2. Sauerei

Elli ignorierte ihr vibrierendes Handy, bekam jedoch auch von der Vorlesung nichts mit, sondern saß im Hörsaal und starrte Löcher in die Luft.
Die Abschlussprüfungen waren geschrieben, was jetzt noch kam war nicht mehr allzu wichtig. Manche Kurse wurden bereits gar nicht mehr gegeben, weshalb sie diese und nächste Woche nur dienstags und donnerstags ans College musste, bevor sie nächsten Freitag dann ihren Bachelor bekommen würde.
Jax hatte sie zu der kleinen Abschlusszeremonie begleiten wollen, nun würde sie wohl allein hingehen.
Oder sich krankmelden und die Unterlagen zuschicken lassen.
Eine Woche hätte sie dann noch in der Werkstatt vor sich, bevor sie an jenem letzten Sonntag im Januar ihre Praxis einweihen, am Montag dann eröffnen würde.

Einiges gab es dafür noch vorzubereiten, aber gestern nach der Arbeit hatte sie sich nicht dazu aufraffen können.
Sie war nach Hause gefahren, hatte sich ins Bett gelegt und sich dem Schmerz hingegeben.
Irgendwann war sie eingeschlafen, jedoch weder lange noch war es wirklich erholsam gewesen. Bis sie dann zum College losfahren hatte müssen, hatte sie sich Bilder von sich und Jax angesehen und ihren Nachrichtenverlauf durchgelesen.
Positiv hatte sich das nicht auf ihre Laune oder ihr Aussehen ausgewirkt.
Das viele Weinen ließ sie langsam aussehen, wie einen Zombie. Und vielleicht war sie das ja auch irgendwie. Sie lebte nicht wirklich, sondern funktionierte nur. Physisch anwesend, doch geistig ganz weit weg, egal wo sie war.

Weder die Trennung von Gabriel noch die von Paul hatte ihr so zugesetzt.
Keiner der beiden war eben annähernd so gewesen wie Jax.
Mit ihm war alles intensiver gewesen.
Die Zuneigung, die Vertrautheit, die Gefühle füreinander, sogar die Lust aufeinander.
Bei ihm hatte sie sich fallen lassen können, konnte aus sich raus gehen, konnte auch mal fluchen oder sich danebenbenehmen, ohne dass ihr das tagelang vorgehalten worden war.
Jax hatte ihr immer das Gefühl gegeben, in seinen Augen könne sie gar nichts falsch machen.
Hatte sie zu wenig gelernt, oder sich beim Lernen mal wieder ablenken lassen, und eine dementsprechende Klausur geschrieben, hatte sie zu viel getrunken und sich im Suff blamiert, war ihr das Essen angebrannt oder hatte sie verschlafen, etwas vergessen oder verbockt, dann war es eben so. Sie war eben so.
Nickt perfekt und trotzdem hatte er sie genau das fühlen lassen.

Wieder meldete sich ihr Handy, dabei hatte es doch erst kurz zuvor endlich Ruhe gegeben.
Die kleine Hoffnung, es könnte Jax sein, konnte sie nicht vermeiden, wusste jedoch diese Hoffnung war vergebens.
Er hatte ihr nichts mehr zu sagen. Er hätte alles gesagt, so waren seine Worte gewesen.
Wer auch immer versuchte sie zu erreichen musste bis zum Ende des Kurses warten, von dem sie weiterhin nichts mitbekam, und auch danach konnte es sein, dass sie nicht darauf reagierte.
Ihr Bedürfnis mit jemandem zu reden war gering.
Sekunden, nachdem ihr Handy erneut verstummt war, vibrierte es einmal kurz. Sie hatte eine Nachricht bekommen.


Der Kurs war vorbei und Elli sah sich schließlich doch die Nachricht und die Anrufe an. Alle waren von Clay.
Sofort lief sie zu ihrem Auto, nachdem sie die Nachricht gelesen hatten.

Clay: Hallo Elli. Unser war hier, wegen deiner Praxis. Da haben sich wohl ein paar Jugendliche ausgetobt. Ruf an, wenn du das liest.


Er nahm fast augenblicklich ab.
„Was ist mit der Praxis?", schoss Elli sofort los.
„Beruhig dich. Es ist nichts kaputt", sagte Clay ruhig. „Unser meinte die Scheiben wären verschmiert und Klopapier verteilt worden."
„Was? Oh, man. Ich bin unterwegs."
„Gemma kann sich darum kümmern. Ich wollte dir nur Bescheid geben", bot Clay an.
„Alles gut. Bin schon im Auto. Muss jetzt auflegen. Und danke", entgegnete Elli schnell.

Sie stieg ein und fuhr los.
Diese Gelegenheit ihre restlichen Kurse sausen zu lassen, würde sie nutzen. Außerdem musste sie selbst wissen, was genau passiert war.
Sobald sich ihr Handy mit dem neuen Autoradio verbunden hatte, wählte sie Unsers Nummer.
Näheres erfuhr sie aber auch von ihm nicht, sie solle es sich selbst anschauen, er würde in ungefähr einer Stunde ebenfalls zur Praxis kommen.


Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit.
Wer machte nur so etwas ekelhaftes?
Als Clay meinte die Scheiben wären verschmiert worden, dachte sie an Rasierschaum oder Farbe, aber doch nicht an Scheiße.
Elli tippte auf Hundescheiße, wollte auch an gar nichts anderes denken, allein dieser Gedanke brachte sie schon zum Würgen.
Die Glastüre, das kleine Fenster links daneben und das große Schaufenster rechts der Türe waren damit beschmiert, nasses Klopapier war offensichtlich zu Bällen zusammengrollt und ebenfalls gegen die Scheiben geworfen worden.
Mit was diese durchtränkt waren, wollte Elli gar nicht hinterfragen.
Es war einfach nur widerlich.
Wie kam man nur auf so eine Idee?
Sie war sprachlos und selbst die Gedanken an Jax waren wie weggefegt, bei diesem Anblick.

Unser traf nur kurz nach ihr ein.
Auch er konnte das nicht nachvollziehen, war von den Nachbarn verständigt worden, doch mitbekommen, wer das war, hatte niemand.
„Willst du Anzeige stellen?", erkundigte er sich.
„Würde das denn etwas bringen?", entgegnete sie missmutig. Immerhin müsste sie diese Sauerei gleich beseitigen.
„Meine ehrliche Meinung?"
Elli nickte.
„Es wird sich im Sande verlaufen und selbst wenn wir denjenigen finden, der das war, bekommt er sehr wahrscheinlich nur ne Verwarnung", erklärte Unser. „Ein Jugendstreich, ekelhaft, aber es wurde nichts beschädigt."
„Und ich darfs putzen", ärgerte sich Elli.
„Mach davor ein paar Fotos", riet der Chief ihr. „Nur für den Fall der Fälle."
„Okay, danke Unser", gab sie zurück. „Dann werde ich mal Putzzeug holen."
Die Praxis selbst war noch so gut wie leer. Die Einrichtung kam erst nächste Woche und alles, was Elli bereits besorgt hatte, war bei ihr Daheim, damit es dann beim Aufbau der Möbel nicht im Weg stand.

Kurzentschlossen fuhr Elli zum Supermarkt, um sich einen Eimer, Gummihandschuhe, Putzmittel und Schwämme zu kaufen. Nach dem Putzen würde sie diese auch gleich entsorgen.
Sie stand gerade an der Kasse, sah durch die Glasschiebetüre hinaus auf den Parkplatz und erkannte Opie, der neben ihrem Auto stand.
Sie versuchte nicht zu genervt zu sein, als sie nach dem Bezahlen auf ihn zuging. Sicherlich meinte er es nur gut, hatte ihr Auto gesehen und wollte wissen, wie es ihr ging.
Aber diese Frage konnte sie nicht mehr hören und ihre Antwort wäre ohnehin gelogen.
Mit einem „geht schon" würde sie ihn abspeisen, wie am Tag zuvor schon die anderen Jungs in der Werkstatt.
Dabei wusste Opie genau, dass sie nicht ehrlich war, nicht nur falls Donna ihm von Samstagabend erzählt hatte. Während der Zeit, die sie mit Jax verbringen durfte, war Opie auch für sie ein guter Freund geworden. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, wie nahe ihr die Trennung gehen musste und ihr ansah, dass es ihr nicht gut ging.

Was er sie dann aber fragte, überraschte sie dann doch.
„Brauchst du Hilfe beim Putzen?"
„Ähm, nein", antwortete sie perplex über das Angebot. Auch wenn sie sich davor ekelte, würde sie das selbst tun, es war immerhin ihre Praxis. „Woher weißt du davon?"
„Ich hab gehört, was Unser gesagt hat und bin bei der Probefahrt vorbei gefahren. Ist drin alles okay?"
Elli zuckte mit den Schultern. „Ich hab noch nicht nachgesehen. Aber die Türe und die Fenster sind zu und ganz. Drin war bestimmt niemand."
„Sieh nach und melde dich, wenn dir doch etwas komisch vorkommt", sagte er ruhig, aber eindringlich.
„Das war ein dummer Jungenstreich, sagt auch Unser", war sich Elli sicher.
„Trotzdem", beharrte Opie.
Elli nickte ergeben. „Bis morgen dann."

🏍🏍🏍🏍🏍🏍🏍

Auch Opie verabschiedete sich und sie stieg ins Auto.
Kaum war Elli weg, schickte Opie Jax eine Nachricht mit den Bildern, die er von Ellis Praxis gemacht hatte.
Vielleicht hatte sie recht und es war nur ein dummer Streich gewesen, dennoch kam es ihm irgendwie komisch vor.
Erst Jax, der sich ungewöhnlich verhielt und nicht darüber sprechen wollte, jetzt die Sache mit Ellis Praxis.
Er hoffte auf einen blöden Zufall, aber er würde Elli im Auge behalten.

🏍🏍🏍🏍🏍🏍🏍


„Miss Summers, heute ganz allein hier? Vertreten die Herren des hiesigen Motorradclubs etwa noch immer die altmodische Auffassung, Putzen sei den Frauen vorbehalten?"
Der Schwamm fiel in den Eimer und Elli drehte sich genervt um.
Den Mann, der nun vor ihr stand, kannte sie nicht.
„Wollen Sie das übernehmen, Mister?"
„Fitzpatrick", meinte er. „Clark Fitzpatrick. Leider habe ich keine Zeit Ihnen zu helfen. Zumindest dabei nicht."
Fragend sah Elli ihn an und verschränkte die Arme vor ihrer Brust.

Clark trug einen gutsitzenden Anzug, war ungefähr Ende 40 schätzte sie und hatte ein schmieriges Lächeln aufgesetzt.
„Man munkelt, Jackson Teller und Sie gehen nun getrennte Wege. Ein Umstand, der mir sehr leid für Sie tut, doch es könnte auch eine Chance sein." Er griff in die Innentasche seines Sakkos und zog eine Visitenkarte heraus, die er Elli reichte. „Einige Geschäftsleute aus Charming haben sich zusammengeschlossen, um etwas gegen den Einfluss der Sons zu unternehmen. Schließen Sie sich uns an, Sie würden es nicht bereuen."
Elli warf nur einen kurzen Blick auf die kleine Karte und wollte sie wieder zurückgeben. „Ich denke eher nicht."
„Behalten Sie sie. Vielleicht werden Sie sie noch brauchen. Wir wollen ein friedliches Miteinander in Charming, wollen doch alle nur unseren Geschäften nachgehen, auch Sie demnächst. ProCharming wird dies möglich machen." Er deutete eine Verbeugung an. „Leider ruft die Arbeit auch schon wieder. Bis bald, Miss Summers."
„Tschüss", antwortete Elli knapp, bevor sie sich wieder dem Putzeimer widmete.

So schnell es ging, wollte sie hier weg, wenn jetzt schon Außenstehende von ihrer Trennung wussten.
Hatte sie wenigstens für kurze Zeit die Gedanken an Jax verdrängen können und sich lieber gefragt, welche Idioten ihre Praxis verunstaltet hatten, war es jetzt wieder er, der präsent war und Tränen in ihre Augen trieb. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top