5. Dezember: Eiszapfen-Zauber

Der Morgen nach der frostigen Herausforderung war von einer seltsamen Stille durchzogen. Harry und Draco hatten den Tag zuvor mit gemischten Gefühlen beendet – das Tanzen auf dem Eis war nicht nur körperlich anstrengend gewesen, sondern hatte auch eine andere, unerklärliche Spannung zwischen ihnen entfacht. Doch als sie sich in der großen Halle zum Frühstück niederließen, war das Schweigen zwischen ihnen erneut greifbar.

Harry starrte in seine Tasse heiße Schokolade, während Draco mit einer Miene, die ebenso ausdruckslos wie die grauen Wolken draußen war, sein Müsli kaute. Die Worte, die sie noch gestern im Eistanz miteinander gewechselt hatten, schienen wie Schnee im Wind verflogen.

Potter." sagte Draco schließlich, als der letzte Bissen Müsli verschwand. Er lehnte sich auf der Bank zurück und sah Harry an, seine grauen Augen ein wenig weniger abweisend als sonst. „Hast du jemals vom Eiszapfen-Zauber gehört?"

Harry sah ihn überrascht an. „Eiszapfen-Zauber?" wiederholte er und ließ seinen Löffel sinken. „Nein, nie. Was soll das sein?"

Draco schnaubte. „Ich dachte mir, dass du davon nichts weißt. Du bist zu sehr mit deinen großen Heldentaten beschäftigt, um auf die kleineren Geheimnisse von Hogwarts zu achten."
Er beugte sich vor, der Glanz in seinen Augen verriet, dass er sich darauf freute, etwas zu teilen, was Harry nicht wusste. „Es gibt einen Ort, versteckt auf dem Gelände, an dem magische Eiszapfen wachsen. Sie sollen Wünsche erfüllen, wenn du den richtigen Zauber sprichst."

„Wünsche erfüllen?" Harry runzelte die Stirn. „Das klingt eher nach einem Gerücht. Ich dachte, Zaubertränke und Magie hätten ihre eigenen Regeln."

„So einfach ist das nicht." erwiderte Draco mit einem spöttischen Lächeln. „Du musst die richtige Magie fühlen, den richtigen Moment erwischen. Und nicht jeder wird in der Lage sein, einen Wunsch zu äußern, der auch tatsächlich erfüllt wird."

„Und du willst mir diesen geheimen Ort zeigen?" fragte Harry, etwas misstrauisch. „Warum?"

„Weil ich es kann." sagte Draco, als wäre es selbstverständlich. „Und vielleicht brauchst du ein bisschen mehr als deinen üblichen Mut, um zu begreifen, was dieser Ort wirklich zu bieten hat."

„Ich kann mir vorstellen, dass du da schon oft gewesen bist." antwortete Harry, seine Stimme furchtbar trocken. „Immerhin hast du ein untrügliches Gespür für magische Dinge, die niemand anderes finden kann."

Draco schnaubte. „Bist du immer so ein Griesgram?" Dann stand er auf und zuckte mit den Schultern. „Komm, wenn du willst. Oder bleib hier, weine über deinen Schokopudding und lass dich von deinen Gefühlen auffressen."

Harry musterte ihn einen Moment lang, dann stand er auf. „Na gut, wenn du es so unbedingt willst, Malfoy. Aber wenn du mich in eine Falle locken willst, kannst du das gleich vergessen."

„Keine Sorge, Potter. Du bist schon der größte Fallstrick hier." war Dracos Antwort, und ohne ein weiteres Wort ging er aus der Halle, Harry in seinem Schlepptau.

Draußen war der Winter noch immer in vollem Gange, doch der kalte Wind schien Harry nicht mehr so zu stören wie noch vor Tagen. Er hatte sich an die Kälte gewöhnt, genauso wie an die Eigenarten, die Draco mit sich brachte. Draco führte ihn hinaus zum Rand des Schlossgeländes, wo der Wald sich in dunklen, verschlungenen Wegen verlor und das Gelände in eine weiße, unberührte Schneelandschaft überging.

„Komm schon, du bist schon fast da," sagte Draco, als Harry zögerte. „Der Ort ist nur ein Stück weiter."

Der Schnee knirschte unter ihren Stiefeln, als sie durch das schneebedeckte Gelände gingen. Bald erreichten sie einen abgelegenen Teil des Waldes, wo die Bäume von einer dicken Schicht Frost bedeckt waren und alles in einem geheimen, fast mystischen Glanz erstrahlte. Es war, als ob sie in eine andere Welt eingetreten wären.

„Hier." sagte Draco, als sie vor einem Baum standen, dessen Äste von glänzenden Eiszapfen behangen waren. Diese Eiszapfen schimmerten in allen Farben des Regenbogens, obwohl es nicht der richtige Moment für Regenbogenlicht war. Sie leuchteten mit einer inneren Energie, die Harry fast in den Bann zog.

„Was genau passiert hier?" fragte Harry, seine Stimme ein wenig unsicher.

„Sieh sie dir einfach an,." sagte Draco und zeigte auf die Eiszapfen. „Du musst nur die richtige Frage stellen. Jeder dieser Eiszapfen erfüllt einen Wunsch. Aber nicht einfach irgendeinen Wunsch. Es muss etwas sein, das du wirklich tief in dir spürst. Und du musst ehrlich sein."

„Und was passiert, wenn der Wunsch nicht wahr wird?"

Draco zuckte mit den Schultern. „Dann wirst du nichts weiter tun, als einen weiteren Eiszapfen verlieren."

„Hört sich ja nicht gerade nach einer Garantie an."

„Garantie?" Draco schnaubte. „Natürlich nicht, Potter. Es geht nicht um Garantien. Es geht darum, was du wirklich willst. Aber du bist derjenige, der glaubt, er kann alles mit seinen Erwartungen und Prinzipien kontrollieren."

Harry überlegte kurz, dann seufzte er und trat einen Schritt näher an den Baum heran. Die Eiszapfen bewegten sich fast wie in einer sanften Brise, obwohl die Luft still war. „Okay, ich versuch's."

„Gut." sagte Draco, der sich ein wenig zurückzog, als wollte er Harry in diesem Moment allein lassen. „Den richtigen Wunsch, Potter. Und dann wirst du sehen, was passiert."

Harry starrte auf einen der Eiszapfen, der das Licht des Winterhimmels reflektierte und in allen erdenklichen Farben glänzte. Er wusste, dass es nicht einfach ein Spiel war. Hier ging es um mehr, um etwas, das tief in seinem Inneren verborgen lag. Etwas, das er nicht gerne ansprach – etwas, das sich in den letzten Jahren wie eine unerfüllbare Sehnsucht angestaut hatte.

„Ich wünschte, ich könnte wirklich verstehen, was in mir vorgeht." flüsterte Harry, ohne sich wirklich sicher zu sein, ob er das laut sagen sollte.

Die Eiszapfen begannen zu leuchten, der silberne Glanz wurde stärker, fast so, als reagierten sie auf Harrys innere Worte. Doch bevor er noch mehr darüber nachdenken konnte, hörte er Dracos Stimme hinter sich.

„Nichts, was du dir wünschst, wird einfach kommen, Potter." sagte Draco ruhig. „Du musst es dir verdienen."

Harry drehte sich um, sah Draco an – und in diesem Moment spürte er, wie die kalte, magische Luft zwischen ihnen einen Funken auslöste.

„Vielleicht ist der wahre Zauber, was wir daraus machen, oder?" antwortete Harry. Doch er konnte nicht ganz sicher sagen, ob das seine eigene Erkenntnis war – oder vielleicht etwas, das Draco ihm gerade eingeflüstert hatte.

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