24. Goldenes Kleeblatt

Erschöpft ließ sich Elli auf ihren Stuhl fallen, nachdem die letzten Gäste endlich gegangen waren. Natürlich hätte sie sich niemals beschwert, dass so viel los gewesen war und sie auch schon einige Termine ausmachen konnte. Jetzt aber war sie erledig und wünschte sich in ihr Bett.
Geplant war, dass die Eröffnung von zwölf bis fünf Uhr dauern würde, jetzt war gleich sechs Uhr.
Donna und Gemma hatte sie schon lange nach Hause geschickt, Alessa musste auch demnächst los, aufräumen würde sie dann das nötigste, putzen erst morgen.

„Noch Lust auf einen Kaffee?" Alessa kam aus dem großen Behandlungsraum und gesellte sich zu Elli hinter den Tresen.
„Immer", stimmte diese zu. „Aber hast du überhaupt noch Zeit?"
Alessa nickte und stellte bereits zwei Tassen in den Vollautomaten. „Ich würde sagen, der Tag heute war ein voller Erfolg. Zwei meiner Kurse sind jetzt fest. Dienstag und Donnerstag von 19.00 bis 20.00 Uhr, mit jeweils neun Teilnehmern."

Elli dankte ihr lächelnd für den Kaffee. „Ich hab auch mehrere Termine ausmachen können. Ich hoffe, so läuft es dann auch weiterhin."
„Bestimmt." Alessa drehte den Kopf etwas weiter in Richtung Eingang. „Erwartest du noch jemanden?"
Mit einem unguten Gefühl im Bauch stand Elli auf und folgte Alessas Blick nach draußen zu den vier Männern, die vor der Türe standen und winkten.

„Was macht ihr denn hier?"
Überrascht, noch nicht sicher ob positiv oder negativ, hatte Elli die Türe geöffnet und Opie, Juice, Halfsack sowie Bobby reingelassen.
„Wir wollten mal schauen, ob alles gut lief", antwortete Bobby. „Sind gerade von ner Tour zurück."
„Ähm ja, alles gut. Ich wollte gleich anfangen mit Aufräumen."

„Ich bin dann mal weg. Bis Dienstag." Alessa hatte ihren Kaffee scheinbar hinuntergekippt und hatte es plötzlich ziemlich eilig die Praxis zu verlassen. Ohne die Männer zu beachten, eilte sie aus der Türe und war verschwunden.
Irritiert sah Elli ihr hinterher. War sie wegen den Jungs so schnell geflüchtet?

„Brauchst du Hilfe?"
„Was?" Sie brauchte einen Moment, bis Bobbys Frage in ihrem Bewusstsein angekommen war. „Ne, es ist nicht viel. Ich hol den Truck hierher, dann kann ich besser einladen. Die Tische kommen gleich wieder zu Luann und die Gläser stell ich daheim in die Spülmaschine. Aber danke."
„Dann ists ja gut, dass dein Auto erst morgen fertig wird und du noch den Truck hast", meinte Opie grinsend.
„Stimmt." Elli lächelte leicht. „Aber Morgenabend bring ich ihn dir in die Werkstatt und hol mein Schätzchen wieder."
„Das bekomm ich hin", versprach Juice.

Elli hoffte es. Nachdem erst der falsche Kabelbaum geliefert worden war und sich deshalb alles verzögert hatte, hatte es auch ein Problem mit den Reifen gegeben. Zudem hatten sie am Montag ganz vergessen ein neues Autoradio zu bestellen. Jetzt sollte aber alles passen und sie hätte dann ihr Heiligtum zurück.
„Dann los. Hol den Truck, wir helfen einladen", bestimmte Bobby.
Die anderen drei nickten zustimmend.


Gegen acht saß Elli endlich auf dem Sofa und streckte die Beine aus.
Die Tische waren wieder bei Luann, die Gläser in der Spülmaschine, die Geschenke in der Küche, die nun ein wenig an den Blumenladen erinnerte.
Während sie sich ihr gegrilltes Käsesandwich schmecken ließ und leise Musik lief, glitten ihre Gedanken immer wieder zurück zur Eröffnung.

Sie hatte sich gefreut, als Gemma gekommen war und ihre Hilfe angeboten hatte. Da die Jungs auf einer Tour waren, was sie zusätzlich erleichtert hatte, wäre ihr ohnehin langweilig, hatte sie gemeint. Und als I-Tüpfelchen hatte sie für Elli noch ein kleines Geschenk dabei. Wieder ein orangenes Sparschwein, fast das gleiche, wie am Dienstagabend zerstört wurde.
Mit diesem Sparschwein hatte sie sich an den verschiedensten Sammlungen beteiligen wollen, die immer wieder durchgeführt wurden. Mal für die High-School, mal für den Kindergarten, mal für die Suppenküche.
Nun stand es wieder auf dem Tresen und würde sich hoffentlich ein wenig füllen.

Dass nur wenig später auch Donna vor der Türe stand, war keine allzu große Überraschung gewesen. Sie hatte Elli schon mehrfach angeboten ihr zu helfen und Elli hatte mit ihrem Erscheinen gerechnet.
Ihre Hilfe hatte sie bisher nur abgelehnt, da sie Angst um ihre beste Freundin hatte. Was wäre besser geeignet für einen weiteren Angriff als eine Eröffnungsfeier?
Eigentlich hatte Elli fest damit gerechnet, dass da irgendetwas auf sie zukommen würde, und hätte Donna deswegen am liebsten weit weg gewusst. Aber natürlich hätte Donna sich die Eröffnung niemals entgehen lassen.

Natürlich war auch Luann mit ein paar ihrer Mädchen vorbeigekommen. Diese waren ganz begeistert und als Luann die beiden Termine für ihre Massagen ausgemacht hatte, hatten auch sie gleich welche haben wollen.
Luanns breites Grinsen deutete darauf hin, dass das so beabsichtigt gewesen war.
Bürgermeister Mister Lemmy und seine Gattin hatten Elli einen Blumenstrauß mitgebracht und zur Eröffnung gratuliert. Weitere Blumensträuße oder Topfpflanzen gab es von ihrem Vermieter, Mister Marsh, der extra vorbeigekommen war, von Hale und Unser sowie von Rosita, der Betreiberin des Diners, bei der sie für die Eröffnung Minisandwiches geordert hatte.

Wurde von ihr erwartet, dass sie sich bei ihnen allen noch schriftlich bedankte?
Fitzpatrick bestimmt und der Bürgermeister vielleicht auch. Wahrscheinlich sollte sie also Dankesschreiben verschicken.
Aber nicht mehr heute.
Heute würde sie nur noch faul sein und früh ins Bett gehen.

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Leise lief Jax den steilen Weg durch den Park nach oben. Es war dunkel, aber das störte ihn nicht. Es war nicht das erste Mal, dass er diesen Weg in dieser Dunkelheit ging.
Würden seine Clubbrüder ihn so sehen, würden sie ihn das ganze Jahr damit aufziehen. Zu Recht, denn er schlich hier rum, wie ein Feigling.
Sein Bike hatte er unten an der Straße stehen lassen, damit Elli ihn nicht anfahren hörte, durch den Park lief er, falls sie draußen auf der Veranda saß, um zu rauchen.
Obwohl er sich wünschte sie zu sehen, tat er alles dafür, dass sie ihn nicht bemerkte.
Er sollte sie in Ruhe lassen und das hatte er vor.
Dabei würde sie sicher schnell wissen, von wem das kleine Geschenk war, das er ihr zur Praxiseröffnung besorgt hatte.
Er hatte es gesehen und sofort an sie denken müssen. Es passte zu ihr und er hoffte, es würde ihr Glück bringen.

An der Straße vor Ellis Haus angekommen blieb er im Schutz der Dunkelheit stehen.
Die Lichter im Haus waren aus, auf der Veranda konnte er niemanden erkennen.
Wahrscheinlich war Elli schon im Bett.
Er ging zumindest davon aus, dass sie zuhause war, denn Opies Truck stand vor der Garage. Sie konnte also nicht gerade in dem Moment angefahren kommen, in dem er das Geschenk ablegte.
Erleichtert darüber unerkannt zu bleiben, gleichzeitig enttäuscht sie nicht zu sehen, huschte er über die Straße und legte das Geschenk neben ihre Haustüre, bevor er wieder in die Dunkelheit verschwand.

🏍🏍🏍🏍🏍🏍🏍

Mit ihrem Kaffee und einer Zigarette trieb es Elli nach draußen auf die Veranda.
Die Sonne ging gerade auf und versprach einen sonnigen Tag.
Offiziell hatte die Praxis von neun bis achtzehn Uhr geöffnet, aber sie wollte heute schon gegen acht Uhr dort sein und putzen. Um neun würde dann gleich Misses Dufner vorbei kommen.
Ihre erste richtige Patientin, die ein neues Kniegelenk bekommen hatte und deshalb Physiotherapie benötigte.
Auch wenn sich ihre Aufregung nicht mehr mit der vom Vortag vergleichen ließ, saß sie Elli doch im Nacken. Nun war sie der Chef und durfte sich keine Fehler erlauben.
Und dennoch freute sie sich auf die Arbeit.

Beinahe hätte sie das kleine Päckchen übersehen, war sich nicht sicher, ob es nicht vielleicht sogar besser gewesen wäre, wenn sie es nicht entdeckt hätte.
Ein unauffälliger kleiner Karton, ungefähr so hoch wie eine Schachtel Zigaretten, jedoch nur halb so breit.
In gleichmäßigen Druckbuchstaben hatte jemand „Elli" darauf geschrieben.
Es war nicht dieses ungelenke Gekritzel, welches sie von den Drohnachrichten kannte und bisher hatte sie diese nur an der Praxis erhalten.
Zögerlich griff sie danach und nahm es mit ins Haus.

Nachdenklich betrachtete sie das kleine Glasfläschchen mit dem goldenen vierblättrigen Kleeblatt darin. Ein kleiner Korken verschloss die Flasche und um den Flaschenhals, der nur wenige Millimeter lang war, hing eine Bastschnur mit einem Pappetikett. „Viel Glück", stand in goldenen, gedruckten Buchstaben darauf.
Die Verpackung lieferte keinen Hinweis darauf, wer ihr dieses Geschenk hatte zukommen lassen.
Konnte es sein, dass es von Jax kam?

Zumindest erinnerte sie dieses Kleeblatt an ihre Tätowierung.
Damals in Los Angeles hatte sie Jax davon erzählt, dass sie von ihrer Oma zum zwölften Geburtstag eine Kette mit einem goldenen Kleeblattanhänger bekommen hatte. Sie wurde ihr Glücksbringer, den sie leider irgendwann verloren hatte.
Mit dieser Erinnerung hatte sie sich dann das Fußkettchen tätowieren lassen.
Zugegeben, es handelte sich dabei um ein wirklich schönes Geschenk. Durchdacht und passend. Sie traute es Jax zu so aufmerksam zu sein.

Aber hatte es etwas zu bedeuten?
Und wenn ja, was?
Hatte sie ihr Gefühl, dass er noch Interesse haben könnte, doch nicht getäuscht?
Warum aber hielt er sich dann von ihr fern?
Weil sie es ihm gesagt hatte?
Sie hatte ihm aber auch gestanden, dass sie ihn noch immer liebte.

Seufzend stellte sie das Fläschchen auf den Esstisch.
Auf ihr Liebesgeständnis hatte Jax nicht reagiert, wahrscheinlich bildete sie sich das alles also nur ein.
Trotzdem würde sie sich natürlich bedanken.

Elli: Hey, ich weiß nicht, ob ich mit meiner Vermutung richtig liege, aber falls das goldene Kleeblatt von dir ist, dann vielen Dank. Es gefällt mir sehr.

Jax: Gerne, ich hoffe es hält, was es verspricht. ;-)

Grinsend und Jax' Hoffnung teilend ging Elli nach oben, um sich für die Arbeit fertig zu machen.

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