28. Die Vorwürfe
Nervös rieb sich Elli die Hände, während sie den Supermarkt betrat.
Warum sahen sie alle so an?
Wusste bereits ganz Charming über ihre Verhaftung Bescheid?
Prangerten die Worte „sexueller Übergriff" in Leuchtschrift über ihrem Kopf?
Am liebsten wäre sie einfach wieder rausgegangen, aber sie brauchte dringend Zigaretten, damit sie noch eine rauchen konnte, bevor sie sich mit Unser unterhielt.
Dabei hatte sie in der schlaflosen Nacht bereits viel zu viel geraucht.
Ohne nach links und rechts zu sehen, orderte sie eine Stange ihrer Marke und verdrückte sich nach dem Bezahlen schnell in ihr Auto.
Auf dem kleinen Parkplatz neben dem Polizeirevier erkannte sie den Mann sofort, der da gegen sein Bike lehnte.
Irgendwie fand sie es ja süß und es zeigt ihr, dass Jax weiterhin für sie da war, allerdings schoss ihr auch augenblicklich eine verlegene Röte ins Gesicht.
Was würde Jax wohl denken, wenn sie ausstieg und er erkannte, dass sie noch immer seinen Hoodie trug?
Nach dem Duschen hatte sie diesen wieder angezogen, anstelle einer Jacke. Sie hätte nicht sagen können, warum, sie hatte einfach danach gegriffen, ihn über den Kopf gezogen und tief Jax' Geruch eingeatmet.
Es hatte sich für sie in diesem Moment einfach richtig angefühlt und nicht so verrückt, wie es sich im Nachhinein vielleicht anhörte.
„Hey."
Jax kam zwei Schritte auf sie zu, seine Lippen verzogen sich für einen Augenblick zu seinem frechen Grinsen, während er sie musterte.
Allerdings verschwand es schnell, als sie aufsah und sich ihre Blicke trafen.
„Nicht geschlafen?", mutmaßte er.
„Nein", gab sie zu. Es hätte ohnehin nichts gebracht es zu leugnen, sie wusste wie sie aussah, mit den tiefen dunklen Ringen unter den, vom Weinen geröteten, Augen. Damit konnte sie Jax nichts vormachen.
„Was machst du hier?", fragte sie und blieb vor ihm stehen.
Auch er sah nicht gerade aus wie der frische Morgen, Augenringe zierten sein hübsches Gesicht.
„Schauen wies dir geht", antwortete er ehrlich.
„Wie soll es mir schon gehen? Ich bin das blühende Leben und freu mich schon auf die Verhandlung", antwortete sie sarkastisch.
Doch gleich tat ihr dieser blöde Spruch leid, als Jax geknickt seinen Kopf senkte.
„Sorry. Ich bin müde und hab Angst."
Von sich selbst genervt fuhr sie sich durch die noch feuchten Haare.
Jax meinte es gut und konnte nichts für ihre Lage. Sie sollte ihre miese Laune nicht an ihm auslassen.
„Schon gut", winkte er ab. „Soll ich mit reinkommen?"
„Was? Das würdest du?", wollte Elli überrascht wissen.
Er nickte. „Klar doch."
Dankbar ging Elli einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn.
Ganz egal warum er ihr das anbot, ob es ihm dabei wirklich um sie ging oder er nur Informationen wollte, er würde ihr beistehen. Mit ihm zusammen würde sie das Gespräch mit Unser sicherlich besser verkraften.
Elli und Jax saßen dem Chief gegenüber an dessen Schreibtisch.
Kurz und knapp hatte Elli von ihrer Verhaftung erzählt, die Dokumente vorgelegt und Unser hatte ihre Akte aufgerufen.
Dass sein Gesichtsausdruck von überrascht zu mitleidig wechselte gefiel ihr ganz und gar nicht.
Als er sich endlich vom Monitor abwandte und zu Elli sah, wirkte er ernst.
„Nun, Elli, das ist eine schwerwiegende Anschuldigung. Sagt dir der Name Timothy Silverman etwas?"
Der Name kam ihr bekannt vor und nach kurzem Überlegen kam sie darauf. „Ein Kunde, der gestern für eine Massage in der Praxis war."
Unser nickte. „Er hat dich angezeigt. Laut seiner Aussage hättest du ihn bei dieser Massage unsittlich berührt."
„Bitte was?" Elli zog es den Boden unter ihren Füßen weg. Kalter Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn, ihre Brust fühlte sich viel zu eng an, wie eingeschnürt, und sie bekam kaum noch Luft.
Jax' Hand legte sich um ihre, sein Daumen strich langsam und vorsichtig über ihren Handrücken, aber als sie zu ihm hinüber sah, erkannte sie seine Anspannung. Seine Augen waren zu engen Schlitzen verzogen, seine andere Hand lag in seinem Schoß und war zu einer Faust geballt.
„Das ist doch Schwachsinn", knurrte er in Unsers Richtung.
„Es ist seine Aussage", entgegnete Unser versucht ruhig. „Elli hätte mit anzüglichen Sprüchen begonnen, ihn zweimal in den Hintern gekniffen und ihm schließlich in den Intimbereich gefasst, als er aufgestanden war und gehen wollte. Er hätte ihr deutlich gesagt, dass er keinerlei sexuelles Interesse an ihr hätte und sie das unterlassen solle. Dann hätte sie ihr Oberteil ausgezogen und gemeint, sie könne ihn sicherlich umstimmen. Daraufhin ist er gegangen, sein genauer Wortlaut war sogar, geflohen."
„Ich habe nichts davon gemacht." Ellis Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
Jax Hand schloss sich noch etwas enger um ihre. „Natürlich nicht, diese Lüge wird niemand glauben."
„Leider wird es nicht ganz so einfach sein", sagte Unser. „Wie ich das sehe, steht Aussage gegen Aussage. Es gibt weder Zeugen noch Beweise."
„Aber ich habe nichts gemacht!" Elli wurde lauter und sprang von ihrem Stuhl. Böse funkelte sie Unser an.
„Beruhig dich. Ich sage ja nicht, dass du schuldig bist. Ich glaube dir, auch wenn ich eigentlich objektiv bleiben sollte. Aber ich werde dir auch nicht leichtsinnig zusagen, dass du mit Sicherheit freigesprochen wirst. Nimm dir einen Anwalt, halte dich an die Auflagen und lass den Club da raus."
Unsers Blick ging zu Jax, dem diese Aussage offensichtlich nicht gefiel. „Was willst du damit sagen?"
„Dass Ellis Chancen besser stehen, wenn dieser Silverman nicht aufgemischt wird."
„Wars das dann? Ich muss in die Praxis", fragte Elli, noch bevor Jax etwas erwidern konnte.
„Leider nicht", antwortete Unser und warf Elli einen mitleidigen Blick zu. „Ich muss dir leider jegliche Maßnahmen, die mit Körperkontakt und Berührungen einhergehen und die du beruflich ausübst, untersagen."
„Das heißt ich muss die Praxis schließen?" Fassungslos ließ sich Elli wieder auf den Stuhl sinken.
„Muss das denn wirklich sein? Du glaubst doch auch nicht, dass Elli das wirklich getan hat. Das wird sie ihre Kunden kosten", meinte Jax.
„Tut mir leid, das gehört zu den Auflagen und daran kann ich nichts machen."
„Trotzdem danke." Elli stand auf, sie musste hier raus und brauchte dringend frische Luft.
Ohne auf etwas um sich herum zu achten, verließ sie Unsers Büro und kurz darauf die Polizeiwache.
Sie zog gerade den Autoschlüssel wieder aus dem Türschloss, da wurde er ihr aus der Hand genommen.
„Ich fahre", bestimmt Jax.
„Du hast dein Bike hier und ich kann selbst fahren. Oder wurde mir das auch verboten?", entgegnete sie bissig.
„Nein das nicht, aber ich mach mir Sorgen, dass du nicht heil ankommst."
Sein besorgter Ton erinnerte Elli daran, dass nicht er der Feind war und seufzend umrundete sie ihr Auto.
Schnell stieg Jax ein und entriegelte für sie die Beifahrertüre.
„Zu dir nach Hause?", wollte er wissen.
„In die Praxis", antwortete Elli. „Ich muss die Termine absagen."
Wegen privatem Notfall bis auf Weiteres geschlossen!
Mit zitternden Händen klebte Elli die Nachricht an die Eingangstüre.
Sie hielt es hier in der Praxis nicht aus, hatte den Terminplaner und den kleinen Stapel Akten in ihre Umhängetasche gepackt und würde ihre Kunden von zu Hause aus anrufen.
Es fühlte sich falsch an und schmerzte die Praxistüre dann abzuschließen. Sie hatte nichts getan und trotzdem wurde sie bestraft.
Wie war dieser Timothy Silverman nur auf die Idee gekommen sie anzuzeigen?
Es machte keinen Sinn.
Sie kannte ihn doch gar nicht, ebenso wenig wie er sie. Bei der Massage am Tag zuvor hatten sie sich zum ersten und einzigen Mal gesehen.
Und sie hatte sich ganz gewiss nichts zu Schulden kommen lassen, selbst mit viel Fantasie hätte man an der Massage nichts als Anmache ausmachen können. Sie hatte sich ihm gegenüber verhalten, wie allen anderen Kunden auch.
Mit einer Tasse Kaffee in der Hand saßen Jax und Elli in Ellis Küche.
Nachdem sie ihren ersten zwei Kunden für diesen Tag abgesagt hatte, war ihre Laune noch weiter gesunken, wenn das überhaupt möglich war.
Natürlich konnte sie es nachvollziehen, dass die Kunden über eine so kurzfristige Absage nicht erfreut waren und sie dann nicht mal sagen konnte, wann sie die Praxis wieder eröffnen würde. Aber die Gewissheit, dass sie diese Kunden sehr wahrscheinlich nicht mehr wiedersehen würde, wurde deswegen nicht weniger beunruhigend.
„Du meldest dich, wenn was ist?", wollte Jax wissen. Er hatte seinen Kaffee leer und hätte eigentlich schon lange in der Werkstatt sein sollen.
Elli nickte leicht.
Zuvor hatte Jax ihr sogar angeboten zu bleiben, aber sie hatte nicht gewollt, dass er wegen ihr Ärger mit Clay bekam und vielleicht sogar noch einen Tag Urlaub nehmen musste.
Außerdem würde er abends wiederkommen, zusammen mit Opie und Donna, denen sie kurz geschrieben hatte, was Unser gesagt hatte.
Aber natürlich wollten sie es genauer wissen und das ging persönlich besser.
Also verabschiedete sie sich von Jax, wartete bis er gegangen war und nahm sich vor, alle anderen Kunden über die Schließung in Kenntnis zu setzen.
Doch zuerst musste sie Alessa schreiben.
Elli: Hi Alessa. Leider muss ich aus privaten Gründen die Praxis vorübergehend schließen. Deinen Yogakurs kannst du natürlich geben. Ich kann dir den Schlüssel um kurz vor sieben vorbeibringen.
Alessa: Oh, ich hoffe nichts Schlimmes. Ich kann den Schlüssel auch bei dir abholen, wenn ich nach Charming fahren, dann musst du nicht auf mich warten.
Elli: Wenn das wirklich okay ist, dann gerne.
Alessa: Natürlich. Dann bis heute Abend. So gegen viertel vor sieben.
🏍🏍🏍🏍🏍🏍🏍
Sobald Jax die Werkstatt erreicht hatte, rief er Juice zu sich und lief mit ihm in sein Haus.
Noch wollte er den Club nicht miteinbeziehen, davor mussten ein paar Nachforschungen angestellt werden.
„Was gibt's denn?", wollte Juice wissen und schloss die Haustüre hinter sich.
„Du musst jemanden für mich überprüfen. Ein Timothy Silverman aus Charming. Und danach musst du auf dem gestrigen Überwachungsvideo der Praxis nach dem Kerl suchen. Er war bei Elli zur Massage, ungefähr ne halbe Stunde nach meiner Mum."
„Und dürfte ich auch wissen, was ich dabei finden sollte und warum? Hat er sich auch an Elli rangemacht und du willst ihn dir vornehmen?" Juice grinste breit.
„Er hat Elli wegen sexueller Belästigung angezeigt und sie in den Knast gebracht", knurrte Jax.
„Ach du Scheiße." Juice sah Jax ungläubig an. „Wo ist sie?"
„Auf Kaution raus und daheim. Opie, Donna und ich haben sie letzte Nacht in Lodi abgeholt. Den Rest erklär ich später am Tisch, aber dafür brauch ich die Infos."
Jax lief nebenher in sein Schlafzimmer, um sich umzuziehen.
„Ich setz mich sofort ran", versicherte Juice.
Gleich darauf hörte Jax die Haustüre zu schlagen.
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