12. Sinneswandel?
„Ist was mit deinem Auto?"
Halfsack stand mit einer Tasse Kaffee vor der Werkstatt und sah zu Elli, die gerade zu Fuß angekommen war.
„Es steht noch am College."
Nachdem sie eigentlich nur etwas hatte essen wollen, war es ein feuchtfröhlicher Abend geworden und sie war mit einem Taxi nach Charming gefahren.
Aus dem einen Glas Wein waren drei geworden, zudem noch ein paar Kurze und zwei Cuba Libre, die Angela ausgegeben hatte. Es war lustig gewesen, Elli hatte für ein paar Stunden vergessen, was in Charming auf sie wartete.
Ein leeres Haus, ein Motorradclub bei dem sie nicht mehr wusste woran sie war, ein eifriger Geschäftsmann der sie unter Druck setzen wollte und eine Praxis in der sie bisher mehr Termine für Sextreffen als für Physiotherapien ausmachen hätte können.
„Muss man es abschleppen? Wie bist du nach Hause gekommen?"
Halfsack musterte sie nun aufmerksam.
„Mit dem Taxi. Ich war mit meiner Lerngruppe noch was Trinken und durfte nicht mehr fahren. Dem Auto geht es gut."
Halfsack nickte, schien einen Moment in Gedanken, bevor er dann lächelte. „Soll ich dich heute Abend hinfahren, damit du es abholen kannst?"
„Hast du denn Zeit dazu?"
„Würde ich es sonst anbieten? Am besten gleich nach Feierabend und natürlich mit dem Truck."
Sein Lächeln erwidernd stimmte Elli zu, bevor sie ins Büro ging, den PC einschaltete und sich dann selbst eine Tasse Kaffee nahm.
Mehrfach spürte sie Clays Blick auf sich, immer wieder tauchte er im Türrahmen zum Flur hin auf und schien etwas ansprechen zu wollen. Jedoch lief er wortlos wieder davon und Elli pochte nicht gerade darauf zu hören, was er ihr nun für schlechte Nachrichten überbringen wollte, und ignorierte ihn einfach.
Sie hatte genug Arbeit, um die sie sich kümmern musste.
Doch nach der Mittagspause schien Clay sich zu überwinden und begleitete sie ins Büro, schloss sogar die Türen.
„Ich muss mich bei dir entschuldigen", fing er an und Elli sah ungläubig zu ihm auf. „Ich hätte es nie in Erwägung ziehen dürfen von dir Schutzgeld zu verlangen. Du gehörst zur Familie und hast unseren Schutz sowieso."
„Hast du mit Gemma geredet?", rutschte es Elli heraus.
Einen Augenblick sah Clay sie kritisch an, dann grinste er. „Ja."
„Ihr werdet also nichts kassieren?", hakte sie nach.
Clay schüttelte den Kopf. „Aber die Jungs werden vorbeikommen. Zum Schein und vielleicht auf nen Kaffee."
„Den werden sie bekommen", gab Elli lächelnd zurück.
Selbst wenn Clay sich nur dazu entschlossen hatte, damit der Club weiterhin ein Auge auf sie haben könnte, erleichterte es sie ungemein. Gemma hatte ihr versichert, dass sie nach wie vor zur Familie gehörte und Elli hatte keine Zweifel daran, dass tatsächlich sie hinter Clays Sinneswandel steckte.
An ihrem Entschluss am nächsten Abend zu dieser ProCharming Versammlung zu gehen, änderte sich aber nichts.
Sie musste selbst schauen, wie sie sich Fitzpatrick vom Hals schaffen könnte und wollte sich nicht auf den Club verlassen. Immerhin wusste sie nicht, wie lange es diesmal ging, bis sich Clays Meinung vielleicht doch wieder änderte.
Und noch immer wusste sie nicht, ob sie vom Club oder ProCharming beschattet wurde. Ob sie denn überhaupt beobachtet wurde oder ihr nur ihre Fantasie einen Streich spielte.
„... am Samstag."
Elli riss sich selbst aus ihren Gedanken und sah Clay entschuldigend an. „Sorry, was?"
„Gemma gibt ein Essen für dich und im Clubhaus steigt eine Party, um deinen Abschluss zu feiern", wiederholte Clay. „Jetzt am Samstag."
„Echt? Wow... danke. Ich freu mich schon drauf."
Elli grinste breit und ignorierte den Knoten, der sich in ihren Eingeweiden gebildet hatte. Am Freitagabend würde sie ihren Bachelor bekommen, Donna und Opie würden sie begleiten. Trotzdem schmerzte der Gedanke daran, dass Jax nicht dabei sein würde, wie es noch vor zwei Wochen geplant gewesen war.
„Na klar. Es muss doch gefeiert werden, dass du es geschafft hast. Auch wenn wir dich hier vermissen werden."
Darauf erwiderte Elli nichts, sondern lächelte nur.
Vielleicht hätte sie Clay diese Floskel abgenommen bevor sie erfahren hatte, dass der Club sich an ihr bereichern wollte. Selbst wenn dieses Thema nun vom Tisch war, waren es ihre Zweifel nicht.
Fragend sah Elli zu Halfsack, der ihr zunickte. Auch wenn er nicht rauchte, störte es ihn nicht, wenn sie das in seinem Truck tat.
„Wie geht es mit der Praxis voran?", erkundigte er sich.
„Sie nimmt Gestalt an", antwortete Elli. „Die Möbel sind aufgebaut, die Kaffeemaschine steht, fehlen nur noch die Patienten."
„Die kommen schon", war er sich sicher. „Scheinbar hast du ja großes geplant für die Einweihung."
Elli lachte auf. „Man muss den Leuten was bieten. Aber es ist auch noch viel vorzubereiten."
„Also wenn du Hilfe brauchst, du weißt, wo du mich findest."
„Danke."
Elli musterte Halfsack einen Moment von der Seite, bevor sie wieder nach vorne aus der Windschutzscheibe sah.
Sie mochte ihn, er war immer nett zu ihr gewesen und sie glaubte ihm sein Angebot sofort. Würde sie ihn anrufen stünde er wenig später vor ihrer Türe. Ihre Freundschaft war nicht so eng wie die zu Opie, aber sie waren Freunde.
Ob diese Freundschaft weiterbestehen würde, auch wenn sie nicht mehr in der Werkstatt arbeitete und sich vom Club zurückzog?
Wie wäre es mit Juice, mit dem sie ebenfalls eine Freundschaft verband?
Um Opie machte sie sich keine Sorgen. Ihn würde sie schon allein durch Donna immer wieder treffen.
Oder würde sich daran auch etwas ändern, wenn Jax irgendwann zurück war?
Würde dieser überhaupt irgendwann zurückkommen?
Sie spürte die Tränen, die in ihren Augen brannten und blinzelte gegen sie an. Sie würde jetzt nicht weinen, sondern sich weiter nett mit Halfsack unterhalten.
„Und was macht die Suche nach einer Freundin?", fragte sie und schaffte es sogar zu grinsen.
Auf dem Rückweg hielt Elli beim Chinesen.
Nach ihrer Junkfoodeinlage am Abend zuvor reichten ihr heute gebratene Nudeln mit Gemüse. Für Donna nahm sie Ente süß-sauer. Zudem noch Frühlingsrollen für sie zusammen und zum Nachtisch gebackene Bananen mit Honig. Das konnte sie dann doch nicht lassen.
Donna war überrascht, aber freute sich über Ellis Besuch und sie ließen sich das Essen schmecken.
„Dem Krümelchen geht es gut. Bein nächsten Termin kann man vielleicht schon sehen was es wird."
„Wolltest du dich nicht überraschen lassen?", erkundigte sich Elli und kämpfte mit ihren Stäbchen gegen ein Stück Brokkoli, das ihr immer wieder entwischte.
„Wollte ich. Aber ich bin so aufgeregt und kann es kaum erwarten. Opie will es auch wissen und plant schon, wie er dann das Kinderzimmer streicht." Donna lachte auf, da Elli den Brokkoli schließlich mit einem Stäbchen aufgespießt hatte. „Bei einem Mädchen will er ein Himmelbett wie für eine Prinzessin. Wird es ein Junge, will er eine Fototapete mit einem Motorrad. Und ganz egal was es wird, er hat bereits ein Schaukelmotorrad bestellt."
„Solange er den Sensenmann nicht an die Wand malt", gab Elli grinsend zurück.
Donna zog eine Augenbraue nach oben. „Ich konnte ihn bisher davon abhalten, aber wer weiß was er da noch alles treibt."
Donna stellte ihre Essensverpackung auf den Tisch und rieb sich über ihr kleines Bäuchlein.
„Was auch immer es wird. Ich kann froh sein, dass Opie sich so sehr darauf freut und sich Gedanken macht. Zum nächsten Termin begleitet er mich wieder, das hat er letztes Mal schon gemacht. Er hat sogar ein Buch gekauft, mit Ratschlägen für Babys erstes Jahr und sich eine Liste angelegt mit Namen, die ihm gefallen."
Gedankenverloren, aber breit lächelnd, sah Donna auf ihre Hände auf dem Bauch.
Elli stimmte zu. Opie machte sich jetzt schon so viele Gedanken und wollte alles richtig machen. Wenn er von dem Baby sprach, leuchteten seine Augen.
Die beiden würden sicher großartige Eltern werden und ihrem Kind zeigen, dass sie es liebten.
Nachdem sie noch einen Film angeschaut hatten, machte sich Elli auf den Heimweg.
Zuhause wartete noch immer die Sauerei im Wohnzimmer und sie wollte noch Wäsche waschen. Ihre Küche könnte auch mal wieder etwas Zuwendung gebrauchen.
Sie hatte sich die letzten Tage gehen lassen, das musste sich wieder ändern.
Vorgenommen hatte sie sich, ihr Haus in ein Zuhause zu verwandeln. Ihre Oase, in die sie gerne zurückkam nach einem langen Tag in ihrer Praxis.
Dafür hatte sie noch ungefähr eine Woche und sie wollte es gleich anpacken, bevor die Welle an Selbstmitleid wieder über sie schwappte.
Unterricht hatte sie an diesem letzten offiziellen Kurstag nicht mehr.
Stattdessen kamen die Professoren und Dozenten mit Fragebögen, die sie ausfüllen sollten, um die Kurse zu bewerten. Der Nachmittag war dann frei.
Nur kurz dachte Elli darüber nach noch in die Werkstatt zu gehen, richtige Lust dazu hatte sie aber nicht.
Schließlich fuhr sie ins Einkaufszentrum.
Für die Praxis hatte sie bis auf ein paar Kaffeetassen alles zusammen, doch für ihr Zuhause würde sie heute shoppen gehen. Ein bisschen Dekoration, ein paar Pflanzen, bunte Kissen und zwei Decken für ihr graues Sofa würden ihr noch gefallen.
Als sie dann nach Hause fuhr war ihr Auto vollbeladen und sie hatte sich auch noch für die Praxis neu eingekleidet.
Schwarze Trainingshosen und Leggins, einfache weiße T-Shirts und bequeme Turnschuhe.
Das Einkaufen hatte sie abgelenkt, sie hatte es in die Länge gezogen und es hatte ihre Laune sogar gehoben, denn endlich nahm sie ihr Zuhause in Angriff. Doch je näher sie Charming kam, desto nervöser wurde sie.
Nur noch zwei Stunden, dann war die Versammlung von ProCharming.
Sie wollte hin, um sich selbst ein Bild dieser Organisation zu machen und noch immer klang ihr Fitzpatricks Drohung im Ohr.
Aber auf was genau würde sie sich mit dieser Versammlung einlassen?
Was würde Fitzpatrick sagen und was der Club, sollten die Jungs davon erfahren?
Sollte sie zumindest Opie Bescheid geben?
Seufzend schob sie ihre Sorgen beiseite und parkte vor ihrer Garage.
Es war ihre Entscheidung, ob sie ging oder nicht. Sie durfte sich eine eigene Meinung bilden und musste dafür nicht um Erlaubnis fragen.
Sie war erwachsen und brauchte niemand, der ihr vorschrieb, was sie tun sollte. Weder den Club noch ProCharming. Das würde sie beiden Seiten klarmachen und sich in nichts hineinziehen lassen.
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