20. Dezember: Der Wunschbaum
Die Nacht war still, und der Mond stand hoch über Hogwarts, sein Licht fiel sanft auf den verschneiten Schulhof. Die Schüler waren längst in ihre Schlafsäle zurückgekehrt, doch Harry und Draco fanden sich durch eine unsichtbare Kraft hinausgezogen, jeder für sich, auf der Suche nach dem sagenumwobenen Wunschbaum.
Der Baum stand im Verbotenen Wald, umringt von einer Lichtung, die selbst in der tiefsten Dunkelheit glühte. Seine Äste waren schwer beladen mit schimmernden Eiszapfen, die im Mondlicht funkelten, und an seinen Wurzeln lag ein weiches Kissen aus Schnee, das wie unberührt wirkte. Der Baum war kein gewöhnlicher Baum – es hieß, dass er die Wünsche derer erfüllte, die reinen Herzens darum baten.
Harry zog seinen Mantel enger um sich, während er die Kälte ignorierte und durch die knirschenden Schneemassen stapfte. Irgendetwas an diesem Baum übte eine unbestreitbare Anziehungskraft auf ihn aus. Vielleicht war es die Magie der Legende oder vielleicht war es etwas anderes – eine innere Stimme, die ihn drängte, sich seinen wahren Gefühlen zu stellen. Er staunte nicht schlecht, als er bei seiner Ankunft feststellte, dass er nicht allein war.
„Potter.", kam Dracos vertraute Stimme, die vor Überraschung nur so triefte. „Was machst du hier?"
Harry blieb stehen, seine Augen suchten Dracos Gestalt, die im Schein der glitzernden Eiszapfen beinahe geisterhaft wirkte. Draco trug einen langen, eleganten Mantel, sein blondes Haar war vom Schnee leicht bedeckt, und sein Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Verwirrung und etwas, das fast wie Nervosität aussah.
„Ich könnte dich dasselbe fragen.", erwiderte Harry, wobei er versuchte, ruhig zu klingen.
Draco zögerte, bevor er die Schultern zuckte. „Vielleicht war ich neugierig. Man hört Geschichten über diesen Baum."
Harry nickte, trat ein paar Schritte näher und blieb schließlich direkt neben ihm stehen. „Und? Glaubst du, dass er wirklich Wünsche erfüllen kann?"
Draco lachte leise, ein bitteres, leises Geräusch. „Ich glaube nicht an Märchen, Potter. Aber manchmal... wäre es schön, wenn sie wahr wären."
Harry sah ihn von der Seite an und spürte ein unerwartetes Ziehen in seiner Brust. Draco sah anders aus – verletzlich, fast müde. Die Maske aus Arroganz und Spott war gefallen, und was darunter lag, war etwas, das Harry noch nie zuvor gesehen hatte.
„Nun.", sagte Draco schließlich, während er eine kleine, pergamentähnliche Rolle aus seiner Manteltasche zog. „Wenn wir schon mal hier sind... warum nicht?"
Harry beobachtete, wie Draco sich vorsichtig hinunterbeugte und die Rolle in den Schnee legte, direkt an die Wurzeln des Baumes.
„Was hast du dir gewünscht?", fragte Harry leise, bevor er darüber nachdenken konnte.
Draco richtete sich auf und schüttelte den Kopf. „So funktioniert das nicht, Potter. Wenn man es ausspricht, wird es nicht wahr."
Harry lachte leise, zog selbst ein kleines Stück Pergament hervor und schrieb hastig etwas darauf, bevor er es ebenfalls unter den Baum legte.
„Hast du dir Frieden auf Erden gewünscht?", fragte Draco trocken, aber ein kleines Lächeln spielte um seine Lippen.
„Nicht ganz.", erwiderte Harry mit einem Grinsen.
Sie standen für einen Moment schweigend da, Seite an Seite, und betrachteten den Baum, dessen Eiszapfen sanft im Wind klirrten. Es war ein eigenartiger Frieden, der über der Lichtung lag, als hätte die Welt beschlossen, für einen Augenblick stillzustehen.
Draco blickte schließlich zu Harry hinüber, sein Blick unsicher, aber voller Neugier. „Warum bist du wirklich hier, Potter?"
Harry zögerte, bevor er antwortete. „Ich... ich glaube, ich wollte einen Moment für mich. Einen Moment, um über alles nachzudenken."
Draco nickte, als würde er die Bedeutung dieser Worte verstehen. „Ich auch."
Ihre Augen trafen sich, und für einen Moment war da nichts als die Stille zwischen ihnen – keine Worte, keine Vorurteile, keine Masken. Es war ein Moment der Ehrlichkeit, der so selten zwischen ihnen war, dass er beinahe schmerzte.
Während sie nebeneinander standen, begann sich ein leises Leuchten unter dem Baum auszubreiten. Es war, als würde der Baum selbst ihre Wünsche aufnehmen und für einen Augenblick ihre Gedanken sichtbar machen.
Harry starrte auf das Licht und spürte, wie sein Herz schneller schlug. Er wusste nicht, ob der Baum seine Wünsche erfüllen konnte, aber ein Teil von ihm hoffte es – hoffte, dass vielleicht, nur vielleicht, sein Wunsch gehört wurde.
Draco hingegen wandte den Blick nicht vom Baum ab, aber in seinem Inneren tobte ein Sturm. Er hatte sich etwas gewünscht, das er nie zugegeben hätte, und doch war es jetzt hier, in diesem magischen Moment, greifbar nah.
Und was sie beide nicht wussten: Ihre Wünsche waren dieselben. Eine Chance für uns.
Schließlich brach Draco die Stille. „Ich glaube, ich gehe jetzt zurück ins Schloss. Es wird kalt." Harry nickte. „Ich komme mit."
Sie gingen schweigend nebeneinander her, ihre Schritte im Schnee hinterließen Spuren, die Seite an Seite verliefen. Beide spürten, dass etwas zwischen ihnen lag – etwas unausgesprochenes, etwas Neues, das mit jedem Moment stärker wurde.
Als sie das Schloss erreichten, war Draco der erste, der sich abwandte. Doch bevor er verschwand, drehte er sich noch einmal um und sah Harry an.
„Gute Nacht, Potter."
„Gute Nacht, Malfoy."
Harry blieb noch einen Moment stehen, sah ihm nach, und ein kleines Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Vielleicht, nur vielleicht, würde der Wunschbaum ihnen die Chance geben, die sie beide sich insgeheim so sehr wünschten.
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