." Seine Stimme war zart und zerbrechlich.

„Sie weiß es", schluchzte ich nur. „Sie ist uns in den Park gefolgt und sie weiß es! Wie konnten wir das nicht bemerken? Wie konnten wir nur..." Ich war so wütend. Auf mich, auf Luther, darauf dass wir so blöd gewesen waren und nachts zusammen das Haus verlassen hatten. Ich hatte meiner Schwester das Leben versaut und das war so ziemlich das Schlimmste, was mir jemals in meinem Leben passiert war.

„Daniel, ganz ruhig. Ich... ich weiß das ist schlimm. Ich kann es auch nicht glauben, aber..."

„Aber was? Meine Schwester ist jetzt irgendwo da draußen und weiß, dass wir uns lieben. Sie könnte es jedem sagen und dann töten sie uns oder foltern uns oder...", krächzte ich verzweifelt und klammerte mich an Luther.

„Sie hat doch geschrieben, dass sie das nicht tun wird! Sie hat doch geschrieben, dass sie uns beide zu sehr liebt, um das zu tun."

„Das ist doch egal, denn im gleichen Satz schreibt sie, dass sie uns verachtet! Sie ist weg. Meine Schwester ist weg und das ist unsere Schuld."

Ich schluchzte nun endgültig los und Luther hielt mich fest.

Er trug mich in mein Zimmer, schloss die Tür und legte sich mit mir aufs Bett. Beruhigend strich er über mein Haar.

„Hast du sie nicht doch irgendwo im Haus gesehen?"

„Nein, ich habe alles abgesucht und wollte gerade zu dir, da kamst du aus deinem Zimmer. Sie ist weg. Ich habe überall nachgesehen."

„Und ihre Sachen?"

„Sind auch verschwunden. Alles. Nur der Brief lag auf ihrem Kissen."

Ich vergrub mein Gesicht in den Kissen. „Alles ist meine Schuld", murmelte ich noch, bevor meine Worte mir im Halse stecken blieben und ich weiter schluchzte.

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