29. Zum Entspannen

In der Mittagspause versammelten sich die Sons in der Kapelle.
Was Juice herausgefunden hatte, gefiel Jax ganz und gar nicht. Zumindest inoffiziell musste der Club Bescheid wissen und Elli noch fester im Blick behalten.
Clay eröffnete die kleine Versammlung und sah dann abwartend zu Jax. Auch ihm hatte sein Stiefsohn noch nicht gesagt, was der Grund für dieses Treffen war.

„Ich habe letzte Nacht einen Anruf aus dem Knast in Lodi bekommen. Es war Elli", fing Jax an. „Die Kaution kostete 17350 Dollar. Für ihr erstes Vergehen fand ich das schon ziemlich hoch, aber sie hat nicht gesagt, was ihr vorgeworfen wird. Erst als Donna, Opie und ich sie dann abgeholt haben, hat sie uns den Grund genannt. Sexueller Übergriff."
Clay wollte etwas dazu sagen, aber Jax erhob eine Hand, als Zeichen, dass er noch nicht fertig war.
„Heute Morgen dann war ich mit ihr bei Unser. Zu ihm muss sie täglich, Teil ihrer Auflage. Außerdem musste sie die Praxis schließen. Keine berufliche Maßnahmen, bei der sie andere berührt. Und das alles wegen diesem Arschloch. Timothy Silverman hat sie angezeigt, weil sie sich während einer Massage an ihn herangemacht und unsittlich angefasst hätte. Juice hat ihn überprüft, ein Ex-Knacki auf Bewährung, der seit einem Monat bei Fitzpatrick angestellt ist."

Ein Raunen ging durch die kleine Gruppe, jeder grummelte etwas vor sich hin.
Mit einem Klopfen auf den Tisch sorgte Clay für Ruhe, bevor er sich an Jax wandte.
„Die Überwachungskamera?"
„Hab ich gecheckt", antwortete Juice. „Er ist drauf, alles scheint normal. Die Aufnahme könnte Elli helfen."
„Aber können wir die vor Gericht nutzen?", überlegte Jax laut.
Immerhin hatten sie die Kamera ohne Ellis Wissen angebracht. Das musste der Richter zwar nicht wissen, aber Elli, und das deutlich schneller, als Jax befürchtet hatte.
Zudem war er sich nicht sicher, wie die Rechtslage war, ob die Kamera in der Praxis nicht gegen irgendwelche Gesetze verstieß.

„Es ist doch nicht verboten Kameras anzubringen und Elli hätte nach der Schmiererei und dem Überfall allen Grund dazu eine Kamera einzusetzen. Sie zeigt ja keine Patienten bei der Behandlung", glaubte Bobby.
„Elli wollte sich an Mister Marsh wenden. Er war Carls Anwalt und hat ihr auch mit dem rechtlichen Kram bei ihrer Praxis geholfen. Ich dachte ich unterhalte mich zuerst mit ihm und zeig ihm das Video. Er wird wissen, ob man es als Beweismittel einsetzen kann", erklärte Jax.
„Damit erfährt er vom Club", stellte Clay fest.
„Ich glaube nicht, dass das etwas Neues für ihn ist. Aber wenn er die Aufnahme ablehnt, muss Elli nichts davon erfahren."

„Elli vielleicht nicht, aber Silverman", wandte Juice ein.
„Soll heißen?", hakte Chibs nach.
„Wenn er das Video von uns gezeigt bekommt, können wir ihm sicher verklickern, dass es besser wäre die Anzeige zurückzuziehen", antwortete Juice.
Schnell schüttelte Jax den Kopf. „Vorerst hält sich der Club raus."
„Willst du lieber, dass Elli vor Gericht muss?", fragte Opie überrascht nach.
„Besser ein Freispruch als eine zurückgezogene Anzeige und einen Haufen Gerüchte", war Jax überzeugt.
„Und wenn sie nicht freigesprochen wird?" Piney war ebenfalls eher für Juices Vorschlag.

„Jax meinte doch vorerst", mischte Halfsack mit. „Vielleicht gibt der Anwalt ja auch sein okay."
Clay nickte. „So seh ich das auch. Wann sprichst du mit diesem Marsh?"
Jax zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, ob Elli ihn schon erreicht hat und er auf dem Laufenden ist. Aber das werde ich heute Abend erfahren."
„Steht die große Versöhnung an?" Tig grinste amüsiert.
„Halts Maul." Jax warf Tig einen genervten Blick zu. Selbst wenn es so wäre, würde er das sicher nicht gerade Tig unter die Nase reiben.

„Kommen wir wieder zum Thema zurück, bevor Curt mit dem Essen dasteht", forderte Clay. „Dieser Silverman arbeitet für Fitzpatrick. Zufall?"
„Wäre ein großer Zufall", glaubte Chibs.
„Zu groß", meinte auch Piney.
„Ich bin mir sogar sicher, dass Fitzpatrick da seine Finger im Spiel hat. Genug Kohle, um Silverman zu überzeugen, hat er. Aber wir dürfen nichts riskieren, was Elli in noch mehr Schwierigkeiten bringen kann. Auch wenn es mir widerstrebt, wir müssen Silverman in Ruhe lassen. Zumindest bis Elli aus der Sache mit der Anzeige raus ist."
Jax hatte seinen letzten Satz gerade ausgesprochen, da hupte es auf dem Werkstatthof.
„Okay, klär das mit Ellis Anwalt. So lange halten wir die Füße still", beschloss Clay. „Jetzt lasst uns essen."


Jax war der erste, der aus der Kapelle stürmte und sein Handy aus der Box nahm. Er hoffte, Elli hatte nicht versucht ihn zu erreichen. Am liebsten wäre er bei ihr geblieben, da wäre es ihm auch egal gewesen, ob Clay gemeckert hätte oder er Urlaub hätte nehmen müssen.
Aber er musste vorsichtig bleiben und sich eigentlich von Elli fernhalten.
Heute Abend würde Donna ihn mitnehmen, sein Bike konnte man also nicht bei ihr vorm Haus sehen, genauso wie er es am Morgen schon hingedreht hatte.
Er konnte nur hoffen, dass das ausreichte, denn er wollte für sie da sein, selbst wenn dabei das Risiko bestand, dafür selbst in den Knast zu gehen.

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Ellis Tag verlief schleppend.
Wie in Trance hatte sie mit ihren Kunden telefoniert, dabei jedes Mal den gleichen Text heruntergerattert und versucht die erbosten Kommentare zu überhören.
Auf ihrer Homepage hatte sie angegeben, dass die Praxis vorübergehend geschlossen sei. Die Ansage auf dem Anrufbeantworter wollte sie auch noch ändern, aber dazu musst sie in die Praxis und das schaffte sie gerade nicht.
Schließlich hatte sie auch Mister Marsh erreicht und er hatte zugesagt sich ihren Fall anzusehen und am nächsten Morgen um zehn Uhr vorbeizukommen.
Seitdem durchforstete sie das Internet.

Zuerst hatte sie alles gelesen, was sie zum Sexualstrafrecht in Kalifornien gefunden hatte. Danach war sie zu den Urteilen verschiedenster Fälle übergegangen. Immer wieder sah sie sich Gerichtsverhandlungen an, die unter ähnlichen Anklagen standen.
Leider hatte Unser recht. So einfach war die Sache nicht. Es stand Aussage gegen Aussage und wenn Silverman die Geschworenen überzeugen konnte, wäre sie eine verurteilte Sexualstraftäterin, eingetragen ins nationale Sexualstraftäterregister, mit lebenslänglichem Berufsverbot in ihrem Bereich und allen anderen Berufszweigen, bei denen Körperkontakt vorkommen könnte. Dazu käme natürlich auch noch eine Haftstrafe, je nach Einschätzung der Jury bis zu sieben Jahre, eventuell sogar zehn.

Und der Trend ging eindeutig dazu die wenigen Frauen, die von Männern wegen sexuellen Übergriffen angezeigt wurden, schuldig zu sprechen.
Die Aussage einer Geschworenen in einer Verhandlung brachte es ziemlich gut auf den Punkt.
„Natürlich glaube ich ihm. Es muss eine Überwindung für ihn sein zuzugeben, dass er dieser Frau in so einer Situation unterlegen war. So etwas würde er sicher nicht erfinden."
War allein diese Ansicht, die bestimmt von vielen Menschen geteilt wurde, schon Ellis Schuldspruch?


Alessa fuhr gerade davon, hatte Elli versprochen an der Telefonanlage den Stecker zu ziehen und den Schlüssel wieder in den Briefkasten zu werfen, da erkannte Elli Donnas Minivan den Berg hinaufkommen.
Sie zog ein Päckchen Zigaretten aus der Kängurutasche des Hoodies, den sie immer noch trug, zündete sich eine Zigarette an und setzte sich auf die Hollywoodschaukel.
Donna parkte vor der Garage, Sekunden später stiegen sie, Opie und Jax aus. Jeder eine große Papiertüte im Arm.
Hatten sie die halbe Speisekarte des Diners bestellt?
„Hi", grüßte Opie und lief direkt ins Haus. Seine Tüte sah ziemlich schwer aus.
Donna tänzelte den Weg vom Zaun zum Haus entlang. Sicher musste sie schon wieder aufs Klo, dachte Elli grinsend.

Jax betrat die Veranda und stellte die Tüte auf dem Boden ab. Darin klirrte es verräterisch. Also kein Essen, sondern Getränke, ziemlich sicher Alkohol.
Ein Mitbringsel gegen welches Elli nichts einzuwenden hatte.
„Na, wie siehts aus?", erkundigte sich Jax, zündete sich selbst ebenfalls eine Zigarette an und lehnte sich gegen das Verandageländer.
„Ich denke ich sollte mir schon mal nen Knastnamen überlegen. Vielleicht Sexzilla."
„Was spricht gegen Hormonelli oder ganz schlicht Grabschi?" Jax grinste breit und Elli konnte nicht anders als zu lachen.
Es hatte etwas befreiendes, obwohl es ihre Lage keinen Deut besser machte.


Während des Essens hatte Elli erzählt, was sie von Unser erfahren und im Internet nachgelesen hatte.
„Scheiße. Die können dir doch nicht die Praxis untersagen, von was sollst du deine Rechnungen zahlen und leben?" Donna schüttelte energisch den Kopf.
Elli zuckte mit den Schultern. „Ist denen doch egal. Sind ja nicht ihre Rechnungen. Da müssen eben die Ersparnisse herhalten, wenn man welche hat."
„Apropos Ersparnisse, warum hattest du eigentlich so viel Bargeld im Haus? Das waren fast 25000 Dollar." Das hatte sich Donna schon gefragt, als sie das Geld für die Kaution aus dem Umschlag genommen hatte. Sie wusste, dass Elli reichlich geerbt hatte, aber so einen Batzen Bargeld hatte sie dennoch nicht erwartet und in ihr war die Frage aufgekommen, ob Ellis Probleme in den letzten Wochen damit zusammenhingen.

„Carl hat mir seinen Notgroschen hinterlassen, dann kam noch das Geld dazu, dass ich von den Mayans bekommen habe für die Schäden nach Pablos Einbruch. Außerdem hab ich die Miete fürs Haus von Tom und Andy auch so bekommen und einen Teil vom Verkauf von Toms Sachen. Es kam einiges zusammen und ich dachte es wäre besser das Geld hierzuhaben als auf der Bank. Naja, für den Fall der Fälle. Dass ich das Geld für meine Kaution brauchen würde, hätte ich allerdings nie gedacht."
Wenn Elli ehrlich war, hatte sie damit angefangen ihr Bargeld daheim zu bunkern, nachdem Jax verhaftet worden war. Es hatte Stunden gedauert, bis die Jungs damals freigekommen waren, da die Bezahlung der Kaution über die Bank gelaufen war.
Hätte sie das Geld zuhause gehabt und wäre nach Stockton gefahren, um die Kaution zu bezahlen, wäre das alles schneller gegangen.

„Ich glaube damit hat niemand gerechnet", meinte Opie kopfschüttelnd. „Und was sagt der Anwalt?"
„Mister Marsh ist eigentlich eher für Gewerberecht zuständig. Aber er sagte er fordert meine Akte an und schaut es sich an. Morgenfrüh kommt er vorbei. Wenn er mich nicht verteidigt, wird er einen erfahrenen Kollegen dafür anfragen."

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„Zum Entspannen."
Noch bevor Elli ihre Zigarette anzünden konnte, hielt ihr Jax einen Joint entgegen.
Er wusste, dass sie selten kiffte, sich eher mit Bobbys Spezialmuffins angefreundet hatte, aber vielleicht würde die stärkere Wirkung des Joints ihr beim Runterkommen helfen.
Donna und Opie waren vor ein paar Minuten gegangen, weshalb sie nun im Haus rauchten, und er setzte sich neben Elli aufs Sofa.

Sie hatte nichts dazu gesagt, dass er einfach geblieben war, was es ihm ersparte ihr irgendeine Ausrede auftischen zu müssen.
Noch hatte er ihr nichts von der Verbindung zwischen Silverman und Fitzpatrick gesagt. Sie hätte sofort gewusst, dass er Juice auf Silverman angesetzt hatte und der Club über ihre Anklage Bescheid wusste. Er konnte ihr also nicht sagen, dass er blieb, weil er Angst hatte, Fitzpatrick oder einer seiner Lakaien würden hier auftauchen. Und es war auch nicht der einzige Grund.
Elli schlug ihn leicht gegen die Schulter und riss ihn damit aus seinen Gedanken.
Sie gab ihm den Joint, lehnte sich zurück und schloss die Augen.
Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Er gab ihr noch maximal fünf Minuten, dann wäre sie eingeschlafen. 

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