13. Die Versammlung
Clark Fitzpatrick war offensichtlich überrascht, dass Elli tatsächlich auftauchte.
Sie betrat den Konferenzraum eines IT-Unternehmens, in dem die Versammlung stattfand, und sah, wie er seinen Gesprächspartner einfach stehen ließ, um zu ihr zu eilen.
„Es freut mich außerordentlich Sie zu sehen, Miss Summers."
Mit seinem falschen Lächeln reichte er ihr die Hand.
Plötzlich war sie also wieder Miss Summers, schoss es ihr durch den Kopf.
„Hallo", grüßte sie knapp und schüttelte ihm widerwillig die Hand. „Sie sollten meinem Erscheinen keine allzu große Bedeutung beimessen."
Nur schwer konnte sie sich ein Grinsen verkneifen. Was er konnte mit seinem hochgestochenen Getue, konnte sie auch.
Dabei war sie sich sicher, am Friedhof mit seiner Drohung, hatte er ihr zum ersten Mal sein wahres Gesicht gezeigt.
Sein Lächeln zuckte für den Bruchteil einer Sekunde, doch er fing sich schnell wieder.
„Kommen Sie und setzen sich. Wir fangen gleich an."
Er deutete auf die freien Stühle um den großen Konferenztisch.
Kleine Wasserflaschen, Gläser, Tassen, Thermoskannen und Kekse standen bereit. An jedem Platz lag ein dünner Block und ein Kugelschreiber, beides mit dem ProCharming Logo bedruckt.
Die Tagesordnung wurde über einen Beamer an die Wand an der Stirnseite des Tisches projiziert.
Begrüßung, Verlesung des Protokolls der letzten Versammlung, kurzer Kassenbericht sowie Empfehlung zur Anpassung der Beiträge, Neuaufnahmen, Kandidatur zum Stadtrat, Sonstiges/Anträge der Mitglieder.
Elli setzte sich auf den ersten freien Stuhl, nahe am Ausgang.
Clark hingegen lief den langen Tisch entlang bis zum Kopfende. Flankiert von einem Mann und einer Frau nahm er dort Platz und warf einen Blick auf seine luxuriöse Armbanduhr.
War das seine Ehefrau?
Er trug zumindest einen Ring am Finger und die Frau sah ihn an, als sei er der einzige Mann im Raum.
Was sie wohl an ihm fand?
Sie selbst hatte nicht mal einen Funken Sympathie für diesen Mann übrig und wenn sie sich in der Runde umsah, wurde ihr diese ganze ProCharming Organisation immer suspekter.
Geschäftsmänner in Anzügen, alle mit einem verlogenen Lächeln im Gesicht. Oberflächliche Gespräche und prahlerische Angebereien, wie gut doch die eigenen Geschäfte liefen.
Die wenigen Anwesenden, die nicht sofort den Eindruck von hochnäsigen Anzugträgern auf sie machten, wirkten eingeschüchtert und hielten den Blick gesenkt.
Nach Geschäftsfrauen hielt sie bei den ungefähr 20 Anwesenden vergeblich Ausschau.
„Nun denn, ich denke wir fangen an."
Fitzpatrick erhob sich von seinem Stuhl und strich sein Jackett glatt.
„Ich möchte Sie alle recht herzlich begrüßen. Wie ich sehe, sind erneut fast alle Mitglieder unserer Einladung gefolgt und es freut mich besonders drei neue Gesichter in unseren Reihen zu sehen."
Sein Blick glitt durch die Runde und blieb an Elli hängen.
„Zwei von ihnen werden wir bereits heute aufnehmen, doch zunächst hören wir den Bericht der letzten Versammlung vor zwei Monaten."
Nun stand auch die Frau auf und hatte eine Ledermappe in der Hand.
Während sie das Protokoll verlas, sah sich Elli nochmal genauer um.
Die Zahlen und Beschlüsse interessierten sie nicht wirklich.
Fitzpatrick beugte sich zu dem Mann hinunter, der neben ihm saß und flüsterte ihm etwas zu. Dieser nickte und ein Grinsen erschien auf seinem Gesicht.
Nur einen Moment später sah er genau in Ellis Richtung.
Schnell hatte Elli den Kopf gesenkt, aber das Gefühl, dass Fitzpatrick dem Mann etwas über sie gesagt hatte, hielt sich hartnäckig. Ein Gefühl das ihr nicht gefiel.
Sie wartete, bis die Frau mit ihrem Bericht fertig war und sah erst wieder auf, als Fitzpatrick zum nächsten Tagesordnungspunkt überging.
Dem Kassenbericht, welcher von dem Mann neben ihm vorgetragen wurde.
Er sprach von mehreren Projekten, die ProCharming auf die Beine gestellt hätte. Aufstellen neuer Mülleimer, Instandhaltung eines Spielplatzes, das Erstellen eines Gewerbeverzeichnisses.
Von alle dem hatte Elli bisher nichts mitbekommen oder gesehen, doch scheinbar waren die Ausgaben so hoch, dass die Mitgliedsbeiträge deshalb erhöht werden sollten. Um fünf Prozent.
Eine Endzahl wurde nicht genannt und Elli kam die ganze Sache merkwürdig vor.
Die Mitglieder sahen das allerdings anders und stimmten einer Erhöhung zu, wenn manche auch eher widerwillig und zögerlich.
Ein Mann neben ihr murmelte sogar etwas von „Frechheit, sie nehmen doch schon zehn Prozent."
Wurde also der Beitrag am Einkommen gemessen?
Ihr Name riss sie aus ihren Gedanken.
„Entschuldigen Sie bitte. Um was ging es gerade?"
Fitzpatrick lächelte sanft.
„Wir kommen zur Aufnahme der neuen Mitglieder. Dürfen wir auch Sie heute schon als ein solches begrüßen? Bis zur Eröffnung ihrer Praxis dauert es nicht mehr lange und wir könnten Sie von Anfang an unterstützen."
„Danke, nein." Leicht schüttelte sie den Kopf. „Noch hat sich mir der Sinn ihrer Organisation nicht ganz erschlossen."
Clarks Lächeln verschwand. „Ich werde es Ihnen später gerne noch einmal genauer erläutern."
Wenn Blicke töten könnten hätte Elli wahrscheinlich ihren letzten Atemzug in diesem Raum getan, aber lange ließ sich Fitzpatrick nicht davon aufhalten.
Mit einem neuen Zahnpastawerbelächeln wandte er sich an zwei Herren, die neben der Frau saßen.
„Mister Swiss, Inhaber der Eisdiele und Mister Fluck, Inhaber der hiesigen Werbeagentur, nach Sichtung ihrer Unterlagen, Begutachtung und Zustimmung ihrer Mitgliedsanträge, ist es mir eine Ehre Sie beide in unseren Reihen willkommen zu heißen. Im Namen von ProCharming überreiche ich Ihnen hiermit unsere Anstecknadel. Im Laufe des morgigen Tages wird Stephan bei Ihnen vorbeikommen und die Plakette anbringen, die Sie auch Außenstehenden als Mitglied unserer Organisation ausweisen wird."
Clark ging auf die beiden Männer zu, schüttelte jedem von ihnen die Hand und übergab ihnen dabei die Anstecknadel.
Obwohl Fitzpatrick in Ellis Augen zu viel Getöse um die Aufnahme machte, sogar noch für ein paar Fotos mit den neusten Mitgliedern posierte, sprang er recht zügig weiter zum nächsten Thema.
Seine Kandidatur zum Stadtrat.
„Wir alle haben das gleiche Ziel. Ein modernes, sicheres, gutsituiertes Charming. Darauf wird sich auch mein Wahlkampf stützen. Sicherheit, Sauberkeit, Freundlichkeit. Mit unseren Projekten haben wir bereits Grundsteine gelegt und weitere sind in Planung. Wir werden Charming in eine bessere Zukunft führen, doch dafür bedarf es der Unterstützung von Ihnen allen. Es wird Veranstaltungen geben, Wahlplakate müssen entworfen und Spenden gesammelt werden. Unser erster Schritt wird die Teilnahme mit einem Stand beim Frühjahrsjahrmarkt sein. Eine Tombola deren Erlös an den Kindergarten gehen wird. Ich weiß, ich werde mich beim Spenden der Preise auf Sie alle verlassen können, ebenso bei der Arbeit am Stand selbst. Es wird auch für Sie ein guter Weg sein an Bekanntheit zu gewinnen und Werbung für Ihre Unternehmen zu machen."
Der Blick mit dem Fitzpatrick jeden einzelnen bedachte ließ einen Widerspruch nicht zu und bescherte Elli eine Gänsehaut.
Sie hatte genug gehört und stand auf, um zu gehen.
„Miss Summers, Sie wollen uns schon verlassen?"
Natürlich war es Clark nicht entgangen.
„Ich denke, ich habe genug gehört", gab Elli zurück.
„Bitte warten Sie noch einen Moment."
Fitzpatrick beute sich erneut zu dem Mann hinunter und flüsterte etwas, dann kam er auf Elli zu.
Lächelnd hielt er ihr die Türe auf und folgte ihr hinaus auf den Flur.
„Es tut mir leid, dass wir Sie nicht von ProCharming überzeugen konnten und ich hoffe für Sie, dass Sie diese Entscheidung nicht bereuen werden."
„Ist das ein weitere Drohung?"
Elli hielt seinem nun nicht mehr so freundlichen Blick stand.
„Wie kommen Sie denn auf eine Drohung. Wir sind hier immerhin nicht bei einem dreckigen Motorradclub."
Trotz seines überheblichen Grinsens konnte Elli Wut in seinen Augen sehen.
„Da bin ich mir ehrlich gesagt nicht sicher", antwortete Elli.
Scharf zog Fitzpatrick die Luft ein. „Wie können Sie es wagen unsere Organisation mit solch daher gelaufenen Wilden zu vergleichen?"
„Zum einen sehe ich bisher keinen Unterschied in der Struktur beider Verbindungen. Sie selbst haben mich davor gewarnt und gehen davon aus, dass der Club Schutzgeld erpressen könnte, dafür bieten sie Schutz. Bei ProCharming wird es eben Mitgliedsbeitrag genannt, doch es ist ein und dasselbe. Wofür diese Mitgliedsbeiträge ausgegeben werden, ist undurchsichtig, das Sagen scheinen ausschließlich Sie zu haben und wer nicht spurt, der verliert. Wie sie sagten, ProCharming kennt nur Freund oder Feind."
Sie konnte gar nicht verhindern, dass sie lächelte, während Fitzpatrick immer mehr Farbe verlor und sie entsetzt anstarrte.
„Zum anderen ist ProCharming für Sie doch nur eine Einnahmequelle für ihren Wahlkampf. Ich für meinen Teil werde mich darauf konzentrieren meine Praxis aufzubauen und dazu brauche ich weder die Sons noch ProCharming. Wenn Sie meinen mich mit dieser Sexanzeige aus der Bahn geworfen zu haben, dann haben Sie sich wohl geirrt. Und nun noch einen schönen Abend, ich habe besseres zu tun."
Mit festen Schritten ging Elli davon und ließ Fitzpatrick stehen.
Das Herz klopfte ihr bis zum Hals und seine Worte hallten in ihren Ohren wider.
„Ich hoffe für Sie, dass Sie diese Entscheidung nicht bereuen werden."
Vielleicht würde sie das, aber sie würde sich nicht so einfach unterkriegen lassen.
Sobald sie das Gebäude verlassen hatte, zündete sie sich eine Zigarette an.
Sie hatte nicht vorgehabt den Club zu verraten, aber man musste ja niemanden auf dumme Gedanken bringen, wenn derjenige ihr Auto auf dem Firmenparkplatz sah. Deshalb hatte sie zwei Straßen weiter geparkt.
Unmöglich war es immerhin nicht, dass einer der Sons vorbeifuhr. Opie wusste über die Versammlung Bescheid, Clay sicher auch. Es lag wahrscheinlich auch in deren Interesse zu wissen, wer sich dieser Organisation bereits angeschlossen hatte.
Das unheilvolle Gefühl im Nacken verfolgte sie, bis sie in ihrem Auto saß.
Ob es am schlechten Gewissen dem Club gegenüber lag, welches sich langsam meldete, oder auf Fitzpatrick zurückzuführen war, wusste sie nicht genau.
Aber sie war sich sicher, dass sie ihn provoziert hatte, wobei man das bei einem Mann wie ihm wohl eher nicht tun sollte.
Um ihr Ansehen in Charming musste sie nun bestimmt noch härter kämpfen, sollte ihn das dazu treiben noch mehr solcher bescheuerten Anzeigen zu schalten. Und doch war es ihr das Wert gewesen, wenn sie sich nur sein Gesicht in Erinnerung rief, als sie ihm das alles an den Kopf geknallt hatte.
Wären sie in einem Comic, wäre ihm Dampf aus den Ohren geschossen.
Kichernd, mit dem Bild eines in die Luft gehenden Fitzpatricks, fuhr sie davon.
Noch einen Abstecher in die Praxis, um den Anrufbeantworter abzuhören, dann würde sie sich um ihr Haus kümmern.
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