31. Umdenken?

Jax' Stimme war plötzlich sanft und leise und seine Worte nahmen Elli augenblicklich den Wind aus den Segeln.
„Vor wem?" Auch Elli sprach nun leiser, fast schon flüsternd.
„Vertraust du mir?"
Jax kam noch einen Schritt näher, so nah, dass Elli die Luft wegblieb und sie nicht antworten konnte. Seine Hand legte sich sachte auf ihre Wange und wie gebannt sah sie ihm in die Augen, während er sich das letzte Stückchen zu ihr hinabbeugte.
Es war nur eine Sekunde und doch durchfuhr es Elli wie ein Stromschlag. Jax' Lippen auf ihren, dieser kurze, fast unschuldige Kuss, rief nicht nur Erinnerungen wach, sondern auch vermeintlich weggesperrte Gefühle.

„Vertraust du mir?", wollte Jax erneut wissen, zog sich dabei kaum mehr als zwei Zentimeter zurück.
„Ja", antwortete sie wahrheitsgemäß. Sie vertraute vielleicht dem Club nicht mehr, aber sie vertraute Jax. Immer noch.
Sie sah das leichte Grinsen, bevor er sie noch einmal küsste. Wieder nur kurz, viel zu kurz für ihren Geschmack, dann zog er sie in seine Arme.
„Ich muss los und hab heute Abend nen Auftrag. Soll ich danach noch vorbeikommen?"
„Wenn du mir sagst, was das zwischen uns ist", entgegnete Elli.
„Etwas kompliziertes", antwortete er, bevor er ihr einen Kuss auf den Scheitel gab. „Aber ich kümmer mich darum."


Mit einem Glas Wein saß Elli auf ihrem Sofa.
Mister Marsh hatte sich gemeldet, er hatte ein Treffen mit Silverman und seinem Rechtsbeistand ausgemacht.
Am Freitag um elf Uhr in der Kanzlei von Mister Marsh.
Außerdem hatte er sie über den Inhalt des Videos und seine Strategie aufgeklärt.
Er war zuversichtlich und glaubte, Elli könnte aufatmen.
Bei ihr hielt die gute Laune deswegen jedoch nur kurz vor. Ihre Gedanken galten gerade anderen Dingen. Allen voran Jax.

Er hatte ihr nicht gesagt vor was oder wem er sie beschützen wollte, und hatte ihr auch nicht erklärt, was so kompliziert war. Sie hatte es ihm durchgehen lassen, hatte sich einlullen lassen von seiner Nähe und seinen Küssen. Aber auf was genau ließ sie sich da ein? Um was würde er sich kümmern?
Sie hatte sich vorgenommen Charming zu verlassen, entweder direkt nach Lodi in den Knast oder irgendwohin, wo niemand wusste, wer sie war und wie ihre Praxis dargestellt wurde.
In Charming gab es keine Zukunft mehr für sie, so oder so.
Was aber, wenn es hier doch noch mehr für sie gab, als sie gedacht hatte?
Könnte es sein, dass es für sie und Jax noch eine Chance gab?
Würde sie das wirklich wollen und könnte über alles hinwegsehen?
Ganz egal, was sie noch immer für Jax empfand, sie musste wissen, was Sache war, warum Jax sich wirklich getrennt hatte und was ihn daran hindern sollte, es wieder zu tun.


Gemma stand vor der Haustüre und wedelte mit der Zeitung herum.
„Was ist denn das für eine Anzeige? Und warum ist die Praxis geschlossen?"
„Dir auch einen schönen guten Abend, Gemma", erwiderte Elli.
„Hallo", meinte Gemma mit einem schiefen Lächeln. „Jetzt raus mit der Sprache. Was ist los und warum weiß die Familie nichts davon?"
Elli, die sich gegen die Türe gelehnt hatte, trat etwas zurück, damit Gemma eintreten konnte. Sicher würde sie das nicht vor dem Haus besprechen.
„Willst du was trinken?"
Gemma schüttelte den Kopf.

„Was machst du dann hier? Unser hat euch doch sicher schon lange über meine Verhaftung aufgeklärt. Wer hinter der Anzeige in der Zeitung steckt, weiß ich selbst nicht", sagte Elli, die keine Lust auf irgendwelche Spielchen hatte.
„Gerade deshalb habe ich gedacht, du redest mit der Familie darüber. Die Jungs könnten dir doch helfen, rausfinden, wer das an die Zeitung geschickt hat." Gemma wedelte wieder mit der Zeitung.
„Es ist egal, wer dahintersteckt. Die Praxis ist weg und selbst wenn ich sie noch hätte und arbeiten dürfte, kämen keine Kunden."
„Und das wars? Du gibst auf, ziehst den Schwanz ein und verkriechst dich hier im Haus? Das College, das ganze Geld und die Zeit, die du investiert hast, alles egal..." Gemma schüttelte den Kopf. „Wo ist der Kampfgeist geblieben, den du von Carl hast? Wo ist die Elli, die sich nichts bieten lässt und sich für das einsetzt, was sie will?"

„Die ist offensichtlich irgendwo auf der Strecke geblieben zwischen der Trennung von deinem Sohn, den Meinungsänderungen des Clubs und dem Untergang der Praxis", gab Elli genervt zurück.
Gemma lachte auf. „Deshalb suhlst du dich jetzt lieber im Selbstmitleid? Wenn dein Dad dich so sehen würde, würde er dir in den Arsch treten."
„Lass Carl aus dem Spiel. Du hast doch keine Ahnung, wie er zu mir gewesen wäre." Elli verschränkt abweisend die Arme vor ihrer Brust und spürte die Wut in sich hochkochen. Was erlaubte sich Gemma überhaupt?
„Eins weiß ich sicher..." Gemma deutete mit dem Zeigefinger auf Elli. „Er hätte gekämpft für dich und deinen Traum. Er hätte sich nicht im Haus versteckt, sondern wäre in den Krieg gezogen. Mir ist klar, dass du viel durchgemacht hast die letzten Wochen, aber wenn du mal den Kopf aus deinem Arsch ziehen würdest, würdest du vielleicht etwas klarer sehen. Der Club steht noch immer hinter dir und die Familie ist für dich da. Selbst Jax verbringt mehr Zeit bei dir als in seinem Haus. Anstatt die Hilfe anzunehmen, die man dir anbietet, lässt du dich von irgendjemandem kaputt machen. Meinst du es macht Spaß das mitansehen zu müssen? Glaubst du wir wollen dich im Knast besuchen? Soll Donnas Baby dich als Tante hinter Gittern kennenlernen? Denkst du Jax steht drauf, wenn du hier einen auf Trauerkloß mach..."

„Es reicht", fuhr Elli Gemma an und unterbrach sie damit. „Sowas muss ich mir in meinem Haus nicht anhören."
„Dann komm mit raus und ich sag es dir nochmal." Gemma hielt Ellis bösem Blick stand und lächelte diese noch provozierend an.
„Ich glaube es ist besser, wenn du jetzt gehst." Elli wandte sich von Gemma ab und lief zur Haustüre, um sie zu öffnen.
Gemma lief an ihr vorbei, blieb jedoch in der geöffneten Türe stehen und sah Elli noch einmal an.
„Lass nicht zu, dass dir jemand das wegnimmt, was eigentlich dir zusteht. Ganz egal um was oder wen es geht."


Obwohl es Elli mächtig störte, musste sie sich selbst eingestehen, dass Gemma recht hatte.
Sie verkroch sich und hatte aufgegeben.
Aber das hatte sie doch für den Club getan. Oder etwa nicht?
Hatte sie sich wirklich lieber im Selbstmitleid gesuhlt als etwas zu unternehmen?
War ihr Entschluss, den Club aus der Sache rauszuhalten, wirklich zu dessen Schutz gewesen, oder zu ihrem eigenen? Hatte sie nicht nur Abstand gewollt, weil sie Angst gehabt hatte auf Jax zu treffen? Vielleicht auch ein wenig aus Trotz, weil der Club sich zuerst an ihr bereichern wollte?
Wie stand sie jetzt dazu?

Sie hatte Jax' Hilfe bei der Sache mit der Strafanzeige schon angenommen und ihn wieder in ihr Leben gelassen. Seit er mittags ihr Haus verlassen hatte, dachte sie über ihn nach. Über ihn und sich selbst.
Könnte es für sie noch eine Zukunft geben?
Hatte Gemma ihn damit gemeint, als sie gesagt hatte, sie solle sich nicht nehmen lassen was und WER ihr zustand?
Das nächste Glas Wein musste dran glauben und in Elli wuchs mit dem Alkoholpegel auch der Entschluss das herauszufinden.
Wenn Jax vorbeikam, würde sie mit ihm sprechen, diesmal ohne sich von ihm ablenken zu lassen.
Vielleicht würde das ja danach kommen.


Sie hatte lange gewartet, war letztlich jedoch auf dem Sofa eingeschlafen und wachte auch auf diesem wieder auf.
Jax war nicht gekommen, wurde ihr klar, und die Enttäuschung darüber fraß sich in ihre Eingeweide.
Nur Sekunden später kam die Angst dazu.
War bei der Tour etwas schief gegangen? Hatte Jax deshalb nicht kommen können? Würde ihr noch irgendjemand vom Club Bescheid geben?
Nach Gemmas Ansage war sie sich da nicht mehr so sicher.

Elli: Hey, alles klar bei dir?

Ungeduldig trommelte sie mit den Fingern auf dem Tisch, trank nebenher ihren Kaffee und nahm sich vor, an die Werkstatt zu fahren, sollte Jax sich nicht bis um neun Uhr melden.


„Ist was passiert?"
Opie kam an Ellis Auto gelaufen und musterte sie kritisch.
„Ähm, nein", antwortete sie schnell. „Bei euch?"
„Wie kommst du denn darauf?", fragte er verwirrt.
Elli zuckte mit den Schultern. „Ist Jax da?"
Opie nickte in Richtung der geöffneten Werkstatttore. „Soll ich ihn zu dir schicken?"
„Ja, danke." Verlegen biss sie sich auf die Unterlippe und senkte den Blick. Außer Jax sahen alle Mechaniker neugierig zu ihr herüber.

Erst als Jax sich näherte, sah sie wieder auf.
Sie erkannte auf den ersten Blick keine Verletzungen, er sah nur müde aus.
„Hey", grüßte er und blieb in einigem Abstand zu ihr stehen. „Sorry, ich wolle dir noch antworten und habs vergessen. Wurde später letzte Nacht und ich hab heute Morgen verpennt."
„Bist du deshalb nicht mehr gekommen, weil es später wurde?", hakte Elli nach.
„Ich wollte dich nicht wecken", entgegnete er nickend.
„Okay." Elli wusste nicht, was sie sagen sollte. Jax wirkte distanziert, hielt Abstand und schenkte ihr nicht mal ein Lächeln.
„Naja, ich muss dann wieder. Wir sehn uns."
Als könne er es nicht erwarten von ihr wegzukommen, drehte er sich um, kaum dass er das gesagt hatte und lief zurück zur Werkstatt

Sprachlos sah Elli ihm hinterher. Alles an dieser Situation fühlte sich falsch an und erinnerte sie an ihre Trennung.
Selbst die Mischung aus Wut und Enttäuschung, die sie erfasste, kannte sie nur allzu gut.
Schnell flüchtete sie sich in ihr Auto, ehe sie etwas tun konnte, was sie später bereuen würde.
Entweder auf Jax los gehen oder sich ihm an den Hals schmeißen, so genau wusste sie das im Moment selbst nicht.
Aber noch bevor sie losfahren konnte, klingelte ihr Handy.
Es ergab keinen Sinn, denn die angezeigte Nummer gehörte der Werkstatt, dennoch ging sie ran.
„Lass es mich erklären. Heute Abend um zehn, an der Schlucht."
Schon war der Anruf beendet und sie warf noch einen Blick zur Werkstatt. Nach nur zwei Sekunden kam Jax aus dem Büro und nickte ihr kaum merkbar zu, während er zum Clubhaus lief.


Unser war gerade unterwegs, aber Hale hatte Ellis Anwesenheit in ihre Akte eingetragen, damit sie nicht nochmal kommen musste.
Neuigkeiten in ihrem Fall gab es keine, das Datum der Verhandlung war immer noch nicht festgelegt worden.
Elli verließ das Polizeirevier wieder und fuhr zur Praxis, denn der Schlüssel lag noch immer im Briefkasten.
Allerdings nicht nur der Schlüssel, sondern auch ein Brief, mit dem ihr vertrauten Logo von ProCharming auf dem Umschlag.

Sehr geehrte Miss Summers,

Wir kamen nicht umhin von Ihrer neusten Werbeannonce zu erfahren.
Solch ein Verleumdungsfeldzug, wie er gegen Sie geführt wird, muss unterbunden werden.
Treten Sie ProCharming bei und Sie gewinnen unsere Mitglieder als Leumundszeugen, die sich in der Öffentlichkeit für Sie aussprechen.
Gemeinsam werden wir gegen diese Ungerechtigkeit vorgehen und Ihren guten Ruf wiederherstellen.
Nutzen Sie diese Chance Ihre Praxis zu retten.

Mit ergebensten Grüßen

C. Fitzpatrick (1. Vorsitzender)

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top