I.
Von allen Lichtern, die er je gesammelt hatte, zählten die Nordlichter zu den schönsten. Als Jaro die Pipette in den Himmel tauchte und die schimmernden Lichttropfen darin aufsog, musste er zugeben, dass er selten so einen magischen Schein gesehen hatte - und er war auf vielen Planeten unterwegs gewesen. Das leuchtende Grün vermischte sich mit hellen Fäden zu einem Strudel aus magischer Faszination, bei dem ihm, trotz der eisigen Kälte Finnlands, der Mund vor Staunen offenstand.
„Was tust du da?"
Eine neugierige Stimme ließ ihn zusammenfahren. Die noch halbvolle Pipette mit dem gesammelten Licht fiel ihm aus den Fingern, als er sich ertappt umdrehte.
Dort stand ein Mensch.
Genauer gesagt, ein Menschenkind.
„Ich ..." Jaro betrachtete die grünen Tropfen, die in den Schnee sickerten und ihn kurz glühen ließen, als hätte jemand den Himmel auf die Erde gelegt. Es dauerte einen Moment, bis er seine Worte zwischen der Verwirrung fand, die sich in seinem Kopf ausgebreitet hatte. „Du kannst mich sehen?"
Er sah das Menschenkind mit großen Augen an – sie blickte mit genauso großen Augen zurück.
Vor ihm stand ein Mädchen. Er schätzte sie auf etwa sieben Erdenjahre. Braune Zöpfe ragten unter ihrer roten Wollmütze hervor, die mit ihrem blauen Mantel in Kontrast stand. Der Schnee knirschte unter ihren Stiefeln, als sie sich bückte und die Pipette aufhob. Sie streckte sie Jaro hilfsbereit entgegen. „Natürlich sehe ich dich. Bist du ein Ronvontulet?"
Jaro blinzelte. „Ein was?"
„Ein Ronvontulet. Einer der Feuerfüchse aus den Legenden ... Bloß bist du in Menschengestalt." Das Menschenkind lächelte schüchtern und deutete mit der freien Hand auf die Nordlichter. „Die finnische Legende besagt, dass Feuerfüchse so schnell über den Himmel rennen können, dass ihre großen, pelzigen Schwänze die Berge streifen. Dabei erzeugen sie sprühende Funken, die den Himmel erhellen. Wie jetzt."
Eine von Jaros Augenbraue wanderte nach oben, wie eine umgekippte Mondsichel, die am Himmel aufstieg. Er musterte erst die Nordlichter, dann das Mädchen. Jaro war nicht vertraut mit Legenden von anderen Planeten. Aber sie schien sich sehr sicher zu sein.
Das könnte auch sein Vorteil sein ...
Er hockte sich in den Schnee, sodass sie auf Augenhöhe waren. Das Menschenkind zuckte nicht zurück, im Gegenteil. Ihr Blick war mit etwas gefüllt, das er lange nicht mehr gesehen hatte: Faszination.
Auf seltsame Weise faszinierte diese Faszination ihn.
„Weißt du was? Ja, ich bin ein Feuerfuchs", erwiderte er. Wenn sie ihm glauben würde, musste er den wahren Grund seiner Mission nicht erzählen. Sie würde morgen aufwachen und denken, dass die Legenden wahr seien, oder dass sie geträumt hätte. Er könnte sorglos zurück auf seinen Planeten verschwinden, ohne ihre Faszination zu zerstören.
Das Mädchen zog staunend Luft ein. „Du bringst Licht in unsere Welt!"
Ein Satz – ein unbeabsichtigter Stich mitten in sein Herz.
Nein, er brachte kein Licht.
Er stahl Licht.
Oder anders gesagt: Er sammelte Licht. Jaro brauchte es für seinen Planeten. Es war kein wirkliches Stehlen ... es waren hilflose Versuche, seine Welt zu retten.
Wenn er nur das richtige Licht finden würde ...
„Ja ... ich bringe Licht", sagte er zögerlich und redete sich ein, dass das stimmte. Immerhin brachte er die gestohlenen Lichtproben auf seinen Planeten. "Und nun muss ich gehen."
Mit diesen Worten griff er nach der Pipette in der Hand des Mädchens. Das Glas war eiskalt und das Nordlicht glühend warm. Die Kombination betäubte seine Finger. Doch das Kribbeln war eine willkommene Ablenkung zur inneren Zerrissenheit, die sich in ihm ausbreitete, als er aufstand und ging.
Das Mädchen konnte ihn sehen.
Warum?
"Feuerfuchs, warte!", rief sie und er hörte das Knirschen von eiligen Schritten im Schnee hinter sich. "Wohin gehst du?"
"Nach Hause!", rief er zurück und wünschte sich, einfach losrennen zu können wie ein echter Feuerfuchs aus der Legende. Vielleicht würde er auch Funken sprühen. Dann hätte er endlich ein neues Licht, um seinen Planeten zu retten.
So musste er sich mit dem leuchtenden Nordlicht in seiner Pipette und der verblassenden Hoffnung begnügen.
"Kann ich mitkommen?"
Wie vom Eiszapfen getroffen, blieb Jaro stehen.
Doch bevor er antworten konnte, zerriss ein Ton die Nacht. Er war tief und grollend wie ein gähnender Donnerschlag. Er dröhnte so laut, dass die ganze Galaxie erzitterte.
Jaro hatte den Ton schon oft gehört. Trotzdem zuckte er zusammen und seine Gesichtszüge entgleisten. Denn er wusste, was das bedeutete:
Das schwarze Loch war aufgewacht.
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