1.2

Das Gepolter kam näher und ich schreckte hoch. Derjenige, der herein gekommen war, hatte Schuhe an, die auf dem Holzfußboden vor Nässe quietschten. Doch da ich viel zu viel Angst hatte, das Gepolter käme von einem bewaffneten Dieb, wagte ich es nicht, mich umzudrehen. Stattdessen beugte ich mich über das Buch, welches unbeachtet vor mir lag und tat so, als würde ich interessiert darin lesen.

„Kann ich noch ein Zimmer mieten? Auch wenn es spät ist?", hörte ich eine Stimme fragen. Sie klang harsch und auf irgendeine Weise gleichzeitig verzweifelt. Der Fremde hustete und ich sah ihn zwar nicht, konnte mir aber denken, dass sein Mantel pitschnass war. So wie seine Schuhe.

Ich schaute dennoch nicht hoch. Der Fremde lehnte einige Meter von mir entfernt an der Bar.

„Es ist wirklich spät, Sir. Morgen hätten wir eins", antwortete ihm der Wirt, der hinter der Theke Gläser abwusch.

„Es ist wirklich dringend. Ich muss... also es ist... kann ich nicht irgend eins mieten? Es muss auch nicht schön sein."

Der Wirt lachte und ich starrte verwirrt auf ein Bild der Jungfrau Maria. Ich wollte hier weg. Wer auch immer er war, ich wollte das er weg ging oder dass ich die Chance dazu hatte ohne dass er mich bemerkte.

Seine Aura war unangenehm und trist, gleichzeitig aufwühlend.

„Schön ist hier auch kein Kriterium. Wir haben Zimmer. Da unterscheiden wir zwischen schön und nicht schön nicht ganz. Ich weiß nicht, wo Sie herkommen, aber wenn Sie nach schönen Zimmern suchen, müssen sie eine andere Herberge aufsuchen."

„Ich sagte doch bereits, dass es nicht schön sein muss. Ich habe keine Ansprüche. Ich brauche nur ein Zimmer, in dem ich die Nacht verbringen kann. Verstehen Sie?" Er grummelte und schien genervt. Ich musste grinsen, denn ich hatte ja ein Zimmer. Arina und ich hatten es zu zweit gemietet für die Jahre, die wir hier studierten. Diese Zeit würde demnächst vorbei sein. Nur noch ein paar Wochen, dann müsste ich mir einen Job suchen. Schon bei dem Gedanken bekam ich Bauchschmerzen.

Immer noch nicht hatte ich hoch geguckt. Ich traute mich nicht. Ich wollte nicht, dass er mich wahrnahm.

Ich blätterte eine Seite um und versuchte mich zu entspannen. „Daniel, du bist wirklich komisch..."

Das hatten sie oft gesagt. Fast jeder, den ich kannte, hatte mich als komisch bezeichnet. Und dieser Gedanke half mir gerade nicht dabei, über die Nervosität hinweg zu kommen, die meinen Körper zurzeit leider befiel.

„Ich könnte Ihnen die Couch im Gang anbieten. Würde das reichen?", hörte ich wieder die Stimme des Wirts. Er stellte einige saubere Gläser hinter der Theke in ein Regal. Kurz schielte ich nach oben und sah ihm dabei zu. Schnell wandte ich mich jedoch wieder meinem Buch zu. Jetzt war ich bei dem Kapitel der Romanik.

„Das würde mir reichen. Wie viel kostet es?"

„Nichts. Das ist nur eine Couch. Und wenn Sie jetzt etwas trinken, bleibt es auch bei dem unschlagbarem Angebot." Ich hörte das Lachen des Wirtes.

Der Herr neben mir seufzte. „Dann werde ich wohl etwas trinken. Haben Sie Whisky im Haus?"

„Nur Scotch, um es genau zu sagen. Der Whisky ist heute leider weg gesoffen worden. Vielleicht wissen Sie ja, dass das hier eine Studentenstadt ist... Diese Jugend. Nur am Trinken und Vögeln." Wieder lachte er.

„Ja, man sieht den Verfall auch in der Literatur...", stimmte der Fremde in arroganter Stimmlage zu. Ich biss mir eingeschnappt auf die Unterlippe.

Das konnte er nicht ernst meinen, oder? Es war doch nicht jeder so! Ich zum Beispiel war kein bisschen so. ich meinte, ich lernte in einer Bar! Das war doch nicht normal!

Zu gerne hätte ich ihm das unter die Nase gerieben, doch ich traute mich nicht. Immer noch machte er mir Angst. Schon wenn ich seine Stimme hörte, lief mir ein unangenehmer Schauer den Rücken hinab.

„Dann einen Scotch? Pur oder..."

„Pur. Ich trinke ihn immer pur." Der Herr setzte sich auf einen Platz, der nicht weit entfernt von meinem war. Auch am Tresen der Bar.

Endlich schaute ich hoch und sah ihn mir genauer an.

Er trug einen Mantel. Fein, vielleicht ein Designerstück? Seine Handschuhe streifte er sich ab und dann kratzte er sich am Haaransatz. Seine Haare waren braun und halblang, er schien sie sehr zu pflegen.

Er achtete nicht auf mich. Ich wurde mutiger und blickte ihn direkter an.

„Wie ist Ihr Name, wenn ich fragen darf?" Der Wirt stellte das bestellte Getränk vor den Mann.

„Luther Bride", antwortete der Herr und grinste.

Der Wirt nickte wissend. „Verstehe. Der Sohn des Herrn Doktors."

Luther lächelte matt. „Ja."

„Ebenfalls Mediziner?", fragte der Wirt und machte sich daran, weitere Gläser zu ordnen und abzuwaschen.

„Nein, Schriftsteller und Philosoph." Wieder diese arrogante Stimmlage. Er war mir unsympathisch.

Ich zog meine Stirn in Falten und schaute wieder zurück auf mein Buch.

„Was verschlägt es Sie in diese Stadt?"

„Ich werde morgen meine ehemalige Universität besuchen. Hatte einen langen Weg hierher und dann fing es an zu stürmen. Deswegen wollte ich nur schnell hier herein." Er lachte leise vor sich hin und nippte an seinem Glas.

Auch ich nahm meins und trank den letzten Schluck Wasser heraus. Ich hatte keinen Alkohol getrunken. Immerhin würde ich morgen meine Abschlussprüfung schreiben.

Langsam klappte ich mein Buch zu und rekelte mich vom unbequemen Barhocker.

Mein Buch drückte ich an meine Brust, als ich in Richtung der Treppe verschwinden wollte. Endlich nach oben gehen zu meiner Schwester. Ich wollte gerade die Tür zum hinteren, privateren Teil des Lokals öffnen, da fragte mich der Wirt: „Daniel?"

Ich drehte mich um und sah, dass sogleich zwei Augenpaare auf mir lagen. Das des Wirts und das dieses arroganten Luther Brides.

Ich wurde nervös und meine Handflächen schwitzten.

„Könntest du Arina sagen, dass die Rechnungen morgen fällig werden?"

„Ich fürchte, sie schläft schon, Sir."

Er grinste. „Es reicht, wenn sie morgen bezahlt. Du brauchst sie nicht wecken. Studenten..." Er lachte und ich runzelte die Stirn.

Was meinte er jetzt damit?

Ich wusste nicht, was mich dazu trieb, jedoch trat ich einen Schritt näher an den Tresen. Mein Buch immer noch schützend an meine Brust geschweißt.

„Was soll das heißen?", fragte ich aufgebracht.

„Du hast mal wieder den Kopf voll, oder Kleiner?", entgegnete er grinsend.

„Wieso sollte ich?", erwiderte ich unerklärlicher Weise.

Luther zog eine Augenbraue hoch, als er mich und den Wirt sprechen sah und er schien wohl zu merken, dass ich sauer war. Doch auf seinem Gesicht regte sich nichts weiter, als seine Mundwinkel, die er langsam nach oben zog. Er amüsierte sich wohl prächtig.

„Weil du immer so verplant bist. Ganz anders als Arina."

„Na und?"

Der Wirt, den ich bis heute eigentlich sympathisch fand, zuckte mit den Schultern. „Das ist eben so. Du bist anders."

Ich schnaubte. Ich wusste nicht wieso, aber dieser Ausdruck mache mich fertig. Ich war genervt, gestresst von meiner morgigen Prüfung, von diesem Luther, der mich mit seinem Geschwätz vom Lernen abhielt und von einfach allem. „Klar doch. Bilde es dir ein! Ist mir scheßegal. Ich gehe jetzt schlafen!"

Missmutig stampfte ich die Treppe nach oben. Ich wollte nur noch zu meiner Schwester, mich an sie kuscheln und nie wieder aufwachen. Wenn ich noch einmal hörte, dass ich „anders" oder „komisch" war, war ich mit meiner Geduld am Ende!

Der nächste Morgen begann bei mir damit, dass ich aus dem Bett fiel, da ich einen Alptraum gehabt hatte. Das war merkwürdig. Die ganze Nacht hatte ich nur schöne Sachen geträumt und jetzt dieser Alptraum der mich aus meinem weichen Bett fallen ließ.

Der Tag konnte nicht beschissener anfangen. Schnell machte ich mich fertig und ging herunter in den Vorraum des Lokals. An einem der Tische saß schon meine Schwester mit einer Zeitung in der Hand, welche sie las. Ich lächelte bei ihrem Anblick. Es war noch sehr früh, doch ich hatte nicht mehr schlafen können und Arina schlief sowieso nicht sehr lange. Das hatte sie noch nie gekonnt.

„Daniel, mein Schatz! Setz dich zu mir!", rief sie mir durch den Raum zu und ich ging freudig schnell, um mich auf den Stuhl, der ihrem gegenüber stand, fallen zu lassen.

„Wir haben Brot, Käse, Wurst und Butter. Ein Festmahl, nicht wahr, Brüderchen?" Sie grinste und schlug die Seite der Zeitung um.

Ich nickte und griff nach der mageren Auswahl, an die ich mich jedoch im Laufe der Zeit gewöhnt hatte.

Ich dachte während des Essens an den Wirt und an diesen Luther. Ich dachte daran, wie sie mich angesehen hatten. Wie sie mich abgewertet hatten, nur weil ich etwas jünger war. Das war nicht fair und brachte mich dazu, mein Brot hinunter zu schlingen. Ich hasste es wie ein Kind behandelt zu werden nur weil ich etwas jünger aussah, als ich tatsächlich war und durch meine blonden Locken „unschuldig" und „niedlich" schien. Arina hatte auch blonde Locken und sie behandelte merkwürdigerweise keiner wie ein Kind. Ja, sie war eine Frau und nicht so angesehen wie Männer, aber ehrlich gesagt, hatte ich noch nie eine Situation erlebt, in der jemand Arina abgestuft und ausgelacht hatte.

Als ich aufgegessen hatte, stand ich auf. „Ich hole noch kurz meine Sachen und dann renne ich zum Campus, in Ordnung?", machte ich Arina klar.

Sie nickte. „Ich räume ab und warte auf dich."

Schnell lief ich nach oben und griff mir meine Tasche und meine Utensilien. Mein Buch ließ ich auf meinem Nachttisch liegen. Dann sah ich mich im Spiegel an. Ausgeschlafen konnte man das hier nicht nennen, aber ich sah wenigstens nicht wie ein Gespenst aus... Ich kämmte meine Haare leicht, entfernte einige Knoten und legte den Kamm wieder zu Arinas Sachen.

Wieder ratterte ich die Treppe herunter und nuschelte dabei sämtliche künstlerische Epochen herunter. Ich hatte Spaß daran, doch heute besiegte leider die Angst meine Freude an der Kunst. Die Prüfung war tief in meinem Kopf eingebrannt und fraß sich wie ein Parasit durch mein Gehirn. Ich bekam Kopfschmerzen. Vielleicht auch durch den Schlafmangel.

Endlich hatte ich die letzte Treppenstufe erreicht. Ich schlenderte in den Vorraum des leeren Lokals, nachdem ich die Tür aufgemacht hatte. Dort erblickte ich Arina. Ich wollte gerade zu ihr gehen, da sah ich, dass jemand auf meinem Platz gegenüber von ihr saß. Luther Bride.

Arina sah ihn an und hörte ihm zu. Er schien etwas Spannendes zu erzählen. Die Sachen waren bereits abgeräumt und ich wäre fast dort hin zu ihnen gegangen, aber ich tat es nicht. Ich konnte nicht glauben, was ich da sah. Ich konnte nicht glauben, dass dieser Besserwisser meiner Schwester den Hof machte. Also, jedenfalls sah es so aus...

Leider erblickte mich meine Schwester nach einer Zeit. „Daniel? Komm mal her. Ich möchte dir jemanden vorstellen."

Sie strahlte förmlich. Wenn sie es wagte, sich in diesen Mistkerl zu verlieben, müsste ich sie wohl oder übel einer Gehirnwäsche unterziehen. Arina hatte nämlich diese reizende Eigenschaft, herumzurennen und jedem Mann, der nett genug zu ihr war und ihrem ewigen Geplapper zuhörte, ihr Herz zu schenken. Ich schätzte meine Schwester sehr, aber wenn ich die Wahl hätte, eine Eigenschaft an ihr zu ändern, wäre es diese.

Ich schlich missmutig und einer Miene wie nach sieben tagen Regenwetter mit den Händen in meinen Hosentaschen zum Tisch.

„Luther, das ist mein jüngerer Bruder Daniel." Arina deutete stolz auf mich.

Luther sah von ihr zu mir und lächelte mich freundlich an. „Habe die Ehre. Obwohl wir uns ja schon ein wenig kennen."

„Würde ich nicht sagen", nuschelte ich und vermied jeglichen Augenkontakt mit ihm.

„Was?" Arina schien freudig überrascht.

„Ich habe ihn gestern in der Bar getroffen. Er hat gelesen." Luther lachte heiser und schaute wieder hoch zu mir.

Sein weißes Hemd war halb auf geknöpft und zerknittert. Er hatte wohl da drin geschlafen. Ich biss mir auf meine Unterlippe. „Wie auch immer. Kann ich gehen?", meinte ich trotzig und zog beim Anblick von Arinas jetzt bereits schon verliebten Gesichtsausdruck eine Augenbraue hoch.

„Nur zu. Ich muss jetzt zur Arbeit, Bruderherz", kicherte sie heiter. Das gefiel mir alles gar nicht...

„Du musst jetzt auch zur Universität, richtig?", fragte mich dieser Luther, den ich langsam schlimmer und schlimmer fand.

Ich nickte ohne meinen Blick von Arina abzuwenden.

„Da muss ich auch hin. Könntest du mich begleiten? Oder ich begleite dich? Weil... also ich war lange nicht mehr hier. Ich bin mir nicht ganz sicher, was den Weg angeht...", stotterte er nervös. Wo war nur seine Arroganz plötzlich hin?

Ich runzelte die Stirn und nickte aus Höflichkeit. Das fand ich irgendwie komisch. Wenn man hier studiert hatte, n dieser Stadt und das ja offensichtlich länger als ein paar Monate, musste man sich doch auskennen und somit auch wissen, welchen Weg man zur Universität gehen musste, oder? Dieser Luther Bride war komisch.

Komisch? Das hieß ja dann, dass er so wie ich war.

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