15. Er ist wieder da
Juice hatte angeboten sie nach Hause zu bringen, aber sie wollte laufen.
In ihrem Kopf kreisten die Gedanken und sie hoffte, sie könne sie ein wenig sortieren.
Verhielt sie sich richtig?
Sollte sie Hilfe beim Club suchen und mit ihnen über ProCharming und ihren Verdacht sprechen?
Oder sollte sie sich an Fitzpatrick wenden und ihm klar machen, dass sie sich nicht einschüchtern ließe?
Sie könnte damit beginnen selbst etwas zu finden, was sie gegen ProCharming verwenden könnte. Ein paar Informationen hatte sie ja schon.
Sie könnte mit der Nachricht die sie erhalten hatte aber auch zu Unser und ihn auf ProCharming aufmerksam machen.
Waren Juices Befürchtungen wahr und als nächstes würde es sie treffen?
Würde Fitzpatrick so weit gehen?
Noch ehe sie ganz zuhause war, piepste ihr Handy und riss sie damit aus ihren Überlegungen.
Opie: Soll ich dich nachher abholen oder willst du zu Gemma laufen?
Im ersten Moment wollte Elli sich aufregen. Warum hatte Juice die Sache mit ihrem Auto gleich Opie erzählt? Und wer wusste noch alles davon?
Aber Opie hatte angeboten sie abzuholen, war nicht auf ihr Auto eingegangen und nervte sie nicht. Sie konnte ihm nicht böse sein, weil er ein guter Freund war, deshalb antwortete sie, dass sie das Angebot gerne annahm. Das Essen und die Party absagen, wie es ihr kurz in den Sinn gekommen war, wollte sie nicht. Immerhin sollte es dabei um sie und ihren Abschluss gehen. Das würde sie sich nicht kaputt machen lassen, sonst hätte Fitzpatrick erreicht, was er wollte.
Über eine Stunde hatte sie in der Badewanne gelegen und versucht sich zu entspannen. Um sich abzulenken hatte sie in einem Buch gelesen und zweimal musste sie neues, heißes Wasser nachlaufen lassen.
Obwohl sie nicht darüber hatte nachdenken wollen, hatte sie es natürlich nicht verhindern können und einen Entschluss gefasst.
Sie würde sich nicht unterkriegen lassen und ihr Ding machen.
Irgendwann würde selbst Fitzpatrick merken, dass sie nicht auspackte und ihm nicht gegen die Sons helfen würde. Gleichzeitig würde sie aber auch den Club nicht miteinbeziehen, sonst wäre die Eskalation vorprogrammiert.
Hieß es nicht, der Klügere gibt nach?
In ihren Augen erschien es klug, sich in nichts verwickeln zu lassen, egal von welcher Seite aus.
„Nein", stieß Elli aus. „Nein, nein, nein."
Ihr Blick klebte an Opies Bike vor ihrem Haus.
„Sei doch nicht so. Jetzt wo dein Auto ne Weile außer Gefecht ist solltest du dich an ein Bike gewöhnen. Ist praktisch und du hättest noch eins in der Garage stehen."
„Und wenn ich noch zehn Motorräder hätte... niemals."
Sie starrte Opie fassungslos an, da dieser anfing zu lachen.
„Keine Sorge, Donna kommt gleich mit dem Minivan. Ich dachte nur, ich probier es mal."
„Du..." Statt ihm ein „Idiot" an den Kopf zu werfen, boxte sie ihn gegen die Schulter. „Ich hab mich schon durch die ganze Stadt laufen sehen."
„Aber mal im Ernst. Was machst du, bis das Auto wieder fahrtüchtig ist? Juice glaubt das kann Wochen gehen, bis er die richtigen Ersatzteile bekommt, wenn überhaupt. Ich glaube vor allem das Verdeck wird schwierig."
Elli zuckte unwissend mit den Schultern. Darüber hatte sie noch nicht nachgedacht. Ehrlich gesagt hatte sie damit gerechnet, dass ihr Auto in der kommenden Woche gerichtet würde.
Sollte das aber tatsächlich Wochen dauern, müsste sie sich nach einem anderen fahrbaren Untersatz umsehen.
Sie konnte nur hoffen, Juice hätte gleich bessere Nachrichten für sie.
Donna kam nach fünf Minuten und wollte sofort wissen, ob Elli auf Opies Scherz reingefallen war. Grinsend erzählte Opie von Ellis entsetztem Gesicht und alle drei brachen in Lachen aus.
Die gute Laune hielt auch auf dem Weg zu Gemma und selbst das leckere Abendessen konnte Elli ohne Fragen zu ihrem Auto genießen. Stattdessen ging es um ihren Abschluss, ihre Noten und die kleine Feier am College am Abend zuvor.
Auch Gemma und der Club hatten ein Geschenk für Elli.
Einen großen Korb voller Süßigkeiten, Snacks, Kaffeebohnen und zwei Flaschen Wein. Nervennahrung hatte Gemma gemeint.
Freudig hatte sich Elli bei jedem mit einer Umarmung bedankt und dabei noch den ein oder anderen Gluckwunsch zugesprochen bekommen.
Bevor sie mit Donna zum Clubhaus fahren konnte, sprach Juice sie an. Er hatte vor dem Haus auf sie gewartet.
„Clay wird die Sache mit deinem Auto noch ansprechen. Ich hab ihm erzählt, was Unser gesagt hat und dass du nicht weißt, wer dahintersteckt. Aber du kennst ihn ja. Du gehörst zur Familie, also wird dem nachgegangen."
„Danke für die Warnung", entgegnete Elli.
„Klar doch. Und ich hab bereits nach den Teilen gesucht. Sieht ziemlich schlecht aus. Bisher hab ich weder ein Originallenkrand noch den Schaltknauf gefunden. Beim Verdeck nicht mal ne Nachahmung. Aber ich werde mich weiter umschauen."
„Denkst du, der Täter wird die Teile online verschachern?"
„Ich hatte die Hoffnung", gab Juice zu. „So würden wir gleich auch wissen, wer es war. Da sich das aber alles ziehen wird, rate ich dir dazu auf die Originalteile zu verzichten. Ein anderes Lenkrad und irgendeinen Knauf, bis wir die Originale bekommen. So könntest du wenigstens fahren. Der kaputte Kabelbaum ist kein Problem und beim Verdeck hilft wohl nur Klebeband, damit es nicht zieht oder noch weiter einreißt."
„Dann hätte ich das Auto schneller wieder?" Es widerstrebte Elli, ihr Auto nicht gleich in den ursprünglichen Zustand bringen zu können, aber wenn sie es dann früher wieder nutzen könnte, wäre es eine Überlegung wert.
„Ich kann mich morgen um das Verdeck kümmern und die Teile und Reifen am Montag bestellen. Wenn sie Dienstag da sind, kann ich alles bis Mittwoch fertig machen. Den Kostenvoranschlag wird Clay erstellen, aber ich schätze, er muss dabei auch die Nachahmungen für die Preise nutzen."
Elli stimmte seufzend zu. Besser als nichts schätzte sie.
„Danke. Aber du musst deinen freien Sonntag nicht dafür opfern."
Juice winkte ab. „Das ist der Vorteil, wenn man mit einem Mechaniker befreundet ist. Aber jetzt geht's erst mal zur Party."
Nachdem Elli auch Clay versichert hatte, dass sie kein Ahnung hatte wer das mit ihrem Auto gewesen war und Unser zustimmte, konnte sie sich auf die Party einlassen.
Es war viel los, sie musste mit zig Leuten anstoßen und hörte noch etliche Glückwünsche.
In den frühen Morgenstunden setzte sie sich müde an die Bar.
Donna und Gemma waren schon gegangen, ein paar Gäste waren bereits zu zweit oder gar zu dritt in die Zimmer verschwunden und es wurde etwas weniger wild. Bobby war nach seiner Elvisnummer draußen auf dem Tisch eingeschlafen.
Auch Curt, der neue Prospect, hatte kaum noch was zu tun.
„Ich hab gehört Glückwünsche sind angebracht und du hast deinen Abschluss. High-School nachgemacht?" Er lehnte sich interessiert auf den Tresen.
„High-School?" Elli lachte auf. „College. Ich bin jetzt fertige Physiotherapeutin."
„Oh, entschuldige. Ich bin wohl noch nicht auf dem aktuellen Stand und wollte nicht neugierig sein, wenn ich einen der anderen frage." Er kratzte sich verlegen hinterm rechten Ohr. „Ich hoffe ein Schnaps macht das wieder gut."
Sie sah auf ihre fast leere Bierflasche. Hatte sie diese ausgetrunken, wollte sie gehen. Aber einen Kurzen konnte sie noch vertragen. „Gerne", stimmte sie zu. „Und woher kommst du, wenn ich neugierig sein darf?"
„Ursprünglich aus L.A.", antwortete er und schenkte zwei Tequila ein. „Aber dann war ich bei der Air Force und lebte mal hier mal dort auf den verschiedenen Stützpunkten. Nach einer Sprunggelenksverletzung musste das Gelenk teilweise versteift werden. Keine große Einschränkung für mich, aber für die Air Force war das ein Grund mich zu entlassen. Ehrenhaft natürlich."
Er grinste breit, schob Elli den Schnaps zu und stieß mit ihr an. Als sein Glas geleert war, sprach er weiter.
„Zurück in L.A. hab ich das Motorradfahren entdeckt, über Umwege bin ich dann hier gelandet und hoffe ich finde bald ne Wohnung."
„Wohnst du hier im Clubhaus?"
Es war normal, dass der Prospect den Tag im und um die Werkstatt und dem Clubhaus verbrachte. Elli hatte nicht darüber nachgedacht, ob er auch hier wohnte. Bisher hatte sie sich auch noch nie mit Curt unterhalten, sondern nur gegrüßt, wenn sie ihn gesehen hatte.
Dabei schien er ganz nett zu sein.
Das hatte sie bei Andy und Tom aber auch gedacht, flüsterte die leise Stimme.
„In dem billigen Motel am Stadtrand Richtung Lodi."
Er hob die Tequilaflasche an, schüttelte sie ein wenig und sah Elli fragend an.
„Das ist aber der letzte, dann muss ich nach Hause."
„Allein? Das kann ich nicht verantworten." Curt lächelte breit. „An den Wochenenden hab ich hier ein Zimmer. Das Bett ist breit genug für zwei..."
Elli kippte den Schnaps herunter und stand auf. „Ähm, danke für das Angebot, aber nein. Ich habs nicht weit und schaff das schon."
„Sicher?" Curt musterte sie aufmerksam.
„Sie schafft das schon, wie sie es gesagt hat", kam es vom Eingang her.
Ellis Körper versteifte sich augenblicklich. Diese Stimme...
Ein Schauer jagte über ihren Rücken, in ihrem Bauch kribbelte es, Gänsehaut breitete sich auf ihrem ganzen Körper aus. Aufregend und beängstigend zugleich.
Mehrmals schluckte sie trocken, um den Kloß in ihrem Hals loszuwerden.
„Richtig... tschüss."
Ohne den Kopf zu heben, lief sie in Richtung Türe, ihr Herz schlug viel zu schnell.
Sie sah ihn nicht an, als sie an ihm vorbeilief, sagte nichts und spürte trotzdem, diese Anziehung, die es schon immer zwischen ihnen gegeben hatte.
Hätte sie sich nicht auf die Türe konzentriert hätten ihre Beine sie sicherlich von allein zu ihm getragen.
Zu dem Mann, nach dem sie sich sehnte, den sie liebte und den sie wiedersehen wollte. Dem Mann, der sie um den Verstand brachte und in dessen Armen ihre Probleme sofort schrumpfen würden.
Zu dem Mann, der ihr das Herz gebrochen hatte und den zu sehen sie noch nicht bereit war.
Jax. Er war wieder da.
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