11. Yoga, Party und eine Fressorgie


Fröstelnd rieb sich Elli ihren rechten Arm, dabei wackelte ihr Regenschirm und verwehrte ihr für eine Sekunde den Blick auf den davonstolzierenden Fitzpatrick.
Als hätte das ihre Starre gelöst, wandte sie sich ruckartig um und lief eilig zu ihrem Auto.

Was Fitzpatrick gesagt hatte war eindeutig eine Drohung gewesen.
Steckte er vielleicht doch hinter dieser Anzeige? Und wie groß war der Zufall, dass sie sich plötzlich so häufig über den Weg liefen?
Immer wieder hatte sie das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden. Zuhause auf ihrer Veranda, in der Praxis, beim Einkaufen, vorhin auch hier auf dem Friedhof.
Gab es tatsächlich jemand, der ihr nachschlich?

Für einen Moment schloss sie die Augen und atmete tief durch.
Möglicherweise sollte sie Clarks Vorschlag doch nicht ablehnen und zu dieser Versammlung erscheinen. Natürlich würde sie nichts über den Club ausplaudern, aber sie könnte sich selbst einen Überblick darüber verschaffen, was es mit ProCharming auf sich hatte. Zudem war es sicher gut zu wissen, wer bereits auf deren Seite stand und wem gegenüber sie deshalb vorsichtig sein musste.

Dem Club würde es wahrscheinlich nicht gefallen, aber im Moment war ihr das egal. Mit ihrer Forderung hatten sie Elli gezeigt, wo sie stand. Sie musste ihre Angelegenheiten selbst klären.
Mit dem Vorsatz an der Versammlung teilzunehmen, startete sie das Auto und fuhr los.


Der dunkle Lieferwagen vor ihrem Haus trug nicht gerade dazu bei, dass dieses unbehagliche Gefühl von ihr abfiel. Dennoch parkte sie vor der Garage und stieg aus.
Mit wackligen Knien ging sie auf die Veranda zu und musterte den Mann, der vor ihrer Haustüre wartete. Er trug eine braune Lieferantenuniform, vor ihm auf dem Boden stand ein Paket.
Trotzdem zuckte sie zusammen, als er sich umdrehte und sie ansprach.
„Miss Summers?"
„Ja", antwortete sie nach einer Schrecksekunde.
„Bitte hier unterschreiben."
Darüber nachdenkend, ob sie überhaupt ein Paket erwartete, kritzelte sie ihren Namen auf den Lieferschein und murmelte ein abwesendes „Danke", bevor sich der Lieferant verabschiedete.

Grinsend ließ Elli eine Tasse Kaffee aus der neuen Maschine. Ihre Befürchtungen, eine böse Überraschung in diesem Paket vorzufinden, hatte sich glücklicherweise nicht bestätigt.
Wie hatte sie gerade diese Lieferung vergessen können?
Nachdem klar gewesen war, dass sie die Praxisräume mieten konnte, war dieser Kaffeevollautomat einer ihrer ersten Bestellungen für die Praxis gewesen.
Ein sehr gutes Angebot, allerdings mit einer langen Lieferzeit.
Sie genoss den ersten Schluck und lehnte sich dabei zurück. In einer halben Stunde würde sie sich mit Alessa in der Praxis treffen. Die versprochene Yogaeinheit würde ihr sicherlich guttun und ihre Nerven beruhigen.
Die neue Kaffeemaschine konnte sie dann auch gleich aufstellen.


„Es sieht klasse aus."
Lächelnd sah sich Alessa im Eingangsbereich um, lief dann in den Wartebereich und warf einen neugierigen Blick in die Holzschatztruhe.
„Coole Idee, da werden die Kinder bestimmt gerne warten."
„Freut mich, dass es dir gefällt", meinte Elli erleichtert. Sie hatte den Anrufbeantworter erst kurz vor Alessas Ankunft abgehört. Es waren nur noch zwei perverse Anrufe darauf gewesen, was sie unglaublich beruhigt hatte. Allerdings waren seit Samstag keine Terminanfragen mehr gekommen. Alessas Yogakurse waren da eine willkommene Einnahmequelle.
„Und bleibt es bei der Raumeinteilung?"
Elli nickte. „Der größere Raum ist abends für dich reserviert. Die Sprossenwand ist drin, der Schrank für meine Trainingsmaterialien auch. Beim Rest darfst du dich austoben."
Mit leuchtenden Augen öffnete Alessa die rechte der beiden Türen an der hinteren Wand. Sie hatte bereits ein paar Ideen für das Farbkonzept.

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Schnell hatte sich der Hof gefüllt. Freunde des Clubs und die Vollmitglieder begrüßten Curt als neuen Prospect und feierten ausgiebig.
Clay hatte sich ins Hinterzimmer zurückgezogen und wartete auf Opie.
Die Nachricht, die er bekommen hatte, ließ ihn an seinem Entschluss zweifeln.
Konnte er Elli noch trauen?
Sie war einfach gegangen, ohne sich wie sonst zu verabschieden. Was sie noch vorgehabt hatte, hatte sie auch nicht gesagt.
Dann wurde sie mit Fitzpatrick gesehen. Das Bild in der Nachricht war eindeutig.
Zufall?

„Du wolltest mich sprechen?"
Mit seinem Bier in der Hand setzte sich Opie aufs Sofa.
„Ist Donna bei Elli?"
Clay drehte sich Opie zu und sah ihn fragend an.
„Nein", antwortete Opie. „Elli wollte heute Abend lieber keinen Besuch. Sie wollte auch allein auf den Friedhof."
„Auf den Friedhof?"
War das Treffen dort mit Fitzpatrick also geplant gewesen und Opie wusste davon?
„Ähm, ja. Heute ist Carls Todestag." Opie nahm einen Schluck Bier. „Deshalb wollte Elli auch nicht zur Party kommen."
Irritiert strich sich Clay über seinen Bart. Es war ihm unangenehm, dass er Carls Todestag vergessen hatte und doch musste er es genauer wissen.
„Sie wurde dort mit Clark gesehen. Hat sie davon auch was gesagt?"
„Was?" Opie bekam große Augen. „Du glaubst doch nicht, dass sie sich mit ihm treffen wollte."
Clay schüttelte langsam seinen Kopf. „Wohl eher nicht. Aber es gefällt mir trotzdem nicht. Gerade jetzt, wo ich entschieden habe, doch nichts von ihr zu verlangen."

Ein Lächeln huschte über Opies Gesicht. „Der Club verzichtet darauf?"
Das wären endlich mal gute Nachrichten für Elli.
„Ellis Reaktion gestern hat mir gezeigt, wie sehr es sie verletzt. Deshalb werde ich ihr stattdessen vorschlagen, dass ihr Jungs eben nur zum Schein vorbeikommt, solange sie offiziell zahlt."
Die Wörter offiziell zahlt setzte er mit beiden Händen in Gänsefüßchen.
Opie nickte zustimmend. So recht glauben konnte er Clays Sinneswandel zwar nicht und rechnete damit, dass da noch etwas kommen könnte, aber jetzt gerade würde es Elli erstmal helfen.
„Ich kann sie fragen, was Clark schon wieder wollte."
Clay nickte. „Und bitte schick mir Tig."

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Gerade als Elli Alessa ins größere der beiden Behandlungszimmer folgte, piepste ihr Handy.

Opie: Was wollte Fitzpatrick?

Genervt schnaubte sie. Woher wusste Opie davon? War er es, der sie beobachtete?
Sie hoffte nicht, wusste jedoch langsam gar nicht mehr, wem sie noch über den Weg trauen konnte.

Elli: Spionierst du mir nach?

Opie: Als ob... Aber du wurdest mit ihm gesehen. Clay bekam eine Nachricht deshalb.

Elli: Er hat mich an die Versammlung erinnert. Muss jetzt auch aufhören zu schreiben, hab noch zu tun.

Ohne auf eine Antwort zu warten, schob sie das Handy in die Sporttasche, aus der sie gleich darauf die Yogamatte zog. Sie wollte sich jetzt entspannen und sich nicht über den Club oder ProCharming aufregen. Nur deshalb war Alessa heute gekommen.


Ihr Magen grummelte und zog sich beim Aufstehen schmerzhaft zusammen.
Sie hatte es mit dem Eis eindeutig übertrieben. Mit dem Eis und den Süßigkeiten. Davor noch die halbe Käsepizza und den Vanillemilchshake, die sie auf dem Heimweg im Diner geholt hatte.
Auf dem Couchtisch lagen neben aufgerissenen Snacktüten benutzte Taschentücher, zwei leere Coladosen und der halbleere Eiscremebecher. Auf dem Sofa lagen drei Fotoalben.
Nachdem sie sich mit Alessa beim Yoga wirklich entspannt hatte, hatte sie sich zuhause ihren Emotionen hingegeben. Den Geschichten von Carl, während sie die Fotoalben durchgeblättert hatte und den Erinnerungen an Jax, solange sie ihre Bilder und den Nachrichtenverlauf angesehen hatte.
Mit wackligen Beinen und tränenverschleierter Sicht schleppte sie sich nach oben ins Bett und schlief beinahe augenblicklich ein.


Ihre Augen waren ein wenig geschwollen und ihr Hals kratzte, aber sie fühlte sich beim Aufwachen besser als erwartet. Auch ihr Magen hatte sich über Nacht beruhigt.
So eine Fressorgie hatte sie schon lange nicht mehr veranstaltet und allein die Überbleibsel davon im Wohnzimmer zu sehen, machte sie verlegen. Doch nachdem sie ihre Gefühle die letzten Tage so gut es ging zurückgehalten hatte, hatte es ihr gutgetan alles rauszulassen.
Aufräumen würde sie abends, jetzt wollte sie sich auf ihre letzten Kurse konzentrieren.


„Wenigstens zum Essen?"
Monika sah Elli fast schon flehend an.
„Na gut", stimmte Elli zu.
Auch wenn sie ihr Privatleben vom College fernhielt, hatte sie hier so etwas wie Freundinnen gefunden. Monika, Iris, Lola und Angela. Ihre Lerngruppe.
Und diese Lerngruppe wollte heute nach dem letzten Kurs in einer Bar zusammen den Abend verbringen.

Bisher hatte Elli sich bei solchen Treffen rar gemacht. Zu viele Fragen, die in gemütlicher Runde gestellt wurden, dazu die Gewissheit, dass die Bar in Stockton war und jederzeit die Mayans vorbeikommen könnten.
Aber heute sah sie das anders.
Es war wahrscheinlich die letzte Möglichkeit mit diesen vier Frauen zusammen etwas zu unternehmen, denn schnell würde sich die Sache zwischen ihnen verlaufen, wenn sie am Freitag ihren Abschluss erhielten.
Warum also nicht den Abend mit denjenigen genießen, die ihr immer wieder beim Lernen geholfen und mit denen sie Stunden in der Bibliothek verbracht hatte?
„Cool. Die Bar wird dir sicher gefallen", meinte Angela.

Auf dem Weg zurück in den Vorlesungssaal zog Elli ihr Handy aus der Tasche.
Es war ein Reflex, sie wollte Jax schreiben, dass sie später kam, weil sie mit ihrer Lerngruppe noch ausging.
Der fiese Stich ins Herz als ihr bewusst wurde, dass sie das nicht mehr musste, schmerzte und dämpfte ihre Vorfreude. Einen Moment überlegte sie Opie Bescheid zu geben. Sie wollte nicht, dass sich dieser noch mehr Sorgen machte und es war nicht unmöglich, dass er unangemeldet bei ihr zuhause vorbeikam.

Dann jedoch schob sie das Smartphone wieder in die Tasche, ohne jemandem zu schreiben. Opie meinte es gut, dass wusste sie, aber oft genug waren es auch andere Gründe, wegen denen er vor ihrer Türe stand oder sich bei ihr meldete. Clubangelegenheiten, mit denen sie nichts mehr zu schaffen hatte.
Sie war alt genug, konnte tun und lassen, was sie wollte. Sie war niemandem Rechenschaft schuldig.
Diesen Abend würde sie sich nicht verderben lassen. Wer wusste schon auf welche dummen Ideen der Club kam, wenn Clay von Opie erfuhr, dass sie in Stockton den Abend in einer Bar verbrachte. 

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