17. komische Stimmung
Zuerst hatte sie mit Juice zusammen ihr Auto begutachtet.
Mit schwarzem Panzertape hatte er die Schnitte im Verdeck überklebt. Das Klebeband fiel auf, es sah nicht besonders toll aus, aber es würde seinen Zweck erfüllen.
Elli hatte sich bedankt und gleich zugestimmt, als er vorgeschlagen hatte gemeinsam die fehlenden Teile auszusuchen.
Auch Clay kam dazu, damit er dann den Kostenvoranschlag für die Versicherung erstellen konnte.
Als sie eine Bewegung vor der geöffneten Bürotür bemerkte, sah sie auf.
Ihr Herz setzte einen Schlag aus, während sie direkt in die schönsten blauen Augen blickte, die sie kannte.
Es war nur eine Sekunde, dann war Jax aus ihrem Blickfeld verschwunden.
Aber diese Sekunde hatte gereicht, um ihren Puls in die Höhe zu treiben und ihr Innerstes aufzuwühlen.
Nachdem sie alles ausgesucht, bestellt, aufgelistet und Clay den Kostenvoranschlag unterschrieben hatte, ging Elli nach draußen eine rauchen.
Nebenher rief sie Unser an, um sich nach Neuigkeiten zu erkundigen.
Leider hatten die Überwachungskameras nichts erbracht. Zwei Personen, die nachts um halb drei vorbei gingen. Aber weder sah man, wohin genau sie liefen, noch sah man deren Gesichter.
Den Bericht für die Versicherung hatte er fertig und könnte ihn bei ihr zuhause einwerfen, wenn er Streife fuhr.
Das war Elli recht und sie bedankte sich bei ihm.
Zumindest offiziell wäre das Thema demnächst geklärt.
Zurück im Büro traute sie ihren Augen kaum.
Jax saß auf ihrem Stuhl und blickte ihr entgegen. Seinen Ausdruck konnte sie nicht richtig deuten, aber er wirkte nicht so wütend, wie sie es erwartet hatte.
Dennoch konnte man wohl kaum von einem glücklichen Wiedersehen sprechen. Sie fühlte sich keinesfalls glücklich.
Nervös traf es eher.
Zwei Schritte vor dem Schreibtisch blieb sie stehen, mit wackligen Knien und ineinander verschränkten Händen.
„Wer war das mit deinem Auto?"
Seine Stimme klang ruhig, fast schon sanft. Dennoch brachte Elli keinen Ton heraus und zuckte nur mit den Schultern.
„Fitzpatrick?", hakte er weiter nach und beobachtete sie ganz genau.
„Wie kommst du auf ihn?", fragte sie unsicher.
Er antwortete nicht gleich, musterte sie weiter, weshalb sie den Kopf senkte. Er kannte sie, er würde wahrscheinlich erkennen, dass sie log.
„Nur so ein Gedanke. Ist er denn richtig?"
Wieder schwieg Elli, das erschien ihr besser, als zu lügen.
„Elli." Er stand auf und fuhr sich durch die Haare. „Du liebst dein Auto und willst ihn doch nicht ernsthaft damit durchkommen lassen."
„Selbst wenn, dann ist es mein Problem."
Sie hatte so leise gesprochen, dass sie sich nicht sicher war, ob Jax es gehört hatte. Seine Reaktion deutete allerdings darauf hin.
Er setzte an etwas zu erwidern, ließ es dann aber bleiben, schüttelte den Kopf und lief durch die hintere Türe in den Flur zum Aufenthaltsraum.
Elli sah ihm nach. Sie schwankte zwischen Genugtuung und Reue.
Etwas an seinem Abgang erinnerte sie an einen beleidigten kleinen Jungen, der nicht bekommen hatte, was er wollte.
Das Teufelchen auf ihrer Schulter flüsterte ihr zu, dass ihm das recht geschah. Er hatte ihr etwas genommen, was sie haben wollte, nämlich seine Liebe. Warum sollte sie ihm nun geben, was er wollte, selbst wenn es nur Antworten waren.
Das Engelchen auf der anderen Schulter schüttelte den Kopf wie Jax kurz zuvor.
Auch wenn er sie verlassen hatte, würde er ihr scheinbar in dieser Angelegenheit helfen und vielleicht hätte sie diese Hilfe nicht so schnell abweisen sollen.
Bestimmt würde auch er den Club miteinbeziehen, aber bei ihm wusste sie, dass er überlegter vorging als Clay. Er würde sich einen Plan zurechtlegen und nicht einfach losstürmen, Fitzpatrick bedrohen oder gar angreifen.
Er könnte ihre Chance sein gegen ProCharming vorzugehen und es könnte ihre Chance sein, ihm wieder näher zu kommen.
Erschrocken über diesen Gedanken wandte sie sich von der Türe ab, lief um ihren Schreibtisch und machte sich an die Arbeit.
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„Hat sie was gesagt?"
Juice beugte sich über das Metallrohr, welches im Schraubstock festgespannt war und sah sich die Schweißnaht genauer an. Opie wusch sich gerade die Hände am Waschbecken daneben, Jax lehnte kopfschüttelnd gegen die Werkbank.
„Hast du echt erwartete, sie spricht mit dir, nachdem was du getan hast?"
Opie sah Jax mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Willst du mich jetzt blöd anmachen?", fragte Jax gereizt.
„Nein." Opie rückte seine Mütze zurecht. „Ich sage nur wie es ist. Du trennst dich von Elli und haust ab, ohne ihr zu sagen warum. Du versteckst dich vor dem Club und deinen Freunden und sagst auch uns nicht, was los ist. Dann tauchst du plötzlich wieder auf, gibst nicht mal Bescheid und prügelst dich schon in den ersten zehn Minuten mit dem neuen Prospect. Irgendetwas läuft bei dir gewaltig schief, aber anstatt endlich mal selbst das Maul aufzumachen versuchst du Elli zum Reden zukriegen. Versteh das nicht falsch. Du bist mein bester Kumpel, mein Bruder, aber lass Elli in Ruhe, bevor sie erneut kaputt am Boden liegt."
„Ach ja. Und du hast das zu entscheiden weil du jetzt ihr neuer Stecher bist, oder was?" Jax' Augen verengten sich zu Schlitzen und er ging einen Schritt auf Opie zu.
„Hörst du dir überhaupt zu und merkst, was für einen Scheiß du redest? Und was jetzt? Willst du dich mit mir auch anlegen, wie mit Curt?"
Opie ließ sich das nicht gefallen und stellte sich Jax entgegen.
„Okay", meinte Juice und trat mit erhobenen Händen zwischen die beiden. „Jetzt kommen wir mal alle wieder runter."
„Und gehen an die Arbeit", brummte Clay, der gerade zu ihnen trat. „Ich bezahl euch nicht fürs Rumstänkern."
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In der Mittagspause kam Alessa in der Werkstatt vorbei.
Sie hatte Wandfarben in verschiedenen Gelbtönen und Schwämme dabei. Die Wand, an die ihre Kursteilnehmer schauen würden, wollte sie damit verschönern.
Mit einem warmen Orange würde sie dann noch einen motivierenden Spruch schreiben.
Für Elli war es okay, Orange war ihre Lieblingsfarbe.
Sie gab Alessa den Schlüssel für die Praxis und versicherte ihr, dass sie nach Feierabend vorbeikommen würde.
Sicher war dann auch ein Gespräch fällig. Alessa sollte von ihr erfahren, was da mit Fitzpatrick abging.
Aber hier an der Werkstatt konnte sie nichts davon erzählen, denn die Wände könnten Ohren haben.
Sie hatte ihr Sandwich im Aufenthaltsraum geholt und sich dann ins Büro verzogen, um der angespannten Atmosphäre zu entkommen. Als Begründung hatte sie angegeben, sie müsse noch ein paar private Dinge am Computer erledigen.
Ganz gelogen war es nicht, denn sie hatte tatsächlich vor zu recherchieren, allerdings am Handy, damit niemand ihren Suchverlauf entdecken konnte.
Auf die Idee hätte sie schon längst kommen können, denn sie war so simpel.
Sie biss in ihr Sandwich und tippte ProCharming in das Suchfeld auf ihrem Smartphone.
Sofort wurden ihr unzählige Einträge angezeigt. Sie hatten sogar eine eigene Homepage, auf der sich die Vorstandschaft zeigte.
Der erste Vorsitzende war natürlich Clark Fitzpatrick, zweiter Vorsitzender und Kassenwart Stephan Montega, der Mann, der bei der Versammlung neben Fitzpatrick gesessen war. Die Frau, die ihn angehimmelt hatte, war Natalie Goldberg, die Schriftführerin.
Diese drei schienen den Laden zu schmeißen, denn andere Mitglieder wurden nur namentlich genannt, aber es gab keine Fotos dazu und sie waren uninteressant.
Clark, Stephan und Natalie wurden jedoch genauer unter die Lupe genommen und Elli suchte nach jedem der Namen extra im Internet.
Über Fitzpatrick fand sie am meisten.
Er hatte das Herrenbekleidungsgeschäft seines Großvaters übernommen und war deshalb mit seiner Frau Anna nach Charming gezogen. Ende letzten Jahres war sein Großvater gestorben. Clark engagierte sich in der Kirchengemeinde, spendete für caritative Zwecke und achtete dabei genau darauf, dass jede gute Tat festgehalten und veröffentlicht wurde.
Auch sein anstehender Wahlkampf wurde bereits angekündigt und laut eines Interviews, stellte der Einzug in den Stadtrat für ihn die Weichen für das Amt des Bürgermeisters.
Auf jedem der Bilder strahlte ihr dieses verlogene Lächeln entgegen. Das Lächeln seiner Frau stand dem in nichts nach.
Über Natalie Goldberg fand sie kaum etwas. Sie hatte kein eigenes Geschäft, sondern arbeitete in der Textilfabrik ihrer Eltern. Verkaufsschlager waren Topflappen und Tischdecken.
Stephan Montega betrieb ein Sportfachgeschäft außerhalb des Zentrums. Aus seiner Jugend gab es Fotos, die ihn im Boxring zeigten, lächelnd mit blutenden Wunden und posierend mit Pistolen und Gewehren.
Auf vielen der Bilder lag etwas Irres in seinem Blick.
Nach ihm musste sie definitiv Ausschau halten und wollte ihm nachts nicht über den Weg laufen.
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„Warte, Jax."
Anstatt den Aufenthaltsraum zu verlassen, blieb Jax stehen und drehte sich zu Opie um.
„Das vorhin war blöd von mir, ich wollte keinen Stress anfangen. Aber ich merk doch, dass irgendwas nicht stimmt. Du magst Elli offensichtlich noch, sorgst dich um sie und hast Curt ein blaues Auge verpasst, nur weil er sie angegraben hat. Warum hast du dich dann von ihr getrennt? Ich verstehs einfach nicht, also hilf mir bitte auf die Sprünge."
Opie rieb sich den Nacken und hoffte Jax würde endlich auspacken. Dass Jax seinem Blick nicht standhalten konnte, konnte er nicht deuten. Es war, als kenne er seinen besten Freund nicht mehr, denn er konnte ihn nicht mehr einschätzen.
Sein ganzes Verhalten seit der Trennung war komisch. Abweisend, gereizt und aggressiv.
„Hat die Trennung was mit dem zu tun, was jetzt bei Elli abgeht?", bohrte er weiter, da Jax nicht antwortete.
Es krachte und ein Bilderrahmen fiel von der Wand, als Jax dagegentrat.
„Scheiße nein", stieß er aus. „Ich würde ja selbst gern wissen, was bei ihr los ist. Ich bin sicher da steckt Fitzpatrick dahinter, auch wenn sie das nicht zugibt. Das hat aber nichts mit der Trennung zu tun. Ich... es... es ist kompliziert."
Er setzte sich auf einen Stuhl, vergrub sein Gesicht einen Augenblick in den Händen, dann fuhr er sich durch die Haare und ließ die Schultern hängen.
„Ich wollte sie nie verlassen, aber hätte ich es nicht gemacht, hätte sie es wahrscheinlich gemacht und wir alle wären im Knast gelandet."
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Wie Donna es am Tag zuvor gesagt hatte, konnte Elli Opies Truck ausleihen. Er war morgens damit zur Werkstatt gekommen und hatte Elli die Schlüssel dafür gegeben.
Also fuhr sie nach Feierabend zur Praxis, um zu sehen, wie weit Alessa war und damit sie mit ihr reden konnte.
Die Wand war bereits komplett mit einem hellen Gelb überzogen und vereinzelt gab es dunklere Abdrücke des Schwamms. Alessa bot an am nächsten Tag nochmal zu kommen, wenn Elli abschließen und gehen wollte. Diese schlug jedoch vor, noch einen Kaffee zusammen zu trinken.
Was Alessa dann hörte war schockierend. Da sie nicht in Charming lebet hatte sie nichts von den verschmierten Scheiben mitbekommen, geschweige denn von der Sexanzeige oder Ellis Auto. Sie war besorgt und trank den Rest ihres Kaffee schweigend.
Elli war sich nicht sicher, ob Alessa sich davon abschrecken ließ und noch abspringen würde, aber sie hatte es ihr sagen müssen, wenn sie auch Details weggelassen hatte. Sie durfte nicht in Fitzpatricks Fängen landen, nur weil sie sich in der Praxis aufhielt.
Es lag eine komische Stimmung zwischen den beiden Frauen, als sie die Praxis verließen und sich verabschiedeten.
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